Portrait — Cuco

»Meine Generation macht verletzlichere Kunst«

Seine Songs werden millionenfach gestreamt, er selbst bleibt aber ein verträumtes Mysterium: Wir haben den kalifornischen Singer-Songwriter und Produzenten Cuco zum Minigolf getroffen und dabei ein bisschen über seine Musik und das Leben geplaudert. Ein Gespräch über elterliche Sorgen, die Vorzüge des Alleinseins und das seltsame Gefühl, nicht viel zu sagen zu haben.

1. August 2022 — Text: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Frederike van der Straeten

Er ist ein Sprachrohr seiner Generation, das offensichtlich nicht gerne spricht: Der Singer-Songwriter und Producer Cuco, der mit bürgerlichem Namen Omar Banos heißt und momentan vor allem bei den US-Teens äußerst beliebt ist, verleiht dem Begriff Schlafzimmer-Produzent eine ganz neue Bedeutung – denn der Sound des 24-Jährigen wirkt verspielt bis verträumt, seine verästelten Lyrics gleichen LSD-Trips oder zumindest ausgedehnten Gedanken-Spaziergängen. Und auch Cuco selbst macht eher einen besinnlichen, vielleicht sogar bedröppelten Eindruck. Das jedenfalls könnte man meinen, wenn man das eine oder andere Interview mit ihm gesehen hat – etwa das, wo er auf dem diesjährigen Coachella-Festival von einem menschlichen Gecko befragt wurde.

Doch der Eindruck täuscht. Cuco wirkt überaus wach und ist zudem höflich, entspannt und reflektiert. So jedenfalls nehmen wir den jungen Mann war, als wir ihn im Juli zum Minigolf im Berliner Volkspark Hasenheide treffen. Einen Sinn fürs Optische scheint er auch zu haben: Passend zu seinem senffarbenen 90er-Jahre-Outfit hat er sich gleich einen gelben Golfball geschnappt, mit dem er seine Partie spielen wird.

»Meine Eltern hatten Angst, dass ich niemals Geld verdienen würde.«

Dass der Selfmade-Musiker ein Star mit über einer Million Follower:innen auf Instagram ist, merkt man ihm auf sympathischste Weise gar nicht an (Memo an uns und den Rest der Welt: Vielleicht ist das sowieso auch völlig egal). Was man dagegen deutlich merkt: Cuco wirkt eigentümlich alterslos und vielleicht ein bisschen müde. Wer kann es ihm verübeln: Gestern noch Konzert in Atlanta, heute Promo-Tag in Berlin, morgen geht es weiter nach London.

Ein wilder Ritt für den Sohn mexikanischer Einwanderer, der im Städtchen Hawthorne im Süden von Los Angeles aufgewachsen ist. „Für meine Eltern war es schwer vorstellbar, dass das einzige Kind ausgerechnet Musiker werden will. Gerade in meiner Sparte gibt es kaum mexikanische Künstler. Sie hatten Angst, dass ich damit niemals Geld verdienen würde.“ Doch als Cuco seine Eltern zu seiner ersten ausverkauften Show einlud, änderten sie ihre Meinung – auch wenn die damalige Publikumsgröße mit 350 Personen aus heutiger Sicht eher überschaubar war.

Auch wenn der Kalifornier heute seiner Kleinstadt voll und ganz entwachsen ist und gefühlt die ganze Welt bespielt, ist er seinen spanischsprachigen Wurzeln immer treu geblieben: Cuco, der übrigens Trompete, Gitarre, Keyboard, Schlagzeug, Bassgitarre, Mellophon und Waldhorn spielt, schreibt seine Songtexte mal auf Englisch, mal auf Spanisch – je nachdem, „was sich gerade besser anfühlt und zur Vision der Melodie passt.“

»Manchmal fahre ich acht Stunden durchs Land, nur um am Ende allein in einem Airbnb zu sitzen.«

Mit dem Musizieren fing Cuco an, als er etwa acht war, auf der High School spielte er sowohl in der Schulkapelle sowie in einer Jazz-Combo. Nach dem Schulabschluss machte er auf Youtube mit dem Slide-Guitar-Cover des Songs „Sleep Walk“ von Santo & Johnny auf sich aufmerksam und veröffentlichte erste selbst produzierte Songs auf Soundcloud und Bandcamp. Dort veröffentlichte er im Januar 2015 auch seine erste EP mit dem Titel „Heavy Trip“. In dieser Zeit gab er sich auch den Namen Cuco – so hatte ihn seine Mutter als Kind immer genannt.

Nach dem Release zweier Mixtapes in den Jahren 2016 und 2017 fing der junge Mann an, seine Musik auch vor Publikum zu spielen, und trat in diversen Clubs in Kalifornien auf. 2017 erschien auch seine Single „Lo Que Siento“, die Stand heute knapp 235 Millionen Streams auf Spotify zählt – und die einem schon nach den ersten Sekunden mit ihrer träumerischen Melancholie und südkalifornischen Gelassenheit sehr nah ans Herz rückt. Zwei Jahre später warf er sein erstes Studioalbum auf den Markt: In „Para Mi“ ließ er Body-Nova-Elemente mit psychedelischem Indie-Pop verschmelzen. Dann kam die Pandemie.

Wie für die meisten anderen Menschen auf diesem Planeten war diese Zeit auch für Cuco herausfordernd, zumindest für den Künstler-Part seiner Person. Privat jedoch scheint für Omar Banos die Isolation zu den bevorzugten Aggregatzuständen zu gehören. „Ich bin keiner, der viele verrückte Sachen macht. Wenn ich zuhause bin, schaue ich einfach nur TV“, sagt er und schlägt mit seinem Minigolfschläger den gelben Ball in das Loch mit der Nummer 13. Ganz ohne Pathos und mit etwas Scham ergänzt er: „Ich mache Dinge gerne allein. Ich lebe allein mit meinem Hund, gehe allein klettern, joggen und skaten, gehe allein zum Strand, ins Kino oder essen. Manchmal mache ich sogar Roadtrips allein und fahre acht Stunden durchs Land, nur um am Ende allein in einem Airbnb zu sitzen.“

»Brauche ich das Alleinsein mehr als andere Menschen?«

Etwas hilfesuchend blickt er zu seinem Manager und guten Freund Verne. Der ist gerade sehr mit Ball und Schläger beschäftigt, denn er spielt zum allerersten Mal in seinem Leben Minigolf. „Brauche ich das Alleinsein mehr als andere Menschen?“, fragt Cuco seinen Begleiter und gibt damit an ihn die Frage der Interviewerin weiter. „Ich denke, du bist einfach besser im Alleinsein“, antwortet Verne, während er seinen Ball im Gras sucht. „Dort hast du Ruhe und Frieden, das trägt dich auch mental von der Musikbranche weg. Ich glaube, das ist wichtig für die geistige Gesundheit.“

Für jemanden, der Routinen schätzt, ist so ein Leben, wie Cuco es gerade führt, ziemlich anstrengend. Jeder Tag ist anders, der Druck des Rampenlichts, ständig neue Gesichter, Pressearbeit und wenig Schlaf. „Es ist hart. Aber ich bin sehr dankbar, dass ich an diesem Punkt bin. Nicht viele Musiker dürfen das erleben. Ich versuche durchzuhalten und mein Bestes zu geben.“ Dieser Vibe verkörpert das Gefühl, in unsicheren Zeiten irgendwie in der Luft zu hängen und gleichzeitig einen ungetrübten Schaffenswillen zu verspüren. Das scheint zu verfangen, nicht bei der Fangemeinde.

»Wir haben einfach beschlossen, das gemeinsam durchzustehen, anstatt einsam zu leiden.«

Cuco, dessen Musik auf die erste Note eher nach Feel-Good-Melange als nach innerer Zerrissenheit klingt, hat viele Kämpfe mit seiner Psyche auszutragen: Nachdem er ein wenig aufgetaut ist, erzählt er von „starker anxiety“, die ihn ebenso plagt wie „schlimme Depressionen“. Ein Tabubruch ist die Thematisierung dieser persönlichen Probleme für Künstler aus seiner Generation nicht mehr: „Wir sprechen alle offen darüber. Warum? Ich denke, wir haben einfach beschlossen, das gemeinsam durchzustehen, anstatt einsam zu leiden. Das Resultat ist, dass viele Menschen nun verletzlichere Kunst machen – und dafür auch akzeptiert oder sogar wertgeschätzt werden.“

Mit seinem aktuellen Album „Fantasy Gateway“, das am 22. Juli erschienen ist, hat Cuco einen ganz eigenen Weg gewählt, um sich der Welt mitzuteilen. „Darin kreiere ich ein Universum, das in einer anderen Dimension existiert“, beschreibt er seinen verschachtelten Gedankenpalast. Die neuen Songs sind experimentell und eingängig zugleich. „Er hat sich aus der Deckung hervorgewagt und neue Stilmittel getestet“, kommentiert Verne, der seine College-Karriere abgebrochen hat, um mit Cuco um die Welt zu reisen. Es wirkt ehrlich, wenn der Freund und Manager sagt: „Ich finde, es ist ein Meisterwerk.“ Um Cuco alias Omar Bano besser zu verstehen, lernt er gerade Spanisch. Dabei bedienen sich neue Songs wie „Artificial Intelligence“ oder „Sweet Associations“ einer Sprache, die das Verbale übersteigt.

»Ich habe das Gefühl, nicht viel zu sagen zu haben.«

Es verwundert kaum, dass Cuco kurz vor Ende des letzten Loches nachdenklich auf seinen Schläger blickt. Eine Minute hat er nun über eine Frage nachgedacht, bis er sagt: „Ich habe das Gefühl, nicht viel zu sagen zu haben.“ Dabei trifft er mit dieser Selbstannahme nicht unbedingt ins Schwarze. Er sagt sehr viel in seiner Musik – textlich, instrumental und kompositorisch. Doch ohne es zu beabsichtigen, behält er sich vor, ein Geheimnis zu bleiben.

Am Ende der Minigolf-Partie steht die Frage im Raum, was man von diesem Spiel über das Leben lernen kann. Schüchtern schmunzelnd zieht Cuco an seiner Zigarette und sagt: „Manchmal hat man Glück – und manchmal nicht.“