Portrait — Erkan Acar

Frischer Wind im deutschen Film

Mit der Polizeikomödie »Faking Bullshit« hat Erkan Acar gerade sein neuestes Werk ins Kino gebracht. Der 42-jährige Filmemacher, der schon in Berlin-Neukölln einen eigenen Späti besaß, setzt auf ungewöhnliches Storytelling – und auf neue Gesichter statt auf Klischeebesetzungen und Einheitsbrei. Das wird in der deutschen Filmlandschaft auch langsam Zeit.

18. September 2020 — MYP N° 29 »Vakuum« — Text: Katharina Weiß, Fotos: Steven Lüdtke

Es gibt Filme, die man nicht erklären kann, ohne sie gesehen zu haben. Die abenteuerliche Buddy-Komödie „Ronny & Klaid“ von Erkan Acar gehört zweifelsfrei dazu. Das Besondere an dem Streifen, der 2018 auf dem Filmfest München seine Premiere feierte: Acar erzählt darin seine ganz persönliche Vergangenheit als Neuköllner Spätibesitzer. Außerdem führte er bei dem Projekt nicht nur Regie, sondern fungierte auch als Drehbuchautor und Produzent.

Und in der Tat: Die humoristische Eigenart und das multinational inspirierte Storytelling des 42-jährigen Urberliners bereichern das Baukastensystem des deutschen Kinos um eine erfrischende Alternative. Und so ist es nicht verwunderlich, dass bereits Anfang nächsten Jahres eine Fortsetzung der Geschichte gedreht werden soll.

Aber bleiben wir im Hier und Jetzt. Wir treffen Erkan Acar an seinem Arbeitsplatz, der geschichtsträchtiger nicht sein könnte: Auf dem Gelände der Babelsberger Filmstudios in Potsdam liegen die Büroräume von Mavie Films, Acars Produktionsfirma. Das Unternehmen legt nach eigenen Worten großen Wert darauf, Newcomer*innen einen Ort der kreativen Freiheit zu geben und sie darin zu fördern, ihre eigene Stimme zu finden.

»Selbst mal ein Filmschaffender zu sein war stets ein Traum, der mir unendlich weit entfernt vorkam.«

Damit hat Acar aus einem gefühlten Vakuum heraus, das der Filmbranche in diesem Land anheftet, genau den Raum erschaffen, nach dem er sich als filmbegeisterter Jugendlicher immer gesehnt hat: „Egal ob Deutsches Kino, Bollywood, die asiatischen Martial-Arts-Streifen oder türkische Filme: Ich habe sie alle geliebt,“ erzählt er und fährt fort: „Mit zwölf Jahren habe ich damit angefangen, eigene Kurzfilme aufzunehmen. Aber selbst wirklich mal ein Filmschaffender zu sein war stets ein Traum, der mir unendlich weit entfernt vorkam.“

So machte Acar zuerst eine bodenständige Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und nahm anschließend eine Stelle bei der in den frühen Nullerjahren ultrahippen Jeansmarke Diesel an. Stammkunde dort war ein Produzent, der ihm eines Tages eine kleine Nebenrolle für den Sat1-Film „Ein Koala-Bär allein zuhaus“ anbot.

»Ich spielte meistens den Quotenkanaken.«

Die Arbeit machte dem jungen Berliner Spaß und er bemühte sich um weitere Möglichkeiten, nebenberuflich ein bisschen Filmluft zu schnuppern. Acar, Jahrgang 1978, begriff schnell, dass für nichtweiße Darsteller vorrangig Nebenrollen aus dem kriminellen Milieu vorbehalten waren. „Es gab nur Schlägertypen oder Drogendealer,“ erinnert er sich. „Ich spielte meistens den Quotenkanaken.“

Als eine Agentin auf ihn aufmerksam wurde, stellte sie ihm die Frage, die seinen Werdegang für immer verändern sollte: „In welchem Film, der jemals in Deutschland gedreht wurde, hättest du gerne die Hauptrolle gespielt?“ Ab dem Moment befasste Acar sich intellektuell mit dem Deutschen Film, durchforstete die Archive und kam mit einer Antwort zu seiner Agentin zurück: „Es gibt keinen einzigen.“ Sie entgegnete: „Erkan, dann kannst du lange warten, bis jemand dich anruft und dir eine Hauptrolle auf den Leib schneidert.“ Seine Schlussfolgerung: „Na gut, dann schreibe ich ab jetzt meine eigenen Filme.“

Aus der anfänglichen Ohnmacht emanzipierte Acar sich mit autodidaktischem Feingefühl und jeder Menge Energie. Die Anekdote über einen Verleih, der kürzlich eines von Acars Filmprojekten ablehnte, weil die beiden Hauptfiguren Migranten waren, versetzt ihn eher in amüsierte Rage. Solche Momente kann er heute leichter loslassen: Er ist es gewohnt, für mutige Ideen und ebenso mutige Besetzungen zu kämpfen.

»In den USA genügt die Antwort ›Ich bin Filmemacher‹.«

Die Frage, ob er sich eher als Darsteller, Drehbuchautor, Regisseur oder Produzent sieht, schmeckt dem vielseitigen Künstler gar nicht: „Das ist eine Frage, die ich ausschließlich aus dem deutschen Raum kenne. In den USA genügt die Antwort ‚Ich bin Filmemacher‘.“ Es werde dort viel seltener von einem erwartet, dass man sich für eine Berufsbezeichnung entscheiden müsse. Denn wer die Chance ergreife, eigene Filme ins Leben zu rufen, werde aus innerem Antrieb unweigerlich zum Mädchen für alles.

Dennoch wirkt Acar weniger wie ein chaotischer Künstler, der von genialen Geistesblitzen lebt. Er hat eine angenehme, pragmatische Art und macht insgesamt den Eindruck eines verlässlichen Geschäftsmanns. Über seine Arbeitsroutinen sagt er: „Zwei Monate im Jahr ziehe ich mich kreativ zurück und schreibe alles auf. Dann mache ich mir Gedanken darüber, wie man die rohe Idee umsetzten und finanzieren kann. Daraufhin starte ich Gespräche mit Schauspielern, Technikern oder Verleihern. Erst dann gehe ich auf die Jagd nach Geldgebern und Kreativpartnern.“

Im Rücken hat Acar dabei stets seine Filmfamilie. Dazu gehören unter anderem Drehbuchautor Arend Remmers, der Regisseur Adolfo J. Kolmerer, mit dem er bereits seit seiner ersten Co-Produktion, dem kontemporär-flapsigen Baller-Märchen „Schneeflöckchen“, cineastische Abenteuer ausheckt. Ein anderer fester Bestandteil eines jeden Projekts ist Acars Freundin, die Schauspielerin Xenia Assenza, die sich als Darstellerin und Drehbuchautorin einbringt.

»Es herrscht immer noch die Meinung, dass die ersten Türken, die sich in Mitteleuropa niedergelassen haben, die Gastarbeiter der 1960er Jahre waren.«

Ob sich die private Chemie auch auf die Leinwand projizieren lässt, wird ein breiteres Publikum spätestens im Herbst 2020 entscheiden können. Denn dann soll Acars neuste Eigenproduktion, die historische Liebesgeschichte „The Witch and the Ottoman“, in die Kinos kommen. Falls das Projekt ein Erfolg wird, könnte Acar beweisen, dass er nicht nur gegenwärtige Multikulti-Stoffe mit Kumpel-Slang beherrscht, sondern auch das Fassungsvermögen für einen komplexen Kostümfilm besitzt.

„Es herrscht immer noch die Meinung, dass die ersten Türken, die sich in Mitteleuropa niedergelassen haben, die Gastarbeiter der 1960er Jahre waren“, sagt Acar über seine Motivation. „Aber mich haben immer schon die Schicksale der sogenannten Beutetürken interessiert, die von 1356 bis 1858 im Rahmen der Osmanenkriege versklavt, anschließend aber häufig etabliert wurden.“ Eine dieser vergessenen Geschichtsperspektiven auf türkisch-deutsche Biografien mischt Acar in seinem Historienfilm mit einer feministischen Perspektive auf die letzte Welle der Hexenverfolgung im frühen 18. Jahrhundert.

Der Polizeidienststelle droht die Schließung – wegen mangelnder Kriminalität.

Etwas leichtere Kost ist hingegen das aktuelle Kinoprojekt von Acar, die charmante Polizeikomödie „Faking Bullshit“, ein Remake des schwedischen Erfolgs „Kopps“: Acar spielt darin den Polizisten Deniz, dessen Dienstelle in einem verschlafenen Nest in NRW die Schließung droht – wegen mangelnder Kriminalität. Also stachelt Deniz die Kleinstadtkollegen dazu an, die Seiten zu wechseln und wohl oder übel selbst für das nötige Maß an Straftaten zu sorgen.

Trotz einiger zäher Wendungen und einer etwas verwirrenden Auflösung schafft es die Komödie, eine innige Verbindung zum Zuschauer aufzubauen, in der der Spaß und das subtile Hinterfragen von Geschlechterrollen im Vordergrund stehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über Polizeigewalt beleuchtet der Film eine menschelnde Perspektive auf die Beamt*innen in Uniform.

»Große Produktionen trauen sich häufig nicht, ohne superprominente Zugpferde auszukommen.«

Besonders schön: Publikumsliebling Bjarne Mädel, der einen gewieften Obdachlosen spielt, wird mit einem Ensemble aus frischeren Gesichtern gepaart. Das war auch einer der Gründe, warum Acar so begeistert von dem Projekt war: „Ich finde es wahnsinnig schade, dass die Risikobereitschaft in Deutschland noch so gering ist. Große Produktionen trauen sich häufig nicht, ohne superprominente Zugpferde auszukommen. Obwohl wir keinen klassischen Starkult haben, wie das zum Beispiel in der Türkei der Fall ist, sieht man in so vielen Filmen die gleichen Gesichter.“

»Die Fokussierung auf große Namen und klassische Themen führt dazu, dass weniger mutige Filme gemacht werden.«

Ohne dass Acar es aussprechen muss, denkt man gleich an Platzhirschen wie Schweiger, Schweighöfer und M’Barek, die zweifelsohne ihre Berechtigung haben, die aber immer noch hell genug strahlen würden, wenn sie ihr Rampenlicht mit anderen teilen würden. „Die Fokussierung auf große Namen und klassische Themen führt dazu, dass weniger mutige Filme gemacht werden. Ich spüre aber, dass sich hier gerade viel verändert. Und ich hoffe, dass mehr Menschen aus Berlin oder München dem deutschen Kino und den Stoffen in ihrer Sprache eine Chance geben. Es gibt bei uns Projekte, die genauso gut aussehen wie ein vergleichbares amerikanisches Produkt. Vielleicht wäre der eine oder andere überrascht, welche spannenden Filme auf dem deutschen Markt auf ein kritisches und neugieriges Publikum warten.“