Editorial — Jonas Höschl & Anna Hofmann

Team Teller

In einem Sommer vor »Social Distancing« besuchte Jonas Höschl zusammen mit seiner Klasse für Fotografie deren Professor Juergen Teller in London. Sie spielten viel Fußball und fotografierten sich dabei. Zu dem kleinen Editorial, das damals entstand, hat Jonas‘ ehemalige Kommilitonin und Autorin Anna Hofmann nun nachträglich eine Kurzgeschichte verfasst.

4. Mai 2020 — MYP N° 29 »Vakuum« — Fotografie: Jonas Höschl, Text: Anna Hofmann

»In jeder Landschaft bildet sich eine Glocke um uns, die uns behütet vor dem, was uns nachts nicht schlafen lässt.«

Während diese Einsamkeit mich fast umzubringen droht, versuche ich, das Wichtige nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei streiten sich zwei größere Punkte in meinem Kopf: Ist das Wesentliche das, was es noch zu tun gibt, oder viel eher die Erinnerung an Tage, an denen wir mit unseren Fahrrädern zur Wiese gefahren sind? Als du irrsinnig schnell gefahren bist, weil du den Weg besser kennst als ich. Das macht mir nichts aus, ich weiß, dass du nur schnell fährst, wenn es dir gut geht. Und wenn wir ankommen, lassen wir unsere Räder ins Gras fallen. Du breitest dann das große Tuch aus und scherzt darüber, wann wir es zuletzt benutzt haben. Weißt du noch, als das Brandloch entstanden ist?

Wir lachen und suchen nach der Stelle, rechts unten in der Ecke. Durch das Loch haben sich ein paar Grashalme gedrängt, ich stelle die Weinflasche darauf, damit das Tuch nicht wegweht. Als wir uns setzen, fällt mir das Geräusch auf: Ein gigantisches Brummen um uns herum, es klingt eher technisch und sehr aufgeregt.

In jeder Landschaft, in die wir beide uns setzen, bildet sich eine Glocke um uns, die uns vom Alltag abschirmt, die uns behütet vor dem, was uns nachts nicht schlafen lässt.

»Wann haben wir beschlossen, Freundinnen zu werden?«

Ich vergesse dann darüber nachzudenken, dass alles den Bach ‘runtergeht, dass ich mit der Miete im Verzug bin und noch einkaufen gehen muss. Und manchmal vergesse ich auch, wann der Todestag meiner Mutter ist. Du stehst auf und imitierst jemanden, das bringt mich jedes Mal so sehr zum Lachen, dass ich Bauchschmerzen bekomme.

Wenn ich dich beobachte, fällt mir auf, wie zerbrechlich du wirkst und wie wenig das deinem unzerstörbaren Willen entspricht. Hast du dir etwas in den Kopf gesetzt, wird es auch so. Du bist ein kleines Naturgesetz und ich stehe oft mit Staunen daneben, wenn du alles um dich herum in Bewegung bringst.

Wann haben wir beschlossen, Freundinnen zu werden? Ich kann mich nicht an den Zeitpunkt erinnern, es scheint schon immer so zu sein. Legst du deine Stirn in Falten und siehst konzentriert auf deine Hände, weiß ich, es braucht nicht mehr lange, dann entsteht eine Idee in deinem Kopf, dann erschaffst du etwas Neues.

»Es fühlt sich ungut an, im freien Fall nach deiner Hand zu greifen, ich habe Sorge, ich ziehe dich mit.«

Ich denke an alle Träumereien, die wir uns bis jetzt ausgemalt haben. Viele haben wir vergessen, die meisten verworfen und verschoben, aber wir sind immer dort angekommen, wo wir, seit wir sehr jung waren, hinwollten. Manchmal wirst du dir unsicher und manchmal schwanke ich auch. Dann fühlt es sich ungut an, im freien Fall nach deiner Hand zu greifen, ich habe Sorge, ich ziehe dich mit.

Wir haben einander, sagst du dann immer und ich sage, ja, haben wir. Wenn ich jetzt daran denke, beugt sich dieser Unmut ein bisschen dem warmen Gefühl in meiner Magengegend und ich seufze.