Interview — Fatoni

»Im Rap kann Wut als Antrieb sehr hilfreich sein«

Rapper Fatoni ist seit über zwei Dekaden im Geschäft, im deutschen Hip-Hop genießt er so etwas wie Legendenstatus. Wie sein aktuelles Album »Wunderbare Welt« beweist, hat der 38-Jährige immer noch etwas zu sagen: etwa zu den Erfahrungen des Älterwerdens; oder zu den gesellschaftlichen Diskursen unserer Zeit. Damit holt er nicht nur seine treuen Millennial-Fans ab, sondern auch viele aus der Generation Z. Wenige Wochen vor dem Start seiner Deutschland-Tour haben wir den gebürtigen Münchner in Berlin zu einem sehr persönlichen Gespräch getroffen: ein Interview über den Bruch mit alten Idealen, junge Leute, die alles nur noch cringe finden, und die begrenzte Macht von Musik gegenüber rechten Parolen.

12. Oktober 2023 — Interview & Text: Anna Kasparyan, Fotografie: Steven Lüdtke

»Es war total wichtig für mich, mit alten Idealen zu brechen.«

MYP Magazine:
Fatoni, deine aktuelle Platte besticht wieder mit etlichen Artist-Features, darunter etwa Tristan Brusch, MOLA, Danger Dan, Deichkind oder Max Herre. Wie wählst du aus?

Fatoni:
Dass ich die Leute cool finde, ist natürlich die Voraussetzung! Deichkind und Max Herre zum Beispiel haben mich in meiner Jugend stark beeinflusst, auch wenn ihre Musik eine ganz unterschiedliche ist. So sind die Features auf meinen Alben auch immer ein persönliches Statement.

MYP Magazine:
Auf vergangenen Platten hast du Max Herre noch gedisst…

Fatoni:
Max Herre ist ein Jugendidol von mir. Ich war sehr lange Fan von ihm, hatte dann aber eine kurze Phase, in der ich seine neuen Sachen doof fand. Es war in diesem Lebensabschnitt total wichtig für mich, mit alten Idealen zu brechen und so einen Held auch mal zu demontieren. Das ist aber lange her, mittlerweile entdecke ich wieder viele Motive aus meiner Jugend. Dass Max Herre und Deichkind auf der Platte sind, ist also Absicht. Obwohl ich schon lange kein Teenager mehr bin, ist das Album so etwas wie eine Coming-of-age-Platte.

»Wenn man als junger Rapper Leute disst, hat das viel mit einem selbst zu tun.«

MYP Magazine:
Wie konntest du deinen Frieden mit früheren Phasen schließen?

Fatoni:
Wenn man als junger Rapper Leute disst, hat das viel mit einem selbst zu tun. Nicht, dass man sie inhaltlich wack (Anm. d. Red.: umgangssprachlicher und vor allem im Hip-Hop geläufiger Begriff für blöd, lahm, schlecht) finden würde. Man ist eher frustriert, dass man es mit der eigenen Musik nicht zu so einem Erfolg schafft. Das führt zu Unzufriedenheit, die aber auch eine Motivation sein kann. Im Rap kann Wut als Antrieb sehr hilfreich sein.

»Vielleicht würde auch ich heute auch in eine Casting-Show gehen – allein fürs Geld!«

MYP Magazine:
Du rappst auch: „Wär doch schlimm, wenn ich nicht so geworden wäre, wie ich niemals werden wollte.“ Woran merkst du, dass sich deine Haltung zu Themen über die Jahre verändert hat?

Fatoni:
Vor zehn Jahren einen Witz über Max Herre zu machen, weil er als Juror in einer Casting-Show war, empfand ich damals als passend. Aus heutiger Sicht wirkt das vielleicht etwas hängengeblieben. Ich finde meinen Fokus von damals eher komisch. Vielleicht bin ich jetzt aber auch eher in einer Position wie Max Herre damals. Und vielleicht würde auch ich heute auch in eine Casting-Show gehen – allein fürs Geld! Es ist auch easy, über solche Jobs zu witzeln, wenn man 28 ist und denkt: Dieses Angebot wird für einen selbst niemals kommen. Es ist in der eigenen Realität gar nicht vorhanden. Wenn ich ehrlich bin, war ich eigentlich nur unzufrieden mit meiner eigenen Karriere.

»Früher hatte ich immer Schiss, mir einen Korb abzuholen.«

MYP Magazine:
Denkst du gerade über neue Kollaborationen nach?

Fatoni:
Sophie Hunger wäre ein Traumfeature. Auch im Deutschrap gibt es gerade tolle junge Künstlerinnen, aber ich sehe aktuell nicht, was man da zusammen machen könnte. Trotzdem bin ich zum Beispiel ein Fan von Paula Hartmann und Nina Chuba. Und dann habe ich vor kurzem DJ Koze auf Instagram geschrieben. Früher hatte ich immer Schiss, mir einen Korb abzuholen. Mittlerweile ist mir das egal. Es tut zwar weh, aber ich denke mir: Ich bin 38 Jahre alt – warum sollte ich rumeiern? Er hat auch zurückgeschrieben und gesagt, dass er sich gerade um sein Album kümmern muss, aber wir danach was starten können.

»Es ist immer eine Frage von Erfolg und finanziellen Möglichkeiten, ob man seine Visionen umsetzen kann oder nicht.«

MYP Magazine:
Hast du jemals Angst, deine Kreativität zu verlieren?

Fatoni:
Ja, schon manchmal. Auch, weil es immer eine Frage von Erfolg und finanziellen Möglichkeiten ist, ob man seine Visionen umsetzen kann oder nicht. Es ist unmöglich, alles allein zu machen, und ich kann bereits jetzt nicht alles umsetzen, worauf ich Bock habe. Vielleicht auch, weil ich nicht den Elan oder den Wahnsinn habe. So wie die Künstlerin Mine, mit ihren krassen Shows und dem Riesenorchester. Was Mine auf die Beine stellt, ist einzigartig und sehr beeindruckend. Viele Projekte sind nur möglich, wenn man wahnsinnig erfolgreich ist – oder nicht abhängig ist vom freien Markt. Etwa, weil man staatlich subventioniert wird für die Shows.

»Wenn ich auf der Bühne vor den Leuten stehe, trägt mich das am meisten.«

MYP Magazine:
Was treibt dich voran?

Fatoni:
Was ich neben dem Rappen und der Musik am spannendsten finde, ist das Unvorhergesehene: das, was bei den Shows auf der Bühne dazwischen passiert oder davor. Ebenfalls spannend finde ich es, mit den Leuten zu kommunizieren. Ich rede darüber eher selten und es fällt mir auch jetzt schwer, das in Worte zu fassen. Ich denke, dass ich vor allem Leute unterhalten kann. Wenn ich auf der Bühne vor den Leuten stehe, trägt mich das am meisten – da bin ich in the zone.

»Ich dachte lange nicht, dass die Sache mit der Musik funktionieren würde.«

MYP Magazine:
In deinen Texten thematisiert du oft deine Münchener Herkunft, die herausfordernde Schulzeit oder die Entscheidung, dich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Wenn du heute einen Blick zurückwirfst: Kannst du Lebensentscheidungen skizzieren, die du für unabdingbar hältst – weil sie dich an den Punkt gebracht haben, an dem du jetzt bist?

Fatoni:
Diese Entscheidung habe ich nie wirklich bewusst gefällt. Ich hab’s einfach gemacht. Ich dachte lange nicht, dass die Sache mit der Musik funktionieren würde. Genauso wie ich nie gedacht hätte, dass ich jemals die Position in der Musikwelt erreiche, in der ich heute bin. Aber jetzt will ich natürlich mehr. Ich hatte in den Anfangsjahren mehrere Jobs, die fast schon Berufe waren. Dass ich diese nicht weiter verfolgt habe, lag aber nie daran, dass ich darauf gesetzt habe, dass das mit der Musik letztendlich besser klappen würde. Ich habe es einfach gehasst, diese Berufe auszuüben – ich hatte also keine andere Wahl.

»Damals dachte ich: Das Theater ist jetzt mein Lebensentwurf, das wird meine Karriere.«

MYP Magazine:
Hast du dafür ein Beispiel?

Fatoni:
Nach der Schauspielschule bin ich am Theater gelandet. Damals dachte ich: Das ist jetzt mein Lebensentwurf, das wird meine Karriere. Eigentlich ein Traumberuf, aber ich fand’s wirklich schlimm. Ich hatte fast ein Burn-out und bekam krasse psychosomatische Beschwerden, Bauch- und Kopfschmerzen. Und das über Monate! Es ging einfach nicht mehr. Ich konnte da nicht mehr bleiben, ich hab’s so sehr gehasst. Es ist zwar nicht so, dass ich das Theater an sich hasse, aber die Umstände waren für mich falsch. Fest an ein Theater werde ich wohl nie wieder gehen. Ich hatte sogar kurz überlegt, wieder zu kellnern. Die Gastro fand ich von all den Nebenjobs eigentlich am coolsten – weil man mit normalen Menschen spricht und meiner Erfahrung nach auch weniger Intrigen oder irgendwelche Spielchen aushalten muss.

»Manchmal frage ich mich, ob diese Sphäre des Angekommenseins überhaupt existiert.«

MYP Magazine:
Wie identitätsstiftend ist es jetzt, auf der Musikbühne zu stehen?

Fatoni:
Es ist immer Teil der Identität, wenn du etwas machst, das du machen willst – und du auch noch Erfolg damit hast. Aber ich wüsste nicht, wie es wäre, wenn’s nicht so wäre. Und privat bin ich natürlich auch nicht immer der Performer. Ich glaube, was sich durch meine Texte zieht, weil ich oft darüber rede, ist das Ankommen. Oder besser: das Gefühl zu haben, noch nicht angekommen zu sein. Manchmal frage ich mich, ob diese Sphäre des Angekommenseins überhaupt existiert.

MYP Magazine:
Alter scheint für dich eine wichtige Rolle zu spielen. Wieso?

Fatoni:
Ehrlich gesagt denke ich darüber viel zu viel nach. Es gab mal eine sehr coole Kritik in der Wochenzeitung „der Freitag“, in der eine tolle Journalistin darüber schrieb, dass es nerve, dass ich immer übers Älterwerden rappen würde. Tatsächlich hat sie dann im Artikel diverse Songs aufgezählt, in denen ich das thematisiere. Das hat mir gezeigt, dass ich beim nächsten Album nicht mehr so lächerlich viel darüber schreiben sollte. Andererseits kann mich wahrscheinlich nie komplett davon freimachen, da ich ja tatsächlich ständig älter werde. Und in diesem Prozess wird es immer wieder neue 20-jährige Rap-Stars geben. Dabei muss man selbst schauen, ob man den neuen Trends standhält und bleiben kann.

»Ich habe das Gefühl, die junge Generation ist sehr von der Coolness-Frage vereinnahmt.«

MYP Magazine:
Wie blicken die jüngeren Kolleg*innen dann auf dich?

Fatoni:
Neulich hat mir ein jüngerer Künstler gesagt, der früher oder vielleicht auch heute noch Fatoni-Fan ist: „Ich fühle deine Texte so hart. Du bist zwar mega cringe, aber halt auch mega cool.“ Ich habe das Gefühl, die junge Generation ist sehr von der Coolness-Frage vereinnahmt. Es geht oft darum, sich dadurch abzugrenzen, alles und sich gegenseitig cringe zu finden. Und cringe ist ja auch gleichzeitig cool, aber irgendwie ist auch nichts cool, da habe ich etwas den Anschluss verloren. Ich denke mir lieber: Ist doch egal. Wenn sie nach zehn Jahren auf ihre Fotos blicken, sollen sie sagen: „Das war ‘ne geile Zeit, aber Vokuhila ist schon mega cringe.“

»Ich glaube aber nicht, dass ich mit meinem Text einen Klimaleugner oder eine AfD-Wählerin umdrehen kann.«

MYP Magazine:
Wir leben aktuell in unruhigen Zeiten: Multiple Krisen folgen aufeinander, der Populismus erstarkt in Europa – auch in deinen Songs spielen Systemkritik und Gesellschaftssatire immer eine große Rolle. Was macht dir Mut?

Fatoni:
Boah! Ich traue mich gar nicht, darauf zu antworten. Die meisten Künstler*innen – und dazu zähle ich mich auch – haben keine Lösungen. Ich kann Probleme nur komprimieren und thematisieren. Daher habe ich viel mehr Respekt vor Leuten, die Realpolitik machen. Das sehe ich nicht für mich, was für ein krasser Kampf! Was kann man mit Musik schon bewirken? Es kann höchstens einer gewissen gesellschaftlichen Bubble das Gefühl geben, dass man nicht allein ist. Jede*r kennt das Gefühl, wenn Künstler*innen genau das ansprechen, was uns individuell wichtig ist. Ich glaube aber nicht, dass ich mit meinem Text einen Klimaleugner oder eine AfD-Wählerin umdrehen kann. Ich bringe die nicht mal ansatzweise zum Denken. Die würden meine Songs auch direkt wieder ausmachen – so wie ich die Mucke von Rechten nicht hören würde.

»Du siehst dir ein kapitalismuskritisches Theaterstück an. Aber dann bestellst du in der Nacht noch schnell auf Amazon.«

MYP Magazine:
Was gibt dir persönlich Mut?

Fatoni:
Eigentlich gar nichts, ich verdränge eher. Vor allem die Klimakatastrophe, aber auch die neuesten AfD-Umfragewerte. Da habe ich zum ersten Mal seit 2016 gedacht: Krass, ich sehe es zwar immer noch nicht, dass die AfD die Regierung stellt. Aber in Italien zum Beispiel gibt es mittlerweile schon eine rechte Regierung, das ist dort pure Realität und sehr beunruhigend. Kultur kann dem im Allgemeinen wenig entgegenstellen, sie ist zu weiten Teilen Unterhaltung. Du hörst Musik, die dich angesprochen hat, und siehst dir dann ein kapitalismuskritisches Theaterstück an. Aber dann bestellst du in der Nacht noch schnell auf Amazon. So ist das eben.