Interview — Oliver Polak

»Wahrhaftige Liebe ist das Gegenteil von Magie«

Die erste Liebe im Emsland, ein Rendezvous im Pariser Rotlichtmilieu, ein Treffen mit einer depressiven Domina in New York – und das alles via Dating-App. In seinem neuen Buch »L’amour numérique: Und täglich grüßt die Liebesgier« erzählt Komiker Oliver Polak von den erhebenden und ernüchternden Herausforderungen der modernen Liebe – und legt dabei einen tiefen Seelenstriptease hin. Ein Gespräch über die Tücken des Anbandelns im digitalen Zeitalter, einseitige Unterhaltungen und die Feststellung, dass der Deutsche schon als Werkseinstellung eine Fresse zieht.

18. Oktober 2022 — Interview: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Steven Lüdtke

„L’amour numérique“, der neue Episodenroman von Bestsellerautor und Comedian Oliver Polak, ist von vielen popkulturellen Referenzen durchzogen. Eine davon ist der Song „Crown“ von Kendrick Lamar. Vor allem eine Zeile scheint Polak dabei zu inspirieren, denn sie taucht gleich in mehreren Kapiteln auf: „Love can change with the seasons / And I can’t please everybody“.

Den Vorwurf, einfach nur gefallen zu wollen, kann man Oliver Polak schwerlich machen, als wir ihn zum Interview im Burlesque-Lokal „Zum Starken August“ treffen. Während sein alter Hund Arthur niedlich über den Boden der Zirkusbar trottet, scheint sein Herrchen zu Beginn des Fotoshootings noch etwas in sich gekehrt.

Schlechte Onlinedates umschreibt Polak in seinem Buch als „mieses Vorstellungsgespräch“. Kurz keimt die Angst auf, das Interview mit ihm könne auch ein solches werden, als er langsam auftaut. Wer sich darauf einlässt, erkennt, dass er eine gewisse Kompromisslosigkeit an sich hat, die ihn zu einem anziehenden Gesprächspartner macht. Mehr Sparringspartner als Smalltalker – und in seinen ehrlichen, vielleicht auch verletzlichen Tönen entpuppt er sich als scharfer Beobachter unserer Gesellschaft.

Dabei ist es gar nicht so einfach, über „L’amour numérique“ zu sprechen. Denn auch wenn das Buch eine novellistische Tarnfarbe trägt, ist die Hauptfigur mehr Polak-Protagonist als Fabelwesen: Das lyrische Selbst ist Stand-up-Comedian, Fan von Balenciaga-Couture und geht eigentlich nirgendwo ohne seinen Hund Toto hin. Kurzum: Polak schreibt über sich selbst, nur poetisch verdichtet, und spricht dabei Wahrheiten über die Anbandelung im digitalen Zeitalter aus, deren kurzweiliger Liebesfrust große Leselust bereiten.

»Ich bin immer noch bei Tinder angemeldet, ohne wirklich aktiv zu sein.«

MYP Magazine:
Oliver, bist du selbst auf Dating-Plattformen für Normalsterbliche aktiv? Oder hast Du dich in Wirklichkeit schon bei Raya angemeldet, der VIP-App für die digitale Liebessuche?

Oliver Polak:
Ich war mal im Borchardt in Berlin. Rechts von mir saß Johann König und auf der anderen Seite hatte es sich Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit mit einer ganz besonderen Frau bequem gemacht. Als die mal kurz weg war, fragte ich ihn: „Was ist denn hier los?“ Und er sagte: „Tja, Raya.“ Ich wusste nicht, was er meinte, deshalb erklärte er mir, dass das eine Promi-App sei, für die man eine Einladung bekommen müsse. Kurz darauf hat Philipp Ruch mir so eine Einladung für Raya geschickt. Und dann hatte ich ein Date mit ihm.

MYP Magazine:
Hält die App, was sie verspricht?

Oliver Polak:
Ich habe mich da kurz angemeldet – war ganz lustig und interessant. Aber ich habe mich dann nicht weiter damit beschäftigt. Ich bin auch immer noch bei Tinder angemeldet, ohne wirklich aktiv zu sein.

»Das klingt schlimmer als Schlager. Dagegen ist Roland Kaiser Sartre.«

MYP Magazine:
„Ich hab‘ sie alle geliebt / Rom, Berlin und Paris / Und wenn ich mich erinner‘ / Irgendwie war‘s jedes Mal für immer“ – so lautet der Refrain des Songs „Für immer immer“ von Fettes Brot. Darin werden kleinen und großen Liebschaften des Lebens ein Denkmal gesetzt. Auch aufgrund seiner internationalen Schauplätze kann man „L’amour numérique“ durchaus ähnlich verstehen. Was war Dein Motor, solch ein Denkmal zu errichten?

Oliver Polak:
Uff. Das klingt schlimmer als Schlager, um ehrlich zu sein. Also dagegen ist Roland Kaiser Sartre. Muss man so sagen. Was war die Frage? Warum ich das Buch geschrieben habe?

MYP Magazine:
Genau, was Dein Motor dafür war. Und ob es auch so verstanden werden kann, dass es ein Denkmal für große und kleine Liebschaften ist.

Oliver Polak:
Nein, überhaupt nicht. Kompletter Blödsinn. Ist es nicht. Motor ist so ein komisches Wort. Wenn ich schreibe, denke ich an sowas gar nicht. Es ist eher so, dass man sich irgendwann hinsetzt, den Laptop aufklappt und so eine Geschichte hat. In diesem Fall fing alles mit einer Verabredung an, die nicht kam. Diese Situation wollte ich aufschreiben. Ich hatte nie den Plan, ein Buch über Onlinedating zu schreiben. Das hat sich so ergeben. Und mir geht es auch um die vielen echten Begegnungen, die eben nicht aus dem Onlinedating resultieren.

»Trifft mein Hauptdarsteller die Frauen, um sie zu lieben, oder trifft er sie nur, um sich nicht zu lieben?«

MYP Magazine:
Deinem literarischen Alter Ego scheinen ständig fremde, sehr attraktive Frauen zu begegnen, die auf spontanen Abenteuer-Sex mit ihm Lust haben. Was ist Dein Erfolgsgeheimnis?

Oliver Polak:
Sex empfinde ich nicht als großes Thema im Buch. Stattdessen geht es um die Suche nach Verbundenheit – sowohl bei anderen Menschen als auch bei sich selbst. Trifft mein Hauptdarsteller die Frauen, um sie zu lieben, oder trifft er sie nur, um sich nicht zu lieben? Mein Protagonist erhofft sich keinen schnellen Sex, sondern sehnt sich nach dieser einen Person, die vielleicht mit ihm die Welt bereist.

MYP Magazine:
Also sehnt er sich nach Magie.

Oliver Polak: (schnaubt)
Nein, gerade nicht dieses Überhöhte, sondern eher das Gegenteil von Magie: das Wahrhaftige, das Echte, das Greifbare – etwas, das vielleicht auch dableibt und nicht nur Fantasie ist.

»Es gibt wenige Menschen, die mir Fragen stellen.«

MYP Magazine:
Ein Interesse an Wahrhaftigkeit merkt man Dir in vielen Deiner Formate an, wie etwa in „Gedankenpalast“ oder „Your Life Is a Joke“. Dort bist Du der Fragesteller – und dabei kein schlechter. Wie nutzt Du dein journalistisches Talent im Privatleben?

Oliver Polak:
Ich lebe gerade eher zurückgezogen, deshalb komme ich nicht in viele solcher Situationen. Aber wenn ich jemanden interessant finde, kann ich sehr neugierig sein. Auf der anderen Seite mag ich es gerne, wenn Leute mir gegenüber neugierig sind. Es gibt wenige Menschen, die mir Fragen stellen und nicht darauf warten, dass ich die Konversation leite.

MYP Magazine:
Hast Du das Gefühl, häufig der Treiber von Gesprächen sein zu müssen?

Oliver Polak:
Ja, ich habe immer das Gefühl, dass ich für Situationen verantwortlich bin und Sachen auffangen muss. Daran arbeite ich immer wieder: mir in diesen Momenten selbst zu sagen, dass dem nicht so ist – und dass ich nicht für alles verantwortlich bin.

MYP Magazine:
Wie schafft man das?

Oliver Polak:
Indem man zulässt, einfach nichts zu unternehmen.

»Ich finde es für die Gesellschaft grundsätzlich gut, dass es Rotlicht-Dates gibt.«

MYP Magazine:
Wurdest Du beim Onlinedating eigentlich schon mal von einem Fan gematcht?

Oliver Polak:
Nein. Während Corona habe ich Tinder mal in Berlin benutzt. Da habe ich eine Frau aus Poznan in Polen kennengelernt, die nicht wusste, was mein Beruf ist. Ansonsten habe ich die App eher im Ausland angeschmissen.

MYP Magazine:
Apropos Beruf: Das erste Kapitel Deines Buches ist einer spontanen Liaison mit einer Sexarbeiterin in Paris gewidmet, später trifft Dein Alter Ego auf eine depressive Domina in New York. Wie ist Dein generelles Verhältnis zu Rotlicht-Dates?

Oliver Polak:
Wenn alles freiwillig geschieht, finde ich es für die Gesellschaft grundsätzlich gut, dass es das gibt.

»Ich kann sowohl gute Komplimente machen als auch Leute sehr hart verletzen. Dazwischen gibt es bei mir nicht viel.«

MYP Magazine:
Im Buch wirkt es so, als hätte der Icherzähler sein erstes Mal mit 17 Jahren mit einer Sexarbeiterin in Holland…

Oliver Polak:
Nein, es ist nicht sein erstes Mal. Nur das erste Mal, dass er sich in der Gegenwart einer Frau wohlfühlt.

MYP Magazine:
Eine Frau, bei der Du dich sehr wohlfühlst, ist deine Tante in Amerika. In Kapitel Nummer drei findet sich eine Liebeserklärung an sie: „Mit ihr kann ich die Freuden des Lebens teilen, um gute Komplimente ist sie nie verlegen.“ Hast du diese Kunst von ihr erlernt?

Oliver Polak:
Ich kann sowohl gute Komplimente machen als auch Leute sehr hart verletzen. Dazwischen gibt es bei mir nicht viel. Übrigens schätze ich an meiner Tante, was ich an vielen Amerikanern schätze: Sie ist immer sehr positiv gewesen. Viele Gespräche beginnen mit einem Kompliment zum Sweatshirt und ehrlichem Smalltalk. In Deutschland wird es als oberflächlich abgetan, ich empfinde es aber als positive Lebenseinstellung. Mein Freund Micky Beisenherz hat mal gesagt: Der Deutsche zieht schon als Werkseinstellung so eine Fresse (macht eine ausladende Geste mit Händen und Unterkiefer). Teilweise bemerke ich diese Negativität auch an mir. Aber ich wohne nun einmal seit 46 Jahren in Deutschland, das färbt natürlich ab.

»Ich bin nach Hause gerast, um mir einen Fummel meiner Mutter überzuwerfen.«

MYP Magazine:
Sprechen wir weiter über die weiblichen Figuren in Deiner Biografie und in Deinem Buch, besonders über eine: Stimmt es, dass du in den Klamotten Deiner Mutter eine Reise nach Paris gewonnen hast?

Oliver Polak:
Ja. Als Teenager besuchte ich eine NDR-2-Party. Highlight dieses Abends: Wer von den Männern als erster als perfekt zurechtgemachte Frau wieder in der Halle auftauchte, würde die Reise gewinnen. Also bin ich nach Hause gerast, um mir einen Fummel meiner Mutter überzuwerfen und mich in ihr Cartier-Parfum einzuhüllen. So habe ich tatsächlich den Trip für zwei Personen geholt.

»Grundsätzlich fände ich es besser, jemanden kennenzulernen, der meine Sachen noch nicht gelesen hat.«

MYP Magazine:
Schauen wir in die Liebeszukunft von Oliver Polak. Im Buch verkündet die Mutterfigur: „Ich habe dein neues Buch gelesen. So wirst du in diesem Leben bestimmt keine Frau mehr kennenlernen. Fehlt nur noch, dass du dich umbringst.“ Hast Du Angst, dass Deine zukünftigen Dates dieses Buch noch vor dem ersten Treffen gelesen haben?

Oliver Polak:
Nein, das juckt mich nicht. Allerdings ist „L’amour numérique“ nicht mein erstes Buch. Grundsätzlich fände ich es besser, jemanden kennenzulernen, der meine Sachen noch nicht gelesen hat. Denn ansonsten sitze ich da beim Date, erzähle meine Anekdote – und die Dame gegenüber lacht nicht und zeigt sich auch nicht interessiert, sondern sagt nur gelangweilt: „Ah ja, die Geschichte kenne ich schon, habe ich schon in deinem Buch gelesen.“