Interview — Salomé Balthus

»Ich bin sehr empfindlich, wenn mich jemand emotional erpressen will«

Salomé Balthus ist Autorin und Prostituierte. Im Interview spricht sie über ihre kontroversen Kolumnen, blickt auf die Erotikbranche nach Corona und erklärt, inwiefern die Sexarbeit ihre Unkorrumpierbarkeit als Schriftstellerin fördert.

19. April 2022 — Interview: Katharina Viktoria Weiß, Fotografie: Uwe Hauth

Salomé Balthus ist Sexarbeiterin, auch wenn ihr selbst der Begriff Hure besser gefällt. Als Studentin der Philosophie und Literaturwissenschaft erlebte sie ihr erstes Mal: Auf der Toilette der Humboldt Universität zog sie sich die Pumps an und stöckelte von dort ins Luxushotel Regent, wo ein Kunde sowie eine Kollegin auf sie warteten. Die Ménage-à-trois war ihre erste Prostitutionserfahrung.

Seitdem machte Salomé Balthus unter dem Spitznamen der „kindlichen Kaiserin im Bordell Europas“ Kurtisanen-Karriere und gründete 2016 das feministische Highclass-Escort-Portal Hetaera. 2018 ging sie mit ihrem bürgerlichen Namen Hanna Lakomy an die Öffentlichkeit.

Manche Medien bezeichnen Salomé als „Deutschlands bekannteste Prostituierte“, ihre Stimme als Aktivistin für die Rechte von Prostituierten hat international Gewicht. Abseits der Erotikbranche schreibt die 38-Jährige die Kolumne „Nachtgesichter“ und die Portraitreihe „Berlin.Exotherm“ für die Berliner Zeitung. Darin hielt sie unter anderem ein Plädoyer für die feministische Journalistin Kübra Gümüşay und portraitiert Künstler*innen wie Bildhauer Hans Scheib oder Travestie-Ikone Gloria Viagra.

Darüber hinaus veröffentlicht Salomé Balthus bald ihren ersten Roman. Mit ihren Einblicken in das Stadtgeschehen und ihrem provokanten Blick auf politische Gesellschaftsprozesse gehört sie zu den spannendsten Persönlichkeiten des Berliner Kulturkolorits. Chefredakteurin Katharina Viktoria Weiß hat sie zum Interview getroffen.

»Mir ist durchaus bewusst, dass die meisten Menschen meine Meinung nicht brauchen.«

MYP Magazine:
Im vergangenen Monat hast du zwei sehr kontroverse Artikel veröffentlicht. Einer beschäftigt sich mit der verallgemeinernden Stigmatisierung ehemaliger Stasi-Mitglieder, der andere mit dem Recht auf Fahnenflucht. Bevor wir uns mit beiden Texten inhaltlich beschäftigen: Woher nimmst du den Mut – vielleicht aber auch den Drang – zur Provokation?

Salomé Balthus:
Ich verspüre keinen sozialen Druck, da ich nicht Teil einer Clique von Zeitungsleuten bin. Aus diesem Grund bin ich auch nicht der Angst ausgesetzt, dass diese Kollegen mich nicht mehr zu ihren Kochpartys einladen könnten. Zudem gibt mit die Art, wie ich Geld verdiene, die Möglichkeit, finanziell unabhängig von den Gehältern des Journalismus und von einzelnen Chefredakteuren zu sein. Ich habe aber ein paar wenige, gute Freunde, die von mir verlangen, aufrichtig zu sein. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass die meisten Menschen meine Meinung nicht brauchen. Auch was den Ukraine-Krieg betrifft, hätte ich meine Klappe gehalten…

MYP Magazine:
Aber?

Salomé Balthus:
Ich bin auf eine Geschichte gestoßen, bei der ich das Gefühl hatte, sie erzählen zu müssen. Es ging um eine Kollegin aus der Ukraine, eine trans Frau. Sie sollte als Mann im Krieg kämpfen, doch bevor es so weit kam, hat sie sich erschossen. Zuvor wurde sie an der Grenze abgewiesen, als sie fliehen wollte. Ein Umstand, der sie in den Suizid getrieben hat. Dennoch finden viele diesen erzwungen Militärdienst in der Ukraine richtig.
Diese Art von Einforderung von Parteilichkeit hat mir öfter im Leben widerstrebt. Das sind die Momente, wenn sich Regierungsparteien, Opposition und die Mehrheit der Leitmedien einig sind: „Das ist ein Angriff auf unsere Art zu leben.“ Das erste Mal war ich noch Schülerin, da passierte 9/11. Ich stand in der Schweigeminute in der Klasse und fühlte mich eigenartig davon abgekoppelt, diese schreckliche Tat als persönlichen Angriff zu sehen. Dieser gesellschaftliche Imperativ, danach anders denken zu müssen, hat mich gestört.

»Ich war ehrlich an den Reaktionen interessiert und wollte, dass die Menschen mehr als nur die Überschrift lesen können.«

MYP Magazine:
Wir beziehen uns gerade auf deine Kolumne „Lob der Feigheit“ vom 11. März. Sie blickt Richtung Krieg und schaut auf die Nicht-ganz-Freiwilligenarmee der Ukraine. Dazu hast du auf Facebook geschrieben: „Meine neue Kolumne zum Krieg in der Ukraine. Der Titel lobt die Feigheit, aber keine Kolumne hat mich bisher so viel Mut gekostet.“ Ist das Tabu Fahnenflucht so groß? Oder war es die Schwere des Kriegsthemas, das dir als Autorin so viel abverlangt hat?

Salomé Balthus:
Wir leben hier gerade wie in der Fankurve eines Stadions. Alle sollen sich engagieren, mindestens emotional. Da mischt sich Betroffenheit mit Kriegsbegeisterung. Ich will das in der Tiefe gar nicht bewerten, aber den Hinweis setzen: Bei jedem Krieg, zumindest in modernen Demokratien, wurde den beteiligten Menschen von offizieller Seite verkauft, er sei für etwas Gerechtes.
Übrigens haben auch Richard David Precht und der intellektuelle Filmemacher Alexander Kluge eine abweichende Meinung geäußert und wurden wegen Defaitismus gebrandmarkt. Einlenken wird aktuell mit Empörung gekontert. Dieser Zustand hat mich interessiert, aber natürlich empfindet man vor so einer Veröffentlichung auch Anspannung. Ich habe die Redaktion der Berliner Zeitung extra gebeten, den Artikel nicht hinter die Payroll zu legen. Denn ich war ehrlich an den Reaktionen interessiert und wollte, dass die Menschen mehr als nur die Überschrift des Artikels lesen können, um sich ein umfassendes Bild zu machen.

MYP Magazine:
Wie sind die Reaktionen schließlich ausgefallen?

Salomé Balthus:
Zum allerersten Mal in meiner Tätigkeit als Autorin habe ich über 15 Leserbriefe bekommen. Keine kurzen Kommentare, sondern formvolle Auseinandersetzungen mit dem Inhalt. Das hat mich sehr gerührt. Aber natürlich konnte ich in den vielen Kommentaren auch eine Welle der Ablehnung lesen.
Eine spannende Situation ergab sich überdies vor Kurzem in meiner Lieblingslokalität in Mitte, der Bar Freundschaft. Ich traf mich mit einer jungen Frau, die Teil meines feministischen Hurenkollektivs Hetaera werden wollte. Der Bewerbungsprozess war mit diesem Treffen abgeschlossen und ich suchte nach einem Stift, um feierlich die Dokumente zu unterzeichnen. Also wandte mich an einen Tisch mit anderen Gästen, an dem oft Kollegen einer großen deutschen Tageszeitung sitzen. Einer der Männer erkannte mich wohl, gab mir seinen Kugelschreiber und sagte: „Damit Sie wieder schreiben können, dass die Ukraine kapitulieren soll.“

»Ich kenne das Gefühl zu deutlich, wenn jemand etwas von mir will, das meine Grenzen überschreitet.«

MYP Magazine:
Wie hast du darauf reagiert?

Salomé Balthus:
Ich bin sehr empfindlich, wenn mich jemand emotional erpressen oder manipulieren will. Vielleicht – daran dachte ich heute Nacht – liegt das auch an meinem Beruf als Hure. Ich kenne das Gefühl zu deutlich, wenn jemand etwas von mir will, das meine Grenzen überschreitet. Im Sexuellen ist das oft am deutlichsten: Wenn mir einer erklärt, warum wir doch eigentlich kein Kondom benutzen müssen und wie sehr ich ihn damit kränken würde. Oder wenn jemand mit Hundeblick sagt, dass meine Weigerung, sein Sperma zu schlucken, ein Signal der Verachtung in seine Richtung sei. Das ist in der Sexarbeit so herrlich simpel und wunderbar leicht zu bewerten und zu beobachten. Diese Prozesse geschehen auf vielen Ebenen, nur kann man sie in ihrer Komplexität dann oft nicht so leicht entlarven. Und dieses Gefühl im Sinne von „Bleib mir vom Leib, beeinflusse mich nicht mit unlauteren Mitteln“ verspüre ich auch bei der Lektüre vieler Massenmedien und Social-Media-Kampagnen.

»Ich bin viele Jahre mit den Strom geschwommen und wollte nun mal eine Geschichte mit differenzierter Sichtweise erzählen.«

MYP Magazine:
In deinem Text „Ende des Stasi-Stigmas: Meine Erfahrung mit der ostdeutschen Identität im Wandel der vergangen dreißig Jahre“ war zu lesen: „Heute gibt es drei Dinge in Deutschland, die einen Menschen moralisch unmöglich machen, ihn nicht allein den Job kosten, sondern nachhaltig ins gesellschaftliche Aus befördern können: Erstens Pädophilie bzw. Kinderschändung – eine Differenzierung dieser durchaus verschiedenen Phänomene findet oft nicht statt, die große Öffentlichkeit interessiert es nicht. Zweitens, wenn man Nazi war oder Neonazi ist. Und drittens, wenn man bei der Stasi war. Das dritte unterscheidet sich von den ersten beiden insofern, als es sich nur auf die Vergangenheit bezieht und in dieser keine Straftat, ja für manche nicht einmal eine moralische Verfehlung war. Außerdem besteht, anders als bei den ersten beiden, die Möglichkeit, dass man zu dieser Tätigkeit genötigt, gar erpresst wurde. Natürlich hat man immer eine Wahl, aber das sagt sich leicht, so aus der historischen Distanz.“ Welche Resonanzen gab es auf diesen Text?

Salomé Balthus:
Besonders kontrovers waren die Rückmeldungen gar nicht. Ich weiß, dass der Text in der Redaktion recht beliebt war. Und viele Ossis fanden den auch gut. Wessis haben sich darauf gar nicht so richtig gemeldet. Vielleicht auch, weil sie mich nicht als einer Antwort würdig erachtet haben. Als jemand, der mit dem Thema aufgewachsen ist, hat mich lange die Art und Weise gestört, wie verallgemeinernd über Menschen gesprochen wurde, die mal für die Stasi gearbeitet hatten. Ich bin viele Jahre mit den Strom geschwommen und wollte nun mal eine Geschichte mit differenzierter Sichtweise erzählen.

»Es war klar, dass ich mich selbst outen muss, wenn ich diesen Schritt nicht der Bildzeitung überlassen will.«

MYP Magazine:
Du bist die Muse und Geliebte von Künstler Florian Havemann, ihr beide seid auf der Ostseite der Mauer aufgewachsen. Florians Vater war ein bekannter DDR-Regimekritiker, und den Namen deines Vaters Reinhard Lakomy kannte im Osten auch jeder. Er war ein berühmter Komponist und schrieb unzählige Kinderlieder. Sind Florian und du euch auch deshalb nahegekommen, weil ihr beide in einem ähnlichen künstlerisch-kulturellen Milieu sozialisiert wurdet?

Salomé Balthus:
Über das Dilemma, mit dem Flori und ich seit unserer Teenagerzeit umgehen – nämlich das Kind berühmter Eltern zu sein –, wurde unter anderem schon im Cicero einiges geschrieben. Manchmal war diese öffentliche Verhandlung auch schmerzhaft. Wir haben beide unabhängig voneinander Lebenswege gewählt, die bewusst eine andere Richtung einschlagen als die unserer Eltern – um nicht auf peinliche Weise von deren Ruhm zu profitieren und als „Tochter/Sohn von“ durch die Welt zu gehen.

MYP Magazine:
Du hast dich für einen Beruf entschieden, bei dem dir dein berühmter Nachname nichts bringt: Dein Outing fand erst 2018 statt, davor kannten dich deine Kunden nur unter Pseudonym. Warum hast du dich überhaupt dafür entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen?

Salomé Balthus:
Ich tat es, damit Prostitutionsgegner nicht mehr behaupten können, ich sei gar nicht real und es gäbe leidenschaftliche Prostituierte wie mich in Wirklichkeit nicht. Darum habe ich mein Gesicht in der ZEIT gezeigt, die hat eine Millionenauflage. Und weil dieses Gesicht wiederum dank meiner Eltern in der Boulevardpresse bekannt ist – und mein Klarname außerdem im Handelsregister steht –, war klar, dass ich mich selbst outen muss, wenn ich diesen Schritt nicht der Bildzeitung überlassen will.

»Am Ende ist man allein beim Denken. Das ist wichtig für mich.«

MYP Magazine:
Dir wird sicher häufiger die Frage gestellt, ob es für Männer schwierig ist, eine Beziehung mit dir einzugehen, weil du Prostituierte bist. Aber vor dem Hintergrund deiner Autorinnentätigkeit und deiner komplexen Verbindungen zum Kulturgeschehen drängt sich doch eher die Frage auf: Fällt es Menschen schwer, eine Beziehung zu dir aufzubauen, weil du als Künstlerseele wahrgenommen wirst?

Salomé Balthus:
Ich habe wenige Freunde, aber viele Bekannte. Ich hätte nichts dagegen, viele Freunde zu haben – es ist nicht so, dass ich mich abgrenze. Aber als Schülerin war ich einfach nicht so beliebt. Und jetzt haben wir gerade eine Pandemie hinter uns, da verlieren sich auch viele Kontakte. Für mich lässt sich das Gut der Freundschaft aber mit einem Satz zusammenfassen: Freunde sind jene, die einen nicht schonen. Je härter das Feedback ist, desto besser. Menschen, mit denen man sich ausdauernd streitet und die auch nach einer langen Auseinandersetzung noch darauf beharren, dass es eine Bindung gibt. Am Ende ist man aber allein beim Denken. Das ist wichtig für mich.

MYP Magazine:
Muss das so sein?

Salomé Balthus:
Ja, diese wertvolle Zeit hat Priorität. Ich schreibe auch sehr viel in der Einsamkeit. Deshalb habe ich auch so viel Verständnis für Flori. Ich weiß, dass die Arbeit das Allerwichtigste für ihn ist. Und er schenkt mir auch sehr viel Flexibilität in meinen Prioritäten. Deshalb kann ich nur mit einem Mann wie ihm zusammen sein: ein Mann, der nicht von mir verlangt, zu einem Weibchen zu werden.

MYP Magazine:
Also führst du eine offene Beziehung mit einem Mann und seiner Kunst?

Salomé Balthus:
Ja, oder mit seinem Genius oder seiner Ambition. Bei meinen Eltern war das ähnlich: Aufgrund des gegenseitigen Betrügens und der vielen Spannungen, die es in der Ehe gab, hätten sie nicht unbedingt zusammenbleiben müssen. Aber sie konnten über diesen kleinbürgerlichen Konflikten stehen, um weiter gemeinsam Kunst zu machen. Es gab Wichtigeres.

»Die Art von Prostitution, die wir anbieten, lässt sich nie digitalisieren.«

MYP Magazine:
Ich habe als Kulturanthropologin eine Studie zum Thema digitale Sexarbeit erhoben, diese fiel durch Zufall mit dem Beginn der Pandemie zusammen. Über die Monate des ersten Lockdowns hinweg stellte sich heraus, dass nun notgedrungen auch viele analoge Sexarbeiter*innen aus der Escortbranche in das Cam-Geschäft einsteigen mussten. Wie hast du die Corona-Pandemie erlebt und welche Perspektive hast du auf den aktuell stattfindenden Wandel hin zur digitalen Sexarbeit?

Salomé Balthus:
Wir haben zum Beispiel ein Telefonsex-Paket angeboten. Man bezahlt ganz entspannt im Voraus und dann gibt es zwei schöne Stunden, bei denen sich die Hetäre auch selbst befriedigt – denn es herrscht eine gewisse Dürre, wenn man davor an regelmäßigen beruflichen Sex gewöhnt war. (Anm. der Redaktion: Der Begriff Hetäre bezeichnet eine (in der Antike) meist hochgebildete, oft politisch einflussreiche Freundin oder Geliebte bedeutender Männer).
Doch das Telefonieren habe ich nur wenige Male gemacht, obwohl es sehr schön war. Die Nachfrage war einfach nicht so groß. Die Kunden waren zwar zu Hause, der Rest der Familie aber auch. Ansonsten haben mich nette Kunden mit Spenden unterstützt. In unserem Kollektiv ist aber deutlich geworden, dass sich die Art von Prostitution, die wir anbieten, nie digitalisieren lässt. Das sind einfach zwei komplett unterschiedliche Ansätze. Digitale Sexarbeit ist ein Fulltime-Job und etwas völlig anderes als analoge Sexarbeit. Um diese Inhalte zu erstellen, zu kuratieren und zu verbreiten, braucht man extrem viel Zeit und ein wachsendes Set an technischen Fähigkeiten. Meine Arbeit ist viel zwischenmenschlicher. Es geht darum, mit einem Fremden eine besondere Atmosphäre zu erschaffen. Da ist sehr viel Aufregung, sehr viel Abenteuer im Spiel.

MYP Magazine:
Du bist seit über einer Dekade in der Escortbranche tätig und arbeitest dort im absoluten Luxussegment. Beobachtest du dort bestimmte Trends?

Salomé Balthus:
Als ich anfing, hatte ich eher ältere Kunden. Die bleiben gerade etwas aus. Vielleicht hat die Generation zwischen 60 und 80 momentan noch zu viel Angst wegen Corona. Ich merke da eine gewisse Lücke, die verstärkt von jungen Männer geschlossen wird, die zu mir kommen. Teilweise sind sie erst 21, haben zum Beispiel reich geerbt und wollen jetzt Erfahrungen machen. Ich merke, dass es entgegen allen Prophezeiungen für diese jüngeren Männer weniger Probleme mit ihrer Männlichkeit gibt. Im Vergleich zu einigen älteren Kunden fühlen die sich ganz wohl damit, sich nicht als Herren der Welt aufspielen zu müssen. Sie können ihre Gebrochenheit wie auch ihre Stärke gut mit dem Respekt gegenüber Frauen vereinen. Die Männlichkeit stirbt nicht aus, das kann ich bestätigen.

»Wir befinden uns in zwei verschiedenen Lagern, die um ihre jeweiligen Perspektiven kämpfen – und in meinem Fall um die Existenz.«

MYP Magazine:
Du sprichst oft davon, Feinde zu haben. Wer sind deine Feinde? Oder anders gefragt: Warum bist du zur Feindin von Menschen geworden?

Salomé Balthus:
Das sind die Leute, die mit juristischen oder politischen Mitteln meine Lebensweise, also die Prostitution, abschaffen wollen. Das sind die Gruppen, die behaupten, alle Frauen, die das freiwillig machten, würden lügen oder seien krank. Ich habe ihnen öffentlich widersprochen und sie auch ganz offiziell zu meinen Feinden erklärt. Auch wenn wir uns persönlich nichts getan haben, befinden wir uns in zwei verschiedenen Lagern, die um ihre jeweiligen Perspektiven kämpfen – und in meinem Fall um die Existenz. Dazu gehört zum Beispiel Inge Bell, Vize-Chefin der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die mich bereits juristisch belangt hat. Oder die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier. Wer übrigens mehr über meine Position erfahren möchte, kann mal meine Kolumnen „Unsere Neopuritaner“, „Freier, am freiesten“, „Gesetz als Geißel“ oder „Die Menschenwürde“ lesen. Da gehe ich sehr dezidiert darauf ein, warum die Bestrafung von Freiern eigentlich die Bestrafung von Prostituierten bedeutet. Es ist ein Verbot durch die Hintertür.

»Stell dir vor, man würde die Veröffentlichung, den Verkauf sowie den Konsum des Mediums verbieten, für das du schreibst.«

MYP Magazine:
Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Salomé Balthus:
Ein Beispiel für dich: Ersetze doch mal „Sexkauf“ durch „Textkauf“. Der Text ist deine Arbeit, deine Dienstleistung. Du weißt, das ist nicht gerade für jeden was, aber es ist genau dein Ding. Du bist aber auf andere Leute und Institutionen angewiesen, um dein Produkt unter die Leute zu bringen. Diese Leute beuten andere Journalistinnen oft aus, das weißt du, auch wenn es dich nicht betrifft. Aber der Gesetzgeber schafft es nicht, zwischen legaler Textproduktion und kriminellem Textehandel zu differenzieren. Stell dir vor, man würde dir deinen Job als Journalistin zwar nicht verbieten, aber die „ausbeuterischen“ Herausgeber kriminalisieren und die Veröffentlichung, den Verkauf sowie den Konsum des Mediums verbieten, für das Du schreibst. Euer MYP Magazine zum Beispiel dürfte keine Homepage haben, der Host würde sich strafbar machen. Natürlich dürfte es auch keinen Zeitschriftenhandel geben, Kioskbesitzer, Zeitungsverkäufer und sogar Zeitungsausträger würden kriminalisiert.

MYP Magazine:
Dann könnten wir unsere Texte nur noch selbst ausgedruckt unter der Hand an die Leute verkaufen…

Salomé Balthus:
…die dann aber, sollte man sie damit erwischen, bestraft werden. Und du dürftest deine Texte auch nicht in Innenstädten, Kleinstädten oder in der Nähe von Kitas, Schulen oder Kirchen feilbieten. Eigentlich nur in Industriegebieten, im Wald oder im Darknet. Und die Kunden, die trotz Verbot geil sind auf deine Texte, sind dann Leute, die sich nicht abschrecken lassen von der Vorstellung, Straftaten zu begehen. Wenn sie dir den Text einfach klauen, könntest du sie nicht wegen Diebstahl anzeigen, weil der Kauf ja gar kein legales Geschäft ist. Abgesehen davon werden sie dir ihre Namen unter diesen Umständen wohl kaum nennen. Und wenn dann einer von denen nicht nur deinen Text kauft, sondern ihn dir in den Mund stopft, dich angreift, vergewaltigt oder erniedrigt, ist das alles keine andere Straftat als nur „Textkauf“. Außerdem wirst du, da du dein Geld mit Texten verdienst, stigmatisiert: „Wer kauft sowas?“, „Mit welchen Leuten gibst du dich da ab?“, „Die ist ja selbst schuld, wenn dann am Ende…“ Und wenn du es trotzdem schaffst, in dem Job glücklich und erfolgreich zu sein, dann bist du immer noch „Profiteurin der Textindustrie“.

»Ich brauche Alice Schwarzer für meinen Feminismus nicht.«

MYP Magazine:
Auch das Magazin EMMA macht gerne gegen dich Wind. Dabei steht Alice Schwarzer, die Herausgeberin der Zeitschrift, selbst im Zentrum der Kritik vieler junger Feministinnen. Und auch von anderer Stelle musste sie in den letzten Jahren zunehmend Kritik an ihrer Person erfahren. Schmerzt es dich, wenn so eine Lichtgestalt der Frauenbewegung ins Straucheln gerät?

Salomé Balthus:
Da merkt man, dass du einen westdeutschen Hintergrund hast. Für uns in Ostdeutschland war Alice Schwarzer vollkommen irrelevant. Ein Gender-Pay-Gap gab es im Sozialismus nicht. Und ob Frauen einen BH trugen, war ihre persönliche Entscheidung. Meine Großmutter, die Hebamme war, und meine ebenso berufstätige Mutter haben die Frauen im Westen bemitleidet und den Kampf von Alice Schwarzer, die für uns eine Randerscheinung war, höchstens belächelt: Abtreibung war seit den 1970er Jahren im Osten legal, meine Mutter hat offen mit mir über ihre Schwangerschaftsabbrüche gesprochen. Ich brauche Alice Schwarzer für meinen Feminismus nicht. Für mich sind Frauen wie Simone de Beauvoir, Rosa Luxemburg, Fanny Mendelssohn und Alma Mahler viel relevanter.

»Viele sind immer ganz interessiert an den Namen und an den Machtpositionen der Männer, mit denen ich schlafe.«

MYP Magazine:
Als Sexworkerin unterliegt man der Schweigepflicht. Wer nicht diskret ist, verliert seine Kunden. Ärgert es dich manchmal, dass du von deinen Erfahrungen im Detail nicht öffentlich erzählen kannst? Oder genießt du das Geheimnis?

Salomé Balthus:
Es gibt keine Schweigepflicht, nur die Datenschutzgrundverordnung. Und ich finde durchaus Wege, meine Beobachtungen zu teilen. Zudem gibt es zum Beispiel kaum Politiker, die in unserem Milieu unterwegs sind. Weil sie sich als Person öffentlichen Interesses sehen – und vielleicht auch zu Recht zu große Angst haben. Der Chef eines DAX-Unternehmens ist da wesentlich entspannter. Der hat gar nicht die Zeit nachzuschauen, was ich in meiner Kolumne so schreibe. Viele Interviewer sind zudem immer ganz interessiert an den Namen und an den Machtpositionen der Männer, mit denen ich schlafe. Aber… Achtung, Provokation! Ob ich jetzt mit dem Chef von Einhorn-Kondome oder einem Waffenhändler schlafe, ist für mein Gewerbe am Ende egal. Schließlich sind es auch nur menschengroße, hautwarme Dildos, die via Blutkreislauf betrieben werden.

MYP Magazine:
Im Rahmen einer Fotostrecke von Künstler Uwe Haut hast du dich in Venedig fotografieren lassen. Eine Stadt, die man mit Casanova und Gondolieren, mit Thomas Mann und Maskenbällen verbindet. Wofür steht Venedig für dich?

Salomé Balthus:
Venedig ist für mich vor allem die Stadt von Veronica Franco. Während der italienischen Renaissance war sie eine der bekanntesten Kurtisanen ihrer Zeit, die sich als Kunstmäzenin in gebildeten Kreisen der Gesellschaft bewegte. Auf eine Art steht Venedig für mich über der Welt, weil die Schönheit der Stadt so zeitlos ist – obwohl sie ständig im Meer zu versinken droht. Ewig und zerbrechlich zugleich. Ein Wunsch, den ich immer in Bezug auf Venedig hatte, war es, einmal im Luxushotel Danieli zu übernachten. Dort sind auch viele der Bilder entstanden.

MYP Magazine:
Beenden wir unser Gespräch mit der sinnlichen Frage nach guter Lebensführung: Was bedeutet sie für dich?

Salomé Balthus:
Viel Schlaf. Die Möglichkeit zu haben, zehn Stunden zu schlafen, wenn man will. Und die innere Freiheit, abweichende Positionen zu vertreten – dazu gehört natürlich nicht nur die innere, sondern auch die äußere Freiheit.

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