Interview — Omas gegen Rechts

»Man wird oft erst mit der Aufgabe wach und groß«

»Reif fürs Altersheim, beschämend, staatlich finanziert«: Die Omas gegen Rechts müssen sich einiges anhören. Und vor Kurzem sind sie auch noch ins Visier der Union geraten. Dabei ist es ungleich spannender, mit ihnen zu reden statt über sie. Im Interview erzählen die Aktivistinnen Marie-Luise (76), Ebba (74) und Nora (61), warum es wichtig ist, die öffentlichen Räume zu besetzen, welche Erwartungen sie an jüngere Generationen haben und wieso das »Nie wieder!« in unserer Gesellschaft viel, viel lauter werden muss.

25. Mai 2025 — Interview & Text: Jonas Meyer, Fotografie: Maximilian König

»Ich frage mal die Ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und gegen Rechts«, polterte Friedrich Merz bei einem Wahlkampfauftritt am 22. Februar 2025: »Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?« Damit richtete er sich gezielt an die Hunderttausenden, die in den Wochen zuvor bundesweit gegen den Rechtsruck auf die Straße gegangen waren – oder, um es in seinem Jargon auszudrücken: an die »grünen und linken Spinner«.

Mit seinem Auftritt brachte der damalige Kanzlerkandidat der Union nicht nur die taz auf die Frage: »Wo war Friedrich Merz, als Walter Lübcke ermordet wurde?« Er befremdete auch Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des getöteten Kasseler Regierungsrats, die in einer Stellungnahme erklärte: »Nach der Ermordung meines Mannes gab es ein starkes gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten.« Damit lag sie richtig: Im Juni 2019 demonstrierten in Kassel Tausende Menschen gegen Rechtsextremismus.

Darüber hinaus erweckte Merz in seiner Rede den Eindruck, als sei es verwerflich, für ein demokratisches und weltoffenes Deutschland auf die Straße zu gehen – und das 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Wann, wenn nicht jetzt, soll denn dieses »Nie wieder!« sein?

Wahrscheinlich war es dem damaligen Kanzlerkandidaten sauer aufgestoßen, dass sich die Massenproteste auch gegen ihn und seine Union richteten: Etwa drei Wochen zuvor hatte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durch den Deutschen Bundestag gebracht – und zwar mit Hilfe der Stimmen der AfD. Ein beispielloser Vorgang, der nicht nur in Kirchen und Zivilgesellschaft massive Empörung auslöste, sondern auch langjährige CDU-Mitglieder dazu nötigte, aus ihrer Partei auszutreten. Darunter Michel Friedmann.

Dass Merz bei seinem Poltern einen Tag vor der Bundestagswahl die Worte »gegen Rechts« so auffällig betonte, lässt vermuten, dass er damit eine Gruppe ganz besonders auf dem Kieker hatte: die Omas gegen Rechts, eine zivilgesellschaftliche, parteiunabhängige Initiative, die sich »gegen rechtspopulistische Strömungen, gegen Ausgrenzung von Menschen mit Migrationshintergrund, gegen jegliche Stigmatisierung sowie gegen alle Formen der Gewalt« engagiert, wie auf ihrer Website zu lesen ist.

Ihren Ursprung haben die Omas gegen Rechts in einer Facebook-Gruppe, die im November 2017 von Monika Salzer in Österreich gegründet wurde. Davon inspiriert gründete Anna Ohnweiler drei Monate später im baden-württembergischen Nagold Omas gegen Rechts in Deutschland, um hierzulande die Stimme gegen den wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus zu erheben.

Wenig später, im Februar 2019, entstand mit dem OMAS GEGEN RECHTS Deutschland e.V. ein eingetragener Verein, der der Initiative seitdem eine rechtlich geregelte Struktur zur Seite stellt. Heute zählen die Omas gegen Rechts über 30.000 ehrenamtlich Engagierte, deren Einsatz für die Demokratie 2022 vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage geehrt wurde. 2024 wurden die Omas zudem mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Das schützte sie allerdings nicht davor, am 24. Februar 2025 – einen Tag nach der Wahl – ganz offiziell ins Visier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu geraten. In einer Kleinen Anfrage zur »Politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen« richtete diese insgesamt 551 Einzelfragen an die geschäftsführende Bundesregierung, mit denen sie detailliert um Auskunft und Bewertungen zur Arbeit von 17 zivilgesellschaftlichen Organisationen bat – darunter auch die Omas gegen Rechts, »ein besonders umstrittenes Beispiel«, wie es in der Unionsanfrage hieß.

Greenpeace las darin eine Unterstellung, staatliche Gelder zu missbrauchen, der Bundesverband Deutscher Stiftungen, dessen Mitglieder sich als wesentlichen Teil der demokratischen Zivilgesellschaft verstehen, zeigte sich ebenfalls besorgt. Und die Omas gegen Rechts?

Höchste Zeit, sie mal kennenzulernen. Und so haben wir drei von ihnen Mitte März zum Interview im Studio von Fotograf Maximilian König getroffen: Marie-Luise (76), Ebba (74) und Nora (61) von der Berliner Stadtteilgruppe Südwest, für die Nora zudem als Pressesprecherin tätig ist.

Auch wenn das Setting mit Kaffee und Kuchen eher heimelig ist, wird sehr schnell klar: Diese 211 geballten Jahre Lebenserfahrung lassen sich von nichts und niemandem einschüchtern, auch von keiner Partei. Ganz im Gegenteil: Nach den Ereignissen der letzten Wochen scheint es eher umgekehrt.

»Es wichtig, die öffentlichen Räume zu besetzen und sie nicht den Rechten zu überlassen.«

MYP Magazine:
Nora, Ebba und Marie-Luise, durch die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion Ende Februar im Deutschen Bundestag haben die Omas gegen Rechts eine besondere mediale Aufmerksamkeit erfahren. Wie habt Ihr diese Zeit erlebt?

Nora:
Sehr unterschiedlich. Einerseits war das für uns die beste Werbeaktion aller Zeiten. Andererseits hat die Kleine Anfrage der Union ein rechtes Narrativ bespielt, das schon seit einer ganzen Weile über die sozialen Medien kolportiert wird, und zwar: »Die Omas werden vom Staat bezahlt.« Das ist absolut falsch.
Richtig ist, dass wir – wie viele andere Vereine auch – für einzelne, demokratiefördernde Projekte finanzielle Unterstützung erhalten haben. Diese Mittel haben wir ordnungsgemäß und im Rahmen des üblichen Projektprozederes zweckgebunden beantragt, wie übrigens auf unserer Website detailliert und transparent nachzulesen ist. Davon abgesehen sind wir auch kein gemeinnütziger Verein, sodass sich die Frage stellt, wie sinnhaft diese CDU-Aktion überhaupt war.
Am Ende hat das Ganze nur dazu geführt, dass ein falsches rechtes Narrativ weiter in die gesellschaftliche Mitte getragen wurde. Die Folgen dieser Erzählung erleben wir bei jeder einzelnen Demo auf der Straße, wenn uns Leute von der Seite anpampen – mit Sätzen wie: »Ihr bekommt doch alle Geld dafür!« Auch wenn das absurd ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als darauf immer wieder inhaltlich einzugehen und zu versuchen, die Menschen aufzuklären.

Marie-Luise:
Leider ist das oft eine Auseinandersetzung, in der Fakten keine Rolle spielen. Ich denke da zum Beispiel an die Schwurbler-Aufmärsche jeden Dienstag in Steglitz. Wir, die Omas gegen Rechts, sind zumindest jeden zweiten Dienstag da und demonstrieren gegen diese seltsame Mischung aus Verschwörungsanhängern, Rechten und anderen fragwürdigen Leuten, die sich da so einreihen. Viel diskutieren kann man mit denen aber nicht.

Nora:
Dennoch ist es wichtig, die öffentlichen Räume zu besetzen und sie nicht den Rechten zu überlassen. Wir Demokrat*innen müssen sichtbar bleiben und Position beziehen…

Ebba:
… auch wenn wir dabei immer wieder angegangen werden. Etwa, wenn wir unsere Flyer verteilen. Blöde Sprüche à la »Ihr solltet Euch schämen!« oder »Ihr gehört ins Altersheim!« gab es schon immer. Mit »Ihr werdet doch alle bezahlt!« kam jetzt ein weiterer dazu. Beeindrucken lassen wir uns davon nicht.

»Wir sind zwar parteilich neutral, aber nicht werteneutral.«

MYP Magazine:
War der Vorwurf, staatlich finanziert zu sein, die größte Falschinformation, mit der Ihr in der Vergangenheit zu kämpfen hattet?

Nora:
Ein ähnlich großer Unfug war die Unterstellung, parteipolitisch zu sein. Aber auch das weisen wir klar und deutlich von uns. Unser Verein ist parteilich neutral. Punkt. Dieser Neutralitätsbegriff wird aber gerne missbraucht, um uns anzugreifen. Der Vorwurf lautet dann: »Wenn die Omas tatsächlich neutral wären, würden sie nicht bestimmte Werte vertreten.« Werte übrigens, die vor allem der AfD ziemlich gegen den Strich gehen. Und dieser Aspekt stimmt ja auch: Wir sind zwar parteilich neutral, aber nicht werteneutral. Das können wir gar nicht sein, wenn wir uns für die Demokratie starkmachen. Wir fühlen uns den Werten des Grundgesetzes verpflichtet.

Marie-Luise:
In der Konsequenz heißt das für uns: Wenn sich eine Partei wie die AfD gegen demokratische Grundwerte richtet und wenn wir auf der Straße von den Leuten gefragt werden, was sie wählen sollen, müssen wir hier selbstverständlich Position beziehen. Lange Zeit haben wir darauf geantwortet: alles, nur nicht die AfD. Aber da mittlerweile auch die Brandmauer der Union zur AfD bröselt, ist es mir auch wichtig, auf problematische Entwicklungen in etablierten Parteien hinzuweisen.

Nora:
Um es ganz klar zu sagen: Wir haben in dem Zusammenhang keine Kritik an der CDU als Partei geübt, sondern an der speziellen Vorgehensweise: Mithilfe der AfD einen Antrag durch den Bundestag zu bringen, war und ist für uns absolut indiskutabel.

Nora (61), Ebba (74) und Marie-Luise (76): »die öffentlichen Räume nicht den Rechten überlassen«

»Auch das gehört zu unserer täglichen Arbeit: der Faktencheck dessen, was Rechte so behaupten.«

MYP Magazine:
Wie steht Ihr zur Frage, ob die AfD verboten werden sollte?

Nora:
Dieses Thema wird innerhalb der Omas heiß diskutiert. »AfD-Verbot, kann man das fordern?«, höre ich da immer wieder. Ich finde: Natürlich kann man das! Insbesondere, wenn eine Partei bereits als rechtsextremer Verdachtsfall oder als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Gegen solche demokratiefeindlichen Kräfte anzugehen, ist Teil unseres Wertekanons.

(Hinweis der Redaktion: Mittlerweile stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD als »gesichert rechtsextremistisch« ein. Aktuell hat das BfV seine Einstufung allerdings bis zu einer Gerichtsentscheidung über ein Eilverfahren ausgesetzt.)

Ebba:
Zu meinem persönlichen Demokratieverständnis gehört es, Stichwort Dreiteilung der Gewalten, dass so eine Entscheidung nur vom Bundesverfassungsgericht als oberster rechtlicher Instanz getroffen werden kann. Das heißt nicht, dass man bereits im Vorfeld den Kopf in den Sand stecken muss – aus Sorge, das Verfahren könne zu lange dauern oder das Gericht könne sich am Ende gegen ein Verbot entscheiden. Noch besser finde ich den sorgenvollen Hinweis mancher Leute, so ein Parteiverbotsantrag müsse ja perfekt formuliert sein. Natürlich muss der Antrag perfekt formuliert sein! Aber die Entscheidung, ob die AfD verboten wird, treffen bitte die Richterinnen und Richter.

Marie-Luise:
Bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als die Leute über das Wesen der AfD aufzuklären: über ihre Lügen, ihre Frauenfeindlichkeit, ihre Menschen- und Demokratiefeindlichkeit. Dabei fliegen uns immer wieder Sätze entgegen wie: »Die tun wenigstens was.« Das stimmt. Was die tun, steht ganz genau in ihrem Parteiprogramm – und auch, für wen sie was tun: nicht für die armen Leute, sondern für die, die es nicht brauchen.

Nora:
Auch das gehört zu unserer täglichen Arbeit: der Faktencheck dessen, was Rechte so behaupten.

»Angst ist der Türöffner, um Rassismus überhaupt erst möglich zu machen.«

MYP Magazine:
Auf Eurer Website schreibt Ihr, dass Ihr euch »für den Abbau von Angst vor allem Fremden« einsetzt. Und über Euch selbst sagt Ihr: »Omas bringen Erfahrung und Geduld mit sowie die Erkenntnis, dass es keine einfache Lösung zu komplexen Problemen gibt.« Ihr alle blickt auf ein recht langes und erfahrungsreiches Leben. Worin wurzelt aus Eurer Sicht die Angst der Menschen vor dem – oder den – Fremden?

Marie-Luise:
Die meisten Menschen tragen in sich eine gewisse Urangst vor allem Neuen und Unbekannten. Das Neue bedeutet oft eine Veränderung des Status quo, womit man sich irgendwie arrangieren muss. Viele befürchten zudem, ihnen könne etwas weggenommen werden.

Ebba:
Die Grundhaltung ist: So, wie es schon immer war, soll es auch bleiben. Und statt eine gewisse Neugier für das Unbekannte aufzubringen, sind viele schon im Vorfeld überzeugt: Damit kann es eigentlich nur schlimmer werden.
Angst – oder in abgeschwächter Form Vorsicht – ist ja per se nichts Schlechtes. In unserer Gesellschaft ist das Ganze nur gekippt, weil mit den Ängsten und Sorgen der Leute rechte Politik gemacht wird. Was zum Beispiel die sogenannte Flüchtlingsschwemme angeht, wird die Angst der Menschen von Rechtsaußen massiv geschürt. Das Groteske ist: Die AfD macht gerade dort die meisten Punkte, wo die Leute noch nie einen Schwarzhaarigen gesehen haben.

Nora:
Angst ist der Türöffner, um Rassismus überhaupt erst möglich zu machen. Parteien wie die AfD, die machtpolitisch interessiert sind, wissen genau, wie sie diese Angst instrumentalisieren können. Denn wie Marie-Luise bereits gesagt hat: Die Angst vor dem Fremden wohnt dem Menschen inne. In der Geschichte der Menschheit war es schon immer so, dass das Fremde als etwas Bedrohliches mystifiziert und von anderen für die eigene Sache missbraucht wurde.

»Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.«

MYP Magazine:
Wie ist es Euch gelungen, in Euren Leben die Angst vor dem Fremden abzulegen und vielleicht sogar in Neugier umzuwandeln?

Nora:
In meinem Fall durch Lebenskrisen. Und durch meinen Beruf: Ich arbeite mit traumatisierten, aber auch mit schwerstkranken und oft auch sterbenden Menschen. Irgendwann habe ich für mich festgestellt, dass es gar nicht darum geht, seine Angst abzulegen, sondern darum, mit ihr umzugehen. Denn nur, wenn ich meiner Angst nicht in die Augen schaue und sie verdränge, brauche ich ein Feindbild, das mir hilft, diese Verdrängung zu kompensieren.
Daher ist es aus meiner Sicht auch so wichtig, Angst gesamtgesellschaftlich zu enttabuisieren. Viele von uns sind nicht in der Lage, mit einem so großen Gefühl wie Angst adäquat umzugehen. Wie soll man das auch können in Anbetracht der komplexen und rasanten Entwicklungen in unserer Welt, in der es immer weniger Sicherheiten gibt? Diese Ängste bremsen uns alle aus.

Marie-Luise:
Auch ich habe ein bewegtes Leben hinter mir. Und die meiste Zeit davon war ich ebenfalls sehr angstbesetzt. Das hatte vor allem mit meinem damaligen Mann zu tun, einem autoritären Bundeswehr-Offizier, den ich viel zu jung geheiratet hatte und der aus einer rechtsideologischen Familie stammte, die immer noch mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Rückblickend würde ich sagen, dass Fassbinders »Angst fressen Seele auf« lange Jahre auch der Titel meines Lebens war.
Aber irgendwie habe ich’s da rausgeschafft. Ich habe mir gesagt: Wenn ich eins nicht mehr will, dann als Opfer gesehen zu werden. Ganz im Gegenteil: Ich bin eine mutige Frau, die trotz widrigster Umstände ihren Weg gegangen ist und sich am Ende freigeschwommen hat, nicht zuletzt durch die Omas gegen Rechts. Zwar bin ich nach einem schweren Unfall gehbehindert und brauche einen Stock, was nicht gerade elegant aussieht. Aber die Omas geben mir das Gefühl, dass ich mit Mitte 70 noch etwas tun kann. Und so ist mittlerweile an die Stelle von »Angst fressen Seele auf« ein Zitat von Bertolt Brecht gerückt: »Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.«

Ebba:
Es geht einem gut, wenn man was macht und aktiv ist – dieses Gefühl habe ich nicht nur bei den Omas ganz stark. Ich spüre: Das war’s noch nicht. Wahrscheinlich auch, weil ich dort von so vielen starken Persönlichkeiten umgeben bin, die zwar alle auf sehr unterschiedliche Biografien blicken, aber von einer gemeinsamen Überzeugung angetrieben werden. Wir wollen später nicht von unseren Kindern und Enkelkindern gefragt werden: »Warum habt ihr nichts getan? Ihr habt es doch gewusst. Ihr habt es doch gesehen.«

»Ich habe zum ersten Mal gespürt, dass ich mit meiner Überzeugung nicht allein bin.«

MYP Magazine:
Nora, haben die Omas gegen Rechts Dein Leben ähnlich stark beeinflusst?

Nora:
Absolut! Die Omas haben mich aus der Erstarrung geholt. Ich erinnere mich noch, dass ich jeden Abend wie gelähmt vor den Nachrichten saß und zunehmend das Gefühl hatte: Die Welt wird verrückt, unser Land wird verrückt – vor allem, als die Correctiv-Recherche zu den geheimen Abschiebeplänen der AfD öffentlich wurde. Dazu kam, dass es in meinem persönlichen Umfeld immer häufiger Sprüche gab, die klar in der rechten Ecke zu verorten waren.
Ich habe also gesammelt und gesammelt, bis irgendwann der Explosionspunkt erreicht war. Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, aktiv etwas zu tun, und bin bei den Omas gelandet. Für mich war das wie ein Befreiungsschlag. Ich habe zum ersten Mal gespürt, dass ich mit meiner Überzeugung nicht allein bin und etwas Sinnvolles beitragen kann. Das fand ich toll. Das hat mir Hoffnung gegeben.

»Das Böse kommt immer dann zum Vorschein, wenn es gefördert wird.«

MYP Magazine:
Die Omas gegen Rechts haben sich vor sieben Jahren als zivilgesellschaftliche, parteiunabhängige Initiative gegründet – und zwar am 27. Januar 2018, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Was heißt »Nie wieder!« für Euch ganz persönlich?

Marie-Luise:
»Nie wieder!« heißt, mit allen Mitteln politische Kräfte zu bekämpfen, die für Menschenfeindlichkeit, Unterdrückung und Zwang stehen. Denn das Böse kommt immer dann zum Vorschein, wenn es gefördert wird. Von der Mutter meines Ex-Manns kenne ich noch Sprüche wie: »Wir haben noch nicht genug vergast.« Das, was damals geschehen ist, darf nie wieder geschehen. Ich habe drei wundervolle Enkelinnen und Enkel, Ebba hat acht. Man muss sich täglich vor Augen führen, welche Konsequenzen es für diese Generation hätte, wenn wir nicht alle um unsere Demokratie kämpfen würden.

Nora:
Das Unfassbare ist, dass Menschen so entmenschlicht handeln können. Und es ist schockierend, dass wir heutzutage wieder mit Aussagen von Leuten konfrontiert sind, bei denen man es durchaus für möglich hält, dass das, was damals passiert ist, wieder passieren kann.
Die Anfänge dieser Menschenverachtung, den ganzen Hass, erleben wir Omas wie bereits erwähnt seit Jahren auf der Straße. Daher ist es umso wichtiger, dass das »Nie wieder!« in unserer Gesellschaft viel, viel lauter wird – und es hätte auch schon wesentlich früher viel, viel lauter werden müssen.

Marie-Luise:
Ich habe – nicht nur durch meine eigene Biografie – den Eindruck, dass wir in Deutschland den Nationalsozialismus immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet haben. Während man in der jungen Bundesrepublik viel zu viele Leute in Verantwortung gebracht hat, die man eigentlich hätte zur Rechenschaft ziehen müssen, hat man in der DDR das Thema einfach totgeschwiegen. Da gab’s von Anfang an einfach keine Nazis. Punkt. Und so brennt bei Hitlers seit Jahrzehnten weiter das Licht, im Osten wie im Westen.

Ebba:
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

»Es ist an jeder und jedem Einzelnen von uns, dagegenzuhalten – auch an mir als Großmutter.«

MYP Magazine:
»Wir wollen einen Beitrag zum Schutz der Demokratie leisten, um auf die bedrohliche Zunahme von Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zu reagieren, denn die Würde des Menschen ist unantastbar«, heißt es auf Eurer Homepage. Wird dieser erste und wichtigste Artikel unseres Grundgesetzes immer mehr zu einem unerfüllbaren Versprechen?

Ebba:
Die Gefahr, dass Artikel 1 zur leeren Phrase wird, wächst aktuell tatsächlich. Daher ist es an jeder und jedem Einzelnen von uns, dagegenzuhalten – auch an mir als Großmutter. Ich versuche meinen Enkelkindern zu erklären, dass jeder einzelne Mensch eine Person mit Würde ist. Und dass nicht nur deren individuelle Würde unantastbar ist, sondern auch die Würde des Menschen per se.

Nora
Das ist auch das Stärkste, was uns als Omas gegen Rechts eint: die Überzeugung, dass alle Menschen die gleiche Würde haben. Und dass wir auf dieser Welt zusammengehören – weil wir alle die gleiche Luft atmen.

»Auch Frauen werden von Macht korrumpiert.«

MYP Magazine:
Warum gehört aus Eurer Perspektive zum Engagement gegen Rechtsextremismus auch der Kampf gegen Antifeminismus? Sind Frauenfeindlichkeit und rechtes Gedankengut zwei partners in crime?

Nora:
Definitiv. Das ist auch statistisch belegt. So können wir beispielsweise beobachten, dass Länder, in denen es viel Frauenfeindlichkeit gibt, auch tendenziell rechtere Regierungen haben. Ohnehin ist die politische Rechte primär männlich geprägt und besetzt. Die Rolle von Frauen ist da – natürlich von Männern – ganz klar definiert: Die Frau hat sich unterzuordnen.

MYP Magazine:
Wie erklärt Ihr euch, dass mit Alice Weidel gerade eine homosexuelle Frau an der Spitze der AfD steht?

Nora:
Ach ja, die blaue Marionettenkönigin… Es gibt genügend Frauen, die feministische Werte verraten, gar keine Frage. Frauen sind nicht per se diejenigen, die in allen Punkten moralischer handeln und entscheiden. Auch Frauen werden von Macht korrumpiert.

Ebba: (nickt)
Frauen sind nicht die besseren Menschen – nein, sie können genauso grausam sein wie Männer.

Nora:
Aber gerade bei Weidel ist für mich die Widersprüchlichkeit zwischen ihrer Lebensweise und den Moralvorstellungen ihrer Partei so gut wie unauflösbar. Ich glaube, aktuell tut sie der AfD noch einen Gefallen als Aushängeschild. Aber eigentlich bereitet sie mittelfristig nur den Weg für radikalere Männer, die nach ihr kommen.

»Tradwife-Visionen sind der ideale Unterschlupf für alle, die in ihrem Leben eher verunsichert sind.«

MYP Magazine:
Die Faszination für konservative Rollenbilder findet sich nicht nur innerhalb der AfD. Vor allem junge Menschen scheinen zunehmend Gefallen an der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu finden, Stichwort Tradwives. Wie blickt Ihr auf diesen Social-Media-Trend?

Nora:
Eine Welt, die Angst macht, produziert das Bedürfnis nach Sicherheit. Und wenn solche Tradwife-Visionen den Leuten Sicherheit suggerieren, Verantwortung abnehmen und ein klares Regelsystem anbieten, ist das der ideale Unterschlupf für alle, die in ihrem Leben eher verunsichert sind und nach Wegen suchen, ihren Selbstwert zu stärken. Außerdem habe ich den Eindruck, dass diese Lust an Verantwortungsabgabe – ob an Männer im Allgemeinen oder an Diktatoren im Speziellen – vor allem dann geweckt wird, wenn die Angst vor dem Neuen, Fremden besonders groß ist.

Ebba:
Das sehe ich auch so. Trotz aller Forderungen nach Gleichberechtigung und gleichmäßiger Aufgabenverteilung tragen Frauen heute immer noch einen viel größeren Anteil an der Care-Arbeit – statt einfach mal zu sagen: »Verflixt noch mal, ich bin berufstätig und habe trotzdem den ganzen Haushalt und die Kinder an der Hacke.« Und wenn durch die Tradwife-Idee dann endlich ein Teil dieses Daseins aufgewertet wird – mit Blumen gießen, Kuchen backen und nachmittags in der Sonne sitzen –, dann ist das für viele Frauen zunächst mal sehr attraktiv.
Was sie dabei allerdings nicht sehen, ist, was sie am Ende aus der Hand geben, wenn sie nicht mehr aktiv, berufstätig und finanziell unabhängig sind. Leider fallen darauf immer noch viel zu viele Frauen herein und geraten unbemerkt in ein schwarzes Loch, von wegen: »Och, wir lieben uns ja, für mich ist lebenslang gesorgt.« Pustekuchen! Und zack, biegt die Altersarmut um die Ecke.

»Olaf Scholz war der personifizierte Status quo. Dabei hätte er die Menschen aufrütteln müssen.«

MYP Magazine:
Bleiben wir gedanklich kurz in der Vergangenheit. In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 sagte der frisch gewählte Bundeskanzler Willy Brandt den berühmten Satz: »Wir wollen mehr Demokratie wagen.« Was viele nicht wissen, ist, dass diesem Satz folgende Passage vorausging: »Unser Volk braucht wie jedes andere seine innere Ordnung. In den 70er Jahren werden wir aber in diesem Lande nur so viel Ordnung haben, wie wir an Mitverantwortung ermutigen. Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen.« Das heißt: Demokratie funktioniert nur, wenn wir uns alle dafür engagieren. Ihr drei habt unsere Gesellschaft über viele Jahrzehnte von innen heraus beobachtet. Habt Ihr den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland träge geworden sind und sich durch abnehmendes Engagement immer mehr der Mitverantwortung entziehen?

Marie-Luise:
Wir müssen uns alle mehr einbringen – auch wenn das Anstrengung bedeutet. Aber die ist es wert, denn es steht viel zu viel auf dem Spiel. Leider hat die Politik der letzten Jahre falsche Signale gesendet. Olaf Scholz zum Beispiel war der personifizierte Status quo. Dabei hätte er die Menschen aufrütteln müssen, im Sinne von: Wir müssen was tun. Und zwar wir alle.

Nora:
Ich glaube, der Wohlstand hat uns träge gemacht. Heutzutage wirkt alles so selbstverständlich. Ich zum Beispiel komme aus einer Bergarbeiterfamilie, in der Brandt ein großes Thema war. Ich war Teil der allerersten Mädchen-Abiturklasse, das gab mir das Gefühl: Mir wird hier etwas ermöglicht, wofür man sich einsetzen musste. Damals hatte man mehr den Eindruck, dass sich persönliches Engagement auch lohnt.

»Wir haben damals besser verstanden, was auf dem Spiel steht und wie fragil unsere demokratischen Errungenschaften sind.«

MYP Magazine:
Inwiefern?

Nora:
Die Geschichte saß uns noch viel mehr im Nacken, vor allem durch die Vita unserer kriegsgeschädigten Eltern. Wir haben damals besser verstanden, was auf dem Spiel steht und wie fragil unsere demokratischen Errungenschaften sind. Ich hatte auch das Gefühl, dass wir ein Stück weit die Eltern unserer Eltern waren – und die dafür unsere Kinder. Das heißt, wir hatten gelernt, unsere individuellen Bedürfnisse zurückzustellen und uns für etwas einzusetzen, das dem großen Ganzen dient.
Das kann ich bei vielen jüngeren Generationen so nicht mehr erkennen – wahrscheinlich, weil es da nie Berührungspunkte gab mit bestimmten Erlebnissen wie etwa persönlicher Verzicht zur Absicherung von Dingen, die uns wichtig sind. Wem solche Erfahrungen fehlen, der gerät schnell in einen Tiefschlaf, der ein gewisses Selbstverständnis in Bezug auf demokratische Errungenschaften suggeriert. Und der einen ein Stück weit handlungsunfähig macht mit der Konsequenz, dass man sich dieser Mitverantwortung mehr und mehr entzieht.

»Diese Orte mit demokratischen Protesten zu bespielen, ist eine ganz andere Herausforderung.«

MYP Magazine:
Blicken wir auf die Bundesrepublik des Jahres 2025, sind wir damit konfrontiert, dass es zunehmend rechte Aufmärsche auf den Straßen gibt, denen sich auch hier in Berlin die Omas gegen Rechts entgegenstellen. Der junge Aktivist Jakob Springfeld hat gerade ein Buch mit dem Titel »Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert« veröffentlicht. Hat Berlin-Mitte keine Ahnung, was in Lichtenberg passiert?

Ebba:
Mir ist bewusst, dass wir in Berlin-Zehlendorf auf einer Insel der Glückseligen leben und manche Probleme nur aus den Medien kennen. Aber umgekehrt sind Marzahn und Lichtenberg auch keine Bezirke aus einem Guss. Ich war letztes Jahr ein paar Mal zum Demonstrieren dort und habe immer wieder erlebt, dass Menschen am Straßenrand den Daumen nach oben reckten, wenn sie uns Omas gesehen haben. Das hat mich sehr gefreut.

Nora:
Ein bisschen vernachlässigt ist der Osten Berlins immer noch, das ist schon richtig. Aber auch dort erwacht so langsam der Widerstand gegen Rechtsaußen. Wenn wir da demonstrieren, merke ich, dass der Ton der Leute deutlich schärfer ist und es mehr Contra gibt. Das passt auch in etwa zu den Wahlergebnissen in diesen Bezirken.
Überhaupt habe ich den Eindruck, dass in den Köpfen vieler Leute immer noch die Ost-West-Grenze besteht, vor allem außerhalb Berlins. Ich bin zum Beispiel oft in Sachsen und Thüringen unterwegs und erlebe die Entwicklungen dort hautnah mit – Entwicklungen, die genauso besorgniserregend sind wie in den anderen ostdeutschen Bundesländern. Diese Orte mit demokratischen Protesten zu bespielen, ist eine ganz andere Herausforderung.

»Ich hatte mir angemaßt, mir eine rote Hose zu kaufen – ohne das vorher mit meiner Mutter zu besprechen.«

MYP Magazine:
Noch mal zurück ins Jahr 1969. Willy Brandt folgte damals auf Kurt-Georg Kiesinger, der von 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP war. Damit war er im Deutschen Bundestag kein Einzelfall. Noch in den Siebzigern gab es dort über ein Dutzend Abgeordnete, die einst der NSDAP oder einer anderen NS-Organisation angehört hatten. Wie habt Ihr die BRD der Sechziger- und Siebzigerjahre erlebt?

Ebba:
Ich habe die damalige Bundesrepublik als einen Ort in Erinnerung, an dem sich sehr viel verändert hat – sogar in dem idyllischen Freiburg, in dem ich aufgewachsen bin. Dort gab es Ende der Sechziger bereits erste Demos, und zwar gegen die Erhöhung der Fahrpreise im Nahverkehr.
Meine persönliche Freiburger Idylle wurde aber vor allem dadurch beeinträchtigt, dass ich so gut wie jeden Tag mit meinem autoritären Vater zusammengeknallt bin.

MYP Magazine:
Skandal!

Ebba:
Um meinem Elternhaus zu entfliehen, bin ich 1969 direkt nach dem Abitur nach Berlin gezogen. Hier musste ich mich als bis dahin unselbständiges – und vor allem mit 18 noch drei Jahre lang nicht volljähriges – Wesen irgendwie orientieren und durchschlagen. In Berlin erlebte ich den gesellschaftlichen Wandel auf einer ganz anderen Ebene. Bei der ersten feministischen Frauenbewegung Anfang der Siebziger – »Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine« – war ich selbstverständlich dabei, ebenso bei den Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss einige Jahre später.

»Als junge Frau war meine Vorstellung von Alter eine andere.«

MYP Magazine:
Marie-Luise, welche Erinnerungen hast Du an das gesellschaftspolitische Biotop, in dem Du aufgewachsen bist?

Marie-Luise:
Solche Familienkonstellationen kenne ich nur zu gut. Mein Vater stand für uns alle auf einem riesigen Sockel. Ich dagegen war ein kleines, unbedeutendes Mädchen und hatte einen übergroßen Bruder. Und auch später in der Ehe war ich für meinen damaligen Mann nur blond, blöd und blauäugig. Erst nach vielen, vielen Jahrzehnten – und vor allem durch die Omas gegen Rechts – kann ich heute mit Stolz und Selbstbewusstsein sagen: Das bin ich nicht. Ich habe etwas zu sagen. Ich bringe mich ein. Und genau das will ich.

Ebba:
Diese Zufriedenheit oder Gelassenheit, die ich jetzt im Alter erlebe – darüber habe ich früher nicht nachgedacht. Als junge Frau war meine Vorstellung von Alter eine andere als jetzt: insgesamt diffus, aber viel weniger selbstbestimmt und aktiv, als ich das jetzt erlebe. Ich bin mit mir im Reinen.

»Die Verweigerung, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, nur weil es ein blödes Gefühl macht, halte ich für hochproblematisch.«

MYP Magazine:
Unsere heutige Gesellschaft ist eine, die dem Jugendwahn verfallen scheint und in der Boomer ein Schimpfwort ist. Dabei verfügt die Generation der sogenannten Babyboomer – also Menschen, die zwischen 1950 und 1964 geboren wurden – über die meiste Protest-Erfahrung. Ärgert es Euch, wenn Euch jüngere Menschen verbal aufs Abstellgleis schieben, obwohl Ihr euch auch für deren Rechte und Freiheiten engagiert?

Ebba:
Ärgern? Nein. Ich empfinde es nicht so, dass uns jüngere Menschen aufs Abstellgleis schieben. Indem ich ihnen mit Verständnis und Respekt begegne und ihnen signalisiere, dass ihre Lebensrealität und damit auch ihre Perspektive eine andere ist als meine, erhalte ich dieses Verständnis insgesamt auch zurück. Im Umgang mit meinen Enkel*innen ist das ebenfalls so, da kommt nicht dieses: »Ja, träum du mal weiter von der Steinzeit, du hast ja keine Ahnung, was jetzt läuft.«

Nora:
Ich ärgere mich auch nicht, dass ich demonstriere und für eine Sache einstehe. Darauf bin ich stolz. Was ich allerdings sehr bedauerlich finde und auch kritisieren würde, ist die Art und Weise, wie vor allem jüngere Menschen verdrängend durch die Welt laufen. Bei vielen scheint es die Grundhaltung zu geben: »Ich sterbe nie. Und wenn, dann ohne mich.«

Nora:
Diese Verweigerung, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, nur weil es ein blödes Gefühl macht, halte ich für hochproblematisch. Aus diesem Grund stehen wir in unserer Gesellschaft jetzt plötzlich an einem Punkt, an dem wir alle dieses blöde Gefühl haben. Wir kommen mit Angst nicht klar, wir kommen mit Verzicht nicht klar, wir kommen mit Unsicherheit nicht klar. Und gleichzeitig sollen wir irgendwie die Transformationen und Herausforderungen unserer Zeit bewältigen. Das ist meine größte Sorge. Wir müssen die Menschen dringend dazu bewegen, endlich hinzuschauen. Wie sollen wir die Dinge bewältigen, wenn wir sie nicht sehen?

Marie-Luise:
Gerade deshalb ist es so wichtig, sie wachzurütteln. Wenn ich eines gelernt habe in meinem Leben, dann das: Man wird oft erst mit der Aufgabe wach und groß.

Nora und Ebba nicken.

Nora:
Übrigens: Das Älterwerden ist auch etwas, das viele nicht sehen und anerkennen wollen. Und wer kann’s ihnen auch verübeln. Das Alter, machen wir uns nichts vor, ist in unserer Gesellschaft nichts Positives. So passiert es auch immer wieder, dass mich Leute irritiert anschauen, wenn ich erzähle, dass ich bei den Omas gegen Rechts bin. Die einzige Reaktion ist dann oft: »Was?! Du bist doch keine Oma!« Dieses Wort hat für viele einen gewissen Igitt-Faktor. Ich kenne selbst Urgroßmütter, die nicht Oma genannt werden wollen.

»Wenn ich mit meinen Problemen und Ängsten befangen bin, kann ich nicht sozial agieren.«

MYP Magazine:
Die Soziologin Elisabeth Rohr beklagte kürzlich in einem Aufsatz das »Verschwinden von Empathie in Zeiten gesellschaftlicher Radikalisierung«. In einem SPIEGEL-Interview erklärt sie, warum das radikalen Gruppierungen nützt und wie mehr Miteinander entstehen könnte. Wie können insbesondere Großmütter dazu beitragen, dass ihre Enkelkinder ihr Herz nicht verlieren?

Ebba:
Indem wir ihnen als empathische Menschen begegnen. Klar, das ist natürlich auch der Luxus von Großeltern, die nicht 24/7 im Elterngeschäft eingebunden sind, sondern vielleicht ein, zwei Nachmittage in der Woche. Und in meinem Fall sind drei Enkelinnen schon erwachsen. Dennoch versuche ich, allen so viel Zeit wie möglich zu schenken und vor allem den Jüngsten immer wieder zu signalisieren: »Du bist richtig so, wie du bist. Trau dich und mach dich nicht klein.« In welche Zukunft sie hineinwachsen, welche Schwierigkeiten ihnen begegnen werden, Stichwort Klimawandel, kann ich kaum oder gar nicht beeinflussen – was immer ich mir auch für sie wünsche. Umso wichtiger ist es mir, dass sie zu starken Menschen werden, die Ziele verfolgen und sich nicht so leicht aus der Bahn werfen lassen.

MYP Magazine:
Diese Fähigkeit hast Du selbst wohl eher nicht von Deinen Eltern gelernt.

Ebba:
Nein, ich habe in meinem Elternhaus leider immer sehr viel schwarze Pädagogik erfahren, bei der es nur darum ging, mir Angst zu machen und mich unter Beobachtung zu halten. Das ist doch Mist!
Ich fürchte nicht vollkommen unbegründet, dass unsere Kinder und Enkelkinder noch verdammt schwere Zeiten vor sich haben als Erwachsene. Und das Einzige, was ich ihnen für diese schweren Zeiten mitgeben kann, ist bedingungslose Liebe – und der Versuch, sie nicht zu Egoisten zu erziehen.
Für mich persönlich heißt das aber auch: Nur wenn es mir selbst gut geht, kann ich auch anderen etwas geben. Denn wenn ich mit meinen Problemen und Ängsten befangen bin, kann ich nicht sozial agieren. Aus diesem Grund achte ich mittlerweile sehr genau auf mein eigenes Wohlbefinden. Nur so kann ich nach außen strahlen.

»In Geschichte war Alice Kreide holen.«

MYP Magazine:
Apropos nach außen strahlen: Was wünscht Ihr euch als Omas gegen Rechts für die Zukunft?

Marie-Luise:
Dass unsere Präsenz dazu beiträgt, mehr Leute zum Nachdenken zu bewegen. Was mich immer wieder positiv stimmt, ist die Tatsache, dass gegen Schwurbler und Rechtsextreme nicht nur wir Großmütter auf die Straße gehen, sondern auch viele Schülerinnen und Schüler. Das haben wir erst kürzlich wieder auf der Schloßstraße in Steglitz erlebt. Da waren etliche junge Leute, die sich hochmotiviert und mit Begeisterung an unsere Seite gestellt haben.

Ebba:
Besonders gut gefallen hat mir dabei das Schild eines Schülers, auf dem stand: »In Geschichte war Alice Kreide holen.«

Marie-Luise: (lächelt)
Ja, in solchen Momenten habe ich immer wieder die Gewissheit: Du kannst was tun, du bist auf dem richtigen Weg.

Ebba:
Ich hoffe natürlich, dass sich die Dinge in unserem Land so positiv entwickeln, dass die Omas gegen Rechts irgendwann überflüssig werden – auch wenn mir dazu gerade die Fantasie fehlt. Daher wünsche ich mir, dass wir weiterhin so aktiv sein können wie jetzt, um Teil der wachen Zivilgesellschaft zu bleiben.

Nora:
Wir Omas gegen Rechts machen für andere erlebbar, dass Aktivität etwas bewirken kann. Daher wünsche ich mir, dass wir alle lernen zu verinnerlichen, dass jede und jeder Einzelne von uns etwas bewegen kann. Das ist mein zentrales Anliegen, das gibt mir Hoffnung. Ich möchte das Ganze nicht vom Ende her denken. Was soll auch das Ergebnis sein? Mit dystopischen Gedanken bremse ich im schlimmsten Fall nur meine eigene Bewegung aus. Und in Bewegung zu bleiben, das ist in Zeiten wie diesen das Wichtigste.