Interview — Florian Froschmayer

Geduldspiel

Früher musste er die Porno-Ecken der Videothek sauber machen, heute ist er erfolgreicher Tatortregisseur. Wir werfen mit dem Filmemacher Florian Froschmayer einen Blick hinter die Kulissen deutschsprachiger TV-Produktionen und reden mit ihm über sein schwieriges Verhältnis zu seiner Heimat, der Schweiz.

29. November 2015 — MYP N° 19 »Mein Protest« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke

Wer schon einmal bei einem Fußballspiel war, der kennt das: Laut geht es bisweilen zu. Und rabiat. Dabei ist das, was auf dem Platz passiert, manchmal gar nicht so richtig spannend. In solchen Fällen lohnt es sich, das Spielfeld außer Acht zu lassen und dafür die Zuschauerränge zu beobachten – denn dort ereignet sich nicht selten das eigentliche Spektakel: Ereiferungen, Diskussionen und Gesangseinlagen potenzieren sich mit Schreien, Pfiffen und Beleidigungen. Das Herz des Fußballfans liegt eben auf der Zunge – ganz egal, in welcher Liga.

Ein Freitagnachmittag Ende August. Seit einigen Minuten stehen wir gemeinsam mit dem Schweizer Regisseur Florian Froschmayer im Inneren des Berliner Olympiastadions. Fußballfans gibt es hier heute keine. Und auch keine Fußballer. Noch nicht einmal der Rasen ist da. Und so schauen wir auf nicht mehr und nicht weniger als ein menschenleeres Stadion – mit exakt 74.649 freien Sitzplätzen.

Zugegeben, es dauert ein wenig, bis wir uns an der mächtigen Kulisse sattgesehen haben, doch dann nutzen wir die Gunst der Stunde und starten unsere ganz persönliche Entdeckungstour. Immer wieder verlassen und betreten wir die Anlage, spazieren durch die luftigen Zugangstunnel, steigen Treppen hinauf und hinunter, laufen in die eine Richtung und dann in eine andere. Als wir nach einer Weile auf der Zuschauertribüne angekommen sind, lassen wir uns auf einigen der dunkelgrauen Klappsitze nieder – es gibt ja genügend Auswahl.

Ein dumpfes Rauschen liegt in der Luft, das sich anhört, als hätte man schallenden Lärm in den Flüstermodus geschaltet. Und so glauben wir für einen Moment, das Getöse von knapp 75.000 Menschen im Ohr zu haben, die hier im Zwei-Wochen-Rythmus die Hertha nach vorne peitschen. Aber das Geräusch entpuppt sich als Phantom – um uns herum ist nichts als Stille.

Doch gerade diese Stille ist es, die hier eine sonderbar angenehme Ästhetik erzeugt. Dabei tut sie nichts anderes, als den vielen Details eine Bühne zu geben, die im Alltag des Stadionbetriebs allzu gerne übersehen werden: die Gedenktafeln im Eingangsbereich zum Beispiel, die davon erzählen, wie und mit welchen Propagandazielen das Berliner Olympiastadion in der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte errichtet wurde.

Auf den gegenüberliegenden Rängen sind plötzlich einige Besucher zu sehen, die sich ohne erkennbares Muster von einem Punkt zum nächsten bewegen. Jedes Räuspern ist zu hören, jede Geste wahrnehmbar – es scheint, als hätten diese Menschen gerade unbewusst eine Bühne betreten. Mit uns als ihren Zuschauern.

Florian lehnt sich zurück und schaut interessiert zu. Als er sich nach einigen Augenblicken wieder nach vorne beugt, ist im Hintergrund auf einem der Tribüneneingänge die Zahl 28 zu erkennen. Die 28, da war doch was. Aber darauf kommen wir noch.

Jonas:
Du lebst seit mittlerweile 14 Jahren in Deutschland. Welche Gedanken schießen dir durch den Kopf, wenn du an die Schweiz denkst – das Land, in dem du aufgewachsen bist und die ersten drei Jahrzehnte deines Lebens verbracht hast?

Florian:
Ich persönlich habe im Laufe der Jahre einen eher kritischen Blick auf mein Land entwickelt, gerade die Mecker-Mentalitäten in der Schweiz ärgern mich manchmal sehr – vor allem, wenn ich sie bei mir selbst bemerke. Ich stelle fest, wie zickig ich plötzlich gegenüber meinen Mitmenschen sein kann, wenn ich mal wieder dort bin.
Dennoch ist und bleibt die Schweiz natürlich meine Heimat, mit der ich emotional sehr stark verbunden bin. Hier in Deutschland verhalte ich mich daher auch total patriotisch: Jedes Mal, wenn ich ein Schweizer Autokennzeichen sehe, freue ich mich. Jedes Mal, wenn ich an der Schweizer Botschaft in Mitte vorbeifahre, freue ich mich. Und jedes Mal, wenn ich bei der Hertha einen Schweizer Spieler sehe, freue ich mich.

Jonas:
Wie oft zieht es dich heute noch in die Schweiz?

Florian:
Definiere „oft“. Vielleicht ein- oder zweimal im Jahr für ein paar Tage, um die Familie zu besuchen. Ende letzten Jahres habe ich aber ausnahmsweise mal sechs Wochen am Stück dort verbacht, da wir in Luzern einen Tatort produziert haben. Das war super – in Luzern bin ich vorher nie so richtig gewesen.

Jonas:
Dass du mal als Regisseur arbeiten würdest, dazu gab es bereits in deiner Kindheit eine Art Prophezeihung. Was genau ist damals passiert?

Florian:
Im Alter von sieben oder acht Jahren sollte ich am Kindertheater den Prinzen in „Schneewittchen“ spielen. Bei den Proben sagte ich den anderen Kindern immer, wie sie sich positionieren sollen, damit sie auch schön im Licht stünden. Meine Theaterlehrerin bemerkte gegenüber meiner Mutter, dass ich mich wie ein Regisseur verhalten würde und nicht wie ein Schauspieler. Daher fordertesie mich auf, dass ich mich auf meine eigenen Sachen konzentrieren sollte. So verlangte die Lehrerin im Prinzip von mir das Gleiche, was ich selbst heutzutage von einem Schauspieler verlange, wenn er anfängt, seine Kollegen herumzukommandieren. (Florian lacht)

Jonas:
War diese frühe Erfahrung am Kindertheater das Schlüsselerlebnis, das die Weichen für deine berufliche Zukunft gestellt hat?

Florian:
Nein, dieses Schlüsselerlebnis hatte ich erst einige Jahre später, genauer gesagt am 28. Dezember 1985. Das war der Tag, an dem ich den Film „Back to the Future“ mit meinem Vater im Kino sah.

Jonas:
Du warst damals gerade einmal 13 Jahre alt. Was hat dieser Film mit dir gemacht?

Florian:
Ich war total fasziniert und geflasht! Als ich aus dem Kino kam, wusste ich sofort, dass ich so etwas auch machen will – und damit meine ich nicht das Zeitreisen. Ich wollte generell Filme machen.

Jonas:
Wenn man Filme machen will, bieten sich dafür die unterschiedlichsten Berufe an. Hätte „Back to the Future“ bei dir nicht auch den Wunsch auslösen können, Schauspieler oder Komponist für Filmmusik zu werden? An die Rolle von Marty McFly, gespielt von Michael J. Fox, erinnert man sich sogar noch heute. Genauso wie an die „Back to the Future“-Titelmelodie – einem Klassiker der Filmmusik.

Florian:
Für mich war eigentlich von Anfang an klar, dass ich Regisseur werden will und kein Schauspieler. Und leider auch kein Komponist, denn ich habe nie ein Instrument gelernt – das Einzige, was ich wirklich bereue in meinem Leben.
Dabei ist mir das Gebiet der Filmmusik gar nicht so fremd. Mein Vater hatte in Zürich jahrelang einen kleinen Schallplattenladen, in dem er sich auf Filmmusik spezialisiert hatte – auch er war ein riesiger Film-Fan. Auf diese Weise mit Film und Filmmusik in Berührung zu kommen war wirklich toll: Es hat mir nicht nur dabei geholfen, eine große Leidenschaft für diese Kunstform zu entwickeln, sondern auch die entsprechende Wertschätzung.

In einem Berufsberatungsgespräch wurde mir eine Lehre als kaufmännischer Angestellter empfohlen.

Jonas:
Es ist bemerkenswert, wenn man als 13-Jähriger schon genau weiß, was man in seinem Leben beruflich machen will. Allerdings hast du dich nach deiner Schulzeit erst einmal für eine Kaufmannslehre entschlossen. Warum?

Florian:
Ich wollte unbedingt an die HFF München, die Hochschule für Fernsehen und Film. Roland Emmerich hat dort studiert – und das wollte ich auch. Voraussetzung für die Zulassung war damals allerdings entweder Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung mit zusätzlich zwei Jahren Berufserfahrung. Da ich nach neun Jahren von der Schule abgegangen bin und kein Abitur gemacht habe, blieb mir also nur der Weg über die Ausbildung.
In einem Berufsberatungsgespräch wurde mir eine Lehre als kaufmännischer Angestellter empfohlen. Das machen in der Schweiz alle, die nicht wissen, was sie tun sollen. Es heißt dann, dass das eine gute Grundlage sei, die man immer wieder im Leben gebrauchen könne: Man lernt dort ein wenig Buchhaltung, ein wenig Rechtskunde und ein wenig Schreibmaschine. Ich selbst habe nie in dem Beruf gearbeitet, sondern bin direkt nach der Ausbildung aus dem Unternehmen geflüchtet – zur Freude meiner Eltern.

Jonas:
Gab es Stress zuhause?

Florian (lächelt):
Ja, aber nur für eine Viertelstunde. Meine Eltern haben mich eigentlich immer unterstützt, und zwar bei allem, was ich tue. Trotzdem fanden sie es nicht ganz so cool, dass ich ihnen nach meiner Ausbildung eröffnet habe, nicht bei meinem bisherigen Arbeitgeber zu bleiben, sondern in einer Videothek anzufangen.

Jonas:
Immerhin hat es dich nicht lange in der Videothek gehalten: Nur wenige Monate später hattest du das Glück, beim Schweizer Fernsehen anfangen zu können.

Florian:
Da spielte nicht nur Glück eine Rolle, sondern auch Ungeduld. Videothek – das klingt einfach so romantisch, weil man denkt, viel mit Film zu tun zu haben und von lauter Gleichgesinnten umgeben zu sein.

Die, die zu geizig waren, einen Film auszuleihen, haben ihr Geschäft einfach in der Ecke hinter dem Vorhang verrichtet.

Jonas:
Dabei ist es wohl eher so, wie an der Tankstelle zu arbeiten.

Florian:
Schlimmer. 97 Prozent der Kunden sind Pornokunden. Wenn man dir immer wieder einen „normalen“ Film auf die Theke legt, den du selbst toll findest, aber zusätzlich noch drei oder vier Sexfilmchen, denkst du irgendwann: Das ist ja alles gut und recht, aber doch bitte nicht zusammen mit diesem Klassiker der Filmgeschichte! In der Videothek hat man einfach nicht diese Auseinandersetzung mit Film, nach der man sich sehnt. (Florian grinst)
Außerdem musste ich in der Pornoecke viel sauber machen, darauf hatte ich bald keinen Bock mehr. Denn die, die zu geizig waren, einen Film auszuleihen, haben ihr Geschäft einfach in der Ecke hinter dem Vorhang verrichtet. Das ist alles nicht wirklich schön gewesen in der Vor-Internet-Zeit.

Jonas:
Was genau hat dich aus diesem Job gerettet?

Florian:
Beim Schweizer Fernsehen hatte sich eine Stelle im Musikarchiv aufgetan, auf die ich mich beworben hatte. Ich dachte, mit dem Background meines Vaters und der Tatsache, dass meine Mutter dort mal gearbeitet hatte, hätte ich ganz gute Chancen, aber für diesen Job brauchte man eine besondere Ausbildung. Die hatte ich leider nicht. Durch eine Bekannte dort habe ich aber erfahren, dass gleichzeitig noch eine andere Stelle besetzt werden sollte: Es wurde ein Cutter gesucht. Da ich in der Vergangenheit bereits zwei Amateurfilme gemacht hatte, durfte ich mich auf Empfehlung meiner Bekannten dort vorstellen und wurde auch mit offenen Armen empfangen.
Es gab nur einen Haken an der Sache: Auch für den Cutter-Job brauchte man eine Ausbildung. Dafür war bei der entsprechenden Abteilung des Schweizer Fernsehen aber gerade kein Geld da. Also hat man mir angeboten, mir eine Woche lang eine Einweisung an der Schnittmaschine zu geben. Danach gab es für zwei weitere Wochen die Möglichkeit, vor Ort zu üben ¬– immer zwischen 22 Uhr abends und 7 Uhr morgens. Es hieß, wenn ich mich in einer anschließenden Probewoche als tauglich erweisen würde, hätte ich den Job.
Letztendlich hat es geklappt, ich wurde genommen – auch Dank einer äußerst netten und engagierten Cutterin, die mich während der ganzen Zeit unterstützt hat.

Jonas:
Hast du diese unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten immer als Zwischenstationen verstanden, die dich deinem großen Ziel, selbst Filme zu machen, ein Stückchen näher bringen können?

Florian:
Mein Ziel war mir zwar immer in gewisser Weise präsent, aber es gab dabei nie eine große Strategie oder Taktik. Ich hatte einfach eine riesige Sehnsucht in mir. Und dazu kommt der Umstand, dass ich ein äußerst ungeduldiger Mensch bin. Damals habe ich morgens gedacht: Heute passiert’s, heute mache ich den großen Schritt! Und abends habe ich dann gemerkt, dass es keinen großen Schritt gegeben hat – aber dafür vielleicht einen kleinen. So haben sich im Laufe der Zeit viele kleine Schritte addiert und mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute stehe.
Ich kann mich allerdings erinnern, dass ich beim Schweizer Fernsehen dieses große Ziel eine Zeit lang aus den Augen verloren habe. Mein Job dort hat einfach wahnsinnig viel Spaß gemacht – und ich durfte Dinge erleben, an die ich vorher nie gedacht hätte.

Jonas:
Was denn zum Beispiel?

Florian:
Ich durfte 1994 als Cutter zur Fußball-WM in die USA reisen. Für mich als sportbegeisterten Menschen war das einfach nur geil, das kann man nicht anders sagen. Ich war gerade einmal 21 Jahre alt und konnte von irgendwelchen amerikanischen Hyatt-Hotels aus Sportbeiträge cutten. Das war ein wirklich tolles Gefühl, ich dachte: Jetzt bin ich angekommen in meinem Leben.
Als aber das Ganze zwei Jahre später bei der EM in England wieder von vorne losging, habe ich gemerkt: Alles wiederholt sich. Sofort kam in mir wieder diese Ungeduld auf und ich hatte das Bedürfnis, einen weiteren Schritt zu machen.

Jonas:
Da gab es doch immer noch diese Idee mit der Filmhochschule.

Florian:
Genau. Dort habe ich mich noch während meiner Zeit beim Schweizer Fernsehen beworben. Damals bestand das Bewerbungsverfahren an der HFF aus zwei Stufen: In der ersten Stufe wurden aus allen schriftlichen Bewerbungen 700 ausgewählt, von denen in der zweiten Stufe 20 bis 30 Kandidaten persönlich eingeladen wurden. Knapp ein Dutzend dieser letzten 20 bis 30 wurden letztendlich genommen.

Jonas:
Und wie erfolgreich warst du?

Florian:
Ich habe es unter die besten 20 geschafft und bin dann rausgeflogen. So kurz vorm Ziel zu scheitern ist nicht schön, die Wut in mir war riesengroß – so groß, dass ich beschlossen habe, selbst einen Film zu machen.

Jonas:
Man kann eben daran verzweifeln oder sagen: jetzt erst recht.

Florian:
Stimmt. Meine Entscheidung dazu ist auch unmittelbar nach der Absage gefallen – das werde ich nie vergessen. Damals wurden gerade die Olympischen Spiele in Atlanta ausgetragen. Als Cutter war ich aber diesmal nicht vor Ort dabei, sondern habe von der Schweizer Zentrale aus gearbeitet – immer nachts wegen der Zeitverschiebung.
Meine Schicht ging von 24 Uhr bis 8 Uhr. Am Morgen der Ergebnis-Bekanntgabe habe ich direkt nach der Arbeit bei der HFF angerufen. Als die mir am Telefon sagten „Nö, ist nicht.“, bin ich erstmal vier Stunden lang durch die Stadt geirrt. Dann habe ich mich mit einem Kumpel zum Mittagessen getroffen und gemeinsam mit ihm beschlossen: Wir machen einen Film.

Jonas:
Dieser Film, der den Titel „Exklusiv“ trägt, hat in der Schweiz für großes Aufsehen gesorgt. Es heißt, du hättest mit diesem Film Schweizer Traditionen gebrochen. Kannst du erklären, warum?

Florian:
Der Film ist aus einer Zeit heraus entstanden, in der sich die Schweizer Medienbranche sehr stark verändert hat. Dieses Milieu – zu dem wir auch selbst gehört haben – fanden wir irgendwie spannend. Daher haben wir dort hinein kurzerhand eine recht simple Thriller-Geschichte gesetzt.
In diesem Zusammenhang muss man Folgendes wissen: Die Schweiz ist ein sehr kleines Land, in dem vier Sprachen gesprochen werden. Dementsprechend ist man als Schweizer Filmemacher auch erheblich eingeschränkt in seiner Zielgruppe. Ein Film auf Schwyzerdütsch wird niemals seine Produktionskosten einfahren können, was bedeutet, dass die gesamte Schweizer Filmbranche eine reine Förderbranche ist. Das wiederum führt dazu, dass Filme in der Schweiz aus rein künstlerischer Perspektive gemacht werden, da Filme mit kommerziellem Charakter für die Gremien mehr oder weniger uninteressant sind.
Für den typischen Kulturschweizer bist du sozusagen der Teufel, wenn du dich dazu bekennst, einen Film zu machen, mit dem du auch Geld verdienen willst. Da wir „Exklusiv“ nicht nur aus kommerzieller Sicht entwickelt haben, sondern den Film auch ohne öffentliche Fördergelder produzieren konnten, haben wir natürlich alle Regeln aufgebrochen, die es in der Schweiz in Sachen Filmbranche so gab und immer noch gibt.

Jonas:
Wie produziert man denn einen Film ohne Fördergelder?

Florian:
Indem man umsonst arbeitet – und indem alle anderen umsonst arbeiten. Das Teuerste am Film ist die Arbeitszeit. Außerdem haben wir damals ein Marketingkonzept entwickelt, mit dem wir ein wenig auf die Kacke gehauen haben. Ich habe mich persönlich vor die Presse gestellt und gesagt: Wir revolutionieren jetzt den Schweizer Film – und jeder, der mitmachen will, darf mitmachen! Erstaunlicherweise konnten wir für unser kleines Projekt einige bekannte Schauspieler gewinnen. Wahrscheinlich fanden sie es cool, dass ein paar junge Leute kamen, die mal etwas anderes ausprobieren wollten.
Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, frage ich mich, wie wir das alles hinbekommen haben – schon alleine deshalb, weil es damals noch nichts Digitales gab und wir alles mit 35mm Film gedreht haben. Irgendwie hat’s aber funktioniert. Und das Ergebnis war nichts Geringeres als mein erster Film.

Ich erhielt die Antwort: »Mit solchen Leuten wie dir arbeiten wir nicht.«

Jonas:
Im Jahr 2000 – ein gutes Jahr nach Erscheinen von „Exklusiv“ – hast du die Schweiz verlassen und bist nach Deutschland gezogen, zuerst nach München und ein Jahr später nach Berlin. Gab es dafür einen bestimmten Grund?

Florian:
Ich war nach diesem Film in der Schweiz sehr umstritten. „Exklusiv“ war zwar lauter, kommerzieller und anders als das, was man so kannte, aber natürlich hatte er auch seine inhaltlichen Schwächen. Wir waren ja alle noch total jung und unerfahren. Und außerdem hatten wir keinerlei dramaturgische Unterstützung. Kurz gesagt: Der Film war kein Genie-Streich, aber stand für solide Unterhaltung.
In der Schweiz hat man sich daraufhin die Frage gestellt: „Brauchen wir so etwas denn?“ Die Spielfilm-Redaktion des Schweizer Fernsehens hat auf diese Frage relativ schnell eine Antwort gefunden – als ich mich nach „Exklusiv“ für eine Tatort-Produktion beworben habe, erhielt ich die Antwort: „Mit solchen Leuten wie dir arbeiten wir nicht.“

Jonas:
Man macht einen einzigen Film und ist direkt stigmatisisert?

Florian:
Genau so war’s. Außerdem musste ich mir Sprüche anhören wie: „Du bist ja gar kein Regisseur.“ Dabei lief mein Film in etlichen Schweizer Kinos und war auf Platz 3 der nationalen Kino Top 10. Ich finde, in so einer Situation darf man sich schon als Regisseur bezeichnen. Aber egal, die Fronten waren verhärtet.
Wie es der Zufall so will, bin ich damals Rolf Lyssy begegnet, einem der bekanntesten Filmemacher der Schweiz. Ich sollte mit ihm gemeinsam in einer Talk-Show auftreten, quasi nach dem Muster „alter Regisseur hasst jungen Regisseur“. Allerdings hasste Rolf mich nicht – ganz im Gegenteil: Als wir im Studio aufeinandertrafen, sagte er zu mir: „Ich finde euch super. Und ich finde super, was ihr macht. Ich kann dir nur einen einzigen Rat geben: Nimm deinen Film und hau ab aus der Schweiz! In diesem Land wirst du nur kaputt gemacht.“ Und diesen Rat habe ich befolgt.

Wenn man für etwas brennt, fragt man sich nicht, warum man es tut – es brennt einfach und will raus aus dir.

Jonas:
Das klingt so einfach.

Florian (lacht):
Nein, absolut nicht! Aber was ist schon einfach? Wenn man für etwas brennt, fragt man sich nicht, warum man es tut – es brennt einfach und will raus aus dir.
Für mich gab es damals auch gar keine andere Option. In der Schweiz war es mittlerweile so schwierig für mich geworden, dass ich mir dachte: Ich habe gegen alle Widerstände einen Kinofilm auf die Beine gestellt, was soll jetzt noch kommen? Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass man mich irgendwo anders auch nicht mag. Aber das ist Gott sein Dank nicht eingetreteten – ganz im Gegenteil: Ich hatte das große Glück, in Deutschland eine tolle Agentur für Regisseure zu finden. Obwohl ich erst 28 Jahre alt war, hat man dort an mich geglaubt und mir versprochen, mich aufzubauen. Man sagte mir, ich müsse nur ein wenig Geduld haben – Geduld, meine große Stärke. (Florian lächelt)
Es hat auch tatsächlich knapp zwei Jahre gedauert, bis die ersten Jobs kamen. Gerade noch rechtzeitig, denn ich war kurz davor aufzugeben: Ich konnte einfach nicht mehr länger warten und wäre fast durchgedreht.

Jonas:
Welche Aufträge hast du in deiner Anfangszeit in Deutschland übernommen?

Florian:
In den ersten Jahren habe ich – bis auf einen Kurzfilm – ausschließlich TV-Serien gemacht. Mein allererster Job hier war eine Episode für die ZDF-Serie „Küstenwache“.

Jonas:
Kurz bevor du in Deutschland den ersten konkreten Auftrag bekommen hast, warst du für einige Wochen in Los Angeles unterwegs, um erneut auf eigene Faust einen Kinofilm zu produzieren: das Roadmovie „L.A. X.“. Hat dich der Spirit der Stadt befeuert und dir die nötige Kraft gegeben, um durchzuzuhalten?

Florian:
Überhaupt nicht. Plötzlich hatte ich noch viel mehr das Gefühl, dass alle anderen um mich herum arbeiten, nur ich selbst nicht. Und das konnte ich absolut nicht verstehen. Ich war irgendwann so frustriert, dass ich am Morgen aufgewacht bin und keinen Grund mehr gesehen habe, aufzustehen.
Ich fühlte mich aber zu jung, um solche Gedanken zu haben. Das ging einfach nicht. Ich war ja auch noch interessiert an anderen Dingen auf der Welt und dachte mir, dass ich mir lieber ein anderes Gebiet suche, in dem ich noch etwas entdecken kann, bevor ich komplett eingehe. Mein großes Ziel, einen Kinofilm zu machen, hatte ich ja erreicht.

Jonas:
War es für dich ein Problem, in deinen ersten Berufsjahren in Deutschland „nur“ TV-Serien zu machen und keine Kinofilme?

Florian:
Nee, ich fand das super und hatte dabei großen Spaß. Für mich war es schon alleine aufregend, in Deutschland zu arbeiten – in einer echten Filmindustrie, jedenfalls im Vergleich zur Schweiz. Diese Jahre waren außerdem eine sehr wertvolle Zeit des Lernens, ich konnte vieles ausprobieren. Ich würde sagen, dass das meine eigentliche Filmschule war. Darüber hinaus habe ich Geld verdient, durfte tolle Leute kennenlernen und mit ebenso tollen Leuten arbeiten. Das habe ich sehr genossen.
Ich finde, dass die TV-Serie generell einen viel zu schlechten Ruf in Deutschland hat. Dabei wird gerade in einer Serie Schauspielern und Regisseuren die große Chance geboten, eine Figur über einen längeren Zeitraum erzählen zu können. Das fand ich immer faszinierend. Daher freue ich mich sehr, dass zur Zeit durch Netflix & Co. die Serie wieder wertgeschätzt wird und in ihrem Ansehen steigt.

Jonas:
In den USA spricht nichts dagegen, als Soap-Star auch eine Kinokarriere hinzulegen. In Deutschland dagegen ist es für einen Soap-Darsteller schwer, in irgendeinem anderen Genre Fuß zu fassen, weil er immer wieder auf seine dauerpräsente TV-Rolle reduziert wird. Ist das bei Regisseuren ähnlich?

Florian:
Bei Schauspielern würde ich sagen: Wenn man gut ist, hat man das Problem nicht. Mir fallen spontan einige Schauspielerinnen und Schauspieler ein, die auch außerhalb ihrer Soap erfolgreich sind.
Bei uns Regisseuren ist es leider so, dass man nicht nur bezüglich der Formate kategorisiert wird, sprich Kino, TV oder Serie, sondern auch in Genre-Schubladen gesteckt wird. Ich war zum Beispiel immer der Krimi-Futzi. Es hieß: „Serie und Krimiserie, was anderes kann der Froschmayer nicht.“
Irgendwann habe ich mich aber diesem Genre verschlossen und wollte nichts mehr machen, bis etwas anderes kommt.
Und tatsächlich kam auch etwas anderes: ein Tatort. Das war zwar wieder ein Krimi, aber immerhin einer über 90 Minuten und – wie bei Tatorten üblich – mit besonderer Dramaturgie. Und etwas später habe ich auch meine erste Komödie gemacht.

Jonas:
Der Tatort hat sich in Deutschland zu einer echten Marke mit einem starken Image entwickelt. Ist das in der Schweiz ähnlich?

Florian:
Ja, das ist es. Daher habe ich meinen ersten Tatort-Auftrag auch als einen Ritterschlag empfunden. Das war definitiv ein großer Moment, auch weil es damals auf Seiten des Senders Menschen gab, die in mir ein gewisses Potenzial gesehen haben und mir eine Chance geben wollten.
Die Erfahrung, dass andere ein Risiko eingehen, weil sie fest an mich glauben, habe ich in meinem Leben bisher dreimal gemacht: bei dem Cutter-Job beim Schweizer Fernsehen, bei meiner ersten „Küstenwache“-Episode und bei meinem ersten Tatort, der NDR-Produktion „Borowski und die heile Welt“. Die jeweiligen Verantwortlichen haben mich immer als Menschen gesehen, haben mir etwas zugetraut und es einfach ausprobiert. Solche Leute braucht man im Leben, braucht jeder Mensch im Leben.

Jonas:
Mittlerweile hast du fünf Tatorte gemacht, die viel diskutierte Schweizer Episode „Ihr werdet gerichtet“ ist dabei dein jüngstes Werk. Was glaubst du: Woher kommt die große Faszination der Menschen für das Verbrechen im TV und insbesondere für den Tatort?

Florian:
Ich glaube, darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Meiner Meinung nach ist das sehr unterschiedlich, weil die einzelnen Tatorte auch sehr unterschiedlich funktionieren. Da gibt es beispielsweise den sogenannten „Who done it“-Krimi – das Rätselraten um den Täter. Und in der Schweiz ist ein lustiger Begriff für einen anderen Krimitypus entstanden: „How to get him.“
Wie bei meinem aktuellen Schweizer Tatort weiß man hier ab der ersten Minute, wer der Täter ist. In den folgenden 90 Minuten muss dann die Spannung aufrecht erhalten werden, indem gezeigt wird, wie die Ermittler dem Täter auf die Spur kommen.
Ich persönlich finde Rätsel nicht so spannend, denn ich bin einfach nicht so der Cluedo-Typ. Mich interessiert eher der menschliche Abgrund hinter der Tat und die Frage, warum jemand so etwas tut. Im Tatort is ja mittlerweile auch beides möglich und miteinander vermischbar. So kann man formal auch mal ausbrechen.
Was nun genau die Faszination der Marke Tatort ausmacht, kann ich nicht beantworten. Ich will es auch gar nicht hinterfragen – es ist einfach gut, dass es den Tatort und die große Faszination dafür gibt. Wir sind alle dankbar, dass wir noch solch ein Format haben.

Jonas:
Der Tatort ist im Laufe der Jahre zu einer stimmgewaltigen Institution herangewachsen – unter anderem deshalb, weil die Drehbücher immer wieder gesellschaftliche Fragen und Probleme thematisieren. So wird beispielsweise im Berliner Tatort „Edel sei der Mensch und gesund“, bei dem du im Jahr 2010 Regie geführt hast, das deutsche Gesundheitssystem angeprangert. Hat diese besondere Eigenschaft des Formats Einfluss auf die Inszenierung und die Art und Weise, wie man sich dem Ganzen nähert?

Florian:
Wenn ein Format wie der Tatort so viele Zuschauer hat, dann hat es auch eine Aufgabe. Diese besteht zwar in erster Linie darin, Menschen zu unterhalten, aber darüber hinaus dürfen dort auch gewisse Dinge hinterfragt oder Missstände aufgedeckt werden. Dementsprechend trete ich persönlich dem Ganzen auch sehr respektvoll entgegen. Bei dem Gesundheits-Tatort etwa haben wir im Vorfeld akribisch recherchiert, weil wir wirklich alles richtig machen und darstellen wollten.
Trotzdem muss ich sagen, dass für mich – auch bei einem Tatort – die Figuren immer im Mittelpunkt stehen. Da kann das Thema noch so stark sein.

Jonas:
Wenn man sich die 45-jährige Geschichte des Tatorts anschaut, sind nicht nur die Storys, sondern auch die Ermittler-Figuren im Laufe der Zeit immer komplexer geworden – man vergleiche nur einen Horst Schimanski aus dem Jahr 1981 beispielsweise mit den Kommissaren Borowski, Ballauf oder Odenthal von heute. Trotzdem sagt etwa Dominic Raacke, der 15 Jahre lang den Ermittler Till Ritter im Berliner Tatort gespielt hat, dass es für einen Schauspieler problematisch sei, eine solche Figur ausführlich zu erzählen. Seiner Meinung nach gebe die Rolle des Tatort-Kommissars das nicht her. Hat deiner Meinung nach das Format daher noch Luft nach oben?

Eigentlich ist die Täterrolle immer die spannendere – ganz einfach weil sie einen Abgrund in sich trägt.

Florian:
Was den Berliner Tatort angeht, würde ich schon sagen, dass sich die Figur des Till Ritter im Laufe der Zeit verändert hat – allerdings auf einem eher kurvigen Weg und weniger auf stringente Art und Weise. Das ist definitiv ein Problem. Daher besteht an dieser Stelle tatsächlich noch ein gewisses Entwicklungspotenzial.
Ganz allgemein glaube ich aber, dass für einen Schauspieler, der die Rolle des Kommissars spielt, das Hauptproblem irgendwo ganz anders liegt. Denn eigentlich ist die Täterrolle immer die spannendere – ganz einfach weil sie einen Abgrund in sich trägt. Und solch ein Abgrund macht eine Figur für einen Schauspieler immer interessanter. Die Rolle des Ermittlers, der alles ans Licht bringt und das Recht vertreten muss, hat diesen Abgrund in der Regel nicht.

Jonas:
Wo wir gerade bei Veränderung sind: Der Tatort hat sich auch in Sachen Visualität sehr gewandelt. Nicht zuletzt durch Regisseure wie Dani Levi oder Autoren wie Henning Mankell spielen heute die Tonalität oder Ausdruckskraft der gezeigten Bilder eine wesentlich größere Rolle als noch vor 20 Jahren. Würdest du dich als einen Regisseur beschreiben, für den die Visualität das zentrale Element beim Film ist? Oder konzentrierst du dich eher darauf, alleine die Figuren zu erzählen?

Florian:
Ich sehe mich eher so in der Mitte dieser beiden Pole. Grundsätzlich ist die Visualität eines Films etwas sehr Wichtiges für mich – vielleicht gehört auch deshalb meine zweite Leidenschaft der Fotografie. Ich glaube, dass man beim Film alles ausschöpfen sollte, was einer Geschichte dient, gerade auch in der Bildsprache. Schwierig wird es allerdings, wenn die Form vor den Inhalt geschoben wird. Es gibt da so eine Regel: Wenn man die Tiefe einer Figur erzählen will, ist es kontraproduktiv, in Sachen Kamera auf dicke Hose zu machen. Das ist übrigens eine Erfahrung, die man macht, wenn man älter wird. (Florian lacht)

Jonas:
Als Regisseur erzählt und interpretiert man in der Regel eine Geschichte, die jemand anderes geschrieben hat. Gehört es zu deinem Beruf, mit den Drehbuchautoren einen niemals endenden Kampf um die Deutungshoheit zu führen?

Florian:
Nein, ganz im Gegenteil. Als Regisseur versuche ich vielmehr, ein Verstärker der Idee zu sein, die ein Autor hatte. Wenn jemand eine kreative Leistung erbringt, gibt er meistens sehr viel von sich selbst in dieses Werk. Da kann man natürlich nicht als Außenstehender kommen und sagen: Das funktioniert so nicht. Daher versuche ich immer zu verstehen, was genau gemeint ist. Wenn ich es nicht verstehe, lasse ich es mir erklären. Und wenn die Erklärung nicht schlüssig ist, versuche ich, meine Kritik respektvoll zu äußern. Schließlich hat sich jemand etwas dabei gedacht. Außerdem erwarte ich selbst ebenfalls, dass mit mir und meiner Arbeit respektvoll umgegangen wird.

Jonas:
Im letzten Jahr hast du die Komödie „Süßer September“ gemacht. Bei Schauspielern gilt Komödie ja als Königsdisziplin. Ist das bei Regisseuren ähnlich?

Florian:
Eine Komödie zu machen ist in der Tat schwierig. Das liegt daran, dass Humor etwas sehr Diffiziles ist. Spannung funktioniert da wesentlich einfacher: Man braucht nur etwas Gegenlicht, ein wenig Nebel und fesselnde Musik, schon finden es alle gut. (Florian grinst)
Bei einer Komödie muss man exakt den Nerv treffen – wenn mein Humor nicht derselbe ist wie deiner, lachen wir auch nicht über dasselbe. Ich habe mittlerweile drei Komödien gemacht und bei allen war es so, dass ich die Story beim Lesen des Drehbuchs lustig fand. Bei der anschließenden Arbeit damit habe ich aber gemerkt, wie viel mehr Auseinandersetzung mit den Schauspielern und dem Schnitt es braucht. Zudem ist auch die Diskussion mit den Sendern in der Abnahmephase wesentlich schwieriger, weil insbesondere bei einer Komödie jeder die Dinge anders sieht.
Ganz allgemein liegt für mich der Schlüssel einer guten Komödie darin, die Geschichte aus einer gewissen Ernsthaftigkeit heraus zu erzählen. Nur wenn man den Konflikt ernst nimmt, der der dargestellten Situation zugrunde liegt, kann man sich in der Konsequenz auch darüber lustig machen. Ich fände es schwierig, immer nur einen ulkigen Spruch nach dem anderen rauszuhauen – eine Komödie braucht auch ihre ruhigen Momente, sonst funktioniert sie nicht.

Jonas:
Als Regisseur sieht man Filme wahrscheinlich mit wesentlich kritischeren und analytischeren Augen als der gewöhnliche Zuschauer. Kann man da überhaupt noch einen Film „normal“ anschauen?

Florian:
Ich behaupte mal, dass ich das kann – ich lechze sogar danach. Wie an dem besagten 28. Dezember 1985 gibt es bei mir immer noch Momente, in denen ich im Kino einen Aha-Effekt habe und total inspiriert nach Hause gehe. In Kinofilmen kann ich mich total verlieren, aber auch im TV oder in Serien.

Jonas:
Zur Zeit erleben wir, wie sich das klassische Fernsehen grundlegend verändert, unter anderem weil sich viele Formate ins Internet verlagern und neue Player wie etwa Netflix auf den Markt drängen. Du selbst versuchst ebenfalls, klassische Strukturen im Bereich Film und Fernsehen aufzubrechen – allerdings auf Seiten der Produktion und Postproduktion: In den letzten Monaten hast du dazu die Software „SCRIPTtoMOVIE“ entwickelt, die nun im Oktober auf den Markt kommt. Was genau verbirgt sich dahinter?

Ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland und in Europa noch gar nicht wissen, wohin sich das Fernsehen entwickelt und wie wir mit dieser Veränderung umgehen sollen.

Florian:
Tatsächlich erleben wir diesbezüglich gerade eine sehr spannende Zeit. Ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland und in Europa noch gar nicht wissen, wohin sich das Fernsehen entwickelt und wie wir mit dieser Veränderung umgehen sollen. Wenn man ganz ehrlich ist, herrscht da gerade überall eine große Ratlosigkeit.
Was „Script To Movie“ angeht, verbirgt sich hinter der Software der große Wunsch, in immer kürzer werdenden Produktionszeiten wieder mehr Zeit für Kreativität zu haben und dabei nicht so viel Zeit für Logistik verlieren zu müssen. Diese Software ist einfach aus einem ganz eigenen Bedürfnis heraus entstanden.

Jonas:
Hat dich etwas genervt?

Florian:
Mir hat etwas gefehlt. In meinen mittlerweile knapp 20 Berufsjahren habe ich mir einen ganz eigenen Arbeitsstil angeeignet. Das heißt konkret, dass ich mir meine Sachen immer so vorbereite, dass ich am eigentlichen Drehtag sattelfest bin und für alle Beteiligten die bestmögliche Unterstützung sein kann. Das ist allerdings sehr zeitintensiv. Daher habe ich über die Jahre versucht, in meiner Vorbereitung immer effizienter zu werden – und das hat in letzter Konsequenz zu der Entwicklung dieses Tools geführt.
Der ganze IT-Bereich ist ohnehin eine große Leidenschaft von mir – wenn ich nicht Regisseur geworden wäre, hätte ich mir auch vorstellen können, als Programmierer oder Webdesigner zu arbeiten. So konnte ich mir die ersten Datenbanken, die ich für meine Arbeit benötigt habe, auch selbst programmieren. Irgendwann war ich allerdings an einem Punkt, an dem meine eigene Kompetenz an ihre Grenzen gestoßen ist. Da ich das Ganze aber weiterentwickeln wollte, habe ich daraus ein eigenes Projekt gemacht. Warum nicht nochmal etwas risikieren im Leben?

Jonas:
Wie du bereits erwähnt hast, ist eine weitere Leidenschaft von dir die Fotografie. Was macht diese Kunstform für dich so besonders?

Florian:
Ich habe immer wieder Schübe, in denen ich das dringende Bedürfnis habe, loszurennen und Fotos zu machen. Im Gegensatz zum Film arbeitet man beim Fotografieren in der Regel nicht im Team – wenn man ein Foto macht, macht man das ganz alleine mit sich selbst aus. Sobald man das Gerät vor dem Auge hat, fühlt man sich auf eine ganz eigentümliche Art unverletztlich. Ich habe mich schon mitten auf der Straße wiedergefunden und habe es zuerst gar nicht bemerkt, weil ich auf der Suche nach der besten Perspektive war.

Jonas:
Bei deinen Motiven hat man das Gefühl, dass du immer wieder an Städten und Gesichtern hängen bleibst.

Florian:
Das ist tatsächlich so. Mich faszinieren vor allem Menschen und Architektur – und Milieus. Fotografieren hat ja auch immer etwas Voyeuristisches, es ist eine Gratwanderung zwischen Zufall und Inszenierung.

Jonas:
Du hast gerade deine eigene Fotogalerie in Charlottenburg eröffnet und festigst damit gewissermaßen deine Berliner Bleibe. Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder in die Schweiz zu ziehen und dort Filme zu machen?

Spätestens seit der Tatort-Produktion Ende letzten Jahres in Luzern bin ich mit allem versöhnt.

Florian:
Eigentlich ist es mir mittlerweile vollkommen egal, wo ich drehe – Hauptsache ich drehe. Dementsprechend kann ich mir auch vorstellen, das wieder in der Schweiz und von der Schweiz aus zu tun. Ich war zwar damals sehr bitter, als ich weggegangen bin, aber spätestens seit der Tatort-Produktion Ende letzten Jahres in Luzern bin ich mit allem versöhnt.
Ganz allgemein ist es aber nicht mein Lebensziel, wieder in die Schweiz zu ziehen – dafür ist sie gerade einfach zu weit weg von meinem Leben hier in Berlin. Aber wer weiß: Wenn ich eine richtig gute Geschichte finde, die mich interessiert, glaube ich nicht, dass ich zweimal überlegen muss: Ich werde der Erste sein, der hinrennt. Aber wenn nicht, dann auch nicht.