In Memoriam — Prof. Christian Scholz

Natur, die ewig weitergeht

»Einen Ort mit Worten zu beschreiben, ist wie Farbe in Schwarz-Weiß zu beschreiben.« 2011 veröffentlichte Prof. Christian Scholz diese Zeilen in unserer zweiten MYP-Ausgabe. Vor wenigen Tagen ist er plötzlich und unerwartet verstorben. Mit seinem Text zum Thema »Mein Platz« erinnern wir an einen ganz besonderen Menschen, der viel zu früh von uns gegangen ist.

11. Oktober 2019 — MYP N° 26 »Stil« — Foto & Text: Prof. Christian Scholz

Ein Zimmer mit großen Landkarten an den Wänden: Farbige Pins markieren besuchte Orte auf der ganzen Welt. Doch was ist „mein“ Platz? Für ihn gibt’s keinen Pin. Er liegt in der Mitte. Um ihn dreht sich alles. Ein kleines Holzhaus in Österreich mit Blick auf den Attersee. Ja, der Satz klingt kitschig. Trotzdem: Hier bin ich seit über 50 Jahren mehrere Wochen pro Jahr.

Am Anfang stand das Haus ganz alleine da. Inzwischen hat es viele Nachbarn bekommen. Am Anfang war ich froh, auf dem Grundstück irgendwo hinter dem Haus etwas Schatten zu finden. Inzwischen sind die Bäume so hoch, dass man das Haus mit Google Earth kaum noch erkennen kann. Aber jetzt hat es ein taubenblaues Metall-Dach. Doch das hat Google noch nicht erkannt.

Hier lernte ich Latein-Vokabeln, bereitete mich auf mein Diplom-Examen vor, feierte Promotion und Habilitation. Und saß stundenlang an Manuskripten. Bücher, Aufsätze, Kolumnen: Ganz vieles ist hier entstanden. Weit weg von Stress und nur mit einem weißen Blatt Papier oder einem nicht mehr weißen MacBook.

Vom Balkon aus kann ich auf den See schauen. Früher war ich dort wochenlang beim Windsurfen. Einmal einen Sommer lang, der aus drei Monaten bestand. Nicht der Summer of 69, aber so ähnlich.

Unterschiedliche Wetterlagen: klirrende Kälte, dick zugeschneit, Holz holen. Oder schwüle Sommerabende mit tobenden Gewittern, die von West nach Ost über den See ziehen. Auf der Terrasse sitzen: Blitze zählen, Grünen Veltliner trinken. Am Morgen: das Gefühl, langsam aufzuwachen. Klappernde Kaffeetassen aus Gmundner Keramik. Traditionelle Himbeermarmelade. Als ganz kleines Kind habe ich dort gespielt. Dann mit eigenen Kindern gespielt.

Jeden Sommer. Viele Ostern. Einige Pfingsten. Manche Winter. Immer dieser Ort. Einen Ort mit Worten zu beschreiben, ist wie Farbe in Schwarz-Weiß zu beschreiben. Es geht nicht.

Endlos schöne Sommertage. Routinen, die in einem halben Jahrhundert erlernt wurden. Sozial konstruierte Realität jenseits der realen Hektik der Welt. Gefühle? Natürlich Entspannung, Geborgenheit, Ausgelassenheit – aber auch Konzentration, Energie und Gestaltungswille.

Und Natur. Die ewig weitergeht. Auch noch in vielen Generationen. Irgendwie. Aber definitiv!

Prof. Christian Scholz † (1952-2019)