Interview — Children

Zum Glück zu zweit

Steffi Frech und Laura Daede haben sich nicht nur als beste Freundinnen gefunden, sondern auch eine gemeinsame Band gegründet: Children. Im Interview erzählen die beiden, wie sie als Künstlerinnen durch die Corona-Monate kommen und wie sich Karriere und Seelenverwandtschaft verbinden lassen.

25. April 2020 — MYP N° 29 »Vakuum« — Interview & Text: Katharina Weiß, Fotos: Frederike van der Straeten

Die Geschichte von Steffi Frech und Laura Daede beginnt im kleinen Örtchen Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Zumindest theoretisch. Denn auch wenn beide dort ihre Kindheit und Jugend verbrachten, hatten sie nie so wahnsinnig viel miteinander zu tun.

Dass aus der Geschichte eine gemeinsame und sogar kreative wurde, dazu brauchte es erst einen Umzug – und zwar nach Berlin. Hier wurden die beiden Frauen zu besten Freundinnen, hier machen sie gemeinsam Musik. Der Name ihrer Band: Children. Ende Januar ist ihre neue Platte „HYPE“ erschienen, auf der die Musikerinnen ein Gefühl von unbesiegbarer Jugend und melancholischer Lebensfreude zelebrieren.

Die Mädels selbst sehen übrigens aus, wie sie klingen: nach einem endlosen Roadtrip, bei dem die Retro-Jeansjacke immer zum Panorama passt – egal, ob man zusammen über einen kalifornischen Highway oder durch die ostdeutsche Pampa heizt. Ein Gespräch über eine kreative Freundschaft, die Beruf und Berufung verbindet und zwei Menschen dazu bringt, die eigenen Grenzen zu überwinden. Auch oder gerade in Zeiten wie diesen.

»Wir sind zum Glück nur zu zweit. Und die Band ist wie Familie.«

Katharina:
Seht Ihr euch während der Isolationszeit? Oder müsst Ihr getrennt auf das Ende der Kontaktbeschränkungen warten?

Laura:
Wir haben vor Beginn der Isolationszeit für unsere Tour geprobt und uns die ganze Zeit gesehen – und sehen uns deshalb auch jetzt. Wir sind ja zum Glück nur zu zweit. Und die Band ist wie Familie. Wir spazieren auf dem Tempelhofer Feld und hängen in unserem Studio in Neukölln ab.

Katharina:
Wie geht Ihr damit um, dass Ihr diesen Sommer nicht wie geplant mit Eurem neuen Album auf Tour gehen könnt?

Laura:
Das ist natürlich total schade, aber wir versuchen jetzt einfach, an die Zukunft zu denken. Wir haben gerade Zeit und Energie für neue Musik und neue Videos, die eh in Planung waren. Das kommt jetzt alles früher als erwartet. Die Termine, die ausgefallen sind, planen wir auf jeden Fall nachzuholen. So haben alle, die die Tour verpasst haben, wieder eine Chance, uns live auf der Bühne zu sehen.

»Dass mich die Krise und die Gefühle in dieser Zeit momentan besonders inspirieren, kann ich nicht sagen.«

Katharina:
Habt Ihr durch die Krise neues kreatives Potenzial entdeckt?

Laura:
Das Potenzial steckt für mich gerade in der zusätzlichen Zeit, die man hat, und darin, sich besser fokussieren zu können. Es laufen nicht hundert Projekte gleichzeitig, sondern alles ist irgendwie on hold. Dass mich die Krise und die Gefühle in dieser Zeit momentan besonders inspirieren, kann ich nicht sagen. Vielleicht kommt das später in der Retrospektive, aber vielleicht auch nicht.

Steffi:
Für mich ist es auch eher nur die Zeit, die mich inspiriert, um Ideen kommen zu lassen. Aber ohne Corona wär‘ trotzdem geiler.

»Die Szene wird das überleben. Sie wird sich zwar verändern und vielleicht auch erneuern, aber totzukriegen ist sie nicht.«

Katharina:
Was habt Ihr in den letzten Wochen über Euch selbst gelernt?

Steffi:
Dass ich zu sehr gehuzzelt bin und dass Pausen ohne Reue auch mal okay sind.

Laura:
Dass ich Parmigiana di Melanzane kochen kann und dass zu viele Zoom-Meetings auch anstrengend sein können.

Katharina:
Was sagt Euer Gefühl: Wird die Berliner Kunst- und Kulturszene den ausgefallenen Sommer überleben?

Laura:
Es wird bestimmt für einige kleine, neue Läden oder Clubs sehr schwierig werden. Ich hoffe einfach sehr, dass es da genug finanziellen Support für all diejenigen gibt, die ihn benötigen. Initiativen wie United We Stream versuchen ja, Unterstützung – auch finanziell – aus der Community selbst zu generieren, um nicht auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Dennoch wird die Szene das überleben. Sie wird sich zwar verändern und vielleicht auch erneuern, aber totzukriegen ist sie nicht.

»Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass sich die Dinge ständig verändern.«

Katharina:
Wie empfindet Ihr grundsätzlich dieses Vakuum, in dem sich gerade die ganze Welt zu befinden scheint?

Steffi:
Ich denke, es wird definitiv etwas verändern, was vorher eh schon im Orbit geschwebt ist. Die Digitalisierung schreitet voran und hält Einzug in unsere Leben wie nie zuvor. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass sich die Dinge ständig verändern. Die Herausforderung wird es dabei sein, in Frieden und im Einklang mit unserem Planeten vieles neu auszuloten: die digitale und analoge Welt zum Beispiel. Oder die Machtverhältnisse auf der Erde. Oder die ewige Frage nach Geld oder Liebe. Das alles ist aber irgendwie auch gar nicht so neu. Ich persönlich sehe gerade die Chance, dass in allen Bereichen – ob Kultur, Politik oder Wirtschaft – noch viel mehr Frauen und andere Gruppen sichtbar werden, deren spezifische Perspektiven und Probleme bisher viel zu wenig gehört wurden. Die Zeit ist mehr als reif.

Laura:
Ich glaube, die Wahrnehmung der Krise hängt sehr von der eigenen Lebenswelt ab. Viele Leute in sogenannten systemrelevanten Berufen fühlen wahrscheinlich gerade kein Vakuum in ihrem Leben, sondern eher Überlastung. In meinem persönlichen Umfeld habe ich das Gefühl, dass dieses Vakuum von Arbeit oder im sozialen Bereich ziemlich schnell aufgefüllt wurde. Die Leute kommunizieren digital und suchen sich einen Sinn oder eine Beschäftigung im Leben, egal, ob sie dafür bezahlt werden oder nicht. Es gibt kein echtes Vakuum – und diese Erkenntnis bietet vielleicht auch die Chance auf neue gesellschaftliche Modelle, etwa das bedingungslose Grundeinkommen. Darüber hinaus finde ich es etwas besorgniserregend, wie die Verunsicherung der Stunde genutzt wurde, um in manchen Bundesländern Bewegungsfreiheit und Bürgerrechte ziemlich massiv einzuschränken. Ich hoffe, dass die Menschen weiterhin die Möglichkeit haben, ihren eigenen Verstand einzusetzen.

»Wenn man aus der Provinz kommt, hat man Respekt vor den Gefahren der Stadt.«

Katharina:
Ihr beide seid im kleinen Neustrelitz aufgewachsen. Wie stark ist Eure Freundschaft davon geprägt, dass Ihr damals recht ähnliche Erfahrungen beim Erwachsenwerden gemacht habt?

Laura:
Sehr. Ich kenne Steffi gefühlt mein ganzes Leben. Und auch wenn wir früher gar nicht so eng befreundet waren, haben wir immer grob mitbekommen, was im Leben der jeweils anderen abging.

Steffi:
Wir haben beide früh Musik gemacht und hatten zum Beispiel unsere eigenen Schülerbands. Ich fand Laura damals schon ziemlich cool. In Neustrelitz war nicht viel los, man musste sich überlegen, wie man die Zeit totschlägt. Und so kamen wir zur Musik.

Laura:
Und dann sind wir beide zum Studium nach Berlin gezogen. Wenn man aus der Provinz kommt, hat man natürlich Respekt vor den Gefahren der Stadt. Aber der Reiz war größer. Für uns beide gab es keine Alternative zu Berlin.

»Wir manifestieren unsere Freundschaft in etwas, das sich andere Menschen anhören können.«

Katharina:
Hat für Euch – durch die Distanz zur Familie – der Begriff Freundschaft eine andere Bedeutung erhalten?

Laura:
Wir haben gelernt, dass man viele Menschen gleichermaßen innig lieben kann, ohne mit ihnen allen verwandt zu sein.

Steffi:
Wir beide haben in Berlin wahnsinnig spannende Freundschaften geschlossen und neue Facetten an diesem Konzept kennengelernt. Laura und ich manifestieren unsere Freundschaft in etwas, das sich andere Menschen anhören können. Da unsere Freundschaft auch einen ungewöhnlichen, nämlich geschäftlich-beruflichen Aspekt hat, müssen wir auch speziellere Entscheidungen miteinander treffen.

»Es wird mir immer wichtiger, eine emotionale Bindung zu den Personen zu haben, die mein Berufsleben prägen.«

Katharina:
Kennt Ihr den Begriff „Work Wife“?

Laura und Steffi schütteln den Kopf.

Katharina:
„Work Wife“ bezieht sich auf eine Kollegin, mit der man eine besondere Beziehung unterhält, die einer eingespielten Ehe gleicht.

Laura:
Ja, dann ist Steffi meine „Work Wife“.

Steffi:
Wir verbringen soviel Zeit mit den Menschen, mit denen wir arbeiten. Deshalb wird es mir immer wichtiger, eine emotionale Bindung zu den Personen zu haben, die mein Berufsleben prägen. Das macht natürlich auch einige Dinge schwieriger. Aber es funktioniert für mich einfach besser, wenn Arbeitsprozesse durch Nähe und Vertrauen begleitet werden. So kann ich auch als Künstlerin viel mehr ich selbst sein.

»Wir können uns gegenseitig eine gute Balance aus Freiraum und Verbundenheit schenken.«

Katharina:
Wie stark sind Eure Leben miteinander verwoben? Wohnt Ihr zum Beispiel auch zusammen?

Laura:
Wir sehen uns fast jeden Tag. Aber zusammen wohnen wäre dann vermutlich der eine Schritt zu viel.

Steffi:
Aber auf Tour lieben wir es, uns ein Zimmer zu teilen. Wir können uns gegenseitig eine gute Balance aus Freiraum und Verbundenheit schenken.

»Wie macht man eigentlich mit Freunden Schluss?«

Katharina:
Welche Entscheidung war bisher die härteste für Eure Freundschaft und die gemeinsame Karriere?

Laura:
Wir haben zusammen mit einem Gitarristen die Band gegründet und mussten in der Entstehung des zweiten Albums dann beschließen, zu zweit weiterzumachen. Nicht nur, weil wir die Texte schreiben und singen. Sondern auch, weil wir unser Gesicht hinhalten, anders dahinterstehen und unsere Perspektive voll einbringen wollen. Das war eine schwierige und schmerzhafte Entscheidung.

Steffi:
Für Freundschaften gibt es kaum Vorbildmodelle, wie eine gute Trennung ablaufen soll. Wie macht man eigentlich mit Freunden Schluss? Diese Frage beschäftigt mich noch immer.

Katharina:
Gibt Euch das Auftreten im Duo eine gewisse Sicherheit? Weil man quasi immer eine Verbündete gegen die Welt im Schlepptau hat?

Laura:
Wir sind Partners in crime und pushen uns gegenseitig über die eigenen Grenzen. Alleine hätte ich das alles nicht gemacht oder geschafft.

Steffi:
Geht mir genauso. Wir ergänzen uns einfach gut.

»Wenn ich zögerlich werde, dann schubst Du mich zum nächsten Schritt.«

Katharina:
Für welche professionellen Qualitäten schätzt Ihr die jeweils andere?

Laura (zu Steffi):
Wenn ich zögerlich werde, dann schubst Du mich zum nächsten Schritt. Und im kreativen Arbeiten bist Du die Emotionalere von uns beiden. Unsere Musik gewinnt dadurch, dass Du diese gefühlsbetonte Seite von Dir mehr zeigen kannst.

Steffi (zu Laura):
Dafür bringst Du mich in anderen Aspekten nach vorne, etwa wenn ich ins Stocken gerate. Und natürlich bewundere ich, dass Du so viele Instrumente spielst und in der Produktion die Analytischere bist.

Katharina:
Eure Videos zum neuen Album sind sinnlich und gleichzeitig klar. Die Ästhetik erinnert mich an Filme wie „Lady Bird“ von Greta Gerwig oder „Call me by your name“ von Luca Guadagnino. Wenn man einen ähnlich schwärmerischen Tag mit den zwei Frauen verbringen würde, die hinter der Band Children stehen, wie würde dieser aussehen?

Laura:
In einer intimen Bar zu Guilty-Pleasure-Songs tanzen. Ich hätte vielleicht einen Negroni Sbagliato in der Hand.

Steffi:
Ich würde einen Aperol Spritz trinken. Und am nächsten Tag schlafen wir aus und gehen zu einem extravaganten Frühstück und danach ins Studio. Uns all unsere Freundinnen und Freunde wären dabei, die nächste Idee bereits am austüfteln.

Amerkung der Red.: Das Gespräch fand Anfang März 2020 in den Berliner Räumlichkeiten von Grönland Records statt und wurde Mitte April inhaltlich ergänzt.

Children auf Tour 2020:

01.12. Groovestation, Dresden
02.12. Rosenkeller, Jena
10.12. 806qm, Darmstadt
11.12. Uebel & Gefährlich, Hamburg
12.12. Hanse Song Festival, Stade
13.12. Wohnzimmerkonzert, Magdeburg
20.12. Kantine am Berghain, Berlin