Interview — Fabian Grischkat

»Wir haben keine andere Wahl, als hoffnungsvoll zu sein«

Influencer und Aktivist Fabian Grischkat macht sich auf Instagram, TikTok und Co. fast täglich für Klimaschutz und die Rechte queerer Menschen stark. Dabei richtet sich der 22-Jährige nicht nur an die Generation Z. Auch viele ältere Semester zählen zu seinem Publikum, denn Fabians Content ist unterhaltsam, informativ und gut recherchiert. Ein Interview über journalistische Verantwortung, die Definition von Männlichkeit und das Prinzip Hoffnung im Angesicht der sich abzeichnenden Klimakatastrophe.

6. April 2023 — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotografie: Steven Lüdtke

„Früher war alles besser.“ Es steckt viel Sehnsucht in dem kleinen Satz, der, leicht dahingeseufzt, die vermeintlich guten alte Zeiten feiert. Zeiten, in denen die Welt – meist die eigene – irgendwie entspannter und geordneter schien als heute. Doch das romantisierte Bild, wer hätte es gedacht, ist schnell mit Fakten widerlegt. Vor allem gesellschaftspolitisch gab es in den letzten fünfzig Jahren die eine oder andere Errungenschaft, die man nicht mehr missen möchte.

In Bezug auf das Klima hat der Satz allerdings seine Berechtigung. Denn früher, genauer gesagt vor 250 Jahren, war hier tatsächlich alles besser. Denn erst mit Beginn der industriellen Revolution und dem massenhaften Einsatz fossiler Energieträger stieß der Mensch eine verheerende Entwicklung an, die bereits jetzt die Temperatur der Erdoberfläche um gut ein Grad Celsius erhöht hat – und die bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer zivilisatorischen Katastrophe führen kann, wenn die Erderwärmung nicht auf maximal 1,5 Grad begrenzt wird.

Dass diese Katastrophe noch abzuwenden ist, wenn man sich nur mit aller Kraft und Vehemenz dagegenstemmt, erklärt Fabian Grischkat fast täglich seinem Publikum auf Instagram, TikTok und Co. Der 22-Jährige, der sich selbst als Influencer, Aktivist, Moderator und Filmemacher bezeichnet, hat es sich mit seinen Videos zur Aufgabe gemacht, für Aufklärung in Sachen menschgemachter Klimawandel zu sorgen – und das auf eine äußerst unterhaltsame, informative und fast gebetsmühlenartige Art und Weise.

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Doch das Klimathema ist nur einer seiner Schwerpunkte. Mindestens genauso leidenschaftlich setzt er sich auch für die Rechte queerer Menschen ein, prangert gesellschaftliche und politische Missstände an und erklärt, was sich zum Beispiel hinter Begriffen wie Pinkwashing, Konversionstherapie oder Shadow Banning verbirgt. Denn für queere Menschen war zwar früher definitiv nicht alles besser. Das heißt aber noch lange nicht, dass heute alles gut ist.

Fabian definiert sich selbst als bisexuell. Als er im August 2000 geboren wurde, war es gerade einmal sechs Jahre und zwei Monate her, dass der Deutsche Bundestag den Paragraf 175 ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen hatte. Dieses aus dem Kaiserreich stammende und in der NS-Zeit verschärfte Gesetz stellte „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. An das Leid der nach dem „Hundertfünfundsiebziger“ verurteilten Männer – sowohl im Dritten Reich als auch später in der Bundesrepublik – erinnerte der Bundestag erst kürzlich mit einer bewegenden Gedenkveranstaltung.

Fabian, der aus dem beschaulichen Nettetal im Rheinland stammt, weiß um sein Glück, in deutlich liberaleren und toleranteren Zeiten aufgewachsen zu sein, wie er in einem Gastbeitrag für den SPIEGEL schreibt. Titel: „Mich hätte es vor 20 Jahren nicht gegeben“. Doch er erzählt auch davon, wie unwohl und allein er sich damals als Teenager in seinem Ort gefühlt habe, denn queere Clubs, Bars oder Jugendtreffs habe es nicht gegeben. Gemobbt worden sei er zwar nicht, aber dennoch belächelt. Eine Lebensrealität, die auch heute noch, im Jahr 2023, unzähligen Jugendlichen vertraut vorkommen dürfte.

Mittlerweile lebt Fabian Grischkat in Berlin. In den Räumlichkeiten seines Managements, der Agentur We Are Era, haben wir ihn zu einem ausführlichen Interview getroffen.

»Kein Wunder, dass ich mich an Vorbildern wie David Bowie orientiert habe.«

MYP Magazine:
In einem Gastbeitrag für den SPIEGEL aus dem August 2022 erzählst Du von Deinem Aufwachsen in einem idyllischen Dorf am Niederrhein, wo Du dich oft wie Daffyd Thomas aus der Serie „Little Britain“ gefühlt hast: the only gay in the village. Welche role models gab es für Dich als queeren Teenager?

Fabian Grischkat:
Als ich mit 14, 15 gemerkt habe, dass ich möglicherweise nicht heterosexuell sein könnte, gab es vor allem im deutschsprachigen Raum so gut wie keine bisexuelle Menschen, die in der Öffentlichkeit standen. Klar, im Kunst- und Kulturbereich ist man immer wieder mal auf Leute gestoßen, die sich als bisexuell identifiziert haben. Aber in all den „normalen“ Berufen waren Bisexuelle so gut wie unsichtbar. Dasselbe galt für mein persönliches Umfeld. Dabei hätte ich mir als Teenager jemanden gewünscht, der einfach mal sagt: „Hey Fabian, ich kann dich verstehen, ich fühle genauso.“ Aber den gab es nicht. Kein Wunder, dass ich mich erst mal an Vorbildern wie David Bowie orientiert habe. Mehr geholfen hätte es mir, wenn sich jemand wie Felix Jaehn, der 2018 in einem ZEIT-Interview von seiner Bisexualität erzählt hat, schon ein paar Jahre früher offenbart hätte. Oder wenn damals schon jemand aus dem Bundestag öffentlich erklärt hätte, bisexuell zu sein. Für Menschen wie mich hat so etwas nach wie vor eine große Bedeutung, es gibt uns das Gefühl von Normalität.

»Allein die Tatsache, dass wir überhaupt einen Queer-Beauftragten haben, ist ein wichtiges Signal für alle queeren Menschen in Deutschland.«

MYP Magazine:
Nicht nur in der Politik hat sich in den letzten Jahren einiges getan, was die Sichtbarkeit von queerem Leben in der Breite unserer Gesellschaft angeht. Gleichzeitig erleben wir, vor allem in den sozialen Netzwerken, wie junge Menschen in antiquierte Rollenbilder zurückfallen. Daneben erfreuen sich Videos über „echte Männlichkeit“ scheinbar großer Beliebtheit. Und der Begriff „schwul“ wird von vielen nach wie vor als Schimpfwort benutzt. Ist unser gesellschaftlicher Fortschritt vielleicht doch nicht so groß, wie wir manchmal denken?

Fabian Grischkat:
Man muss gesellschaftlichen Fortschritt immer aus zwei Perspektiven betrachten. Auf der einen Seite gibt es die juristische Ebene, die regelt, welche Rechte queere Menschen in unserem Land haben. Und auf der anderen Seite steht die gesellschaftliche Akzeptanz – die im Idealfall mit den juristischen Errungenschaften einhergeht. Ich finde, rein rechtlich befinden wir uns auf einem guten, aber dennoch schleppenden Weg. Letztes Jahr hat die Bundesregierung ihren Aktionsplan „Queer leben“ vorgestellt, der unter anderem die Verabschiedung des sogenannten Selbstbestimmungsgesetztes als Ersatz für das Transsexuellengesetz vorsieht. Leider lässt dieses Gesetz – entgegen der im Vorfeld gemachten Versprechungen – immer noch auf sich warten. Entsprechend frustriert ist die queere Community, denn dieses Gesetz wäre ein großer Fortschritt für uns. Aber schon allein die Tatsache, dass wir mit Sven Lehmann überhaupt einen Queer-Beauftragten haben, ist ein wichtiges Signal für alle queeren Menschen in Deutschland.

»Es ist ein Trugschluss, dass die Gen Z durchgehend politisch ist und das Klima schützt.«

MYP Magazine:
Und wie sieht es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz aus?

Fabian Grischkat:
Leider erlebe auch ich immer wieder, dass „schwul“ weiterhin als Schimpfwort benutzt wird, auch bei Teenagern. Das ist wichtig zu erwähnen, denn gerade ältere Generationen haben oft ein fast schon utopisches Bild von der Generation Z. Aber nicht alle von uns sind woke, hip und Generation Greta. Es ist ein Trugschluss, dass die Gen Z durchgehend politisch ist und das Klima schützt. Aus diesem Grund müssen wir dringend unsere Bildungsangebote nachschärfen, denn queere Themen werden in den Schulen weiterhin kaum behandelt.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass man vor allem mit jungen Männern sehr früh darüber sprechen muss, was eigentlich Männlichkeit bedeutet. Die Jungs sollen wissen, dass sie nicht stark sein oder eine teure Karre fahren müssen, um ein „richtiger“ Mann zu sein. Solange wir da nichts tun, wird „schwul“ auch in Zukunft ein Schimpfwort sein, da bin ich mir ganz sicher. Es darf in Deutschland keine Projektarbeit bleiben, über queeres Leben und Männlichkeit im 21. Jahrhundert zu sprechen.

»Männer können viel mehr, als sie denken. Sie begrenzen sich selbst nur allzu oft durch einen veralteten Männlichkeitsbegriff.«

MYP Magazine:
Hast Du für dich eine bestimmte Definition von Männlichkeit?

Fabian Grischkat: (grinst)
Ein guter Mann muss schlechte Witze beherrschen! Aber im Ernst: Ich glaube, dass der Begriff Männlichkeit äußerst wandelbar ist und verschiedenste Lebensrealitäten umfasst. Deswegen fällt es mir auch so schwer, heute, im Jahr 2023, eine konkrete Definition zu formulieren, denn die kann in fünf bis zehn Jahren schon wieder vollkommener Schwachsinn sein. Allerdings glaube ich, dass all die aktuellen Männlichkeits-Definitionen, die einem in merkwürdigen YouTube-Videos oder Coaching-Angeboten oder Kollegah-Büchern vermittelt werden, etwas ist, das wir schon jetzt nicht mehr brauchen. Es erzeugt bei jungen Männern einen enormen Druck, wenn sie versuchen, etwas zu sein, was sie nicht sein können. Auch deshalb liegt es mir fern, die eine, allumfassende Definition von Männlichkeit zu geben. Wenn ich sage, Männer tragen auch Kleider, dann will ich damit nicht sagen, dass Männer Kleider tragen müssen. Sondern, dass sie es können. Ich glaube ohnehin, dass Männer viel mehr können, als sie denken. Sie begrenzen sich selbst nur allzu oft durch einen veralteten Männlichkeitsbegriff.

»Ich habe innerhalb der queeren Community leider genauso oft Vorurteile gegenüber meiner sexuellen Orientierung erlebt wie außerhalb.«

MYP Magazine:
Auch die queere Community bekleckert sich nicht immer mit Ruhm, wenn es um die Akzeptanz bestimmter Lebensrealitäten oder auch Sexualitäten geht. Welche Erfahrungen hast Du persönlich in dem Zusammenhang gemacht?

Fabian Grischkat:
Wie in fast allen Gesellschaftsbereichen gibt es auch in der queeren Community patriarchale Strukturen, sie wird dominiert von älteren, meist weißen Männern – nur, dass es sich in dem Fall um schwule Männer handelt. Diese homosexuellen Männer haben es nie wirklich akzeptiert, dass ich mich persönlich als bisexuell definiere. Oft hieß es: „Du bist doch eigentlich schwul und stehst nicht dazu.“ In diesem Umfeld habe ich einige wirklich schwierige Erfahrungen gemacht. Daher kann ich auch definitiv nicht davon sprechen, dass die queere Community ein safe space für alle ist. Aber ich will die schwulen alten Männer auch nicht vor den Kopf stoßen…

MYP Magazine:
Mach doch mal.

Fabian Grischkat:
Gerade ältere schwule Männer haben in dieser Gesellschaft sehr viel bewegt in den letzten Jahrzehnten, daher möchte sie auch nicht verteufeln. Aber häufig müssen gerade diese Akteure erst mal vor der eigenen Haustür kehren und überlegen, ob sie möglicherweise selbst ein bisschen diskriminierend sind in ihrem Denken und Handeln. Ich habe innerhalb der queeren Community leider genauso oft Vorurteile gegenüber meiner sexuellen Orientierung erlebt wie außerhalb.
Übrigens: Man darf nicht vergessen, dass es in den letzten Jahrzehnten nicht nur viele schwule Männer, sondern auch zahlreiche lesbischen Frauen gab, die sich für mehr Toleranz und Gleichberechtigung engagiert haben – und teilweise noch härter ackern mussten als die Schwulen. Denn sie mussten sich nicht nur ihre Rechte als Homosexuelle erkämpfen, sondern gleichzeitig auch ihre Rechte als Frauen. Das geht leider allzu oft unter, ist aber genauso wichtig, erzählt und respektiert zu werden.

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»Dieser alte weiße Mann schafft es sogar, wie das Sprachrohr einer jungen, rebellischen Generation zu klingen.«

MYP Magazine:
Apropos alte Männer: Für Deine Videos schlüpfst Du immer wieder mal in die Rolle eines alten weißen Mannes namens Alman Achim…

Fabian Grischkat:
Ich trage heute sogar seinen Pullover.

MYP Magazine:
Gibt es im Gegensatz zum fiktionalen Achim einen realen alten weißen Mann, auf den Du einen positiven Blick hast – und der Dich vielleicht sogar inspiriert?

Fabian Grischkat:
Eines vorab: Mir wird häufig vorgeworfen, dass ich mit dieser Figur einen Vaterkomplex abarbeiten würde. Das ist definitiv nicht der Fall… Also: Welcher alte weiße Herr inspiriert mich?

(überlegt sehr lange)

Es gibt vor allem in meinem privaten Umfeld viele Menschen, auf die das zutreffen würde. Aber wenn ich jemanden nennen müsste, der allgemein bekannt ist, würde ich sagen: Herbert Grönemeyer. Ich weiß, es ist vielleicht ein bisschen merkwürdig, dass ein 22-Jähriger von Herbert Grönemeyer schwärmt. Aber Herbert hat so eine frische und jugendliche Attitüde und einen so scharfsinnigen Blick auf die Welt, dass ich diesen Künstler echt toll finde. Ich bewundere sein Lebenswerk und die Tatsache, dass er sich selbst trotz zunehmenden Alters treu bleibt und nicht anfängt, irgendeinen Mist zu schwurbeln oder sich auf einmal über das Gendern aufzuregen. Oder dass er trans sein nicht versteht. Das alles kommt ja durchaus mal vor bei alten weißen Männern. Herbert aber ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch als ältere Person noch präsent sein kann, ohne dabei peinlich oder diskriminierend zu agieren. Und da er erst kürzlich mit seinem Song „Deine Hand“ die Proteste im Iran thematisiert hat, schafft es dieser alte weiße Mann sogar, wie das Sprachrohr einer jungen, rebellischen Generation zu klingen.
Außerdem wurde ich im Ruhrgebiet geboren, es liegt also in meinen Genen, dass ich Herbert Grönemeyer gut finde. Ich würde mich riesig freuen, wenn ich irgendwann mal die Gelegenheit hätte, fünf Minuten mit ihm zu sprechen – das wäre mein persönlicher Fan-Boy-Moment. Wir könnten ja mal auf eine gemeinsame Pommes. Oder eine vegane Currywurst.

»Jede private Information, die man ins Netz stellt, kann brandgefährlich werden.«

MYP Magazine:
Auch wenn Du selbst noch nicht so bekannt bist wie Herbert Grönemeyer, stehst Du dennoch in exponierter Weise in der Öffentlichkeit. Wie gehst Du mit dem großen Interesse an Deiner Person um? Schmeichelt es Dir? Oder beschränkt es Dich in Deinem Alltag, etwa beim Ausgehen, Daten oder Einkaufen?

Fabian Grischkat:
Weder noch. Es ist zu einer gewissen Normalität geworden – auch, weil ich ohnehin recht viel von meinem Leben mit der Öffentlichkeit teile. Aber selbstverständlich geht das auch mit einer gewissen Vorsicht einher. Bei jedem geposteten Foto denke ich vorher darüber nach, was das jetzt aussagen könnte.

MYP Magazine:
Wir sehen Dich online beim Sport treiben, beim Abendessen mit Freunden oder im Wartezimmer nach der Immuntherapie. Gibt es Momente, in denen Du das Gefühl hast, gerade zu viel von Deinem Privatleben preisgegeben zu haben?

Fabian Grischkat:
Es ist ein schmaler Grat. Auf der einen Seite will ich anderen zeigen, dass ich ein normaler Mensch bin – und nicht der High Performer, für den man mich vielleicht halten könnte. Auch ich habe kack Tage, vor allem im Winter in Berlin. Auf der anderen Seite weiß ich, dass jede private Information, die man ins Netz stellt, brandgefährlich werden kann. Es gibt nach wie vor Dinge, die ich niemals posten würde, weil es da um das Privateste vom Privaten geht. Das würde ich auch von anderen Menschen nicht erfahren wollen.

»Mir geht es am Ende des Tages darum, in den Spiegel zu schauen und stolz auf das zu sein, was ich tue.«

MYP Magazine:
Im Podcast „It’s All About“ hast Du vor kurzem erzählt, dass Du dich in Deiner Tätigkeit als Influencer auch für die reine Unterhaltungs- und Selbstdarstellungsschiene hättest entscheiden können. Warum hast Du dich dagegen entschieden?

Fabian Grischkat:
Mir selbst gefällt es doch auch nicht, wenn ich Instagram öffne und mein Feed voller oberkörperfreier Typen ist. Oder wenn mir dauernd irgendwelche Menschen mitteilen, warum sie heute schon 5.000 Euro verdient haben und wie ich das auch schaffen kann, wenn ich nur irgendeiner dubiosen WhatsApp-Gruppe beitrete. Ich glaube, viele Influencer:innen haben mittlerweile ein echtes Problem, weil sie mit dieser Arbeit nicht die enormen Summen an Kohle rechtfertigen können, die sie verdienen.
Mir persönlich geht es am Ende des Tages darum, in den Spiegel zu schauen und stolz auf das zu sein, was ich tue. Bestimmt würde ich deutlich mehr Geld verdienen, wenn ich nicht diese Politikschiene eingeschlagen hätte. Aber das war mir nie wichtig. Ich will auf die Frage, wie ich meinen Tag verbracht habe, nicht antworten, dass ich mal wieder zehn Kinder in eine sinnlose WhatsApp-Gruppe geholt und abgezogen habe. Für mich ist es ein Erfolgserlebnis, wenn wir mal wieder eine Demo organisiert haben, bei der alles geklappt hat. Dennoch müssen nicht alle Influencer:innen hochpolitisch sein. Auch ich folge einigen ganz banalen Accounts…

MYP Magazine:
Zum Beispiel?

Fabian Grischkat:
Zum Beispiel zwei Hunden auf Instagram, über deren Storys ich mich den ganzen Tag freuen kann.

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»Ich würde erwarten, dass man zumindest so sensibel ist, keine Produktplatzierung an dem Tag zu posten, an dem gerade in Europa ein Krieg ausbricht.«

MYP Magazine:
Das erzeugt auch wesentlich bessere Stimmung, als permanent mit scheinbar perfekten Körpern konfrontiert zu sein.

Fabian Grischkat:
Ja, genau! Aber auch die perfekten Körper haben ihre Berechtigung auf dieser Plattform. Ich würde mir nur wünschen, dass sich diese Leute ihrer Verantwortung bewusst werden. Als zum Beispiel der Krieg gegen die Ukraine ausgebrochen ist, haben etliche Influencer:innen weiterhin ihre Produktplatzierungen gepostet. Hier würde ich mir ein Mindestmaß an Sensibilität erwarten. Man muss doch checken, dass das gerade der absolut falsche Zeitpunkt ist. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass man seine Reichweite vielleicht ein- oder zweimal im Jahr für etwas halbwegs Gutes zur Verfügung stellt. Danach kann man ja wieder tausend Mal den nackten Oberkörper posten.

»Ich folge zwar gewissen journalistischen Standards, aber auch nicht allen.«

MYP Magazine:
Bleiben wir kurz beim „It’s All About“-Podcast. Dort hast Du erwähnt, dass Du dich selbst nicht unbedingt als Journalist bezeichnen würdest, weil Du einen gehörigen Respekt vor der Arbeit „gelernter“ Journalist:innen hättest. Bist Du an dieser Stelle nicht etwas zu bescheiden? Immerhin scheinst Du dich konsequent an journalistischen Maßstäbe und Werten zu orientieren.

Fabian Grischkat:
Ich fände es nach wie vor anmaßend, mich als reinen Journalisten zu bezeichnen. Ich folge zwar gewissen journalistischen Standards, das stimmt, aber auch nicht allen. Zum Beispiel unterliege ich keiner journalistischen Sorgfaltspflicht, aber gerade das ist für mich der große Unterschied zwischen Influencer:innen und Journalist:innen – oder sagen wir guten Journalisti:innen. Wenn ich in meiner täglichen Arbeit einen Fakt in die Welt setze, bin ich nicht dazu verpflichtet, überhaupt eine Quelle anzugeben; oder die Quelle gegenzuchecken, die ich verwende. Ich mache das bei meinen Recherchen nur, weil ich selbst die Gewissheit haben will, ob die Info, die ich gerade irgendwo aufgeschnappt habe, wirklich der Wahrheit entspricht. Und solange ich das nur auf einer freiwilligen Basis tue, möchte ich mich nicht Journalist nennen. Vielleicht ist das in fünf Jahren anders, denn ich überlege mir gerade, noch ein Studium in diese Richtung anzustreben.

»Ich möchte nicht, dass Axel-Springer-Formate diesen Markt kapern.«

MYP Magazine:
Außerhalb des klassischen Journalismus gibt es mittlerweile diverse andere reichweitenstarke Player, die ebenfalls investigativ arbeiten und Missstände aller Art aufdecken – wie etwa Rezo oder Jan Böhmermann. Wie erlebst Du diese Entwicklung? Steckt der klassische Journalismus in der Krise?

Fabian Grischkat:
Eine Krise sehe ich aktuell nicht. Aber ich glaube, dass auch der Journalismus sich wandeln muss – wie fast alles in unserer heutigen schnelllebigen Gesellschaft. Wenn der Journalismus für junge Menschen attraktiv sein will, muss er sie dort erreichen, wo sie sind. Die Gen Z liest durchaus Artikel – ja, wir können lesen! Allerdings beziehen wir unsere Nachrichten nicht aus den Tageszeitungen unten am Kiosk, sondern von Plattformen wie Twitter, TikTok oder Instagram. Dem sogenannten Qualitätsjournalismus muss es daher irgendwie gelingen, seine Inhalte auch vertikal zu verpacken – und zwar so, dass sie innerhalb weniger Sekunden die Aufmerksamkeit der Gen Z auf sich ziehen.
So etwas fällt zum Beispiel der Bildzeitung mit ihren stark verkürzten Botschaften deutlich leichter als einem Medium wie etwa der ZEIT. Aber gerade, weil ich nicht möchte, dass Axel-Springer-Formate diesen Markt kapern, appelliere ich nachdrücklich an die Qualitätsmedien: Springt über euren Schatten, setzt euch mit jungen Leuten an einen Tisch und überlegt, wie ihr es schaffen könnt, als großes Medienhaus auf den großen sozialen Plattformen attraktiv zu werden. Die Tagesschau zum Beispiel zeigt seit Jahren, dass es möglich ist, eine klassische TV-Sendung in ein vertikales Kurzformat auf TikTok zu übersetzen.

»Wenn wir erst im Jahr 2100 verstanden haben, was ein Kipppunkt ist, ist das Klima längst gekippt.«

MYP Magazine:
Anfang des Jahres sorgte die Meldung für Aufsehen, dass Raphael Thelen, Mitbegründer des Netzwerks Klimajournalismus, seinen Job als Journalist an den Nagel gehängt hat und sich nun als Aktivist bei der „Letzen Generation“ engagiert. In einem Interview mit Übermedien beklagt er unter anderem, dass es bei Journalist:innen immer noch viel Unwissen über die Klimakrise gebe. Er sagt: „Ganz viele Menschen, auch in Redaktionen, wissen bis heute nicht, was ein Kipppunkt ist, was ein Feedback Loop ist. Die wissen nicht, dass drei Grad Erwärmung, die wir ja Ende des Jahrhunderts ungefähr haben werden, sechs Grad in Deutschland bedeuten. Das heißt, Berlin hat so ein Klima wie Toulouse.“ Dabei drohe bereits bei zwei Grad ein Zivilisationskollaps. Hat der klassische Journalismus an dieser Stelle versagt?

Fabian Grischkat:
Puh, ich würde nicht so weit gehen, gleich von Versagen zu sprechen. Und ich möchte auch nicht allen Journalist:innen und Medienhäusern in diesem Land pauschal vorwerfen, dass sie die Klimakrise nicht ausreichend thematisieren. Dennoch hat es zum Beispiel unglaublich lange gedauert, bis sich die meisten Medienschaffenden darauf geeinigt haben, nicht von Folgen des Klimawandels, sondern von einer Klimakatastrophe zu sprechen. Wenn Journalist:innen vorher diesen Begriff in ihren Text geschrieben hatten, kam der Chefredakteur und sagte: „Naja, das ist jetzt aber ein bisschen hart formuliert. Der Winter ist halt etwas wärmer, aber wir können doch hier nicht von einer Katastrophe reden.“ Solche frustrierenden Geschichten hört man immer wieder.
Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, dass sich das Bewusstsein zumindest ansatzweise geändert hat – auch wenn manche Medienhäuser immer noch glauben, es reiche aus, hier und da mal eine einzelne dpa-Meldung zu veröffentlichen – wie etwa zu den Protesten in Lützerath. Das Ziel für die nächsten Jahre muss sein, tagtäglich über die Klimakatastrophe zu berichten und dabei nichts zu beschönigen. Bei Themen wie Corona oder dem Ukraine-Krieg hat das ja auch funktioniert. Ich will jetzt nicht dystopisch klingen, aber wenn wir erst im Jahr 2100 verstanden haben, was ein Kipppunkt ist, ist das Klima längst gekippt.

»Mich als BILD-Leser würde das ärgern.«

MYP Magazine:
In dem BILD-Artikel „Schnee? Nee!“ vom 9. Januar 2023 berichtet die Autorin ausführlich über die hohen Januar-Temperaturen in Europa. Die Begriffe „Erderwärmung“, „Klimawandel“ oder „Klimakrise“ sucht man allerdings vergebens, geschweige denn das Wort „Katastrophe“. Beschleicht Dich nicht öfter mal ein Gefühl von Ohnmacht, wenn Du mit der medialen Realität in diesem Land konfrontiert bist?

Fabian Grischkat:
Was die Bildzeitung angeht, haben viele junge Menschen, die wie ich politisch aktiv sind, mittlerweile resigniert. Es sagt doch alles, wenn ein Blatt lieber über die „Klimakleber“ berichtet als über die Weltklimakonferenz letzten November in Ägypten. Das ist frustrierend. Dabei würde es der Bildzeitung guttun, ihre Leser:innen über die Relevanz der Klimakatastrophe aufzuklären. Man schreibt sich bei Springer doch auf die Fahne, besonders ehrlich zu seiner Leserschaft zu sein. Aber ist es nicht so, dass man die Leute belügt, zumindest indirekt, wenn man ihnen wichtige Informationen vorenthält? Mich als BILD-Leser würde das ärgern – und ich würde mich ein wenig verarscht fühlen von dieser Zeitung. (lächelt)

»Wer wäre ich denn als Teil der Gen Z, wenn ich sagen würde: Es ist doch eh alles verloren.«

MYP Magazine:
An den Lützerath-Protesten im Januar hat unter anderem auch die Band AnnenMayKantereit teilgenommen und vor Ort ein spontanes Konzert gegeben. Den Auftritt beschloss Sänger Henning May mit folgenden Zeilen: Und nur, weil andere mehr machen als ich / Ist die Welt nicht völlig fürchterlich / Und nur weil andere so stark sind und klug / hab‘ ich manchmal / Hoffnung und Mut / Hoffnung und Mut / tut gut. Welche Hoffnung hast Du, wenn Du in die Zukunft blickst?

Fabian Grischkat:
Ich glaube, dass vor allem die Generation Z einen sehr schwierigen Start hatte, was das Thema Hoffnung angeht. Es ist ja nicht so, dass wir das mit dem bisschen Erderwärmung nur in den Griff bekommen wollen, nur weil das irgendwie ganz cool wäre. Es geht hier um nicht weniger als um unsere Lebensgrundlage, und zwar die von uns allen. Dementsprechend sind unsere Hoffnungen und Wünsche mit konkreten Ängsten verbunden. Dennoch haben wir überhaupt keine andere Wahl, als hoffnungsvoll zu sein.
Was mich in meiner eigenen Hoffnung bestärkt – und da schließe ich mich gerne Henning May an – ist, dass ich nach wie vor so viele motivierte Menschen erlebe, die sich von ganzem Herzen engagieren: junge Leute, aber auch alte, denn nicht alle Boomer sind blöd. (grinst) Diese Hoffnung möchte ich gerne auch anderen geben. Auch wenn es auf dieser Welt viele Arschlöcher gibt – um mal Kurt Krömer zu zitieren – und diese Arschlöcher oft über viel Macht und sehr viel Kapital verfügen, gibt es auf der anderen Seite trotzdem viel mehr gute Leute: Wissenschaftler:innen, Forscher:innen, Aktivist:innen oder einfach nur Menschen wie meine Oma, die an Weihnachten vegane Plätzchen für mich macht; Menschen, die zumindest versuchen dazu beizutragen, unsere Gesellschaft zu einer besseren zu machen; Menschen, die nicht nur die Krisen ernst nehmen, sondern auch die Sorgen und Bedürfnisse junger Menschen. Wer wäre ich denn als Teil der Gen Z, wenn ich sagen würde: Es ist doch eh alles verloren. Vor allem gegenüber all den Leuten, die ich motiviert habe, auf Demos zu gehen – denen jetzt zu sagen, das sei doch eh alles Quatsch, fände ich ein bisschen respektlos.
Nein, es ist nichts verloren, wir können das noch schaffen. Das ist die erste wichtige Nachricht, die wir auch in der Klimagerechtigkeits-Bewegung immer wieder nach draußen senden. Es gibt gute Gründe, warum es sich weiter lohnt zu kämpfen. Wir müssen das vielleicht nur mit etwas radikaleren Mitteln tun. Und wir müssen uns da wirklich reinknien.

»Das mit dem Alleinsein verbundene Gefühl von Einsamkeit hat sich im Laufe der Zeit zu etwas Positivem verwandelt.«

MYP Magazine:
Du hast auf Deinem linken Unterarm den Begriff „Lonely Boy“ tätowiert. Bist Du einfach ein riesiger Fan von „The Black Keys“? Oder welche Geschichte verbirgt sich hinter dem Tattoo?

Fabian Grischkat: (lacht)
Ich finde diesen Song echt toll, das kann ich nicht abstreiten. Das Tattoo hat aber vielmehr damit zu tun, dass ich Einzelkind bin und vieles in meinem Leben allein stemmen musste. Ich gehe zum Beispiel stark davon aus, dass ich niemals angefangen hätte, Videos auf YouTube hochzuladen, wenn ich Geschwister gehabt hätte. Irgendwie musste ich mich ja mit mir selbst beschäftigen – masturbieren ging damals noch nicht. Also habe ich mir aus purer Langeweile ein paar Lego-Männchen genommen und meine Kamera darauf gehalten. Das Ganze habe ich nur auf YouTube veröffentlicht, weil ich wollte, dass das mehr Menschen sehen als meine Eltern und ich.
So ganz auf sich allein gestellt zu sein, hat mir aus heutiger Sicht also zu einem gewissen Erfolg verholfen. Und das mit dem Alleinsein verbundene Gefühl von Einsamkeit, das mir am Anfang noch so schrecklich vorkam, hat sich im Laufe der Zeit zu etwas Positivem verwandelt. Das Tattoo erinnert mich heute daran, dass dieses Alleinsein gar nicht so schlimm ist.

MYP Magazine:
Vielleicht bist Du selbst ja für viel mehr Menschen ein großer Bruder, als du denkst.

Fabian Grischkat:
Ja, das hoffe ich zumindest, denn ich hätte mir damals mit 14, 15 auch jemanden gewünscht, der all die Themen behandelt hätte, die mir in dem Alter durch den Kopf geschwirrt sind.

»Wenn ich fünf Prozent selbstbewusster wäre, würde ich da wahrscheinlich auch nackt rumlaufen.«

MYP Magazine:
In dem anfangs erwähnten SPIEGEL-Artikel schreibst Du über Deinen Heimatort Nettetal: „Es mag kurios klingen, aber ich merke sogar, dass ich mich anders verhalte, wenn ich dort zu Besuch bin, immer noch. Ich kleide mich nicht so grell, ich versuche auch sonst nicht aufzufallen, vermeide politische Diskussionen.“ Wie erklärst Du dir den Kontrast zwischen dem zurückhaltenden Fabian im analogen Nettetal und der selbstbewussten und meinungsstarken Person, die Du im Digitalen verkörperst?

Fabian Grischkat:
Ich würde durchaus behaupten, dass man mich mittlerweile kennt in Nettetal, daher verstecke oder verstelle ich mich da auch nicht. Trotzdem käme ich niemals auf die Idee, dort in meinem Netzshirt oder in einem anderen auffälligen Outfit rumzulaufen. Ich hatte immer das Gefühl, dass dieser Ort mich ein wenig einengt in meiner kreativen Freiheit. Vielleicht liegt das aber gar nicht an Nettetal, sondern einfach an einem Mangel an Selbstbewusstsein. Wenn ich fünf Prozent selbstbewusster wäre, würde ich da wahrscheinlich auch nackt rumlaufen.
Davon abgesehen trenne ich meine Besuche in der Heimat strikt von meinen anderen Projekten, alles Aktivistische lasse ich dann in Berlin. In Nettetal bin ich der ganz private Fabian, der nur da ist, um seine Familie und Freund:innen zu treffen. Doch wie ich in dem Artikel geschrieben habe: Irgendwann werde ich auch dort im Vorgarten die Regenbogenfahne hissen. Ich glaube, Nettetal ist bereit dafür.