Interview — Elisa Valerie

»Ich habe ein großes Problem mit Kontrollverlust«

Elisa Valerie kam nach Berlin, um die Popwelt zu erobern. Doch während der Corona-Pandemie eroberte die Singer-Songwriterin erst mal Social Media: Als digitale Entertainerin mit feministischem Unterton folgen über 100.000 TikTok-Follower:innen ihren Postings über misslungene Tinder-Romanzen und mentale Gesundheit. Ein Gespräch über konservative Männer, gestörte Körperbilder und ihre bald erscheinende Debüt-EP mit dem Titel »Spaß und Probleme«.

20. Juli 2022 — Interview: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Frederike van der Straeten

Das Licht ist abgedunkelt. Ein paar Kerzen brennen, ein Sektglas steht herum. Eine Blondine räkelt sich auf dem Laken – und singt über eine sich anbahnende, erotische Begegnung. Auf den ersten Blick wirkt das etwas austauschbar, das Denglisch in manchen Textteilen etwas zu gewollt. Doch wer aufmerksam hinhört, merkt: Irgendwie ist da doch mehr.

In erfrischend frechen Lyrics, die auch mal darauf verweisen, dass der eigene Therapeut nichts von den nächtlichen Abenteuern erfahren wird, thematisiert „Baby“ selbstbestimmten Sex. Die Künstlerin Elisa Valerie hat Spaß damit, eine weibliche Perspektive zu präsentieren, die selbstbewusst und aufgeklärt ist. Besonders wichtig ist dabei auch der Humor der 25-Jährigen, der ihr auf TikTok über 100.000 Follower:innen beschert hat.

Elisa Valerie ist Sängerin und Songwriterin, aber auch Tänzerin, Online-Persönlichkeit und digitale Entertainerin. Oder allgemeiner gesagt: immer das, wonach ihr gerade ist. Seit drei Jahren wohnt sie in Berlin, in ihren Songs geht es oft um modernes Dating und mentale Gesundheit. Passend dazu trägt ihre Debüt-EP, die am 19. August erscheint, den Titel „Spaß und Probleme“. Letztere bespricht sie eingehend bei ihrer Psychotherapie. Nach den Praxis-Stunden entspannt Elisa Valerie gerne in ihrem Lieblingscafé, dem Greenfinch im Bezirk Prenzlauer Berg. Dort treffen wir sie zum ausführlichen Interview.

»Mich nervt dieses Narrativ, dass sich Frauen immer viel schneller verlieben als Männer.«

MYP Magazine:
Hast Du schon mal ein Date hierhergebracht?

Elisa Valerie:
Ein Date nicht, nein.

MYP Magazine:
Warum hast Du für Deinen allerersten Release mit „Baby“ einen Song über unverbindlichen Sex gewählt?

Elisa Valerie:
Mich nervt dieses vorherrschende Narrativ, dass sich Frauen immer viel schneller verlieben als Männer. Dieses Stereotyp eines Kerls, der sagt: „Mach mal ganz ruhig, Mäuschen, das hier ist nur zum Spaß“, finde ich nicht mehr zeitgemäß. Ob man nach Spaß oder Liebe sucht, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.

»In meiner Berliner Künstler-Blase leben und lieben die Leute in ganz verschiedenen, sehr progressiven Modellen.«

MYP Magazine:
Du hast einen kleinen TikTok-Rap über folgende Situation gemacht: Es ist 1:30 Uhr nachts, er schreibt: „Kommst du noch rum?“ Deine Antwort: „Obwohl ich ihn kaum mag / komm‘ ich rum, wenn er mich fragt“. Deine Zeilen gehen an „alle, die auch nicht immer stark sind“. Denn für ihn gab’s ein erotisches Happy End – und für Dich mal wieder nicht. Wie ist das Dating mit Mitte 20 in Berlin?

Elisa Valerie:
Aufregend. Anders als in der Hamburger Vorstadt, aus der ich komme. In Berlin sind die Menschen sehr edgy und woke. Und sehr experimentell. Das finde ich schön. Hamburg ist dagegen sehr konservativ. Und die Menschen, die ich dort gedatet habe, sind eher traditioneller. Darüber hinaus befinde ich mich hier in Berlin in einer Künstler-Blase. Da leben und lieben die Leute in ganz verschiedenen, sehr progressiven Modellen.

MYP Magazine:
Hat Dich das zu dem Song „Platz für 2“ inspiriert, der sich mit Polyamorie beschäftigt – also einer Beziehungsform, in der man mit mehreren Menschen gleichzeitig körperlich und emotional zusammen ist?

Elisa Valerie:
In meinem Bekanntenkreis gibt es ganz viele offene und polyamore Beziehungen. Damit bin ich nicht aufgewachsen, deshalb finde ich das total spannend. Und ich kenne das Gefühl, dass man in mehr als nur einen Menschen verliebt sein kann.

»Ich finde es super, wenn ein Mann bereits eine Therapie gemacht hat.«

MYP Magazine:
Welche Anforderungen hast Du persönlich an einen Partner?

Elisa Valerie:
Ich finde es super, wenn ein Mann bereits eine Therapie gemacht hat. Außerdem ist mir eine gewisse Offenheit gegenüber vielen Themen wichtig. Darüber hinaus wäre eine feministische Haltung schön – soll heißen: wenn er mich selbst und Frauen generell nicht in eine fixierte Rolle stecken will.

MYP Magazine:
Wurdest Du während eines Dates schon mal auf Deine TikTok-Statements angesprochen?

Elisa Valerie:
Nein, das wäre bestimmt awkward. Wenn ich die Social-Media-Präsenz eines Dates bereits kennen würde, würde ich ihn beim ersten Treffen auch nicht darauf ansprechen.

»Als Teenager habe ich immer Problemlagen identifiziert, die ich mit meinen Freundinnen nicht besprechen konnte.«

MYP Magazine:
Deinen TikTok-Kanal hast Du im ersten Lockdown gestartet. Wie kam es überhaupt dazu?

Elisa Valerie:
Das passierte tatsächlich aus Langeweile. Ich hatte Corona – und zwar ganz zu Beginn der Pandemie. Meine Mitbewohnerin und ich haben uns zwei Wochen in der Wohnung eingesperrt. Und da ich als Musikerin keinen Homeoffice-fähigen Job habe, wurde Social Media zu meiner Hauptbeschäftigung.

MYP Magazine:
Wusstest Du bereits davor, dass Du lustig bist?

Elisa Valerie (kichert leise):
Ja, das wurde mir mal gesagt. Ich bin ein selbstironischer Mensch. Allerdings sehe ich mich nicht als Kabarettistin.

MYP Magazine:
Auf TikTok hast Du ein sehr junges Publikum. Wie warst Du selbst als Teenager?

Elisa Valerie:
Einerseits war ich sehr unproblematisch. Ich war in vielen Sportvereinen und habe immer schnell Anschluss gefunden. Andererseits war ich schon extrem früh in Therapie und daher mental vielleicht schon etwas reifer als andere. Ich habe immer Problemlagen identifiziert, die ich mit meinen Freundinnen nicht besprechen konnte – die konnten das zum Glück gar nicht nachvollziehen und wussten auch nicht, was ich gerade durchmache. Dadurch habe ich mich oft unverstanden gefühlt und mit älteren Menschen darüber gesprochen. Oder ich habe mich meiner Familie anvertraut.

»Kinder finden immer etwas, für das sie dich fertigmachen können.«

MYP Magazine:
Gibt es spezielle Themen, die Du oft mit deinem Therapeuten besprichst?

Elisa Valerie:
Ich habe Angstzustände. Wie mich das in meinem Alltag beeinflusst, ist mir wichtig zu besprechen. Ebenso wie Berufliches, ich bin ja noch nicht lange hauptberuflich Musikerin. Dadurch haben sich meine Strukturen stark verändert, das kann Panikattacken auslösen.

MYP Magazine:
Welche Konflikte aus der Kindheit und Jugend hast Du in dein Erwachsenenleben mitgenommen?

Elisa Valerie:
Mir fällt spontan vor allem einen Konflikt ein, den ich nicht mitgenommen habe: Ich habe es geschafft, mein eigenes Bodyshaming abzulegen – früher habe ich wirklich viel an meinem Körper rumgemeckert…

MYP Magazine:
… obwohl Du sogar als Model gejobbt hast.

Elisa Valerie:
Trotzdem kann man auch als Model das Gefühl haben, zu dünn zu sein oder zu kleine Brüste zu haben. Kinder finden immer etwas, für das sie dich fertigmachen können. Ich persönlich war immer schon sehr dünn und früh sehr groß – also der Spargel der Klasse.

»Ich will mich dagegen wehren, dass mir meine Optik irgendwelche Türen öffnet.«

MYP Magazine:
Du hast mit 18 bei Abercrombie & Fitch gearbeitet. Ein Ort, der auch aufgrund einer kürzlich erschienenen Netflix-Doku stark in der Kritik steht, da vorzugsweise weiße, normschöne und junge Körper eingestellt wurden. Wie denkst Du heute über diesen Job?

Elisa Valerie:
Mit ein paar Jahren Abstand finde ich diesen Job total absurd. Der bestand darin, fünf Stunden lang auf einer Treppe zu tanzen und Besucher mit „Welcome to the pier!“ zu begrüßen. Dass da nur Models eingestellt wurden und man kein auffälliges Make-up tragen durfte, wurde damals nicht hinterfragt. In unserer heutigen Zeit unvorstellbar!

MYP Magazine:
Wie reflektierst Du dein eigenes Privileg der Schönheit?

Elisa Valerie:
Es klingt irgendwie eigenartig zu sagen, dass ich ein „Privileg der Schönheit“ habe. Mir ist auf jeden Fall das Privileg, weiß zu sein, sehr bewusst. Durch die Black-Lives-Matter Demonstrationen habe ich mich sehr stark mit dem Thema auseinandergesetzt, eine weiße Frau zu sein. Ansonsten fällt mir zu deiner Frage gerade eine Anekdote ein: Ich hatte in meiner Jugendzeiten eine beste Freundin, deren Mutter ebenfalls Model war. Wenn wir uns vor dem Ausgehen fertig gemacht haben, hat sie oft zu uns gesagt: „Ach, ihr zwei seid so schön, das wird euch noch so viele Türen öffnen im Leben.“ Mit den Jahren habe ich bemerkt, wie viel Wert in dieser Familie auf das Thema Aussehen gelegt wurde. Irgendwie fühle ich mich damit heute total unwohl und möchte mich auch nicht mehr damit identifizieren. Ich will mich dagegen wehren, dass mir meine Optik irgendwelche Türen öffnet.

»Ich sehe mich nicht dafür verantwortlich, über jedes gesellschaftliche Thema informiert zu sein. Sonst wäre ich Politikerin geworden.«

MYP Magazine:
Verspürst du einen gewissen Druck auf Newcomer-Künstlerinnen, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen und sich zu allem äußern zu müssen?

Elisa Valerie:
Ich persönlich mache mir keinen Druck. Manchmal schreiben mir Leute bei Instagram, warum ich noch kein Statement zu einem speziellen Thema abgegeben habe, etwa vor kurzem zum Jahrestag des Attentats von Hanau. Da habe ich ganz nett zurückgeschrieben, dass ich Musikerin bin und meine Seite kein Newsfeed ist. Manchmal spreche ich über Dinge, zu denen ich etwas sagen kann. Ich sehe mich nicht dafür verantwortlich, über jedes gesellschaftliche Thema informiert zu sein. Sonst wäre ich Politikerin geworden.

MYP Magazine:
Dafür sprichst Du viel über Privates in Deiner Kunst. Welcher Deiner neuen Songs ist der persönlichste?

Elisa Valerie:
„Spaß und Probleme“. Der Text ist wie ein Tagebucheintrag: brutal und ehrlich. Und die Melodie, die zwischen Leichtigkeit und Melancholie schwankt, geht mir auch immer wieder nahe.

»Manche Menschen lieben es ja, wenn alle Hemmungen fallen.«

MYP Magazine:
Zum Schluss ein kleiner Themenwechsel: Studien zeigen, dass immer mehr junge Menschen ohne Alkohol und Drogen feiern gehen. In dieser Hinsicht liegst Du voll im Trend: Du trinkst nicht, Koks ist auch nichts für Dich, und sogar das Koffein im Kaffee ist nicht so Deins. Warum nicht?

Elisa Valerie:
Schon das erste Bier, das ich als Teenager probiert habe, hat mir einfach nicht geschmeckt. Vor allem aber habe ich ein großes Problem mit Kontrollverlust – manche Menschen lieben es ja, wenn alle Hemmungen fallen. Exzessiv zu feiern ist mir persönlich aber wirklich fern. Ich habe keinen Spaß daran, nicht mehr zu wissen, was ich tue. Zusätzlich lassen sich diese ganzen Substanzen nicht so gut mit meiner mentalen Gesundheit vereinbaren. Eine Freundin, die ebenfalls nüchtern lebt, meinte mal zu mir: „Ich finde Leute so mutig, die Drogen nehmen. Ich will gar nicht wissen, wo mein Bewusstsein hinwandern würde, wenn ich mir einen Trip einschmeißen würde. Womöglich würde ich in einem Kindheitstrauma landen und auch noch darin stecken bleiben“. Das fühle ich sehr.

MYP Magazine:
Wenn Du nicht so viel feiern gehst, wie lernt Du dann Männer kennen?

Elisa Valerie:
Die lernen mich kennen. Irgendwie finden sie mich immer.