Interview — Harry G

Melancholie mit Sarkasmus

Bayerische Alltagskultur statt Münchner Schickeria: Die Amazon-Serie »Der Beischläfer« versucht, mit jeder Menge Augenzwinkern die Mundartkomödie ins Streaming-Zeitalter zu übersetzen. Ein Interview mit Comedian Markus Stoll alias Harry G, der eine der Hauptrollen spielt.

13. Juni 2020 — MYP N° 29 »Vakuum« — Interview & Text: Katharina Weiß, Fotos: Christian Brecheis

In Bayern kennt ihn jeder, der Rest Deutschlands wird ihn spätestens jetzt kennenlernen: Comedian Markus Stoll alias Harry G gewährt in der Amazon-Prime-Serie „Der Beischläfer“ neue Einblicke in das Seelenleben der Süddeutschen. Als Sympathieträger Charlie Menzinger bringt er als unfreiwilliger Schöffe ordentlich Schwung in ein Gericht an der Isar – und in das Leben einer Berliner Richterin, der stellvertretend für alle Zugezogenen die bajuwarischen Gewohnheiten nähergebracht werden.

„Der Beischläfer“ ist ein Format, das im Stil klassischer Vorabendserien wie „Die Rosenheim Cops“ daherkommt. Das mag für einen Streamingdienst im ersten Moment ungewöhnlich erscheinen. Tatsächlich gelingt es der Serie damit aber, eine ungewöhnliche Brücke zu schlagen: zwischen jener Welt des linearen Fernsehens, das in Deutschland immer noch ein Millionenpublikum erreicht, und der des immer größer werdenden Kosmos digitaler Inhalte.

Wir treffen Markus Stoll, der selbst vor allem über die Sozialen Netzwerke bekannt wurde, an einem der ersten Tage nach dem Lockdown im Münchener „Baader Café“.

»Manchmal tut es ganz gut, wenn man die Chance hat, die Karten neu zu mischen.«

Katharina Weiß:
Durch die Corona-Krise wurden bei vielen Menschen die Karten ganz neu gemischt. Auch Du hast vor Deinem künstlerischen Erfolg eine berufliche Umbruchsphase erlebt: Deinen Job als BWLer hast du hingeschmissen, danach ein erfolgloses Start-Up gegründet. In einem Interview hast Du über diese Zeit gesagt, dass Du „relativ weit unten“ warst. Mit welchen Gefühlen erinnerst Du dich an diese Zeit, in der Du plötzlich kreativ umdenken musstest?

Markus Stoll:
Meine Entscheidung zur Veränderung war eine freie, die Situation war also eine andere als für viele Menschen in der Corona-Krise. Doch zum Punkt Veränderung kann ich sagen: Manchmal tut es ganz gut, wenn man die Chance hat, die Karten neu zu mischen. Ich hoffe, dass einige Menschen durch die Fokussierung auf das Wesentliche zu neuen Zielsetzungen gelangt sind. Wie sagt man so schön: Downsizing in allen Lebenslagen. Und danach, aufbauend auf den neuen Erkenntnissen, mit einer geraden Linie nach vorne durchstarten.

»In meinem vorherigen Job konnte ich mich an Powerpoint-Präsentationen festhalten.«

Katharina Weiß:
Wann hast Du gemerkt, dass Du ein rhetorisches Talent hast?

Markus Stoll:
Ich habe schon in meinem vorherigen Job im Investmentbereich sehr gerne Vorträge gehalten, auch wenn der Inhalt eher trocken war. Damals konnte ich mich aber an Powerpoint-Präsentationen festhalten. Auf der Bühne ist das etwas ganz anderes, da steht man erstens ohne Hilfsmittel – zumindest ich – und ist zweitens viel größeren Menschenmengen regelrecht ausgeliefert. Davor habe ich auch heute noch großen Respekt. Ich habe auch jedes Mal aufs Neue den Anspruch, perfekt abzuliefern. Was mir leichter fällt als früher, weil heute die Themen wesentlich interessanter und witziger sind. (lacht)

»Meine berufliche Planung war mit 30 quasi abgeschlossen.«

Katharina Weiß:
Die Öffentlichkeit wurde durch Deine raffinierten Social-Media-Clips auf Dich aufmerksam. Im Gegensatz zu vielen Digital-Stars, die noch nicht einmal volljährig sind, warst Du bei deinem Durchbruch schon Anfang 30.

Markus Stoll:
Du meinst, ich war in den besten Jahren, oder? Na ja, gerade auf Facebook, wo ich damals die größten Erfolge hatte, ist das ein durchaus akzeptables Alter. Im Gegensatz zu vielen jungen Influencern von heute hatte ich ja vorher schon ein anderes Berufsleben, habe studiert und ein Jahr in Argentinien verbracht. Im Anschluss habe ich als Investment Manager gearbeitet und ein eigenes ein Startup gegründet, das auch mit Social Media zu tun hatte. Ich habe dann meine damals noch private Leidenschaft – lustige Clips drehen – mit meinen beruflichen Kenntnissen verknüpft und schließlich ganz rübergemacht in die digitale Welt. Dabei habe ich aber auch ziemlich schnell die Bühne für mich entdeckt. Damit war meine berufliche Planung quasi mit 30 abgeschlossen – ich habe nicht vor, nochmal was Neues zu machen. Die Erkenntnis: Es ist nie zu spät, aus einem zufriedenstellenden (Berufs)leben ein wunderbares zu machen!

»Um den Charlie gut zu spielen, musste ich den Zuschauer viel näher an mich heranlassen.«

Katharina Weiß:
Gleich in der ersten Folge Deiner neuen Serie „Der Beischläfer“ wird ein ernstes Thema angeschnitten, nämlich Suizid. Wie kam es zu der Idee?

Markus Stoll:
Das müsste man eigentlich die Autoren Murmel Clausen und Mike Viebrock fragen, die das Drehbuch geschrieben haben. Ich hatte nur die Ehre, mich an dieser Stimmung als Schauspieler abzuarbeiten, was eine ganz schöne Herausforderung für mich war, da ich ein Schauspielneuling bin. Wenn ich den Isarpreußen granteln lasse, dann ist das immer humoristisch überzeichnet. Aber um den Charlie gut zu spielen, musste ich den Zuschauer viel näher an mich heranlassen. Ich war zwar schon bei größeren Produktionen dabei, etwa in den Eberhofer-Krimis in kleinen Nebenrollen, aber Hauptdarsteller ist dann schon ein paar Schippen draufgelegt. Da haben sich Ton, Licht und alle anderen Schauspieler um mich herumgedreht. Ich war sehr glücklich, Lisa, Daniel und Helmfried in meiner Nähe zu haben, die haben mich bei diesem ersten großen Schauspielprojekt großartig unterstützt.

»Wenns’t jetzt noamoal in die Einfahrt neifahrst, dann komm i nunter und dann hau I dir a Fotzn abe.«

Katharina Weiß:
In den Nebenrollen sind viele bekannte Fernsehgesichter zu sehen, zum Beispiel Laura Osswald aus „Verliebt in Berlin“ oder Michael Grimm aus der BR-Serie „Dahoam is Dahoahm“. Gab es eine Zusammenarbeit, die du besonders spannend fandest?

Markus Stoll:
Ja, die mit Heino Ferch, den ich als Schauspieler sehr bewundere. Hier eine kleine Anekdote: Wir drehten gerade die Szene, in der er bekifft mit Cowboyhut, langem Ledermantel und Stiefeln aus einem geklauten Alfa Romeo steigen sollte. Dazu brauchte es einige Anläufe, und so tauchte er immer wieder trunken aus dem Wagen auf und lallte: „Euer Wagen, euer Wagen, der ist wirklich…“ Schnitt. Nach dem gefühlt hundertsten Versuch schrie plötzlich ein Anwohner aus dem Fenster: „Du Trottel mit dem Cowboyhut, wenns’t jetzt noamoal in die Einfahrt neifahrst, dann komm i nunter und dann hau I dir a Fotzn abe.“ Die Übersetzung gibt es auf Nachfrage.

»Humor ist beliebt, vor allem in Zeiten, in denen es nicht so witzig zugeht.«

Katharina Weiß:
Zwischen Deiner Figur und der Berliner Richterin entsteht ein humorvolles Wechselspiel: Kantiger Ehrenbayern versus genervte Großstadtpreußin. Warum ist dieses Erfolgsrezept immer noch so aktuell?

Markus Stoll:
Der Bayer ist für seine grantige Art bekannt und beliebt. Und der Berliner – in diesem Fall die Berlinerin – für die freche Schnauze. Das hat Potenzial, fanden wir. Die Leute lieben es, aus ihrer Komfortzone heraus anzuschauen, wie sich die Menschen auf dem Bildschirm die Köpfe einschlagen. Nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern auf alle möglichen Arten. Und wir tun das eben auf die humorvolle und witzige Art und Weise. Humor ist beliebt, vor allem in Zeiten, in denen es wie gerade nicht so witzig zugeht.

»Bei mir ist die Melancholie mit Sarkasmus gemischt.«

Katharina Weiß:
In Interviews wirst Du sehr oft auf den Kern des „bayerischen Grants“ angesprochen. Zum einen sagte zum Beispiel, dass er vererbt wird. Der bayerische Grant bezeichnet ein Stadium, in dem sich jemand aufregt, dabei aber nicht schimpft. Findest Du, dass dieser Kunst noch immer eine gewisse Melancholie innewohnt?

Markus Stoll:
Wenn man Dinge beobachtet, die man nicht mag, neigt man dazu, sich kurz aufzuregen und dann resigniert abzuwinken. Das Abwinken ist die melancholische Komponente, die dabei mitschwingt. Bei mir ist es ein wenig anders. Auf meinen Social-Media-Kanälen und auf der Bühne, wo ich relativ viele Menschen erreiche, regen wir uns eher gemeinschaftlich auf – und resignieren dann auch gemeinschaftlich. Bei mir ist die Melancholie mit Sarkasmus gemischt, der uns gemeinsam zum Lachen bringt. Es entsteht ein Wir-Gefühl. Der Münchner-Mietwahnsinn beispielsweise geht da durch einen Katalysator, der uns am Ende lachen lässt, obwohl der Quadratmeterpreis in München eigentlich zum Heulen ist.

»Jeder negative Kommentar beschäftigt mich irgendwie.«

Katharina Weiß:
Du schneidest oft gesellschaftliche und politische Themen an. Natürlich gerätst Du da auch manchmal in die Schusslinie, nicht alle Kommentare sind positiv. Wann hast Du aufgehört, Dich mit dem Negativen zu beschäftigen?

Markus Stoll:
Nie, jeder negative Kommentar beschäftigt mich irgendwie. Als ich vor kurzem ein Video veröffentlicht habe, in dem ich mich über die wilden Verschwörungstheorien zur Corona-Krise geäußert habe, kamen besonders viele kontroverse Kommentare unter meinem Post auf. Die meisten waren so skurril, dass ich einfach auf Durchzug schalten konnte. Aber es gab auch Kommentare, die unter die Haut gingen, weil sie unheimlich gemein und abwertend waren. Die trägt man schon eine Weile mit sich rum.

»Wir werden in diesem Land versorgt und umsorgt.«

Katharina Weiß:
Neben Verschwörungstheorien haben sich viele Menschen auch über das Thema Glück Gedanken gemacht. Was hast Du zum Beispiel über Dein privates Glück in den letzten Monaten der erzwungenen Ruhe gelernt?

Markus Stoll:
Was ich gelernt habe beziehungsweise was sich mir einmal mehr bestätigt hat, ist, dass es uns wahnsinnig gut geht. Wir werden in diesem Land versorgt und umsorgt. Für mich dieses Gefühl der Sicherheit eine unglaubliche Erkenntnis. Ich hoffe, dass wir aus dieser Rückbesinnung auf das Wesentliche etwas ins „normale“ Leben mitnehmen werden, das irgendwann ja wiederkommen wird.