Interview — Alle Farben

Nachtschwärmer auf Tour

Ab Dezember geht Alle Farben zum ersten Mal auf Live-Tournee. Kurz vor Veröffentlichung seines neuen Albums »Sticker on my suitcase« haben wir den Produzent und DJ zum Interview getroffen.

21. Juni 2019 — MYP N° 25 »Zwielicht« — Interview: Katharina Weiß, Fotos: Steven Lüdtke

Produzent und DJ Alle Farben geht erstmals auf große Live-Tournee und bringt ab Dezember die Klangwelten des Deep und Tech House, die er seit Jahren so virtuos mit eingängigen Popmelodien verbindet, von den Clubs in die Konzerthallen.

Kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Albums „Sticker on my suitcase“ treffen wir den 34-jährigen Berliner in der Mysliwska, einer kleinen Barinstanz am Schlesischen Tor. Der Laden rangiert zwischen Schrammelkneipe und Szenedisco und versprüht dabei einen ähnlich unaufgeregten Charme wie Alle Farben, der im benachbarten Graefekiez groß wurde und heute als Aushängeschild eines internationalen und zudem radiotauglichen Berliner Sounds um den Globus tourt.

»Es kann einem langfristig mehr bringen, wenn man sich ein bisschen um die eigene Gesundheit kümmert.«

Katharina:
Du hast 2013 in einem Interview gesagt, dass dir das Kochen als das einzige Hobby geblieben sei, das du ganz für dich alleine hast. Hat sich diese Situation in den letzten sechs Jahren verändert?

Alle Farben:
Es ist noch sehr viel Sport dazugekommen. Ein Hobby, das mir unglaublich viel zurückgibt. Ich brauche weniger Schlaf, bin fitter auf der Bühne und habe mehr Durchhaltevermögen. Heute wache ich nach einem Show-Marathon am Wochenende – mit nur drei oder vier Stunden Schlaf pro Nacht – auf und sage mir grinsend: „Ach, war doch gar nicht so schlimm.“ Ich musste aber erst mal lernen, dass mir das so viel gibt.

Katharina:
Wie bewertest du deine Vergangenheit? Vor deiner Produzenten- und Performer-Karriere hast du in Bars gearbeitet und vermutlich einen anderen Lebensstil verfolgt.

Alle Farben:
Absolut. Ich habe die Nächte durchlebt und das möchte ich auch nicht missen. Aber es kann einem langfristig mehr bringen, wenn man sich ein bisschen um die eigene Gesundheit kümmert.

»Die Interaktion mit dem Publikum kann anfangs beängstigend wirken.«

Katharina:
Du selbst trittst bei deiner Kunst stark in den Hintergrund. Oft lädst du andere Künstlerinnen und Künstler dazu ein, dir ihre Stimme zu leihen. Mit welcher Perspektive blickst du auf deine eigene Performance?

Alle Farben:
In die Performer-Rolle musste ich erst reinwachsen. Und seitdem wir auch Musikinstrumente und Gesang auf der Bühne mit dabeihaben, sehe ich mich auch mehr als Entertainer. Jetzt sind wir zu einer echten Show gewachsen. In den ersten Jahren habe ich mich hinter dem Pult versteckt. Getanzt habe ich zwar immer viel, aber die Interaktion mit dem Publikum kann anfangs beängstigend wirken. Ich habe mich da in kleinen Schritten herangetastet und versucht, mir diesen Mut selbst zu geben. Jetzt freue mich sehr darauf – aber die letzten vier Entwicklungsjahre waren nötig. Ich bin froh, dass Alle Farben immer langsam gewachsen ist.

»Mir ist vor allem eine schöne Atmosphäre wichtig, die die verschiedenen Zuschauer zusammenbringt.«

Katharina:
Welche Ästhetik hast du dir für diese erste große Live-Tour im Dezember 2019 ausgesucht?

Alle Farben:
Ich habe viele Gastmusiker – vor allem meine Feature-Sänger – auf der Bühne, die zusammen die Akustik-Vorband bilden. So lernt der Zuschauer sie schon mal kennen, bevor sie später zusammen mit mir ihre Lieder performen. Dafür haben wir eine Wohnzimmernische auf der Bühne geschaffen. Mir ist vor allem eine schöne Atmosphäre wichtig, die die verschiedenen Zuschauer zusammenbringt. Für mich ist es das aufregendste Projekt der letzten Jahre. Wenn sich ein Album nicht verkauft, dann ist das schade. Aber wenn die Tour sich nicht verkauft, dann stehen da drei Leute – und ich habe viel in die Waagschale gelegt, um diese Shows zu ermöglichen.

»Ich arbeite gerne eng mit Künstlern zusammen, deren Stimme und Persönlichkeit die Geschichte des Songs genau transportieren.«

Katharina:
Du hast gemeinsam mit James Blunt vor wenigen Wochen den Song „Walk Away“ veröffentlicht. Was hat dich daran gereizt, mit einem der größten Singer-Songwriter unserer Pop-Ära zusammenzuarbeiten?

Alle Farben:
Zu 90 Prozent singen bei mir die Künstler den Song, die ihn auch mit mir geschrieben haben. Die haben meistens die ideale Stimme für ihr eigenes Lied. Ich arbeite gerne eng mit Künstlern zusammen, deren Stimme und Persönlichkeit die Geschichte des Songs genau transportieren. Zu „Bad Ideas“ etwa passt Chris Gelbudas rauchige Stimme und bei „Little Hollywood“ war Janieck Devy perfekt dafür, weil er so ein kleines Rowdy-Kind ist. Im Fall von James Blunt war es aber ein Pitch: Wir hatten die Chance, die Musik für seinen Gesang vorzuschlagen. Und das hat mich bei dem Song gereizt. Als wir zusammen das Musikvideo gedreht haben, war ich vor allem von seiner Arbeitsweise begeistert: Bei ihm kommt zuerst die Arbeit – und wenn man die vom Tisch hat, dann kann man noch ein bisschen quatschen.

»Dein Song kann noch so toll sein: Wenn du ein Arschloch bist, dann kommst du nicht weit.«

Katharina:
Wie würdest du deine Arbeitsphilosophie beschreiben?

Alle Farben:
Es ist ein „People‘s Business“ – man ist immer von Menschen abhängig. Dein Song kann noch so toll sein: Wenn du ein Arschloch bist, dann kommst du nicht weit. Selbst wenn dir jemand „nur ein Wasser bringt“ (macht Anführungsstriche in die Luft): Du musst jedem auf Augenhöhe begegnen und zu jedem so nett sein wie zum großen Plattenboss. Manchmal ist diese Person letztendlich entscheidend. Die Sekretärin bringt dir das Wasser und findet dich toll, während der Chef dich zuerst übersieht. Aber er hört dann von seiner Sekretärin: „Die Person war super angenehm, arbeite doch mal mit dem.“ Ich versuche immer, ein positives Arbeitsklima für alle zu schaffen.

Katharina:
Du kannst wahrscheinlich nicht mehr in denen Clubs das Tanzbein schwingen, in denen du selbst auflegst – weil das mit neugierigem Publikum bestimmt wenig Spaß macht. Gibt es Orte, an denen du dich austoben kannst? Vielleicht das Fitnessstudio?

Alle Farben:
Da werde ich auch erkannt. Aber es gibt anonymere Technoclubs, das Berghain zum Beispiel. Da geht das schon mal. Aber ich gehe generell weniger privat feiern – dafür bin ich mittlerweile zu viel auf Reisen.

»Eine Woche Strandurlaub ist eine Katastrophe für mich.«

Katharina:
Dein neues Album ist überhaupt stark vom Reisen inspiriert. Welche Begegnungen auf diesen Pfaden haben dich nachhaltig beeindruckt?

Alle Farben:
Ich überwintere immer zwei bis drei Monate in Asien. Dort bin ich kein großer Star, aber ich darf hier und da mal einen Gig spielen, damit mir nicht langweilig wird. Eine Woche Strandurlaub ist eine Katastrophe für mich. Aber ich erinnere mich an eine kleine Bar in Vietnam, in der ich aufgetreten bin. Mein Reisebegleiter hatte Geburtstag und wir sind einen Tag davor in diesem kleinen Club aufgeschlagen. Dort haben wir gefragt, ob ich am nächsten Tag auflegen darf. So haben wir seine Geburtstagsparty umsonst bekommen. Und es war herrlich, in so einer kleinen Kaschemme für betrunkene Vietnamesen und Russen zu spielen.

»Neue Freunde habe ich schon sehr lange nicht mehr gefunden.«

Katharina:
Wie schwer fällt es dir, neue Freunde zu finden?

Alle Farben:
Neue Freunde habe ich schon sehr lange nicht mehr gefunden. Ich habe die alten behalten. Und das ist nicht immer einfach. Dafür muss man arbeiten und viel tun. Über den beruflichen Weg und durch den Erfolg habe ich auch einige Leute verloren. Man kann sich manchmal eben nicht mehr so kümmern und weniger vor Ort sein. Zum Thema neue Freunde finden habe ich immer den Beigeschmack der Frage: Warum mögen die mich? Mögen die wirklich mich? Oder ist es die Musik? Der Fame? Das Geld? Und dieses Gefühl wäre gegenüber jemandem, der es ehrlich meint, nicht fair. Weil man selbst schon vergiftet in die Freundschaft geht.

»Ich durfte fabrizieren, was ich wollte. Es musste nur schmecken.«

Katharina:
Du hast einen sehr interessanten Wikipedia-Artikel. Gleich der erste Satz lautet: „Frans Zimmer wuchs mit seinem Bruder Aaron in Berlin-Kreuzberg auf, dem Stadtteil, in dem er bis heute lebt und arbeitet. Seine Eltern betreiben einen Altwarenladen. Nach der Oberschule wollte Zimmer zunächst Malerei studieren, scheiterte jedoch an der Aufnahmeprüfung an der Universität der Künste in Berlin. Eineinhalb Jahre machte er eine Ausbildung zum Grafikdesigner an einer Privatschule. Er brach die Ausbildung ab und verdiente in den folgenden Jahren sein Geld mit Gelegenheitsjobs – zuletzt dreieinhalb Jahre als Konditor in einem Berliner Café. Zudem verkaufte er in Kneipen selbstgemachte Postkarten und malte Bilder, die er günstig verkaufte oder an Freunde verschenkte.“ Welche Rolle spielt Scheitern in deinem Leben?

Alle Farben:
Das ist nicht immer eine Katastrophe. So ein Korb hat mich nie abgeschreckt. Ich habe viele Sachen ohne Chef ausprobiert und dadurch hat man nicht denselben Druck. Ich musste nur meine Miete zahlen und essen können. Ansonsten habe ich immer gemacht, worauf ich Lust hatte. Als Quereinsteiger -Konditor zu arbeiten ist theoretisch ja nicht möglich, da das ein geschützter Beruf ist, aber in dem Laden haben wir das irgendwie hinbekommen. Und dann hieß es nur: „Morgen brauchen wir vier Kuchen“ – und ich durfte fabrizieren, was ich wollte. Es musste nur schmecken. Neben den Postkarten habe ich auch Pralinen gemacht und diese in Kneipen verkauft. Und wenn ich genug zusammenhatte, bin ich in der Bar versackt.

Katharina:
Du sagtest eben, dass du etwas schüchtern bist, was das Sprechen auf der Bühne angeht. Aber ist es nicht viel beängstigender, fremde Leute in Bars anzuquatschen um ihnen Kleinkunst zu verkaufen?

Alle Farben:
Klar, das war eine Überwindung. Und Bier hat auch geholfen. Das brauche ich nicht, wenn ich auf die Bühne gehe. Und darüber bin ich auch froh. Ich kenne sehr viele Künstler, die nicht nüchtern auf die Bühne gehen können – genau wegen dieser Ängste.

»Ich weiß nicht, ob ich nochmal denselben Vertrag unterschreiben würde.«

Katharina:
Du hast in Interviews schon öfter die Vor- und Nachteile der Zusammenarbeit mit einem Major-Label verhandelt. Was ist da der aktuelle Stand?

Alle Farben:
Major Labels sind nicht alles. Man kann aber viel Positives von ihnen mitnehmen. Ich empfinde die gemeinsame Vergangenheit bisher als produktiv. Aber ich weiß nicht, ob ich nochmal denselben Vertrag unterschreiben würde.

Katharina:
Das Thema unserer aktuellen Ausgabe ist „Zwielicht“, wir nähern uns auf abstrakten Wegen der Dämmerung. Wo findet man Grauschattierungen in deinem Leben?

Alle Farben:
Überall. Sie passen gut zur Nacht und dem Nachtleben, das viele Facetten hat – und deshalb passen sie auch sehr gut zu mir als Mensch.