Interview — Saïd Sankofa
»Beim Breaken ist es egal, woher man kommt«
Wenn Breakdance bei den Olympischen Spielen 2024 zum ersten Mal überhaupt als sportliche Disziplin geführt wird, könnte Deutschland vom jungen Tänzer Saïd Sankofa vertreten werden. Sollte sich der gebürtige Münchener für die Teilnahme qualifizieren, ginge es ihm aber gar nicht so sehr um eine Medaille. Viel wichtiger ist es ihm, den Menschen ganz allgemein die Kultur des Breakens näherzubringen – und gleichzeitig auf die dramatische Lage der Uiguren in China aufmerksam zu machen. Dieses Anliegen ist ein ganz persönliches, denn Saïds Familie musste bereits in den Neunzigern aus Xinjiang nach Deutschland fliehen.
26. Januar 2023 — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotografie: Maximilian König
Fernsehen bildet – zumindest gelegentlich. Und manchmal sogar am späten Abend. Wie etwa am 11. Oktober 2022, als das ZDF um 22:15 Uhr in seiner Reportagereihe „37 Grad“ den Beitrag „Mein Tanz, mein Battle“ zeigte. Untertitel: „Mit Breakdance Geschichte schreiben“. In einem sehr persönlichen Portrait wurden dort die 23-jährige Joanna aus Dresden und der 25-jährige Serhat aus München vorgestellt, für die Breakdance nicht weniger bedeutet als ihr Leben.
Für manche mag das vielleicht niedlich klingen, vor allem, wenn sie mit dem Tanzstil, der in den 1970er Jahren in New York erfunden wurde und sich seitdem als Grundelement der Hip-Hop-Kultur begreift, wenig bis gar nichts anfangen können. Doch Breakdance ist für Joanna, Serhat und viele andere weit mehr als ein Hobby: Breaken ist eine Lebenseinstellung, eine Kultur – und ab 2024 auch eine olympische Disziplin. Sollte er sich qualifizieren, könnte Serhat, der bereits vor zwölf Jahren in den Bundeskader aufgenommen wurde, bei den Sommerspielen in Paris offiziell für Deutschland antreten – und im besten Fall um die Goldmedaille kämpfen.
Doch um buntes Edelmetall, das man sich um den Hals hängen kann, geht es dem überaus bescheiden und warmherzig wirkenden jungen Mann gar nicht. Das wird nicht nur in der ZDF-Reportage klar, sondern auch während unseres Interviews vor wenigen Wochen in Berlin. Serhat, den man in der Breakdance-Szene eher unter dem Künstlernamen Saïd Sankofa kennt, wird von der Idee getrieben, den Menschen diese so besondere, diverse, weltoffene und inklusive Kultur näherzubringen, die er bereits als Kind für sich entdecken durfte.
Daneben hat Serhat alias Saïd noch ein weiteres Anliegen – und zwar ein überaus persönliches. Der gebürtige Münchener hat uigurische Wurzeln, seine Familie stammt aus der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas. Da sein Vater als Journalist seit Jahrzehnten über die Kultur und Rechte der Uiguren schreibt und deshalb ins Visier der chinesischen Behörden geriet, floh die Familie im Jahr 1996 über Kasachstan nach Deutschland. Aus diesem Grund nutzt Saïd den Breakdance auch als Bühne, um mehr Sichtbarkeit für die die reichhaltige Kultur seines Volkes herzustellen und die Aufmerksamkeit seines Publikums verstärkt auf die aktuellen Auslöschungsversuche durch die chinesische Regierung zu lenken.
»Lerne aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft. Und vergiss nie, wo deine Wurzeln liegen.«
MYP Magazine:
Saïd, Du bist Teil der sogenannten Sankofa-Crew. Was steckt hinter diesem Namen?
Saïd:
Die Idee dazu hatte mein bester Freund Michael, der auch eines der Gründungsmitglieder unserer Crew ist. Seine Familie gehört den Ashanti an, einer ethnischen Gruppe in Ghana. In der Kultur der Ashanti gibt es verschiedene Philosophien, denen jeweils ein Begriff und ein Zeichen zugeordnet sind. Sankofa ist eine dieser Philosophien, im Prinzip gibt es in ihr zwei Kernbotschaften. Erstens: Lerne aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft. Und zweitens: Vergiss nie, mit wem du angefangen hast und wo deine Wurzeln liegen.
Das Zeichen der Sankofa-Philosophie ist ein zurückschauender Vogel, vor dem ein Ei liegt. Dieses Ei symbolisiert den Beginn seiner Reise und steht dafür, dass man im Leben immer wieder in die Vergangenheit schauen sollte, um daraus Erkenntnisse zu entnehmen, mit denen sich die eigene Zukunft besser gestalten lässt.
MYP Magazine:
Wie habt Ihr euch gefunden und formiert?
Saïd:
Eher zufällig – als kleine Knirpse im „Kinderzirkus JoJo“. Das ist ein soziales Projekt, das im Münchener Stadtteil Kieferngarten kostenlose Workshops für Kinder aus einkommensschwachen Familien anbietet, die unterschiedlichste kulturelle Backgrounds haben. Man kann dort etwa Jonglage, Clown Acting oder Breakdance lernen. Am Anfang, im Jahr 2007, waren wir fünf, sechs Jungs. Die restlichen Mitglieder kamen später in unserem Jugendzentrum dazu.
»Der Wechsel zum Namen Saïd war für mich ein Schritt in Richtung Erwachsenwerden.«
MYP Magazine:
Wie und wann ist Dein Künstlername Saïd entstanden?
Saïd:
Diesen Namen habe ich mir selbst vor etwa sechs Jahren gegeben. Davor kannte mich jeder nur unter Halo The Kid, so hatte mich immer ein Älterer aus dem Jugendzentrum genannt. „Halo“ steht für den Move, den ich als Kind und Jugendlicher am besten konnte und der meinem Tanz etwas sehr Markantes gegeben hat. Aber im Laufe der Jahre hatte ich zunehmend das Gefühl, dass mich der Name eher einengt, da er mich immer nur auf diesen einen Move beschränkt. Daher war für mich der Wechsel zu Saïd auch ein Schritt in Richtung Erwachsenwerden.
»Beim Breaken ist es völlig egal, woher man kommt, wie man aussieht, wen man liebt oder wie alt man ist.«
MYP Magazine:
In der ZDF-Reportage erzählst Du unter anderem, dass die ersten zehn Jahre im Breakdance äußerst schwierig für Dich waren, da Du auf Battles nur verloren hast. Was hat Dich all die Jahre motiviert, trotzdem dabeizubleiben?
Saïd:
Breaken ist nicht nur ein Sport, der sich allein auf die körperliche Aktivität beschränkt. Dahinter steckt eine ganze Kultur! Diese Kultur fand ich schon als Kind wahnsinnig aufregend, vielfältig und inspirierend – auch, weil es beim Breaken völlig egal ist, woher man kommt, wie man aussieht, wen man liebt oder wie alt man ist. Ich wurde in dieser Community schon immer ernst genommen, auch wenn ich es als Teenager oft mit wesentlich älteren Breakern zu tun hatte. Dieses Umfeld hat es mir von Anfang an ermöglicht, megaviel aufzuschnappen und zu lernen – nicht nur fürs Breaken, sondern auch fürs Leben. Außerdem habe ich es einfach geliebt zu tanzen. Ab dem ersten Moment im Dance-Workshop des Kinderzirkus war mir klar, dass das etwas ist, wofür ich unendlich viel Energie habe. Etwas, das ich kontinuierlich üben will, um darin immer besser zu werden. So habe ich mich in kürzester Zeit ins Breaken verbissen – das hält bis heute an.
»Endlich gibt es mal ein ansehnliches Video, das die jungen Breaker ihren Eltern zeigen können.«
MYP Magazine:
Wie hat Dein Umfeld auf den TV-Beitrag reagiert?
Saïd:
Die Reaktionen der Menschen waren sehr, sehr positiv. Besonders gerührt hat mich das Feedback vieler Jüngerer aus der Breakdance-Szene – nicht nur aus der Münchener Community, sondern aus ganz Deutschland. Ich habe erfahren, dass sich die Kids durch die Doku sehr inspiriert und motiviert fühlten. So ein Feedback bedeutet mir alles, auch weil es mir wichtig ist, die Szene am Leben zu halten.
Davon abgesehen gibt es mit dieser Doku auch endlich mal ein ansehnliches Video, das die jungen Breaker ihren Eltern zeigen können – vor allem, wenn sie wieder mal gefragt werden, wer eigentlich dieser Saïd ist, mit dem sie so viel Zeit verbringen. Meiner Mutter hat diese Doku ebenfalls viel bedeutet, sie war damit überglücklich. Und die uigurische Community fand es großartig, dass ich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch über deren Anliegen gesprochen habe.
»Das Thema Olympia wird innerhalb der Community sehr kontrovers diskutiert.«
MYP Magazine:
Breakdance wird 2024 zum ersten Mal überhaupt eine olympische Disziplin sein. Was bedeutet das für die Breakdance-Kultur als solche?
Saïd:
Das Thema Olympia wird innerhalb der Community sehr kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite gibt es Leute, die Breakdance als eine Kunstform begreifen, aus der sich im Laufe der Jahrzehnte eine eigene Kultur entwickelt hat. Sie glauben, dass die olympischen Spiele dieser Kultur einen großen Schaden zufügen werden. Ihr Argument ist, dass neue Generationen von Breakern in Zukunft nur noch so trainieren würden, wie es dem Bewertungssystem der olympischen Spiele entspreche – mit dem einzigen Ziel, sportlich erfolgreicher zu sein. Dadurch, so befürchten sie, gingen künstlerische Elemente im Tanz verloren. Und noch schlimmer: Es könne sich in der Öffentlichkeit ein falsches Bild vom Breaken verfestigen, da es im Gegensatz zu den anderen olympischen Disziplinen eben kein Sport sei, sondern eine kulturell gewachsene Kunstform. Daher lehnen sie die Spiele ganz klar ab.
»Für die meisten Breaker war und ist es immer ein Kampf, dem privaten Umfeld zu vermitteln, dass es völlig okay ist, seinen Lebensunterhalt mit dem Tanzen zu verdienen.«
MYP Magazine:
Und was sagen die Befürworter?
Saïd:
Die wiederum sehen eher den athletischen Aspekt, für sie ist Olympia etwas überaus Positives. Sie sagen, die Szene könne durch die große internationale Aufmerksamkeit deutlich profitieren. Es bestehe die Chance, dass mehr Kids mit dem Breaken anfangen. Und deren Eltern würden es in Zukunft wohl viel eher akzeptieren, wenn das eigene Kind den Traum habe, später mal professionell zu breaken und davon leben zu können. Für die meisten Breaker, die ich kenne, war und ist es immer ein Kampf, dem privaten Umfeld zu vermitteln, dass es völlig okay ist, seinen Lebensunterhalt mit dem Tanzen zu verdienen.
»Wir empfinden Olympia nicht nur als eine athletische Herausforderung, sondern auch als eine kreative.«
MYP Magazine:
Welche Haltung hast Du persönlich zu dem Thema?
Generell ist es sehr schwer, Breaken in eine Schublade zu stecken. Für mich zum Beispiel ist es eine Schnittstelle aus allem Positiven, das ich daraus ziehen kann. Es kommt also darauf an, welche Bedeutung man selbst dem Ganzen gibt.
Was die olympischen Spiele angeht, sehen ich und viele andere, die Teil des Ganzen sind und das Thema von innen heraus betrachten, Paris als eine wunderbare Möglichkeit, uns noch mehr mit unserem Körper auseinanderzusetzen. Wir empfinden Olympia aber nicht nur als eine athletische Herausforderung, sondern auch als eine kreative. Und da das öffentliche Interesse an unserer Kultur durch die Spiele wohl deutlich wachsen wird, besteht für uns persönlich mittelfristig auch die Chance, besser bezahlt zu werden, mehr Unterricht zu geben und mehr Anfragen für Auftritte, Interviews oder Shows zu erhalten.
»Ich komme aus einer Familie mit muslimischem Hintergrund. Wenn da ein Sohn die ganze Zeit tanzen will, ist das vielleicht nicht das, was ein Vater gerne hört.«
MYP Magazine:
Wie hast Du selbst damals deinen Eltern erklärt, dass Du deinen Lebensunterhalt mit etwas verdienen willst, das sich Breakdance nennt?
Saïd:
Anfangs war es sehr schwer für meine Eltern, das alles zu verstehen. Ich komme aus einer Familie mit muslimischem Hintergrund. Wenn da ein Sohn die ganze Zeit tanzen will, ist das vielleicht nicht das, was ein Vater gerne hört. (lächelt) Meine Mutter dagegen fand’s immer schon interessant, aber sie hat nicht begriffen, warum mir das Ganze so wichtig ist und ich Breaken zu meinem Lebensmittelpunkt machen will. Als ich mit 13, 14 angefangen habe, an den Wochenenden immer wieder wegen irgendeines Battles durch die Republik zu fahren, hat ihnen das überhaupt nicht gefallen. Und ebenso wenig, dass ich nach der Schule immer zum Training gehen wollte. Sie dachten, dass mich das von den wirklich wichtigen Dingen im Leben ablenken würde. Und noch weniger nice fanden sie, dass ich Ihnen nach dem Abi offenbart habe, dass ich erst mal nicht studieren, sondern mich voll und ganz mit dem Tanzen auseinandersetzen will, um mich darin zu entdecken. Erst seit wenigen Jahren – nachdem ich immer größere Erfolge mit dem Breaken erziele und sie merken, wie viele andere Menschen ich damit inspiriere – verstehen sie mehr und mehr meinen Lebensentwurf.
»Meine Eltern fanden es furchteinflößend, dass ich am Wochenende mit Leuten unterwegs war, die sie nicht zuordnen konnten.«
MYP Magazine:
Die Breakdance-Community ist sehr offen und divers. Hat das in gewisser Weise auch die Wertvorstellungen Deiner Eltern verändert?
Saïd:
Ja, extrem! Dadurch, dass ich Teil dieser Szene bin, hat meine Familie sehr viel dazugelernt. Bei uns Uiguren zum Beispiel gibt es nur wenige Migranten. In der Breakdance-Community aber treffen sich Menschen mit tausend verschiedenen Hintergründen – und auch mit allen sexuellen Orientierungen. Anfangs fanden sie es furchteinflößend, dass ich am Wochenende mit Leuten unterwegs war, die sie nicht zuordnen konnten. Aber als sie gemerkt haben, dass es trotzdem ganz gut funktioniert und ich nach jedem Wochenend-Battle erzähle, dass Breaken das Tollste überhaupt für mich ist, haben sie im Laufe der Zeit ihr Misstrauen abgelegt.
»Das Tanzen hat mir eine Art Grundformel fürs Leben geschenkt, dadurch fühle ich mich in meinen Handlungen maximal frei.«
MYP Magazine:
Welchen Einfluss hat das Tanzen auf Deine Persönlichkeitsentwicklung? Oder anders gefragt: Was für ein Mensch wärst Du heute, wenn Du nicht damit angefangen hättest?
Saïd:
Was ich heute für ein Mensch wäre, kann ich schwer sagen. Ich weiß aber, dass mich das Breaken in meiner Persönlichkeit stark geformt hat. Im Gegensatz zu früher erwische mich viel seltener dabei, Vorurteile gegenüber Menschen zu haben, die ich nicht kenne. Durch das Breaken habe ich gelernt, allen Leuten grundsätzlich freundlich und aufgeschlossen zu begegnen. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, ein Leben zu leben, in dem ich alles schaffen kann – auch wenn ich dafür oft Jahre investieren muss. Ich traue mir alles zu und habe keine Angst, irgendein Projekt anzugehen und in die Tat umzusetzen. Das Tanzen hat mir also eine Art Grundformel fürs Leben geschenkt, dadurch fühle ich mich in meinen Handlungen maximal frei.
»Breakdance ist ein Ventil, über das ich alles rauslassen kann: meine Energie, meinen Frust, aber auch mein Glück.«
MYP Magazine:
Wenn man Dir gegenübersitzt und sich mit Dir unterhält, erlebt man Dich als jemanden, der sehr in sich zu ruhen scheint. Ganz im Gegensatz zu Deinem Tanz, der von einer immensen Körperlichkeit und Dynamik geprägt ist. Bedingt das eine das andere?
Saïd:
Ich erinnere mich, dass ich als Kind sehr unruhig und schnell aufgebracht war – also das Gegenteil von heute. Tatsächlich bin ich durch das Tanzen zu einer großen inneren Ruhe gekommen, auch weil es ein Ventil ist, über das ich alles rauslassen kann: meine Energie, meinen Frust, aber auch mein Glück. Das gilt vor allem für die Battles, in denen ich mich vollkommen ausleben kann, und zwar auf eine absolut friedvolle Art und Weise. Das gibt mir eine schöne Grundruhe und macht mich im Alltag viel ausgeglichener.
»Durch Olympia kann ich dem uigurischen Volk auch mal über ein positiv besetztes Thema eine gewisse mediale Aufmerksamkeit zukommen lassen.«
MYP Magazine:
In der ZDF-Reportage erzählt Deine Mutter, wie stolz sie auf Dich ist, weil Du ihrer Meinung nach in Paris nicht nur für Deutschland, sondern auch für das gesamte uigurische Volk antreten würdest. Man merkt in diesem Moment an Deinem Gesichtsausdruck, wie ergreifend ihre Worte für Dich sein müssen. Empfindest Du diese immense Erwartungshaltung als Belastung?
Saïd:
Nein, das würde dem Ganzen eine negative Note geben. Ich sehe Olympia eher als eine große Chance. So kann ich dem uigurischen Volk auch mal über ein positiv besetztes Thema eine gewisse mediale Aufmerksamkeit zukommen lassen. In der Regel bekommt man hier in der westlichen Welt ja nur die negativen Schlagzeilen mit, etwa wenn es um das große Leid der Uiguren in China geht. Daher sehe ich es als eine große, aber dennoch schöne Verantwortung, sollte ich es wirklich schaffen, 2024 als Breaker mit uigurischen Wurzeln nach Paris zu fahren. Davon abgesehen geht es mir darum, jungen Leuten meiner oder anderer Kulturen Mut zu machen. Allein deshalb ist es wichtig, dass ich mich nicht stressen lasse.
»Mein Background war den Menschen völlig fremd, man konnte mich nirgendwo einordnen.«
MYP Magazine:
Dein Vater ist Journalist und wird von der chinesischen Regierung politisch verfolgt, weil er über die Situation der dortigen Uiguren schreibt. Ist es Dir ebenfalls ein Anliegen, dieses Thema sichtbarer zu machen?
Saïd:
Heute sehe ich mich in der Position. Das war aber nicht immer so. Als Teenager mochte ich das überhaupt nicht, ich hatte immer das Gefühl, mich überall erklären zu müssen. Außerdem hatte ich gerade in den ersten Jahren ein echtes Identitätsproblem. Denn hier in Deutschland hatte noch nie jemand etwas von Uiguren gehört, mein Background war den Leuten völlig fremd – man konnte mich nirgendwo einordnen. Mittlerweile sehe ich es aber als meine Verantwortung, die Menschen aufzuklären und ihnen ein umfassenderes Bild zu geben als das, was sie aus irgendwelchen News haben. Das ist auch auf Battles so: Wenn ich Leute aus verschiedensten Ländern treffe und die hören, dass ich Uigure bin, wollen die von mir eine Meinung aus erster Hand. Und manchmal komme ich aus einem Land wie Südkorea zurück und denke mir: Wow, krass, ich habe dort mit einem Koreaner, einem Kanadier und einem Amerikaner über die Situation der Uiguren in China gesprochen – und die gehen jetzt mit einem größeren Verständnis nach Hause, reden vielleicht mit ihren Freunden darüber und haben sogar mal eine Antwort parat, wenn wieder jemand sagt: „Ach, das sind doch eh alles Chinesen.“ Und dann können sie entgegnen: „Nein, sind sie nicht, sie leben nur dort.“ Ich habe das Gefühl, damit tue ich meinem Volk etwas Gutes.
»Diese riesige Wirtschaftsmacht tut ihr Bestes, um die uigurische Bevölkerung zu minimieren und ihren kulturellen Hintergrund auszuradieren.«
MYP Magazine:
Wie erklärst Du Menschen, die noch nie davon gehört haben, die Situation der Uiguren in China?
Saïd:
Ich erzähle ihnen, dass im äußersten Nordwesten Chinas seit Jahrtausenden ein Volk lebt, das eine eigenständige Kultur besitzt. Dieses Volk wird unterdrückt und unterworfen von einer riesigen Wirtschaftsmacht. Und die tut gerade in den letzten Jahren ihr Bestes, um die uigurische Bevölkerung zu minimieren und ihren kulturellen Hintergrund auszuradieren, indem sie ihr die chinesische Kultur aufzwingt.
»Das finde ich überhaupt so schön an meinem Volk: dass es sehr offen ist, obwohl es so viel durchgemacht hat und gerade wieder durchmacht.«
MYP Magazine:
Und wenn Du bei allem Ernst der Lage die positiven und schönen Seiten der uigurischen Kultur beschreiben müsstest, was würdest Du von diesem Volk erzählen?
Saïd:
Ich würde erzählen, wie herzlich und gastfreundlich dieses Volk ist; wie respektvoll es mit anderen Menschen umgeht; und wie vielseitig es ist. Im Allgemeinen kennt man die Uiguren nur als eine muslimische Minderheit in China. Aber Muslime waren die Uiguren nur einen vergleichsweise kleinen Zeitraum in der langen Zeit ihrer Existenz. Davor waren sie auch mal Zoroaster, Buddhisten oder gehörten dem Tengrismus an, einem alten schamanischen Kult der Mongolen und Turkvölker in Zentralasien. Die Uiguren haben im Laufe der Jahrtausende viele Religionen und Glaubenswege ausprobiert, daher sind sie immer aufgeschlossen und tolerant geblieben. Das finde ich überhaupt so schön an meinem Volk: dass es sehr offen ist, obwohl es so viel durchgemacht hat und gerade wieder durchmacht.
»Ich wünsche mir, nicht alles zu sehr zu verkopfen.«
MYP Magazine:
Wenn Du dir etwas wünschen könntest für Dein Leben, was wäre das?
Saïd:
Eigentlich einfach weiterhin das zu tun, was ich tue. Und nicht alles zu sehr zu verkomplizieren und zu verkopfen. Solange ich das machen kann, was mich glücklich und zufrieden macht, und ich dabei niemanden schade, solange werde ich ein gutes Leben führen. Mehr muss ich mir eigentlich gar nicht wünschen.
MYP Magazine:
Auch nicht die Goldmedaille in Paris?
Saïd: (lacht)
Nein, darum geht’s mir nun wirklich nicht.
»37 Grad: Mein Tanz, mein Battle«
Abrufbar in der ZDF-Mediathek bis zum 11. Oktober 2027
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Fotografie: Maximilian König
Interview und Text: Jonas Meyer