Fotoserie — Lydia Föll

Gefangene des Selbstbilds

Mit ihrer siebenteiligen Fotoserie »Trugbilder« beleuchtet Lydia Föll das Phänomen der negativen Selbstkritik, einer abwertenden, destruktiven Form der Selbstwahrnehmung. In den Mittelpunkt stellt sie dabei den eigenen Körper – bei der profansten aller Tagesroutinen: dem morgendlichen Duschen.

17. März 2021 — MYP N° 30 »Gemeinschaft« — Fotografie: Lydia Föll

Ein kurzer Blick in den Spiegel und man findet etwas an sich auszusetzen – ein Gefühl, das jede*r von uns kennt. Das, was andere an einem schön finden, spielt dabei keine Rolle, auch weil man es selbst vielleicht noch gar nicht bewusst als solches wahrgenommen hat. Wir betrügen uns tagtäglich selbst, indem wir unser Selbstbild herabsetzen. Wer ist schon komplett zufrieden mit sich?

„Die Wahrnehmung des eigenen Selbst spielt eine wichtige Rolle im Leben eines jeden Menschen. Sie beeinflusst unser Denken und Handeln und definiert letztlich unser ganz individuelles Bild von uns: das Selbstbild. Dabei stellt insbesondere das kritische Auseinandersetzen mit uns einen großen Bestandteil unserer eigenen Selbstwahrnehmung dar.

Da wir uns permanent beurteilen, uns mit eigenen, vergangenen Erfolgen messen und immer besser sein wollen, fokussiert sich unsere Eigenkritik meist auf unsere persönlichen Schwachpunkte und befördert immer neue Selbstzweifel – ein Leben lang.“

In ihrer Arbeit konzentriert sich die 17-jährige Lydia Föll insbesondere auf die abwertende, destruktive Form der Selbstwahrnehmung: die negative Selbstkritik. Dafür setzt sie sich fotografisch mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinander und dokumentiert den Blick auf sich selbst in einer Situation, die alltäglicher nicht sein könnte und mit der sich jede*r von uns identifizieren kann: die tägliche Dusche.

„Man geht ins Bad, kapselt sich durch das Schließen der Tür von seiner Außenwelt ab, streift sich langsam die Klamotten vom Körper und lässt damit eine Hülle fallen, mit der man sich sonst seiner Außenwelt präsentiert. Ein kurzer Blick in den Spiegel, der eigentlich hätte vermeidbar sein können, und man stellt sich unter die Dusche. Man ist seinem nackten Körper schonungslos ausgesetzt. Und wenn man Probleme mit diesem Körper hat, ist man mit den Problemen nun direkt konfrontiert.“

Auch wenn man seinen Körper nicht groß beachtet, ist man in dieser Situation ganz allein seinen Gedanken überlassen. Es gibt keine äußeren Einflüsse, mit denen man sich gerade beschäftigen könnte, weder mit anderen Menschen noch mit dem Handy noch mit irgendwelchen Medien. Man ist ganz allein man selbst – und ist dabei nicht nur körperlich, sondern auch gedanklich komplett auf sich selbst zurückgeworfen. Nicht selten verfällt man dabei in eine nachdenkliche Stimmung – und Selbstzweifel sind ein Teil davon.“

Mit ihrer Fotoserie möchte Lydia Föll einerseits stille Zweifel ausdrücken, die man eher tief in sich hineinfrisst und nicht unbedingt zulässt. Andererseits stellt sie auch laute Zweifel dar, die sie etwa durch impulsives Weinen und Schreien zum Vorschein bringt.

„Jeder Mensch befindet sich in einer ganz eigenen Blase. Für Außenstehende ist nur die Oberfläche in Form einer Hülle sichtbar, die für uns wie ein Schutzmechanismus wirkt – um zu verhindern, unserem Gegenüber zu viele Emotionen und Eigenschaften zu offenbaren. Manchmal geben wir sogar vor, jemand anderes zu sein, um nicht auf bestimmte Eigenschaften reduziert zu werden oder um eine andere Wirkung auf Außenstehende zu erzielen. Wie alle anderen beurteilen auch wir unsere Mitmenschen zunächst oberflächlich, auf Basis unseres ersten Eindrucks und der äußeren Hülle, die wir wahrnehmen. Wir beurteilen leichtsinnig, ohne Weiteres, völlig grundlos – und nehmen keine Rücksicht darauf, was sich hinter der präsentierten Hülle verbergen könnte.“

Lydia Föll entwickelt mit ihrer Arbeit die These, dass jeder Mensch von Trugbildern geprägt ist, und stellt dabei die Frage, aus welchen Elementen wir uns unsere eigene Realität zusammenbauen. Besteht diese aus unserem Selbstbild, aus dem Fremdbild oder aus der Rückkopplung der Fremdwahrnehmung auf uns selbst – also der Annahme, wie andere uns wahrnehmen?

„Als außenstehende Person weiß man nie, was hinter der Hülle eines Menschen steckt. Das Bild, das wir alle nach außen tragen, kann ebenso trügerisch sein und ganz andere Eindrücke bei unseren Mitmenschen erwecken wie das, was eigentlich dahintersteckt. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Fremdbilder und das Selbstbild deckungsgleich mit den jeweiligen Faktoren sind. Was ist dabei die Wirklichkeit? Ist es das Selbstbild, verschiedene Fremdbilder oder das Zusammenspiel der Wahrnehmungen?“