Interview — Mavi Phoenix

Songs aus einem neuen Leben

Mit seinem zweiten Studioalbum »Marlon« präsentiert Mavi Phoenix eine Platte, die rotzig ist und verträumt, energiegeladen und melancholisch. Die insgesamt 15 Songs streifen immer wieder die Musikgeschichte der letzten Jahrzehnte, haben nicht selten Ohrwurm-Potenzial und sind inhaltlich das Intimste, was Mavi Phoenix bisher zu erzählen hatte. Ein Gespräch über das ewige Thema Liebe, den großen Falco und das Gefühl, nicht genug zu sein für diese Welt.

1. März 2022 — Interview: Jonas Meyer, Fotografie: Maximilian König

Als Jan Böhmermann am 7. Mai 2021 in seinem „ZDF Magazin Royale“ den musikalischen Gast des Abends ankündigte, folgte für das Publikum das, was es seit Jahren gewohnt ist: gute Musik in den Schlussminuten, mal präsentiert von einem Newcomer, mal von einer nationalen oder internationalen Größe, und in der Regel unterstützt vom Rundfunktanzorchester Ehrenfeld.

Doch für Mavi Phoenix, den Act des Abends, war die Performance seines Songs „Nothing Good“ alles andere als Routine. Nicht, dass er vorher nicht auf einer Bühne gestanden hätte. Ganz im Gegenteil: Der 1995 in Linz geborene Künstler macht seit fast einer Dekade Musik. Und sogar in Böhmermanns Show hatte er bereits gespielt, 2018 war das. Doch da stand Mavi Phoenix auf jener Bühne noch als Frau. Und nun, am Abend des 7. Mai 2021, als Mann.

Es war sein erster öffentlicher Auftritt nach der Transition. Mitte 2020 hatte sich Marlon Nader, wie Mavi Phoenix heute mit bürgerlichem Namen heißt, ins Private zurückgezogen, um sich erstens seiner körperlichen und mentalen Veränderung zu widmen und sich zweitens damit zu beschäftigen, welchen Einfluss diese Transition auf seine Musik haben würde.

Die Songs, die seitdem entstanden sind, hat Mavi Phoenix nun auf einem Album zusammengefasst. Die Platte mit dem Titel „Marlon“ ist eine Kollektion eindrücklicher Tracks, die allesamt von der Gitarre aus entwickelt wurden und sich emotional zwischen rotzig-energiegeladen und melancholisch-verträumt bewegen – und das nicht selten mit Ohrwurm-Potenzial. Das Besondere an den insgesamt 15 Songs ist, dass man darin immer wieder beiläufig auf Stilelemente stößt, die man aus den letzten drei bis vier Jahrzehnten Musikgeschichte kennt. Das löst interessante Erinnerungseffekte aus – zumindest bei jenen Menschen, die diese Zeit bewusst erlebt haben.

Inhaltlich hat sich Mavi Phoenix mit seinem neuen Album ganz und gar den Themen Liebe, Sex und Beziehung verschrieben. Damit öffnet sich der trans Mann in intimer Art und Weise allen, die ihm zuhören – und bereichert gleichzeitig die Musikwelt mit einer Perspektive, bei der es höchste Zeit ist, sie zu erzählen.

MYP Magazine:
Vor knapp zwei Jahren hast Du dich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, um Dich deiner Transition zu widmen und Dich gleichzeitig auch musikalisch zu verändern. Braucht es für so eine „doppelte Transition“ auch einen doppelten Kraftaufwand?

Mavi Phoenix:
In meinem Fall haben es mir die körperlichen und psychischen Veränderungen eher erleichtert, mich auch künstlerisch neu zu erfinden – etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig. Aufgrund der Hormone war meine Stimme plötzlich eine komplett andere und ich musste schauen, wie ich damit umgehe. Musikalisch haben sich dadurch einige Türen verschlossen, aber dafür auch viele neue aufgetan. So gingen am Ende beide Transitionsprozesse Hand in Hand und haben sich sogar gegenseitig befruchtet.

»Einer Frau hat man es wohl nicht zugetraut, dass sie selbst auch Songs schreibt und produziert.«

MYP Magazine:
Hattest Du in dieser Zeit ein konkretes musikalisches Ziel vor Augen, das Du unbedingt erreichen wolltest?

Mavi Phoenix:
Naja, in erster Linie wollte ich der Welt mal zeigen, dass ich ein ernsthafter Musiker bin. Vor meiner Transition sind die Leute nie wirklich darauf eingegangen, dass ich selbst auch Songs schreibe und produziere – das hat man einer Frau wohl nicht zugetraut. Sexismus pur, könnte man sagen. Es musste sich also dringend was ändern. Was ich mir dabei allerdings bewahren wollte, ist die Rotzigkeit meiner Musik. Das gehört einfach zu mir und mag ich immer noch sehr.

MYP Magazine:
Der erste Track, den Du 2021 nach Deiner Transition veröffentlicht hast, ist „Grass And The Sun“. Die Melodie des Songs hat absolutes Ohrwurm-Potenzial. Wie bist Du auf dieses eingängige Gitarrenlick gekommen, das den Song so charakteristisch macht?

Mavi Phoenix:
Zu dem Zeitpunkt, als der Song entstanden ist, war ich alles andere als ein guter Gitarrist. Trotzdem hatte ich immer wieder dieses Instrument in der Hand und wollte ausprobieren, was zu diesem Pad passte, das es bereits gab. So ist am Ende die Melodie entstanden – durch bloßes Herumspielen.

»Bei meiner Musik war es schon immer Fluch und Segen zugleich, dass man sie nicht einordnen kann.«

MYP Magazine:
Wenn man Dein neues Album „Marlon“ durchhört, entdeckt man immer wieder stilistische Elemente aus den letzten drei bis vier Jahrzehnten Musikgeschichte. Mal fühlt man sich an Crowded House oder Cigarettes After Sex erinnert, mal hat man das Gefühl, Du hättest dich von Mura Masa oder Tyler, The Creator inspirieren gelassen. Zusammengenommen erzeugt das eine große musikalische, aber auch emotionale Spannweite. Warum war es Dir wichtig, so viele Elemente aus unterschiedlichen Epochen miteinander zu verknüpfen?

Mavi Phoenix:
Ganz einfach: weil ich es gar nicht anders kann. Bei meiner Musik war es schon immer Fluch und Segen zugleich, dass man sie nicht einordnen kann. Fluch deshalb, weil man bei der Konzeption einer Platte immer das Ziel haben sollte, dass sich die Zusammenstellung der Songs nach einem echten Album anfühlt – und nicht nach einer zerfahrenen Ansammlung von Einzeltracks. Und in Zeiten von Spotify und seinen Algorithmen ist es ohnehin nicht das Schlechteste, wenn man sich als Musiker halbwegs einer bestimmten Richtung zuordnen lässt.
Auf der anderen Seite ist es für mich ein großer Segen, so viele stilistische Elemente miteinander vereinen zu können. Damit entspricht meine Musik eins zu eins meinem Wesen. Dass sich das im Laufe der Jahre so entwickelt hat, liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst ein riesiger Musikfan bin und alles aufsauge, was ich gut finde – und das kann wirklich vieles sein. Mein langjähriger Produzent Alex The Flipper, der auch einer meiner engsten Freunde ist, tickt da ganz genauso. Das neue Album kann man daher als ein Spiegelbild unserer gemeinsamen musikalischen Philosophie begreifen. Und ganz ehrlich: Ich glaube, dass es trotzdem super stimmig geworden ist.

»Mit dem Thema Liebe wollte ich mich musikalisch nie befassen. Aber jetzt auf einmal schreibe ich fast nur noch über Sex!«

MYP Magazine:
Auf dem Album geht es hauptsächlich um die Themen Liebe, Sex und Beziehung. Das ist für Musiker*innen erst mal nichts Neues. Neu ist aber, dass die Songs aus der Perspektive eines heterosexuellen trans Mannes geschrieben sind. Hast Du das Gefühl, dass Du damit einen Schleier lüftest, der über der Musikbranche lag, insbesondere über dem Genre, in dem Du dich bewegst?

Mavi Phoenix:
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass das Thema Liebe eigentlich immer eines war, mit dem ich mich musikalisch nie befassen wollte – weil das so gut wie jeder macht. Aber durch die Transition hat sich in meinem Leben so viel verändert und Themen wie Liebe, Sex oder Beziehung wurden plötzlich so präsent, dass ich den Drang hatte, all das auch in meiner Musik zu verarbeiten. Und das konnte nur gelingen, weil ich mich mittlerweile absolut frei fühle und fein mit mir bin.
Interessanterweise hat mein Produzent Alex früher immer gesagt: „Mavi Phoenix ist komplett asexuell.“ Aber jetzt auf einmal schreibe ich fast nur noch über Sex! Erst durch die Transition konnte ich darüber wirklich frei nachdenken, erst durch die Transition konnte ich diese spezifischen Gefühle überhaupt nachempfinden. Auch wenn diese Thematik uralt ist, hoffe ich, dass sich die Songs trotzdem fresh genug anhören, (lächelt)

»Für mich sind Leute, die sich heute mit 15, 16 Jahren outen, die wirklichen role models.«

MYP Magazine:
In den letzten Jahren haben sich immer mehr queere Künstler*innen im Musikbusiness sichtbar gemacht, national wie international. Menschen wie Lil Nas X oder Tyler, The Creator ist es sogar gelungen, die archaisch geprägte Rapszene aufzubrechen. Würdest Du von Dir sagen, dass Du ebenfalls ein Wegbereiter bist, vielleicht sogar ein Vorbild?

Mavi Phoenix:
Ich merke immer wieder, dass viele meiner Fans und Follower dieselben Themen haben wie ich. Und da ich als Künstler diese Themen in die Öffentlichkeit tragen kann, habe ich auch ein bisschen das Gefühl, ein role model zu sein. Was soll ich auch anderes machen, diese Rolle wurde mir ja geradezu auferlegt. Das war auch vor der Transition schon so: Da galt ich für viele als Wegbereiterin, weil ich ein weiblicher Rapper war. Aber damit habe ich mich überhaupt nicht wohlgehfühlt. In der Rolle, die mir mittlerweile zugeschrieben wird, gehe ich dagegen wesentlich mehr auf. Das ist jetzt tatsächlich mein Thema.
Übrigens: Für mich persönlich sind Leute, die sich heute mit 15, 16 Jahren outen, die wirklichen role models. Ich finde das in dem Alter absolut bemerkenswert. Hätte ich selbst damals schon YouTube oder Instagram gehabt, wäre ich vielleicht viel früher darauf gekommen, dass ich trans bin – und hätte mich schon mit 14 geoutet statt mit 24.

MYP Magazine:
Hast Du Sorge, dass Deine Musik durch dieses Thema in den Hintergrund rückt?

Mavi Phoenix:
Das ist tatsächlich ein schwieriger Spagat für mich. Auf der einen Seite möchte ich öffentlich darüber sprechen, trans zu sein. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch nicht darauf reduziert werden, sondern einfach meine Musik in die Welt tragen. Am Ende hat man es eh selbst in der Hand, wieviel man darüber spricht und postet.

»Ich hatte mein ganzes Leben lang das Gefühl, nicht genug zu sein.«

MYP Magazine:
In Deinem Song „Nothing Good“ gibt es die bemerkenswerte Zeile: „Nothing is ever right with you / nothing is ever good with you”. Was macht es mit einer Person, wenn sie immer wieder das Gefühl hat, mit ihr sei nichts richtig, mit ihr sei nichts gut?

Mavi Phoenix:
Damals, als ich diese Zeilen geschrieben habe, hatte ich eine bestimmte Person vor Augen. Und heute frage ich mich, wie ich es mir überhaupt anmaßen konnte, solche Worte einem anderen Menschen in den Mund zu legen. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich die Passage unterbewusst an mich selbst gerichtet habe, denn ich hatte mein ganzes Leben lang das Gefühl, nicht genug zu sein. Alles fühlte sich so an, als würde es nicht zusammenpassen. Und, als müsse ich dringend irgendetwas tun, um glücklich zu werden.

MYP Magazine:
Auch bei den anderen Songtexten weiß man nie so richtig, ob Du gerade Dich selbst, die Zuhörer*innen oder eine dritte Person meinst. Was reizt Dich so an diesem feinen Spiel mit Sprache?

Mavi Phoenix:
Ich würde das gar nicht als Spiel bezeichnen. Wenn ich heute einen Songtext schreibe, weiß ich eigentlich nie, wen ich da gerade im Kopf habe. Zwar ist das neue Album inhaltlich sehr nah an mir dran – vielleicht sogar näher, als viele vermuten – und verfügt über eine klare, direkte Sprache. Aber gleichzeitig stellt sich beim Hören auch dieses Gefühl ein, dass man nie wirklich weiß, wer gerade gemeint ist. Diesen Effekt mag ich sehr.

»Mit Falco fühle ich mich auf eine seltsame Art verbunden.«

MYP Magazine:
Apropos Songtext: In „So happy I’m useless“ gibt es die Zeile „Everything right / Mister Kommissar“. Man kann gar nicht anders, als diese Stelle als einen kleinen Gruß an den legendären Falco zu verstehen. Welchen Bezug hast Du zu dem 1998 verstorbenen Künstler, der bis heute als einer der kreativsten und erfolgreichsten deutschsprachigen Musiker gilt?

Mavi Phoenix:
Mit Falco fühle ich mich auf eine seltsame Art verbunden – wahrscheinlich, weil auch er ein sehr unsicherer Mensch war und vieles von dem zu kaschieren versucht hat, was wirklich in ihm vorgegangen ist. Ich vermute, dass Johann Hölzel, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, immer das Gefühl hatte, selbst nicht gut genug zu sein. Nicht auszureichen. Nicht prickelnd oder cool zu wirken. Und so hat er mit Falco eine Kunstfigur erschaffen, die all das vermochte. Davon abgesehen ist es für uns Österreicher ohnehin crazy, weil Falco bis heute der Einzige ist, der weltweit was gerissen hat.

»Das einzig Wichtige ist, dass ich hungrig bleibe.«

MYP Magazine:
Neben Falco scheinen auch River Phoenix und Drake eine besondere Bedeutung für Dich zu haben.

Mavi Phoenix:
Absolut! River Phoenix hat mich zu meinem Künstlernamen inspiriert. Er war einfach ein cooler Typ, das hat mir imponiert. Ich wünschte, ich selbst wäre so cool. Auf ihn gestoßen bin ich durch meinen Vater, der immer viel von ihm erzählt hat. Leider ist River Phoenix sehr jung verstorben, eine wirklich tragische Geschichte. Aber mit „Stand By Me“ hat er sich eh unsterblich gemacht.
Und was Drake angeht, ist er wahrscheinlich der Künstler, dessen Musik ich in den letzten zehn Jahren am meisten gehört habe. Mittlerweile habe ich zwar ein paar Hemmungen, das zuzugeben, weil er als Person ein wenig cringy geworden ist, aber seine Songs mag ich nach wie vor sehr.

MYP Magazine:
Blicken wir in Deine musikalische Zukunft: Was kommt nach „Marlon“?

Mavi Phoenix:
Dieses Album habe ich weitgehend von der Gitarre aus entwickelt, das war nach dem letzten Album absolut neu für mich. Aber jetzt habe ich voll Lust, wieder etwas komplett anderes zu machen. Ich würde gerne noch Etliches ausprobieren, von dem ich aktuell denke, darin nicht so gut zu sein. Und ich möchte auf jeden Fall mehr rappen. Mal sehen. Das einzig Wichtige ist, dass ich hungrig bleibe und weiter Bock habe, Musik zu machen. Dann kommt am Ende eh irgendwas dabei heraus.

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