Interview — Leonard Scheicher

Abschied vom Wilden Westen

Leonard Scheicher beschreitet als junger Boxer in „Es war einmal Indianerland“ die Täler der Liebe und die Gipfel der Ekstase. Rasend schnell und unglaublich intensiv erzählt dieses moderne Märchen vom letzten Wimpernschlag der Jugend.

18. Oktober 2017 — MYP N° 21 »Ekstase« — Interview: Katharina Weiß, Fotos: Roberto Brundo

Wer erinnert sich noch an die erste verbotene Hausparty? Den Einbruch ins Freibad? Die besoffene Prügelei mit dem besten Kumpel? Damals, als alles nach Ausbruch schrie, dauerhaft ein erregter Seufzer auf den Lippen lag und der kleinste Kiez die größten Abenteuer bereithielt! Der Spielfilm „Es war einmal Indianerland“ hat sich zur Aufgabe gemacht, dieses Gefühl auf Leinwand zu bannen. Und wer sich mit der Hauptfigur Mauser auf den cineastischen Streifzug begibt, wird während dieses psychedelischen Großstadt-Westerns mehr als einem nostalgischen Gedanken nachhängen.

So ungewöhnlich und originell wie „Es war einmal Indianerland“ ist auch Hauptdarsteller Leonard Scheicher, der in seiner bisherigen Karriere ein bemerkenswert glückliches Händchen für bizarr-unterhaltsame Filmstoffe bewies. Er verbringt mit uns den letzten schönen Herbsttag in Kreuzberg: Wir teilen heiße Schokolade, selbstgedrehte Zigaretten und jede Menge wunderbarer Jugendgeschichten. Ein Gespräch über Ekstase und Erotik, Verzweiflung und Verwandlung – ganz großes Kino eben.

Katharina:
Der Autor des Romans „Es war einmal Indianerland“, den ihr in ein cineastisches Feuerwerk verwandelt, hat sich bewundernd über die „mörderische Disziplin“ geäußert, die du an den Tag legen musstest, um der Boxer-Physis deiner Rolle gerecht zu werden. Wie hat sich diese Metamorphose vollzogen?

Ich stand schon oft vor dem Spiegel im Fitness-Studio und hatte Tränen in den Augen, weil ich dachte: Verdammt, ich kriege das nicht hin.

Leonard:
Einen Boxer zu spielen war gleichzeitig Traum und Herausforderung. İlker Çatak, der Regisseur, meint, wir müssten andere Filme machen und neu erzählen! Er denkt groß und eigen, und da hatte ich so Lust drauf! Diese Rolle musste ich unbedingt spielen. Also bin ich vor dem Casting zum Boxtraining gegangen und habe mich im Fitnessstudio angemeldet. Als ich die Rolle dann bekam, war klar: Ich höre jetzt auf zu rauchen und zu trinken. Ich trainiere wirklich sechsmal die Woche, gehe zum Boxen und Gewichtheben. Ich bin normalerweise ja eher ein Strich in der Landschaft. Ohne eiserne Disziplin wäre das nicht möglich gewesen – einige Fitness Coaches meinten zuvor sogar, es sei unmöglich, diese Verwandlung in vier Monaten hinzubekommen… Da gibt es auch stille Momente der Verzweiflung. Wenn dir Mal wieder einer sagt: „Du schaffst das nicht.“ Ich stand schon oft vor dem Spiegel im Fitness-Studio und hatte Tränen in den Augen, weil ich dachte: Verdammt, ich kriege das nicht hin.

Katharina:
Welcher Verzicht war am härtesten?

Leonard:
Süßigkeiten! Crêpes und Croissants… Es ist ein sehr einsames Leben: Du stehst auf, isst, gehst zum Trai-ning, dann kaufst du ein, um das richtige Essen im Kühlschrank zu haben, und gehst früh schlafen. Es war unbedingt notwendig für mich, durch diese Veränderung des Körpers auch der Rolle näherzukommen. Ich wollte, dass man meiner Figur, dem Mauser, abnimmt, Sportler zu sein. Er sollte kein aufgepumptes Viech, sondern ein drahtiger Boxer in meiner Gewichtsklasse werden. Als ich dann die ersten deutlichen Erfolge sehen konnte, hat es sich auch total verändert, wie ich durch die Straßen gehe – man geht auf Konfrontationen anders ein.

Katharina:
Hast du dich geprügelt in dieser Zeit?

Leonard:
Nein, aber das Selbstbewusstsein wächst! Man weiß, dass man sich notfalls wehren kann… Ähnlich wie beim Schauspiel geht es viel um Räume: Wann und wie betrete ich den des anderen – und wie kann ich Reaktionen vorhersehen?

Katharina:
Hast du dich dann auch als #gymboy auf Instagram profiliert?

Leonard:
Instagram habe ich gar nicht. Diese Social Media-Technik hatte ich noch nie so raus. Aber natürlich konnte ich da jede Menge spannender Leute im Fitnessstudio beobachten. Zum Beispiel die eine Jungs-Gang mit den aufgepumpten Armen, die Freitagabend direkt vom Gewichtheben in den Club gehen. Ich hab’ meine Verwandlung dann eher im Privaten mit Stolz hergezeigt. Von diesem harten täglichen Training ist aber nach Drehschluss nicht viel übrig geblieben. So schnell die Muskeln da sind, so schnell sind sie auch wieder weg. Und abseits der Rolle genieße ich ein ungeplantes Leben viel zu sehr!

Zu Mauser passt am besten der Satz, mit dem er sich auch im Film beschreibt: »Da, wo ich herkomme, ist ein Wort ein Wort.«

Katharina:
Deine Figur Mauser verliebt sich in die wunderschöne und wohlstandsverwahrloste Jackie. Deine Schauspielkollegin Emilia Schule beschreibt sich im Film als „eitel, zickig und unkeusch“ – mit welchen drei Worten würdest du dich vorstellen?

Leonard:
Privat? Ehrlich, offen und zurückhaltend. Zu Mauser passt am besten der Satz, mit dem er sich auch im Film beschreibt: „Da, wo ich herkomme, ist ein Wort ein Wort.“

Katharina:
Mauser wird im Buch und im Film von einem stillen Indianer verfolgt – ein erzählerisches Sinnbild, das Mausers abstrakte Seelenlandschaft einfängt. Welcher Indianer verfolgt dich?

Leonard:
Das Bauchgefühl. Bei mir hat das was mit großem Wollen zu tun, das begleitet mich ständig. Für jede Figur entwickle ich zum Beispiel ganz am Anfang eine Idee – die verfolge ich dann mit dem vollen Risiko, nie zu wissen, ob diese Idee am Ende aufgeht.

Katharina:
Deine Figur macht am Anfang des Film etwas sehr aufregendes: Mauser ritzt sich die Handynummer seines neuen Schwarms Jackie in den Handrücken. Hast du schon mal etwas ganz Verrücktes für die Liebe gemacht?

Leonard:
Ich war eher so der Typ, der Gedichte geschrieben hat. Deswegen hat mich diese Arbeit auch so erfüllt: Dieses große Suchen „Wo ist Mauser in mir?“ war wahnsinnig spannend.

Katharina:
Spannend ist auch die Filmbeziehung zwischen dir und Kumpel Kondor – hattest du ebenfalls so draufgängerische Freunde, die dich in verbotene Abenteuer hineingezogen haben?

Leonard:
Wilde Freundschaften, in denen man sich behaupten muss? Ich erinnere mich an einen… der war älter und auch im Fußballverein – das alles war ganz schön ellenbogig. Er hatte schon Erfahrung mit Sexualität und diesen Dingen, im Gegensatz zu ihm sahen wir anderen ganz klein aus. So einem will man daher immer wieder genügen und beweisen, dass man auch cool ist. Obwohl einem die ganze Zeit bewusst wird, wie klein und süß man eigentlich noch ist.
Aber so einen ganz extremen Typ wie Kondor kannte ich nicht, den gab’s in meinem Umfeld einfach nicht. Allerdings habe ich mich oft von Mädchen mitreißen lassen, so wie es im Film der Figur Mauser mit der unnahbaren Jackie passiert. Ich glaube, jeder hat in seinem Leben eine Jackie – oder einen James!

Damals war ich oft verliebt in solche Mädchen wie Jackie – ich war aber natürlich viel zu schüchtern.

Katharina:
Hach, der eine „Bad Ass“-Typ aus der Parallelschule… Aber zehn Jahre später denkt man sich oft: Jetzt, wo er nicht mehr so unerreichbar ist, ist er nicht mehr so begehrenswert.

Leonard:
Später im Leben drehen sich diese Dynamiken meistens um, da ändert sich nochmal ganz viel. Damals war ich oft verliebt in solche Mädchen wie Jackie – ich war aber natürlich viel zu schüchtern.

Katharina:
Erinnerst du dich noch an den Geruch des ersten großen Party-Verliebtseins?

Leonard:
Ja, es hat unfassbar nach Wodka Bull gerochen. Und man hatte den Shisha-Rauch noch in der Nase, es lief Chartmucke…

Katharina:
…und der Raum war erfüllt von süßlichem Mädchendeo.

Leonard:
Uhja, auf jeden Fall!

Katharina:
Das Zitat „Mädchen riechen gut“ zieht sich ja auch durch den Film – für Mauser einfach der Geruch von Abenteuer. Ein bisschen hat mich die Wild-West-Thematik von „Es war einmal Indianerland“ daran erinnert, dass man in der Pubertät unerschlossenes Land betritt – und erobert.

Leonard:
Für mich liegt die Betonung des Filmtitels eher auf „Es war einmal“. Es geht um den Moment, in dem man den wilden Westen und die Spielzeuglandschaft hinter dich lässt. Das Indianerland ist vorbei, jetzt beginnt so langsam das Erwachsenwerden.

Die Abizeit – mein Gott, war das schön! So sorglos, so behütet und doch so wild.

Katharina:
Erinnerst du dich noch an die Phase, als du angefangen hast, der Jugend hinterher zu trauern?

Leonard:
Das passiert ziemlich oft. Vor allem, wenn ich in München alte Leute aus der Schulzeit treffe und wir gemeinsam an die Abizeit denken. Mein Gott, war das schön! So sorglos, so behütet und doch so wild. Danach bin ich ja nach Berlin an die Schauspielschule gegangen – und musste schon Steuererklärungen machen!

Katharina:
Wie es der Zufall will, habe ich bisher alle deine Filme gesehen. Von „Die Quellen des Lebens“ über „Finsterworld“ und „Das Romeo-Prinzip“ hast du ein eigenartig glückliches Händchen für deine Rollenauswahl bewiesen – alle sehr ungewöhnliche und einzigartige Filme, die ein sehr spezielles Bild des neuen deutschen Humors zeichnen. Wie hast du es als junger Darsteller geschafft, um die klischeehaften Brötchen-Jobs herumzukommen?

Leonard:
Zum einen hatte ich Glück, von Anfang an für solch große Produktionen spielen zu dürfen, zum anderen liegt es an der Auswahl: Zu welchen Castings geht man und zu welchen nicht. Ich habe öfter Nein gesagt – weil ich mich nur für Dinge engagieren kann, die mich wirklich interessieren. Ich habe ja auch noch keine Verpflichtungen anderen gegenüber, muss keine Familie ernähren und kann daher freier wählen. Als ich nach meinen ersten beiden Filmen und dem Schulabschluss von Bayern nach Berlin gezogen bin, um an der Hochschule Ernst Busch Schauspiel zu studieren, hatte ich auch eine Zeit, in der ich mich ausschließlich auf das Theater konzentrieren konnte. Ich hatte nur dort vorgesprochen – mein Alternativplan wäre Wasserbauingenieur gewesen. Ich wollte Brunnen in Afrika bauen und Flüsse begradigen.

Katharina:
Kannst du dich mit dem extrem schrägen, morbiden Humor dieser Filme identifizieren?

Leonard:
Ja, tatsächlich. Trocken und irgendwie vielleicht auch intellektuell, diese Art von Humor mag ich besonders. Aber ich stehe auch auf solche Witze wie: „Zwei Eier im Kühlschrank, sagt das eine: Boah, rasier’ dich mal! Darauf das andere: Ich bin ’ne Kiwi, du Idiot!“

Katharina:
Gerade dein erster Film – „Die Quellen des Lebens“ – hatte einen außergewöhnlichen Cast, dort traf sich das „Who is Who“ der deutschen Schauspielszene. Wie war es damals, als absoluter Anfänger so einen Start zu erleben?

Leonard:
Moritz Bleibtreu spielte meinen Vater, Jürgen Vogel meinen Großvater, Meret Becker meine Oma – das war schon echt ein Traum. Ich weiß auch noch: Bei meinem zweiten Casting bei Oskar Roehler wollte ich ein Autogramm von ihm haben. Er ist auf die wunderbarste Weise verrückt.

Katharina:
Du siehst in jedem Film grundverschieden aus – eine Wandlungsfähigkeit, die gute Schauspieler auszeichnet. Spielst du auch im Privaten gerne mit verschiedenen Rollen und Accessoires?

Leonard:
Überhaupt nicht. Ich hab nicht viele Klamotten – und die trage ich, bis sie zerschlissen sind. Ich sehe eigentlich immer gleich aus.

Katharina:
Aber ein paar Fashion-Jugendsünden werden doch auch bei dir dabei sein? Du kommst ja wie ich aus München, da war in unserer Pubertät „Ed Hardy“ ganz in…

Leonard:
„Ed Hardy“? Tatsächlich nicht! Ich war Indie-Rocker. Knallenge Röhrenjeans, ein Katzenshirt und darüber ein zu kurzes Jackett. In diesem Outfit bin ich zur Schulzeit oft mit einem Kumpel nach Berlin gefahren. Und dann sind wir in den „Bang Bang Club“ gegangen, der war damals am Hackeschen Markt unter der S-Bahn-Brücke. Da kam man schon mit 16 Jahren rein, für zwei Euro – was für einen Münchner der Wahnsinn war. Und da konnten wir dann immer mit irgendwelchen Mädchen rumknutschen, das war das Höchste. Das war das Pendant zum „Atomic Café“ in München. Legendär, aber jetzt leider geschlossen. Die Erinnerungen an diese Zeit sind wie ein großer Strudel und nicht linear erzählbar. Genau das wollten wir auch mit „Es war einmal Indianerland“ umsetzen. Der Film hat bewusst keine klassische Zeitstruktur, weil sich auch die Jugend nicht chronologisch erzählen lässt.

Ekstatisches Arbeiten. Verzweifeln und dann doch unfassbar befriedigt sein, bis man nach der Vorstellung ein Lob bekommt und ganz kurz denkt: Yeah, ich bin der Größte!

Katharina:
Was waren für dich als Jugendlicher Momente absoluter Ekstase?

Leonard:
Zum einen: Die ersten Male tanzen gehen, mit allem was dazugehört. Zum anderen: Auf der Bühne sein, dass empfand ich immer wie einen Rausch. Bis spät in die Nacht arbeiten, oft an eigenen Sachen, viel reden, viel trinken… und dann völlig verschlafen in der Schulbank sitzen, um nachmittags wieder zur Probe zu gehen um mit ganz vielen Freunden ein Stück auf die Beine zu kriegen. Ekstatisches Arbeiten. Verzweifeln und dann doch unfassbar befriedigt sein, bis man nach der Vorstellung ein Lob bekommt und ganz kurz denkt: Yeah, ich bin der Größte! Aber man erlebt diese Ekstase in der Gemeinschaft, das ist ganz besonders.

Katharina:
In “Es war einmal Indianerland“ landet der asketische Mauser ja mehr oder weniger unfreiwillig auf diesem irren Festival. Dort probiert er eine LSD-ähnlichen Drogen und wird von Jackie in den Sog dieses Partyabenteuers gezogen. Wie erinnerst du dich an diese Szene?

Leonard:
Mauser ist ja ein eher zurückgezogener Typ. In diesem Teil der Geschichte konnte ich ihn zum ersten Mal körperlich groß spielen, theatral und extrem. Wir hatten richtige Choreografien, alles war abgefahren – vom Licht bis zu unserer Stimmung. So wie es jetzt für den Zuschauer aussieht, hat es sich auch angefühlt.

Katharina:
Damit befasst sich auch eine andere, sehr einprägsame Szene: Mauser ist im Drogenrausch und es bahnt sich ein verstörender und doch seltsam erregender Liebesakt zwischen dir und Schauspielkollegin Emilia Schüle an.

Leonard:
Für mich war das immer eine Fast-Vergewaltigung…

Katharina:
…die für mich als Zuschauerin gerade noch so im richtigen Moment aufgelöst wurde, um die Sympathien mit der Hauptfigur nicht vollkommen zu verlieren.

Die Szene enthält Gewalt, aber auch ehrliche Sexualität. Da denkt man als Zuschauer fast schon an den Reiz von BDSM.

Leonard:
Dieser Moment im Film ist sehr ambivalent: Er enthält Gewalt, aber auch ehrliche Sexualität. Da denkt man als Zuschauer fast schon an den Reiz von BDSM. Alles gedreht in einem engen Zelt, darin nur wie beide und die Kamera – sehr intensiv.

Katharina:
Dieses Netz aus Zärtlichkeit und Aggression blieb mir stark im Gedächtnis. Hat euch der Regisseur die Kamera im Zelt gelassen und gesagt: „Macht mal!“ Oder wie choreografiert man das?

Leonard:
Ein „Macht mal!“ bei solchen Szenen ist eine Katastrophe für Schauspieler. Dann wüsste man gar nicht, wohin mit sich. Wie spielt man? Oder lässt man sich von seinem Gefühl, also seinem Trieb leiten? Das wäre wirklich peinlich. Nein, nein, wir haben uns da Wochen vorher eine Choreografie überlegt und diese dann so gut wie möglich gefüllt.

Katharina:
Ihr habt ja auf dem polnischen „Garbicz Festival“ gedreht – während sich in diesem Hipsterparadies die echten Festivalbesucher ringsherum ausgelassen mit Techno und Drogen vergnügt haben. Wie wild darf man sich so einen Dreh ausmalen?

Leonard:
Es ist ein Spielplatz für Erwachsene, abseits jedes Berufsalltags – ein Ort, an dem man träumen kann. Und für mich auch das allererste Festival, auf dem ich je war. Die Umsetzung dort war zum Teil sehr anstrengend, weil sich in dem Zustand natürlich keiner filmen lassen will. Es gibt keine Spiegel dort – und wir kamen da mit Kameras an. İlker Çatak kannte aber viele, die auf dem Festival gearbeitet haben. Und der Komponist der Filmmusik, Acid Pauli, hat dort aufgelegt und ein paar Freunde mit vor die Kamera geschleppt.

Katharina:
Und wie ging es nach Drehschluss weiter?

Leonard:
Was auf dem „Garbicz“ passiert, bleibt auf dem „Garbicz“. Aus unserer kleinen Crew ist so eine eingeschworene Gemeinschaft geworden – wir hatten eine super Zeit!

Katharina:
Was steht bei dir gerade an?

Leonard:
Als nächstes kommt „Macht euch keine Sorgen“: Ein Film über einen jungen Mann, der in den „Heiligen Krieg“ des IS zieht. Sein Vater und sein älterer Bruder, verkörpert von mir, reisen ihm nach, um ihn zurückzuholen. Dafür haben wir auch eine Woche in Palästina gedreht. Ein Land, umgeben von Stacheldrahtzäunen und einer neun Meter hohen Mauer. Man sieht den anderen gar nicht mehr – ein wahnsinnig eindringliches Erlebnis.

Katharina:
Mit der Geschichte einer Mauer beschäftigt sich auch dein zweites neues Projekt „Das schweigende Klassenzimmer“.

Leonard:
Der Film handelt von einer Schulklasse 1956 in Storkow. Junge Abiturienten hören auf einem Westsender, wie brutal der Aufstand in Ungarn niedergeschlagen wurde. Daraufhin hält diese Klasse während des Unterrichts eine Schweigeminute ab und gerät dadurch in die Mühlen des Stasi-Systems. Wir erzählen die Geschichte, wie diese Klasse gegen alle Erpressungsversuche zusammenhält.

Bei dem gegenwärtigen Rechtsruck ist es unbedingt nötig, sich ständig zu informieren.

Katharina:
Bist du politisch interessiert?

Leonard:
Ich versuche es zu sein. Ich bin nicht damit aufgewachsen, aber bei dem gegenwärtigen Rechtsruck ist es unbedingt nötig, sich ständig zu informieren. Ich bewundere auch Künstler, die da direkt Stellung beziehen.

Katharina:
Und welche Künstler bewunderst du aus schauspielerischer Sicht am meisten?

Leonard:
Ein sehr extremes Spiel fasziniert mich. Das können oftmals und besonders die Schauspieler, die vom Theater kommen. Einige Zuschauer empfinden das als unglaubwürdig, aber für mich hat das eine Virtuosität, die mich unglaublich begeistert. Auf der anderen Seite schätze ich Unmittelbarkeit – direkt, natürlich, locker. Letzteres können vor allem die Amerikaner: Immer aus der Hüfte, das begeistert mich sehr.

Katharina:
Die Amerikaner haben jetzt mit dem „Harvey Weinstein-Skandal“ ein ganz schönes Branchenproblem aufgedeckt. Wäre so etwas hier in Deutschland auch möglich?

Leonard:
Ja, davon bin ich überzeugt. Auch wenn ich als Mann weniger damit konfrontiert werde: Diese Zeichen von Machtausübung und was man mit Macht alles anstellen kann, durchdringen jeden Bereich der Gesellschaft.

Katharina:
Wo wir gerade bei den Schattenseiten der menschlichen Seele angelangt sind: In „Es war einmal Indianerland“ passiert ein Mord – neben den zwei Boxkämpfen ein weiterer stilistischer Kniff. Wie muss man mit dem Stilmittel Gewalt in so einem Film umgehen?

Leonard:
Wir arbeiten da eher mit Andeutungen, die Gewalt ist nicht so bildlich wie bei „Game of Thrones“. Zeigen durch Verbergen: Ein altbewährtes Stilmittel der Kunst, das zwar intellektuell fordert, aber auch Projektionsflächen für den Zuschauer eröffnet. Hier verbinden sich Fantasie und Fallhöhe.