Interview — Maeckes

»Wenn ich mich selbst preisgebe, öffnen sich andere auch«

Mit seinem »gitarren album« hat Maeckes gerade eine Platte veröffentlicht, die einem sehr schnell sehr eng ans Herz wachsen kann – wenn man sie nur lässt. In 20 liebevollen Tracks erzählt der Rapper, Sänger und Produzent viele kleine und große Geschichten, die uns nicht nur einen tiefen Blick in seine eigene Seele gestatten, sondern uns auch vor die Frage stellen, wie wir uns selbst auf dieser Welt verorten wollen. Ein Interview über das Worst-of des Lebens, ein ultrakapitalistisches Liebeslied und den besonderen Charme von Kleinbuchstaben.

29. April 2024 — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotografie: Frederick Herrmann

Ach, diese Feststelltaste. Im Jahr 1875 von Christopher Sholes als Teil der modernen Tastatur erfunden, hatte sie auf mechanischen Schreibmaschinen noch einen echten Mehrwert. Denn wenn man per Umschalttaste von Klein- auf Großschreibung wechseln wollte, war das immer mit einem gewissen Kraftaufwand verbunden. Die Feststelltaste ließ die schwere Umschalttaste komfortabel einrasten – was für ein Service!

Knapp 150 Jahre später ist das fleißige Helferlein von einst ziemlich in Verruf geraten. Vor allem in den „sozialen“ Netzwerken gilt die Feststelltaste heute als verbales Megafon. Wer seiner Meinung besonderen Nachdruck verleihen will, schaltet kurzerhand auf „Caps Lock“ – und feuert los. Garniert wird dieses lautlose Gebrüll gerne mit etlichen Ausrufe- und Fragezeichen. Was für ein Augenschmaus!

Höchste Zeit also, die Feststelltaste in Rente zu schicken? Zumindest in den letzten Jahren wurde das immer wieder mal gefordert.

Doch während die Fachwelt noch diskutiert, hat Markus Winter alias Maeckes der Feststelltaste gerade ein Sabbatical bewilligt. Auf seinem neuen „gitarren album“, das am 26. April erschienen ist, kommt der 41-jährige Rapper, Sänger und Produzent völlig ohne Großbuchstaben aus – ganz anders übrigens als bei den Alben davor.

Typografisch sieht das „gitarren album“ irgendwie niedlich, leicht und ungefährlich aus. Und auch die Songtitel – „happy heart syndrom“, „der brand nach dem feuerwehrfest“ oder „die parties der eltern als man noch kind war und schon im bett lag“ – suggerieren auf den ersten Blick eher Easy Listening als Existenzialismus. Doch der Schein trügt.

Zwar ist dieses „gitarren album“ mit seinen 20 kleinen und großen Tracks auch wirklich easy anzuhören. Aber gleichzeitig lässt uns Maeckes mit dieser Platte derart tief in seine Seele blicken, dass man manchmal gar nicht weiß, wie man mit diesem Vertrauensvorschuss umgehen soll; und ob er gerade sich selbst meint oder uns, die voyeuristischen Zuhörenden. Etwa im Song „bucketlist“, in dem er etliche Herausforderungen auflistet, die einem das Leben so vor die Füße wirft, ob man nun will oder nicht. Oder in „orangerot“, ein Lied, das sich mit unserer persönlichen Verortung inmitten der Krisen dieser Welt auseinandersetzt, von Klimakatastrophe über Wohlstandsgefälle bis Demokratieermüdung.

Vor vier Jahren durften wir Maeckes schon mal zusammen mit seiner lebhaften Band „Die Orsons“ interviewen, jetzt haben wir ihn erneut zum Gespräch getroffen – ganz entspannt und in einer fast andächtigen Atmosphäre: an einem Freitagnachmittag im Studio des Fotografen und Videokünstlers Frederick Herrmann, der hier in den Stunden zuvor das Musikvideo zu Maeckes’ Song „nichts“ gedreht hat.

»Wenn man aus dem Rap kommt, stellt man viel schneller mal ein Mixtape zusammen, als ein komplettes Album zu konzipieren.«

MYP Magazine:
Maeckes, Dein Song „happy heart syndrom“ startet mit der Zeile „Mir geht es gerade gut“. Wir hoffen, diese Gefühlslage ist noch aktuell.

Maeckes:
Lasst mich kurz überlegen… Ja, doch, es geht mir immer noch gut. Danke der Nachfrage.

MYP Magazine:
Als wir Dich vor vier Jahren zum Interview mit den Orsons getroffen haben, hast Du Folgendes gesagt: „Beim Musikmachen gibt es manchmal Phasen, die so inspiriert sind, dass alles aus einem herausquillt. Dann wiederum erlebt man Phasen, die eher etwas ruhiger und nachdenklicher sind. In diesen Momenten braucht man immer den richtigen Vibe, um weiterzukommen – das ist wie klassisches Rätsellösen.“ In welcher dieser Phasen ist Dein „gitarren album“ entstanden?

Maeckes:
Die Herangehensweise an das neue Album war total frei und gelöst. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich es eher als ein Gitarren-Mixtape betrachtet habe. Wenn man wie ich aus dem Rap kommt, stellt man ja viel schneller mal ein Mixtape zusammen, als ein komplettes Album zu konzipieren und dafür die richtigen Songs zusammenzusuchen. Klar, am Ende ist auch mein „gitarren album“ ein echtes Album geworden, aber längere Kopfgeburten gab es dabei nie. Ich habe immer nur das gemacht, was mir gut von der Hand ging – und das spiegelt sich in den 20 Tracks auf der Platte wider.

»Von all den Liedern, die ich zehn Jahre lang auf der Bühne gespielt habe, ist letztendlich kein einziges auf dem Album gelandet.«

MYP Magazine:
Diese 20 Tracks sind eine Essenz der geheimnisvollen Gitarrenkonzerte, die Du in den letzten zehn Jahren gespielt hast und zu denen es keine Aufzeichnungen gibt. Hattest Du mit diesem Album auch das Ziel, für Dich und Deine Fans einige Erinnerungen aus dieser Zeit zu konservieren?

Maeckes:
Die 20 Tracks sollten eine Essenz aus dieser Zeit sein. Das Lustige ist aber, dass von all den Liedern, die ich zehn Jahre lang auf der Bühne gespielt habe, letztendlich kein einziges auf dem Album gelandet ist. Ganz am Anfang hatte ich noch die Intention, die besten Songs meiner Gitarrenkonzerte auf einer Platte zu verewigen. Aber dabei habe ich gemerkt, dass diese Songs eher für den jeweiligen Moment bestimmt waren, in dem ich sie gespielt habe, und dass sie heute dieser Magie nicht mehr gerecht werden – jedenfalls nicht, wenn ich versuche, sie nachträglich zu recorden. Dazu kommt, dass ich auch immer wieder neue Songideen hatte, die sich irgendwie frischer angefühlt und mehr und mehr durchgesetzt haben gegenüber den mittlerweile zehn Jahre alten Dingern.

»Du wurdest gerade vom Kapitalismus gefickt, hier auf meinem Konzert.«

MYP Magazine:
Aber ist „dein name“ nicht auch ein Song, den Du immer wieder vor Publikum gespielt hast?

Maeckes:
Ja, allerdings ist dieses Lied nicht mal ein Jahr alt. Ich hatte es für die Konzertreihe „Maeckes und das Experiment“ geschrieben, die Ende April 2023 startete.

MYP Magazine:
Bei diesen Shows hast Du die Leute immer wieder aktiv in die Entwicklung Deiner Songs eingebunden. Welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht?

Maeckes:
Die wichtigste Erkenntnis war, dass der Kapitalismus auf meinen Konzerten seine hässlichste Fratze zeigt. Das hätte ich nie gedacht. Mein Ziel war immer, mir mit dem Publikum einen gemeinsamen Spaß zu machen und den Kapitalismus auf den Arm zu nehmen. So jedenfalls ist das Lied „dein name“ angelegt…

MYP Magazine:
… ein Song aus der Reihe „Kapitalistische Liebeslieder“. Die Idee dabei ist: Zahlt jemand aus dem Publikum einen gewissen Betrag, baust Du den Vornamen dieses Menschen in den Text ein – und suggerierst damit, dieses Lied sei ganz allein für ihn geschrieben.

Maeckes:
Genau. Aber was war passiert? Die Leute haben sich gegenseitig überboten! Kaum hatte zum Beispiel eine Svenja zehn Euro gezahlt, zahlte ein Peter zwanzig – und Svenja, die „nur“ einen Zehner gegeben hatte, hörte keine einzige Zeile von mir. Das tat mir wahnsinnig leid. Überhaupt habe ich immer wieder in enttäuschte Gesichter blicken müssen – mit dem Wissen: Du wurdest gerade vom Kapitalismus gefickt, hier auf meinem Konzert. Das war hart, vor allem, weil der Preis manchmal richtig in die Höhe schoss. Bei dieser ganzen Sache habe ich viel gelernt. Wir haben aber auch viel gelacht über den Kapitalismus. Und darum ging es ja auch in erster Linie.

»Einen differenzierten, rationalen Blick darauf, welche Kritik in dem Song verpackt sein könnte, hatten eher wenige.«

MYP Magazine:
„dein name“ funktioniert im Grunde wie ein Werbespot, der einem das Gefühl vermitteln soll, ganz persönlich angesprochen zu sein. Hat Dein Publikum nicht reflektiert, dass auch dieses Lied den versprochenen Individualismus nur vorgaukelt und persifliert?

Maeckes:
Nein, ich hatte eher den Eindruck, dass in den meisten das kapitalistische Feuer entfacht wurde, als sie gecheckt haben, dass sie sich für zwei, vier, zehn oder zwanzig Euro einen scheinbar personalisierten Song schießen können. Einen differenzierten, rationalen Blick darauf, welche Kritik in dem Song verpackt sein könnte, hatten eher wenige.

MYP Magazine:
Es gibt Künstler*innen, die betreiben das Verkaufen pseudo-individueller Songs oder Videos sogar hauptberuflich.

Maeckes:
Frank Zander!

MYP Magazine:
Stimmt, der hat bereits in den Neunzigern TV-Werbung für CDs mit personalisierten Geburtstagswünschen gemacht: „Hallo Ingeborg! Jetzt kommt der absolute Knaller, denn dieses Lied ist nur für dich.“

Maeckes:
Frank Zander ist auf jeden Fall der Original Gangster der Namenssongs.

»Es passiert in meinem Leben nur noch ganz selten, dass ich alkoholtechnisch so richtig der Sonne entgegen reite.«

MYP Magazine:
Als wir uns vor vier Jahren zum Interview mit den Orsons trafen, haben wir auch darüber gesprochen, was es Dir und den anderen bedeutet, gemeinsam Konzerte zu spielen. Was gibt es Dir, solo unterwegs zu sein?

Maeckes: (ohne zu zögern)
Ruhe!

MYP Magazine:
Dann passt die andächtige Stimmung hier in Fredericks Studio gerade ja ganz gut.

Maeckes:
Ja, absolut. Ich freue mich immer wieder, wenn ich der Action des Alltags entfliehen und in etwas total Ruhiges eintauchen kann – so wie heute. Mir reicht es aber auch schon, ganz gechillt in einer anderen Stadt zu sein und dort ein Konzert zu spielen. Und da ich vor allem in den größeren Städten viele Freunde habe, freue ich mich immer, die bei der Gelegenheit mal wieder zu sehen. Es gibt mir viel mehr, nach einem Konzert noch ein paar Stunden mit Leuten, die ich mag, zusammenzusitzen und ausgiebig zu quatschen, als mich wie früher einfach über den Haufen zu trinken. Seit Corona ist das bei mir ohnehin viel ruhiger geworden. Es passiert in meinem Leben nur noch ganz selten, dass ich alkoholtechnisch so richtig der Sonne entgegen reite.

»Ich kam an der Location an und hing mit irgendwelchen Leuten ab, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.«

MYP Magazine:
Hast Du für Deine Solo-Auftritte auch ein eigenes Ritual entwickelt – wie damals bei den Orsons das gemeinsame Schnapstrinken vor dem Gang auf die Bühne?

Maeckes: (lächelt)
Manchmal trinke ich immer noch einen Schnaps vor dem Auftritt, aber dann halt mit den Veranstaltern. Es gab in den letzten Jahren etliche Konzerte, bei denen ich wirklich komplett allein war – ohne Tourmanagement, ohne Crew, ohne gar nichts. Ich kam an der Location an und hing mit irgendwelchen Leuten ab, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. In solchen Momenten ist es schwer, so etwas wie ein Ritual zu entwickeln und auch zu pflegen.

»Ich spüre ich in mir schon so etwas wie die Energie eines politischen Liedermachers.«

MYP Magazine:
Kommen wir zurück zu Deinem „gitarren album“. In unserer Gesellschaft gibt es zum einen das romantisierte Bild des „Jungen mit der Gitarre“, dem alle zu Füßen liegen. Und zum anderen gibt es das des ernsthaften, oft politischen Liedermachers in Gestalt etwa eines Reinhard Mey oder Wolf Biermann. Hast Du dich selbst jemals in einem dieser Bilder wiedergefunden?

Maeckes: (überlegt einen Moment)
Hmm… einerseits habe ich mich nie als einen Gitarristen oder Gitarrenmusiker gesehen. Das sind höchstens Kostüme, die ich mir versucht habe anzuziehen – die aber nie genau gepasst haben.
Andererseits spüre ich in mir schon so etwas wie die Energie eines politischen Liedermachers, die vor allem damals zum Vorschein kam, als ich noch Rap-Shows und keine Gitarrenkonzerte gespielt habe. Es gibt ja auch etliche Orsons-Songs und -Skizzen, die sehr politisch sind und eine wichtige Message haben. Da komme ich also schon irgendwie her… Aber dass ich einfach nur Musik machen möchte, bei der man mir zuschmachten kann, ist eine mindestens genauso große Wahrheit. (lacht)

MYP Magazine:
Dabei kann man Deine Songreihe „der brand nach dem feuerwehrfest“ durchaus als kleine Persiflage auf den musikalischen Stil alternder Gitarrenbarden verstehen.

Maeckes:
Ja, allerdings hat mein Anfang eher was von Rolf Zuckowski.

»Die Bühne war für mich nie ausschließlich für die Musik da.«

MYP Magazine:
Diese fünfteilige Serie wirkt auf dem „gitarren album“ wie eine Geschichte innerhalb der Geschichte. Wäre ein Job am Theater für Dich nicht auch eine Option gewesen?

Maeckes:
Theater war ja nie keine Option. Als ich vor vielen, vielen Jahren angefangen habe, Musik zu machen, war die Bühne für mich nie ausschließlich für die Musik da. Ich habe zwar nie klassisches Theater gespielt, aber bei meinen Auftritten gab es schon immer irgendwelche Mischformen und Performance-Krempel. Und auch mit meinem Orsons-Kollegen Bartek habe ich im Laufe der Jahre immer wieder Stücke geschrieben, die wir vor Publikum performt haben. Das heißt, in irgendeiner Weise komme ich schon aus dieser Welt – nur, dass ich dem Ganzen meine ganz eigene Form gegeben habe.

»So etwas wie eine Bucketlist zu haben, empfand ich schon immer als etwas merkwürdig Dummes.«

MYP Magazine:
Einer der persönlichsten Songs auf Deinem neuen Album ist „bucketlist“. Darin lässt Du uns tief in Dein Innerstes blicken. Wie geht es Dir damit, Dich emotional so nackt zu machen?

Maeckes:
Diesen Song habe ich zum ersten Mal bei „Maeckes und das Experiment“ gespielt. Dabei habe ich gemerkt: Wenn ich mich selbst preisgebe, öffnen sich andere auch. Klar, es ist vielleicht ein bisschen weird, diese Dinge mal so klar auszusprechen, auch weil normalerweise alles, was ich so schreibe, super chiffriert und in Metaphern verstrickt ist. Aber bisher hat es sich richtig angefühlt, das mit den Menschen zu teilen.

MYP Magazine:
Am Anfang des Song erzählst Du uns von den vermeintlichen Highlights Deines Lebens, die Du erfolgreich abgehakt hast. Dann aber gibt es eine Wende hin zu Deiner „Nicht-Bucket List“, in der Du „ganz viel Scheiße“ auflistest, die Du nie erleben wolltest. Wie ist dieses Lied entstanden?

Maeckes:
So etwas wie eine Bucketlist zu haben, empfand ich schon immer als etwas merkwürdig Dummes. Interessant wird das Ganze erst, wenn man mal versucht, die andere Seite der Medaille zu beleuchten: nicht das Best-of des Lebens, sondern das Worst-of. Heutzutage versuchen doch alle, die Idealseite ihres Daseins möglichst attraktiv in Szene zu setzen, vor allem auf Social Media. Das nervt so hart. Daher dachte ich, es passt vielleicht mal ganz gut, einen Song über dieses Thema zu schreiben, der aber einen U-Turn in sich hat. Denn diese Kehrseite gibt es nicht nur in meinem Leben, sondern auch in dem aller anderen Menschen.

»Es hat sich wahnsinnig gut angefühlt, mal die doppelten Böden sein zu lassen.«

MYP Magazine:
Wenn man selbst noch nie einen Baum gepflanzt, ein Auto gekauft, eine Aktie besessen und ein Haus gebaut hat, fühlt man sich mit diesem Lied sehr verstanden – ebenso, wenn man ein paar Jahre nicht mit seinem Vater gesprochen hat, in einer Wohnung ohne funktionierende Heizung lebt oder an einer Depression erkrankt ist. Es tut gut, wenn sich jemand in seiner Musik so nackt macht.

Maeckes:
Das geht mir bei Musik allgemein auch so. Gleichzeitig hat es sich auch wahnsinnig gut angefühlt, das selbst mal so klar auszusprechen und die doppelten Böden sein zu lassen. Und ganz ehrlich: Das war vor allem am Anfang noch eine ziemliche Challenge. Denn es geht ja nicht nur darum, mit dem Song einem anderen Menschen Mut zu machen, indem ich sage: Wenn du denkst, du bist der einzige Depp auf der Welt, schau dir Maeckes an, der ist auch so ein Depp. Ich habe dieses Lied auch einfach nur für mich geschrieben, um mich mal was zu trauen – um mich zu öffnen.

»Meine Stars sollen herumschweben und eine Silhouette sein, auf die ich alles projizieren kann, was ich will.«

MYP Magazine:
Darüber hinaus macht „bucketlist“ deutlich, dass ein Mensch, der im Rampenlicht steht, am Ende die gleichen Sorgen und Probleme hat wie jeder andere auch. Vielleicht hilft das ja all denen, die ihre Musik-, Schauspiel- und Instagram-Stars auf einen Sockel stellen und sich selbst dadurch kleinmachen.

Maeckes:
Ich glaube nicht, dass mein Song das durchbrechen kann – denn auch auf das, was ich da singe, kann man im Endeffekt wieder etwas projizieren. Vielleicht ist es für einen selbst sogar gesund, wenn so ein Künstler, den man gut findet, irgendwo herumschwebt und nicht mehr ist als eine Projektionsfläche. Man will doch nicht wirklich sehen, wie der in seinem Alltag Wäsche wäscht, oder? (lacht)
Ich jedenfalls will das nicht sehen. Meine Stars sollen herumschweben und eine Silhouette sein, auf die ich alles projizieren kann, was ich will. Auf diese Weise kann man mich auch gerne verwenden.

»Man selbst ist zwar nicht derjenige, der die Welt angezündet hat, aber man wärmt sich trotzdem gerne an ihr.«

MYP Magazine:
Ein weiterer Song, der sich im wahrsten Sinne ins Gedächtnis brennt, ist „orangerot“: erstens, weil der Titel Assoziationen an den Film „Blade Runner 2049“ weckt, der nicht nur in dieser Farbwelt gehalten ist, sondern auch in einer dystopischen Zukunft nach der Klimakatastrophe spielt. Und zweitens, weil der Titel die Bilder aus dem Jahr 2020 zurück ins Gedächtnis ruft, als der Himmel über San Francisco infolge der Waldbrände in ein tiefes Orangerot gefärbt war – ein Moment, in dem die Realität mit der Fiktion gleichgezogen ist. Waren solche dystopischen Bilder die Vorlage für Deinen Song?

Maeckes:
Thematisch würde das auf jeden Fall passen. Tatsächlich ist der Song aber schon ein bisschen älter und definitiv vor den Bildern aus San Francisco entstanden, vielleicht sogar schon vor „Blade Runner 2049“. Ursprünglich war der Song mal als Skizze für die Orsons gedacht, die in dem Zusammenhang aber nie weiterentwickelt wurde. Dennoch hat mich die Idee dahinter nie ganz losgelassen: Man selbst ist zwar nicht derjenige, der die Welt angezündet hat, aber man wärmt sich trotzdem gerne an ihr – und nutzt wie selbstverständlich das wütende Feuer als Lichtquelle. Dieses Bild konnte ich nie ganz über Bord werfen. Und da Feuer eh das Hauptthema des ganzen Albums ist, dachte ich, ich lasse es am Ende noch so richtig schön orangerot brennen.

»Das Leben ist eine einzige Verarsche. Aber das ist auch okay.«

MYP Magazine:
Mit Deinem Song „die parties der eltern als man noch kind war und schon im bett lag“ widmest Du dich einem ganz anderen Thema: dem Aufwachsen. Fühlst Du dich vom Leben betrogen, weil sich die romantische Idee, die Du als Kind vom Erwachsensein hattest, am Ende nicht bewahrheitet hat?

Maeckes:
Immer! Das Leben ist eine einzige Verarsche. Aber das ist auch okay, denn es zwingt einen dazu, immer wieder ein Update zu machen. Ich finde, das ist wirklich das Einzige, was man auf seiner Bucketlist haben sollte: ein regelmäßiges Update seiner Perspektive auf das Leben und die Welt.

MYP Magazine:
Das ist oft leichter gesagt als getan.

Maeckes:
Total! Und eines der schwierigsten Updates ist es, wenn man lernen muss, wie Beziehungen funktionieren. Als Kind hält man es für eine eisenharte Wahrheit, dass die Art und Weise, wie die Eltern ihre Beziehung führen, die einzig richtige ist. Aber wenn man dann irgendwann groß und erwachsen ist, muss man mit Erschrecken feststellen: Fuck! Die Eltern haben es genauso wenig gecheckt wie man selbst. Für mich persönlich war das eine der ersten großen Verarschen des Lebens. Wenn man sich in dem Moment kein Riesen-Update verordnet, bleibt man auf der Strecke. Und diese Situation wird es immer und immer wieder geben – „Till The Day I Die“, wie 2Pac gesagt hat.

»Der Stuhl knarzt und die Stimme ist nicht ideal, aber für mich war es der beste Moment.«

MYP Magazine:
Ihr habt heute hier im Studio das Video zu Deinem Song „nichts“ gedreht. Wie schwierig ist es, ein Lied über nichts zu schreiben?

Maeckes:
Überhaupt nicht schwierig! Dieser Song kam ganz locker-flockig zu mir. Ich war letztes Jahr eine Woche lang im Chiemgau, um dort im Studio eines Freundes – Grüße gehen raus an Lukas – super viele Gitarrenlieder aufgenommen habe. Und wenn ich mal nicht aufgenommen habe, hing ich einfach rum, hab‘ mir neue Sachen überlegt oder war draußen in der Natur. Die Idee zu „nichts“ entstand, als ich einen ganzen Tag lang einfach wandern war. Die Melodie des Songs hatte ich bereits im Kopf und als ich dann stundenlang in dieser schönen Landschaft herumgelaufen bin, hatte ich immer wieder mal eine Idee für eine Zeile, die ich dann in mein Handy getippt habe.
Gleich am nächsten Morgen habe ich das Lied dann aufgenommen – in einem einzigen Take. Man hört es ja auch ein bisschen: Der Stuhl knarzt und die Stimme ist nicht ideal, aber für mich war es der beste Moment. Ich saß am offenen Fenster, die Vögel zwitscherten und alles fühlte sich irgendwie richtig an.

»Wie die meisten Leute schaue auch ich mir auf YouTube lieber noch ein Video mehr an, bevor da nichts mehr ist.«

MYP Magazine:
Viele Menschen können gar nicht so gut damit umgehen, wenn um sie herum gerade nichts ist – kein Geräusch, kein Termin, keine anderen Menschen. Wie gehst Du selbst mit so einer Situation um?

Maeckes:
Ich liebe nichts! Ich liebe es, wenn das Papier noch weiß ist, bevor ich darauf schreibe – oder besser gesagt: bevor ich überhaupt eine Ahnung davon habe, was ich schreiben will. Für mich fühlt sich so etwas sehr befreiend an, weil es mir noch alle Möglichkeiten offen lässt. Gleichzeitig merke ich, dass ich immer schlechter darin werde, diese besonderen Momente zu genießen. Wie die meisten Leute schaue auch ich mir auf YouTube lieber noch ein Video mehr an, bevor da nichts mehr ist. Schade eigentlich.

»Jeder Mensch versucht, sich eine kleine Bühne einzurichten, auf der er mit der Welt klarkommt und sich selbst irgendwie akzeptieren kann.«

MYP Magazine:
Im Outro des Albums singst Du: „Ich bin nur sicher auf der Bühne / Ich bin nur sicher nach Applaus / Und bin ich nicht mehr Bühne / Dann gehen die Lichter plötzlich aus“. Fühlst Du dich in der Situation gerade jetzt, abseits der Bühne, sicher oder unsicher?

Maeckes:
Ich bin mitten in einem Interview. Das heißt, ich stehe gerade auf der Bühne.

MYP Magazine:
Hast Du eine Strategie, mit der es Dir gelingt, Dich im Alltag ohne den Applaus fremder Menschen sicherer zu fühlen?

Maeckes: (lächelt)
Der Song ist ein bisschen als Scherz gedacht. Ich will damit klarmachen, dass wir alle diese Bühne haben, nicht nur ich als Musiker. Wir alle haben bestimmte Komfortzonen, in denen wir uns sicher wähnen und wissen: Okay, wenn ich diese Hose anziehe, fühle ich mich halbwegs wohl. Oder aus diesem Blickwinkel finde ich mein Gesicht gar nicht so scheiße.
Jeder Mensch versucht, sich eine kleine Bühne einzurichten, auf der er mit der Welt klarkommt und sich selbst irgendwie akzeptieren kann. Und wenn man diese Bühne verlässt, kann es eben passieren, dass man von den einfachsten Dingen überfordert ist, sich in scheinbar harmlosen Situationen unwohl fühlt oder sich den Kopf zerbricht, weil man glaubt, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.

»Vielleicht ist Applaus nicht das Wichtigste im Leben.«

MYP Magazine:
Du drohst am Ende des Lieds damit, Dich umzubringen, wenn Du keinen Applaus bekommst.

Maeckes: (das Lächeln geht in ein Grinsen über)
Damit sage ich mir selbst, dass ich vielleicht mal einen anderen Umgang damit finden sollte, wenn ich keinen Applaus bekomme. Vielleicht ist Applaus nicht das Wichtigste im Leben. Das habe ich aber noch nicht herausgefunden.

MYP Magazine:
Dabei ist es leider keine Seltenheit, dass Menschen im Showbusiness in ein tiefes Loch fallen, sobald der Vorhang fällt.

Maeckes:
True.

»Ich kann so ein Album nicht im luftleeren Raum schaffen und dann einfach ein goldenes Ei scheißen, das ohne Dialog funktioniert.«

MYP Magazine:
Durch deine Suizid-Drohung ganz am Ende des Albums entlässt Du uns nicht nur mit einem Cliffhanger, sondern auch mit einem ziemlichen Klos im Hals. Immerhin legst Du die Verantwortung für Deine emotionale Erlösung und Dein physisches Überleben in unsere Hände.

Maeckes:
Ich wette, Ihr habt zu Hause applaudiert.

MYP Magazine:
Ja, natürlich. Wir wollten Dich retten. Wie kommen wir als Dein Publikum aus dieser Verantwortung nur wieder heraus?

Maeckes:
Genau darum geht es ja. Ihr als Zuhörer wollt ein Album von mir – ein Album, das Euch ablenkt, in dem Ihr euch aber auch wiederfinden könnt und so weiter und so fort. Aber das funktioniert eben nicht ohne Euch. Das bedeutet, dass Ihr leider auch eine gewisse Verantwortung bei der Sache tragt, ob Ihr wollt oder nicht. Ich kann so ein Album nicht im luftleeren Raum schaffen und dann einfach ein goldenes Ei scheißen, das ohne Dialog funktioniert. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Euch Zuhörer dazu zu bringen, Euch die Frage zu stellen, welche Rolle Ihr selbst bei all dem spielt. Habt ich die Platte nur nebenbei gehört und Euch wie in einer WhatsApp-Gruppe einfach durch den Verlauf gescrollt, ohne selbst etwas zu schreiben? Habt Ihr einfach einen auf stumm gemacht, wolltet aber trotzdem alles lesen?

MYP Magazine:
Jetzt fühlen wir uns ein bisschen ertappt.

Maeckes: (lacht)
Keine Sorge, es gibt ja eine Lösung. Versucht mal, wenn Ihr das Album noch mal hört, die Songs nicht auf mich, sondern auf jedes andere Leben zu beziehen und Euch zu fragen: Wie ist es, persönliche und intime Geschichten preiszugeben? Wie verändert sich das Gefühl, wenn man nicht mehr Kind, sondern erwachsen ist und man vielleicht selbst Kinder hat?

MYP Magazine:
Und wenn man „die Partys, und zwar als Eltern“ feiert.

Maeckes:
Genau. Ich glaube, dass mein Outro da einfach mal den Ball zurückspielt.

»Alle meine Alben bestanden immer nur aus Großbuchstaben, da musste sich mal ändern.«

MYP Magazine:
Eine letzte, aber profane Frage: Warum sind der Albumtitel sowie alle Songtitel kleingeschrieben?

Maeckes:
Weil es ein kleingeschriebenes Album ist. Weil das alles kleine Zeilen sind. Weil mein Gitarrenspiel sehr klein ist. Weil es einfach keine Großbuchstaben verlangt hat. Alle meine Alben bestanden immer nur aus Großbuchstaben, da musste sich mal ändern.

MYP Magazine:
Reicht ja, wenn die Gedanken groß sind.

Maeckes: (lächelt)
Ja, aber es sind auch viele kleine dabei.