Fotoserie — Tobias Friedauer

Bewegung, radikal

Mit seiner Arbeit »The Radicalisation of Dynamic Figures in a Theatrical Approach« macht der Münchener Fotograf Tobias Friedauer die Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers sichtbar – und zeigt, wie sich damit eine Geschichte erzählen lässt.

29. Mai 2021 — Fotografie: Tobias Friedauer, Schauspiel: Moritz Rauch, Text: Jonas Meyer

Was passiert, wenn sich der menschliche Körper nacheinander in all die vielen Posen streckt, biegt und krümmt, die ihm seine Anatomie maximal ermöglicht?

Der Münchener Fotograf Tobias Friedauer hat eine Antwort. Mit seiner Arbeit „The Radicalisation of Dynamic Figures in a Theatrical Approach“ macht er gleich zwei Phänomene sichtbar, die in einem solchen Fall zu beobachten sind: Die Figur abstrahiert sich nicht nur von sich selbst, es entsteht auch – je nach Anordnung der Bilder – eine erzählerische Dynamik. Oder besser gesagt: eine hochindividuelle Dramaturgie.

Die 20-teilige Fotoserie, die Friedauer im Jahr 2020 in Kooperation mit dem befreundeten Schauspieler Moritz Rauch realisierte, basiert auf der simplen Idee, den künstlerischen Diskurs der beiden in eine gemeinsame Arbeit zu übersetzen – eine Arbeit, in der die fotografische Perspektive gleichberechtigt neben der schauspielerischen steht.

Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine Reihe aus 20 Motiven, von denen jedes eine bestimmte, extreme Körperhaltung zeigt. Ausgehend von einer nach hinten gestreckten Grundposition entwickelt sich die Figur sukzessiv in diverse Posen: Erst versinkt sie in sich selbst, dann rafft sie sich wieder auf, greift bei maximaler Überstreckung in die Höhe, geht wieder zu Boden und krümmt sich schließlich in die Embryohaltung.

Und in der Tat: Wer diese Fotoserie im Ganzen betrachtet, fühlt sich unweigerlich an den Verlauf eines Theaterstücks und die Entwicklung der einzelnen Figuren erinnert, deren körperliche Verwandlung man als Zuschauer*in hautnah erleben darf.

Doch dies ist nicht die einzige Assoziation, die sich geradezu aufdrängt: In einem Zeitalter, in dem unsere medialen Sehgewohnheiten dominiert werden von einer Flut körperlicher Selbstdarstellungen, die sich über einen nicht unerheblichen Narzissmus definieren, inszeniert sich „The Radicalisation of Dynamic Figures in a Theatrical Approach“ als ein wohltuendes Gegenmodell. Zwar ist auf den 20 Motiven ebenfalls viel nackte Haut zu sehen – der Schauspieler trägt lediglich eine Boxershort –, doch die fotografische Darstellung von Rauchs Posen mutet vielmehr einer anatomischen Studie an, deren Anspruch es ist, eine Fokussierung auf den menschlichen Körper zu ermöglichen, ohne ihn zu sexualisieren.

Um sich darüber hinaus von den üblichen Duckface- und Sixpack-Selfies zu differenzieren, bei denen es um eine möglichst hohe Detailtreue geht, greift Friedauer auf einen simplen, aber wirksamen Trick zurück: Er zeigt die einzelnen Motive grundsätzlich nie einzeln, sondern nur in einem vier Mal fünf Bilder großen Raster, das er in ein Plakat eingebettet hat. Auf diese Weise stellt er die fotografisch festgehaltene Dynamik in den Vordergrund und verhindert den voyeuristischen Blick auf Details einzelner Körperregionen.

Daneben hat sich Tobias Friedauer bewusst für einen hybriden Arbeitsprozess entschieden: Nachdem er die einzelnen Posen digital fotografiert und die finalen Motive am Rechner bearbeitet hatte, druckte er die 20 Bilder auf Fotopapier, schnitt sie einzeln aus und klebte sie anschließend – im Raster angeordnet – auf einen DIN-A3-Bogen, den er wiederum einscannte. Die auf dem Poster zu sehenden Schatten und Kanten sind demnach keine künstlich hinzugefügten Photoshop-Effekte, sondern ein Produkt von echtem Licht und Schatten. Wer genau hinschaut, kann sogar leichte Unebenheiten erkennen. Dies macht die Arbeit gleich im doppelten Sinne zu etwas Physischem, Körperlichem. Man könnte auch sagen: Anti-Social-Media.

Im wahrsten Sinne abgerundet wird „The Radicalisation of Dynamic Figures in a Theatrical Approach“ durch die charakteristische Kurve, mit der der Plakattitel gestaltet ist. Diese hat nicht nur eine gestalterische Funktion, sondern gibt den dramaturgischen Verlauf der 20 Motive in der Reihe wieder: ein schönes Detail, das den interdisziplinären Anspruch der Arbeit zusätzlich unterstreicht.

Auf ein persönliches Lieblingsmotiv in „The Radicalisation of Dynamic Figures in a Theatrical Approach“ angesprochen, nennt der 24-jährige Künstler Bild Nr. 3 aus der dritten Reihe. In diesem finde er sich selbst am ehesten wieder, da es seine eigene künstlerische Entwicklung repräsentiere. „Es erinnert mich an den Versuch aufzustehen, Fuß zu fassen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen – und endlich loszukommen.“