Interview — Brenda Blitz

»Ich mache extrem viel kleinkriminellen Kram«

Knallbonbon Brenda Blitz will die deutsche Popwelt mit einem erfrischenden Mix aus schnellen Melodien, flippigen Choreografien und radikaler Ehrlichkeit erobern. In MYP spricht sie über ihre schwere Kindheit, irre Nebenjobs und ganz persönliche Superheldinnen. Und sie verrät uns ein kleines Geheimnis.

17. Juli 2023 — Interview & Text: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Steven Lüdtke

In einem Streichelzoo wäre sie ein Fabelwesen zum Anfassen: Brenda Blitz liebt Pop und traut sich, das Genre maximalistisch anzugehen. Kein Budget? Kein Problem! Zumindest, wenn man kreativ ist und sich seine eigene Wunderwelt auch mal aus Klebeband bastelt. Seit 2019 veröffentlicht die Wahlberlinerin regelmäßig Songs, die sie am liebsten mit schrägen Tanzvideos untermalt. Britney Bitch wäre stolz auf Brenda Bitch, die sich traut, groß zu träumen, obwohl sie noch ganz am Anfang steht.

Das sexy Regenbogen-Universum der Halb-Brasilianerin täuscht viele darüber hinweg, dass die Künstlerin keine einfache Kindheit hatte – und ihre gute Laune kein Gottesgeschenk, sondern harte Arbeit ist. Existenzangst und Vernachlässigung gehören ebenso zu ihrer Geschichte wie eine entfesselte, manchmal entgleisende Lebenslust. Im Interview mit uns buchstabiert sie ihr ganz persönliches Alphabet: von B wie Brenda Blitz bis Z wie „Zu viel Gas“, ihrer gerade erschienenen Single auf der gleichnamigen neuen EP.

»Mein persönlicher Albtraum wäre eine Akustik-Gitarrenband.«

B wie Brenda Blitz:

„Brenda ist mein echter Vorname, aber den Nachnamen habe ich mir von meinem Exfreund geklaut – der hieß wirklich so. Die Journalistin Melanie Gollin hat mal gesagt, dass Brenda Blitz so klingt, als würde man sich einen Center Shock ins Auge reiben. Das sind diese knalligen Kultkaugummis mit dem sauren Kern. Ich bin ein sprudelnder Charakter und dieses Feuer ist auch in meiner Musik immer mehr zu hören.“

C wie Choreografie:

„Musik wirkt nochmal mehr, wenn man auch eine visuelle Geschichte erzählt. Es ist einfach viel abgefahrener, mehrere Sinne gleichzeitig zu bedienen. In Deutschland gehören Tänzerinnen allerdings selten zur Performance – da denkt man eher an amerikanische Popstars. Das Spiel damit gefällt mir, ich mag den scherzhaften Größenwahn. Mein persönlicher Albtraum wäre eine Akustik-Gitarrenband, bei der alle ganz bodenständig auf einem Hocker sitzen.“

»Ich lebe das Konzept Wahlfamilie: Das beinhaltet, die eigenen Freunde als Familie anzusehen.«

D wie „Durchsichtig“:

„Meine erste Single! Klingt happy, ist aber eigentlich ein trauriger Song…“

E wie Eltern:

„Ich komme aus sehr zerrissenen Verhältnissen. Als Kind erfuhr ich kaum Unterstützung und war größtenteils auf mich alleine gestellt – allerdings in einem Umfeld, dass mir heil und vollständig wirkte. Es ist Teil meiner Identität, dass ich diesen Unterschied immer gefühlt habe. Bei vielen Entwicklungsstufen dachte ich mir: Warum bin ich so langsam und die anderen so schnell? Erst später habe ich begriffen, dass meine Voraussetzungen andere waren und ich bis zu einem bestimmten Grad auch eine gewisse Verantwortungslosigkeit und Vernachlässigung aushalten musste. Deshalb lebe ich eher das Konzept Wahlfamilie: Das beinhaltet, die eigenen Freunde als Familie anzusehen. Weil die eigenen Eltern das nicht leisten können. Manche arbeiten jahrelang daran, trotzdem um die Anerkennung ihrer Eltern zu kämpfen – aber wofür? Es ist ebenso wertvoll, wenn die Zuneigung von selbstgewählten Lieblingsmenschen kommt.“

»Der Druck, ständig die eigene Existenz sichern zu müssen, hat mich sehr geprägt.«

F wie Finanzen:

„Nie Kohle gehabt! Ich spüre bis heute, dass das ein Thema ist, weil ich mich immer benachteiligt gefühlt habe. Sich da rauszukämpfen ist extrem schwer. Denn bevor man das Geld in die Kunst steckt, ist man damit beschäftigt, seine Miete zu zahlen. Und wenn man damit schon Probleme hat, bleibt nur noch ganz wenig für die Kunst übrig. Der Druck, ständig die eigene Existenz sichern zu müssen, hat mich sehr geprägt. Ich bin sehr feinfühlig für soziale Unterschiede. Und ich bin der Meinung: Wir alle reden viel zu selten über Geld – auch in der Musikindustrie. Niemand spricht darüber, was er verdient. Aber wie sollen Nachwuchskünstler sonst herausfinden, was faire Gagen sind?

G wie Geheimnis:

„Ich mache extrem viel kleinkriminellen Kram, der keinem wehtut. Was genau, erzähle ich euch, wenn es verjährt ist.“

»Auch das ist ein Teil von mir: die Leidenschaft dafür, immer wieder ins offene Messer zu rennen.«

H wie Herzschmerz:

„Das ist mein zweiter Vorname: Ich habe extrem viel Zeit mit Herzschmerz verschwendet. Hätte ich all diese Stunden in meine Gitarre gesteckt, wäre ich vielleicht schon Jimmy Hendrix. Männer sind Zeitverschwendung. Aber auch das ist ein Teil von mir: die Leidenschaft dafür, immer wieder ins offene Messer zu rennen. Aktuell lebe ich übrigens Männer-abstinent – mal sehen, wie lange ich trocken bleibe.“

I wie Instagram:

„Inzwischen eher Freund als Feind. Ich vergleiche mich nicht mehr, sondern nutze vielmehr die Chance, mich dort zu vernetzen und coole Menschen kennenzulernen. Da gibt es doch irre Möglichkeiten: Rein theoretisch kann ich Bill Kaulitz jetzt eine DM schreiben – ob er sie liest oder nicht. Es entstehen Verbindungen, die früher nicht möglich waren.“

»Meine zweite Kindheit lebe ich jetzt in Berlin aus.«

J wie ja:

„Das Ja zum Nein ist mir wichtig. Es fühlt sich gut an, endlich kein People Pleaser mehr zu sein.“

K wie Kindheitsort:

„Die ersten 14 Jahre meines Lebens habe ich zwischen Bochum und Gelsenkirchen verbracht. Das hat sich aber seit Tag eins wie der falsche Ort für mich angefühlt. Meine zweite Kindheit lebe ich jetzt in Berlin aus.“

»Es ist häufig ziemlich dunkel in mir drin und die Welt lastet schwer auf mir.«

L wie Leid:

„Es wird mir oft aberkannt, dass ich diese Emotion empfinde – denn meine Musik klingt sehr euphorisch. Bei Philipp Poisel sind sofort alle überzeugt davon, dass er eine schmerzende Seele hat. Bei meinen Pop-Songs dagegen ist das schwerer zu glauben. Dabei ist es häufig ziemlich dunkel in mir drin und die Welt lastet schwer auf mir. Mit den Jahren bin ich aber gut darin geworden, das Leid umzudrehen und etwas Positives aus dem Abgrund zu fischen.“

»Die Welt ist so viel schwieriger für Leute, die gute Ideen haben, aber introvertiert sind.«

M wie Mut:

„Wenn du etwas willst, dann hol es dir, am besten noch gestern. Sich Dinge zu trauen ist extrem wichtig. Denn wer gewinnt in unserer Gesellschaft? In der Regel Menschen, die sich gut verkaufen. Die Welt ist so viel schwieriger für Leute, die gute Ideen haben, aber introvertiert sind.“

N wie Nebenjobs:

„28 Stück. Zum Beispiel habe ich mal als Haribo-Goldbär bei Rewe gearbeitet. In dem Kostüm wurde es immer so heiß, dass darin ein kleiner Ventilator verbaut war. Ganz schön viel Schweiß für 7,50 Euro pro Stunde.“

»Man muss stumpfem Hass ein Zwinkern zuzusenden.«

O wie Offenbarung:

„Für mich war folgende Taktik eine Offenbarung: sich nicht von Ängsten leiten zu lassen und stumpfem Hass ein Zwinkern zuzusenden. Am Anfang meiner Musikerkarriere nahm ich auch noch die Troll-Kommentare ernst. Mittlerweile streichle ich dem Monster den Kopf.“

P wie Politik:

„Ich habe eine inneren Kompass: eine Haltung, die mir sagt, was gut und was schlecht ist. Leider bin ich nicht mit Eltern großgeworden, die Zeitung lesen und mir das hätten näherbringen können. Dafür versuche ich, mich im realen Leben für andere einzusetzen. Ich finde es wichtig, dass dieser innere Kompass in allem mitschwingt, was man tut. Egal, ob 300 oder 3.000 Follower: Es hören einem immer Menschen zu. Mit jeder Konsumentscheidung und mit der Art, wie ich andere Leute motiviere, ihr Geld auszugeben, setzte ich einen Rahmen für die Welt, in der ich morgen leben möchte.“

»Meine geheime Superkraft: nach einer miesen Niederlage wieder aufzustehen.«

Q wie Qual:

„Ich denke immer, ich bin der totale Freigeist. Aber ehrlich gesagt störe ich mich schon daran, wenn meine Mitbewohner ihre Krümel nicht wegmachen.“

R wie Resilienz:

„Habe ich mit Löffeln gegessen, seitdem ich ein kleines Kind bin: Heute hat es geregnet, aber morgen gibt es einen Regenbogen und die Sonne kommt raus. Das ist vermutlich meine geheime Superkraft: nach einer miesen Niederlage – und davon gab es viele – wieder aufzustehen.“

»Sex ist ein Spiegel davon, wie man das Leben sieht.«

S wie Sex:

„Sex ist ein Spiegel davon, wie man das Leben sieht. Bei mir: hemmungslos und gemäß dem Motto: lieber mal probieren, bevor man was verpasst.“

T wie Tourleben:

„Solange man noch keinen Roadie hat, der einem alles hinterherträgt, ist so eine Tour weniger spaßig, als man sich das vorstellt. Leider bin ich nicht die Art von Künstlerin, die gerne mit ihrem Verstärker und vier Kleidersäcken in der Deutschen Bahn sitzt. Ich hätte schon gerne die großen Bühnen und das Personal, dass diese Aspekte erträglicher macht. Letztes Jahr habe ich 35 Konzerte in ganz Deutschland gespielt. Das Performen war der Hammer, der Rest: was für ein Albtraum!“

»Ich hatte immer weibliche Comicfiguren im Hinterkopf, die fliegen können und das Unmögliche möglich machen.«

U wie ultrahocherhitzt:

„Das ist meine Betriebstemperatur.“

V wie Versuchung:

„Kann ich nie widerstehen – immer machen.“

W wie Wonder Woman:

„An Figuren wie sie habe ich meinen Künstlernamen angelegt. Ich hatte immer weibliche Comicfiguren im Hinterkopf, die fliegen können und das Unmögliche möglich machen. Da hört man das weibliche Vorbild raus. Meine ganz persönlichen Wonder Women, die mich sehr inspiriert haben, sind zum Beispiel Charli XCX, Haim und meine Tante.“

»Insgeheim bin ich ein Luxusgirl. Ich will die Yacht, aber ohne Hemdenträger.«

X wie X-tra:

„Lieber jemand, der brennt und unangenehm auffällt, als ein ewiges Graubrot. Ich mag Menschen, die ein bisschen x-tra sind. Schon mein ganzes Leben lang habe ich ein Bedürfnis nach diesen ungewöhnlichen Charakteren.“

Y wie Yachthafen:

„Insgeheim bin ich ein Luxusgirl, ich stehe auch auf tolle Karren. Aber leider sind die Menschen, die mit diesem Lebensstil einhergehen, sehr unangenehm. Ich will die Yacht, aber ohne Hemdenträger. Das denke ich mir ohnehin oft: Klar hätte ich gerne meine Glasvilla, aber da sollen dann nur coole alternative Kids mit mir rumhängen, die mit mir auf den Tischen tanzen.“

Z wie „Zu viel Gas“:

„In dem Song gibt es diese eine Zeile: Tauch in dich ein federleicht, Blei zieht mich rein, bin am Grund und atme ein. Aber was passiert, wenn man am Grund ist und einatmet? Dann ertrinkt man! Ich stelle mir vor, so tief in jemanden hineinzuschwimmen, dass man weiß: Jetzt bringt einen alles um – sogar das Atmen. Manchmal will man mit jemanden sein, der einen sinnbildlich sterben lässt. Und keine Leute, die zum Lachen in den Keller gehen.“