Anja Balssat

Submission — Anja Balssat

Die Sekunde

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Anja Balssat

Ich weiß nicht.
Wer alles bestimmt.
Wem was gehört.
Was mir gehört.

Aber ich habe einen Platz.
Einen Platz.
Auf dem ich sitzen darf.
Ein Stein.
Ein Stein unter einem Baum.
Ein Baum.
Dessen Geäst grüngesiebte Lichter bricht.
Von wohlwollenden Wolken umsäumt.

In diesem Moment gehört mir eine Sekunde.
Eine Sekunde.
Voll Licht.
Eine Sekunde.
Für mich.

Nun gehört mir ein Stein.
Er ist mein Thron.
Mir gehört ein Baum.
Der mir ein Sombrero sein will.
Er dient mir.
In der Sekunde meines Besitzes.
Die wohlwollenden Wolkentupfen.
Akzentuieren den Moment.
Der mir gehört.
Mir Sitzenden.
Unter einem Baum.

Umgeben von schillernden Lichtern.
Bin ich unendlich reich.
Für immer gehört sie mir.
Die Sekunde.


Jasmin Liebetrau

Submission — Jasmin Liebetrau

Souvenir-Sammlung

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Jasmin Liebetrau, Foto: Maximilian König

Ein Menschenleben stelle ich mir als eine große Collage von Momenten vor. Besondere Momente passieren einfach und werden irgendwann zu Erinnerungen. Zeit spielt dabei eine große Rolle.

Es kann ein Jahr, ein Monat, ein Tag oder nur ein einziger Augenblick sein, den ich als bloße, gedankliche Erinnerung in meinem Kopf festhalten kann.

Mit kleinen Objekten und Dingen jedoch gebe ich persönlichen Erlebnissen eine sichtbare Form. Steine, Holzstücke, Miniaturen oder Figuren, bewahren für mich symbolisch das Andenken an einen bestimmten Ort, ein wichtiges Ereignis und diese Zeit.

Jedes Souvenir ist zugleich auch ein wertvolles Fundstück, das in selbstgebauten Holzkästchen seinen Platz findet und meinen Erinnerungen zu einer besonderen Kollektion werden lässt.


Ina & Sander Jain

Submission — Ina & Sander Jain

Fliegende Fische / Andenken gegenüber

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Texte: Ina & Sander Jain, Foto: Sander Jain

Fliegende Fische

wir bringen fischen das fliegen bei

pinsel aus sternscherben rahmen wir welt
gebrannte kinder spucken kein feuer
wir schmelzen gleichzeit im werdewachs
warum wir
lichttropfen halten am feuerglas

wenn es dunkel bleibt
falte die nacht
wandler verglühen im werdegang
du bist nicht allein

im flachland keimt licht
alle farben weiß knüpfen die netzhaut
es schneit auf der lichtung aus glas
lichter irren nicht
wir sehen uns wieder

fliege mit fischen
sie kennen den weg

 

Andenken gegenüber

S: 🙂

I: 🙂 Was bringt Dich zum Lachen?

S: Die Realität ist lustig an sich. Wenn ich es schaffe, die Dinge für das zu sehen, was sie sind, dann muss ich einfach schmunzeln.

I: Und jetzt?

S: Frage oder Antwort?

I: Frage.

S: Antwort?

I: Wohin gehst Du?

S: Ich gehe immer weiter zu mir selbst.

I: Woran orientierst Du Dich?

S: Ich folge bewusst und unbewusst meinem Herzen, indem ich mich von meinen Träumen leiten lasse und dem stelle oder ausweiche, was mich quält. Ich laufe mir selbst entgegen.
Ich brauche das Gefühl zu wachsen und niemals damit aufzuhören. Mich inspiriert unendliches Werden.
I: Im Fluss oder auf der Flucht?

S: Mein Ideal ist, mit dem Weg zu fließen, mein Weg zu sein, in und mit jedem Moment. Aber oft bleibe ich hängen und habe das Gefühl, alles rauscht vorbei. Es ist ein Wechselspiel, durch das ich mir immer bewusster werde. Mein Weg ist die einzige Zuflucht, die einzige Orientierung.

I: Was bedeutet Ruhe für Dich?

S: Wenn ich es schaffe, zu sein und keine Gedanken und Erwartungen zu kreieren, die mich vom Wesentlichen ablenken würden. Zu viele Gedanken und Erwartungen verstellen die klare Sicht. Im inneren Frieden fühle ich mich lebendig, erfahre mich als liebender Mensch – bin im Fluss.

I: Momente der Ruhe?

S: Ich habe selten Ruhe. Aber ein Moment der Ruhe ist, wenn ich in der Präsenz eines Menschen bin, den ich liebe und einfach nur sein kann. Oder wenn ich draußen in der Wildnis von Natur umgeben bin und die Elemente spüre, mich selbst erfahre. Das inspiriert und heilt mich. Und Meditation ist ein Werkzeug für mich, um auch ganz bewusst zu mir zu kommen, wenn ich mich mal verlassen habe. Und für Dich?

I: Ich glaube, ich habe gar keine so große Sehnsucht nach Ruhe.
Mir macht Ruhe oft Angst. Sie ist für mich mit Stillstand verbunden. Momente der inneren Ruhe sind oft Momente, die außen gar nicht ruhig sind. Ein schöner Moment mit jemandem, in dem ich ausgelassen bin, lache, spiele, dann fühle ich mich innerlich ruhig, weil er erfüllt ist. Neben einem Pferd herzugehen und zu merken, dass der Takt stimmt, das Meer anzusehen… Auch da stellt sich Ruhe ein.

S: Ruhe ist wohl oft mehr Sein als Denken.

I: Was ist ein Andenken für Dich?

S: Es ist etwas, das mich an mich selbst erinnern kann, an bewusst erlebte Momente meines Weges; an Elemente, die Teil von mir geworden sind. Es ist sozusagen ein Tool, mit dem ich Zugang Momenten finde, die mit Sinn gefüllt sind/waren. Ein Andenken soll mich fühlen lassen. Man nimmt aus vielen wahren Momenten Souvenirs mit, aus der Angst heraus, dass die Momente vergehen oder vielleicht auch weil man sie nicht ganz bewusst erlebt hat. Dabei sind wir eigentlich unser eigenes Andenken, denn die Erfahrung selbst ist das Souvenir. Sie ist Teil von einem, hat einen zu dem gemacht, was man gerade ist.
Auch wenn ich die Idee von materiellen Andenken romantisch finde, fällt es mir selber manchmal schwer, sie anzunehmen, weil ich weiß, dass eigentlich das Selbst sein bestes Andenken ist. Dem sollte man vertrauen. Andenken an angenehme Erlebnisse können mir Hoffnung und Vorfreude auf weitere bewusste Momente machen. Menschen können einander Andenken an sich selbst sein. Bestenfalls erinnert man jemanden durch sein eigenes Sein an sich selbst und umgekehrt.

I: Andenken sind eine Erinnerung an die Zukunft… Zukunft oder Vergangenheit?

S: Zukunft. Und die Zukunft ist das Jetzt. Zeit ist eine Illusion für mich, die nur Relevanz hat, wenn ich nicht im Moment bin. Alles was ich mir wünsche zu finden, liegt Hier und Jetzt. Meine Zukunft ist das Jetzt. Mich an Träumen zu orientieren, mir der vollen Realität des Jetzt bewusst zu werden.

I: Was träumst Du?

S: Alles. Momente. Ich glaube, man kann nur Momente träumen.

I: Das ist die Schönheit von Träumen.

S: Konkrete Träume sind aber auch der Hintergrund, auf dem ich im Jetzt bleibe, um genau dort anzukommen. Und wenn ich es schaffe, einen Moment hier und jetzt zu träumen, dann wird er auch real werden, weil ich schon den ersten Schritt damit getan habe. Irgendwann finde ich mich dann in meinem eigenen Traumbild wieder und erkenne, dass ich sehend dahin gereist bin.

I: Kann man Träume abbilden?

S: Ich schöpfe Träume aus dem Hier und Jetzt und versuche sie in Momentaufnahmen einzufangen. Deshalb fotografiere ich. Diese sind dann meine Andenken an mich selbst und können mich und hoffentlich auch viele andere wiederum inspirieren und zum Träumen anregen. Hast Du einen konkreten Traum?

I: Der Traum wandelt sich mit mir in jedem Moment.
Ich habe ein Gefühl dafür, wie sich Träume anfühlen aber selten eine konkrete Vision. Vielleicht mal mit einem Auto einfach nur unterwegs sein und da anhalten können, wo ich möchte, mal mit den wichtigsten Menschen zusammen in einer Community leben. Mal auch einfach nur in meinem Bett liegen, geborgen sein. Die Träume sind ganz abhängig vom Moment… Träume sind alles für mich, und meine Antwort darauf wirkt so banal. Eigentlich kann die Antwort auf die Frage gar nicht spektakulär genug sein. So wichtig fühlt es sich für mich an, zu träumen.

S: Du fühlst also, dass die Realität ein Traum ist…

I: Realität und Traum gehören für mich untrennbar zusammen und inspirieren sich.
Was inspiriert Dich?

S: Wahre Momente. Etwas ganz Neues, etwas wirklich Authentisches und Zauberhaftes kann für mich nur aus dem puren Moment entstehen. Im Moment liegt die magische Möglichkeit alles durch nichts und nichts durch alles zu finden, weil ich dort die größte Freiheit und Unvoreingenommenheit habe. Wollte ich beispielsweise ein Fisch werden, dann dürfte ich mich noch nicht einmal über meinen Körper definieren 🙂
Bestenfalls schafft man es, das pure Bewusstsein zu sein. Nichts zu versuchen und alles zuzulassen. Dann zeigt sich die Magie im Moment. Und wenn nicht, dann ist man gerade in Gedanken. Woran denkst Du?

I: Meistens an den nächsten Schritt.
Ich gehe mit den Gedanken nicht zu weit in die Zukunft, weil ich nicht glaube, dass man den Weg durch Denken alleine finden kann. Und ein Stück weit sind meine Gedanken immer bei den Menschen, die mir wichtig sind. Schön sind die Momente, in denen ich träume, abschweife – in die Welten in mir. Das sind die Welten, aus denen heraus ich schreibe. In ihnen fühle ich mich zu Hause.

S: Oft sind wir uns nicht bewusst, dass wir selber unser größtes Rätsel sind. Das mag ich am kreativen Arbeiten. Du erkundest Dich selbst und kommunizierst mit anderen.

I: Deshalb ist es so faszinierend,
wenn ich mich in einem Kunstwerk wiederfinde, weil ich dadurch an mich selbst erinnert werde. Das ist oft ganz unerwartet. Es ist genauso besonders, mich in dem zu sehen, was ich selber schreibe, wie mich in Kunst anderer wiederzusehen. Das finde ich oft sogar noch magischer.

S: Für mich ist eine künstlerische Arbeit dann besonders, wenn sie die Offenheit besitzt, als Schlüssel zum Träumen zu dienen. Erst der Betrachter macht sie vollkommen, real, zu einem lebendigen Andenken, indem er sie mit sich selbst füllt.


Lukas Leister

Submission — Lukas Leister

Ein halbes Jahr

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Lukas Leister, Foto: www.beat-eisele.com

Der schwarze Fleck, da wolle er keine beschönigende Umschweife machen, sei ein haselnussgroßer Tumor mitten im Stammhirn. Dr. Larsson tippte mit seinem Mittelfinger unerträglich souverän auf dem Ausdruck der Röntgenaufnahme herum. Es hatte mich schon immer gestört, wenn Leute anstatt des Zeigefingers, der seine zeigende Funktion ja nicht offensichtlicher im Namen tragen könnte, den Mittelfinger zum Deuten benutzten. Dass es dann letzten Endes Larssons souveräner Mittelfinger sein musste, der mir das attestierte, was ich die letzten Tage befürchtete, war wie ein finaler Tritt in sowieso schon angebrochene Rippen.

Überhaupt wirkte alles an Larsson so unangenehm gefestigt und sicher. Seine klare, tiefe Stimme, seine kerzengerade Haltung und das markante Gesicht machten ihn zu dem, was man im Groben und Ganzen als genaues Gegenteil von mir bezeichnen kann.

Es täte ihm leid sagte er, während er wie einstudiert seine Hand mit tröstender Absicht auf meiner knorrigen Schulter parkte.
Doch trösten konnte er mich nicht und wollte ich mich auch nicht lassen.

Stattdessen schien mir seine Hand wie ein heißes Bügeleisen, das sich langsam seinen Weg durch meine Jacke, meinen Pullover und meine Haut brannte. Erschrocken von der Hitze, die sich plötzlich in meinem Körper ausbreitete, schubste ich seine Hand ungewollt grob von mir.

Davon unbeeindruckt schaute mir Dr. Larsson, der wohl auf eine Reaktion von mir wartete, mit einem starrem Blick in die Augen. Genau wie ich rechnete er wohl damit, dass ich jeden Moment in Tränen aus- und dann zusammenbrechen würde. Doch irgendwie schaffte ich es ruhig zu bleiben, nichts zu sagen und regungslos dazustehen, für eine – vielleicht auch zwei – Minuten.

Meine vermeintliche Gefasstheit ließ augenscheinlich auch den Arzt zumindest für einen kurzen Moment stutzen und verstummen, was mir für einen noch viel kürzen Moment ein beinahe befriedigendes Gefühl gab, mein Gegenüber aus seiner Routine gerissen zu haben.

Dass ich schon die letzten zwei Tage abwechselnd geweint, geschrien, nichts gegessen und wenig geschlafen hatte, konnte er nicht wissen und ich hätte den Teufel getan und es ihm erzählt.

„Wie lange?“, war das Erste was ich dann mit doch peinlich zittriger Stimme über die Lippen brachte – das hatte ich mir zurechtgelegt. In Arztserien schafft das Stellen dieser Frage für gewöhnlich einen dramatisch anmutenden Pathos. In meiner Situation war es nicht pathetisch und wenn überhaupt mutete es erbärmlich an. Indessen bot es der Souveränität Larssons Gelegenheit, sich in voller Pracht zurückzumelden.
Das könne er nicht sagen, da müsse man erst genauere Tests durchführen, es wäre mir nur nahezulegen, auch wenn er sicherlich leicht reden hätte, nicht den Kopf in den Sand zu ste… „Wie lange?“, unterbrach ich ihn. Larsson hielt inne.

Drei, vier Monate, wenn man sofort mit der Behandlung beginne und die Medikamente anschlügen, vielleicht auch ein halbes Jahr. Man könne mich heute noch aufnehmen, er würde sich persönlich darum kümmern.
Ob ich schon gepackt hätte, fragte er mich. „Nein.“, sagte ich und nickte trotzdem zustimmend, dass
das wohl das Nächste sei, was zu tun wäre.

Draußen vor der Klinik schien die Sonne. Ich schaute auf meine Uhr. Es war März, der zweiundzwanzigste, Mittagszeit. Larsson hatte recht, ich musste packen. In drei Stunden ging mein Flieger.

Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und schlug den Jahreskalender auf der dritten Seite auf.

Ein halbes Jahr im besten Fall, dann wäre es September und bald Herbst.


Sarah Neuendorf

Submission — Sarah Neuendorf

Ein Stück von mir

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Illustration: Sarah Neuendorf

Kunst ist mein Souvenir.

Wenn ich zeichne, reise ich. Der erste Strich bringt mich auf den Weg in die Welt. Ich reise nicht mit Bahn und Bus – ich reise schneller. Tusche bringt mich zu den Walen, Fineliner in den Schnee der Arktis und das raue Aquarellpapier ist die Haut der Inuit. Aufnehmen und Erleben, hören und sehen, tasten und schmecken und ich kann zurück ohne jedes Souvenir. Aschenbecher in Walfischform, Schlüsselanhänger mit Babyrobbenfell und die Tüte getrockneter Narwalhaut bleiben zurück.

Ich habe andere Andenken.

Illustrationen spiegeln einen Teil des Künstlers wieder, etwas, das tief im Verborgenen liegt. Hat sich in der Arbeit nun Schmerz, Freude, Trauer oder Glück manifestiert, oft bleibt es dem Betrachter auf den ersten Blick verborgen. Öffnet sich der Beobachter, ist er bereit, einzutauchen in das Werk, spürt er die Gefühle, so wird er die Welt des Künstlers bereisen. Oder er erlebt sein eigenes Entdecken und nimmt seinen Teil des Andenkens mit, dass nur ihm gehört.

Für mich enthält jede Arbeit ein Stück von mir und wird als visuelles Andenken an das jeweilige Gefühl bleiben.


Sophie Euler

Submission — Sophie Euler

Santa Monica

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Sophie Euler

Ein Andenken verbinde ich immer mit plastischen Souvenirs aus dem Ausland, die, zurück in der Heimat, meistens ihre Funktion als Staubfänger einwandfrei erfüllen oder ziemlich schnell in der Altkleidersammlung landen, weil sie doch nicht so tragbar und cool sind, wie sie es am Strand von _____ waren. Wäre ich nicht in Los Angeles gewesen, könnte ich diesen Text bereits wieder beenden…

Im März 2009 flogen meine beste Freundin und ich nach Santa Monica, eine Stadt in L.A. County, deren Strand-Pier man vor allem in diversen amerikanischen Fernsehsendungen sehr oft zu sehen bekommt. Anfangs kam mir vieles künstlich vor und ich war irritiert von den vielen Unbekannten, die alle sehr überschwänglich wissen wollten, wie es mir geht. Für mich waren das Gute-Laune-Terroristen, die alle gleichzeitig mit den Waffen der „daily happiness“ Amok liefen. Eine Überforderung für eine grantige Österreicherin wie mich.

An einem sonnigen Tag beschlossen wir, uns Räder auszuborgen und am Strand entlang zu fahren. Für 10 Dollar die Stunde erhielt ich ein amerikanisches Cruiser Bike. Im Nachhinein hätte ich für dieses Vergnügen auch das Doppelte bezahlt: So wie ich mich gefühlt habe, als ich mit ca 10 km/h auf der Strandpromenade entlang gecruist bin, müssen sich Harley Davidson Fahrer mit 200 Sachen auf der Landstraße fühlen (assoziierte ich wahrscheinlich aufgrund des tiefliegenden, großen Sitzes und der breiten Lenkstange, denn außer dem Mitfahrgefühl einer Vespa 50 Speciale, hatte ich keinen Vergleich).

Genau dieses Gefühl wollte ich zu Hause in Berlin auch haben! Unbeschwert, lässig, entspannt. Es war für mich ganz klar, ich musste ein Cruiser Bike kaufen, aber eines, das kalifornischen Sand im Reifenprofil hat, eines mit Charakter!

In der 3rd Promenade klapperte ich alle Fahrradgeschäfte ab. Alle hatten nur Neuware für einige 100 Dollar. Niemand wusste von einem „Second Hand Cruiser“ Shop. Niemand außer Dave! Dave arbeitete bei einer amerikanischen Version von Intersport in der Radabteilung und gab mir den entscheidenden Tipp. Gleich in der Nähe des Piers sei ein Fahrradverleih. Offiziell würden dort keine Räder verkauft, aber ich solle danach fragen und „Grüße von Dave“ bestellen.

Eine Stunde später war ich Besitzerin eines gebrauchten schwarzen Cruiser Bikes mit rosa Felgen und einem Fahrradkörbchen. Kosten: 40 Dollar! Ob Dave was davon abbekam, blieb ein Geheimnis.

Für meinen Rückflug nach Berlin musste ich laut Air New Zealand nur noch eine spezielle „Fahrradtasche“ kaufen. Zurück zu Dave. Er verkaufte mir nicht nur die Spezialtasche, sondern zerlegte mein Fahrrad dafür auch noch in seine Einzelteile. Die Tasche kostete übrigens 54,99 Dollar.

Alles einfacher als ich dachte, aber die Gedanken an die Heimfahrt mit dem Bus vom Berliner Flughafen in meine Wohnung lösten inneren Stress aus. Die Tasche war extrem schwer, sperrig, und ich hatte ja auch noch meinen Koffer dabei…

Ankunft in Berlin-Tegel: Keine schwarze Tasche weit und breit! Alles umsonst? Nach 15 Minuten aufgeregten Nachfragens entpuppte sich die Situation als Glücksfall. Mein Fahrrad steckte in London fest und wurde mir dann einen Tag später von einem Kurier direkt in meine Wohnung im ersten Stock geliefert.
Der Kurier fluchte bei jedem Schritt im Stiegenhaus über die schwere Riesentasche und ich konnte erahnen, was mir erspart geblieben ist!

Ich bin stolz auf mein Andenken, und wenn die Sonne über Berlin scheint, cruise ich los, erinnere mich an den Strand von Santa Monica, frage Fremde im Vorbeifahren nach ihrem Befinden, grüße mit einer lässigen Handbewegung meine langhaarigen, bärtigen Kollegen auf ihren Harleys und fühle mich unbeschreiblich gut!

In eine polizeiliche Fahrradkontrolle sollte ich aber lieber nicht geraten, denn mein Cruiser hat keine Handbremsen. Die würden nur den rosa Lack von den Felgen wetzen. Ich bremse mit Rücktritt, wenn die Kette zur Abwechslung mal nicht rausspringt! Die Lenkstange wackelt etwas und der Sitz quietscht von Jahr zu Jahr mehr, weil die Federn rosten. Bergauf zu fahren fordert sportliche Höchstleistungen, weil es keine Gangschaltung gibt.

Ach ja und bei Regen werde ich extrem nass. Bei Cruisern hat man keine Schutzbleche, weil uncool…


Fábio Miguel Roque

Submission — Fábio Miguel Roque

Wonderful Balance

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »My Souvenir« — Text & Photo: Fábio Miguel Roque

Having this opportunity to describe something through text and image as “My Souvenir,” I decided to dedicate this project to my two year old son, Tomé.

I, unlike most people, always doubted that I would one day become a father. Not that I didn’t want to be one, but I always imagined that fate, for some reason, would not give me this opportunity. We have such doubtful and enduring feelings towards several ideas or situations, but I was mistaken.

With great anticipation I waited eight months, although he was born prematurely. I don’t have any experience and knowledge in this field, but like with many situations and experiences, we slowly learned.

There were very many good moments, but some bad ones as well: many feelings of frustration were had, my career stagnated due to shifting priorities and fatigue, which rendered my unable to visit the cinema, or do anything for that matter.

My project could be entirely different, but it is not. The project is my souvenir, representing a wonderful balance that has been maintained over two years. As a father, I have experienced unimaginable and indescribable sensations and emotions during this period of time. And, of course, all that has been temporarily cast aside, such as trips to the cinema and involvement with my career, has been reestablished with a new sense of normalcy and a desire to improve greatly and significantly.


Wincent Weiss

Submission — Wincent Weiss

Salzige Luft

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Wincent Weiss, Foto: Sascha Wenicke

Ich bin nie alleine. Denn überall wo ich bin, ist sie bei mir: Meine Gitarre! Seit 16 Monaten ist sie chronisch an meiner Seite. Zusammengefunden haben wir im Internet, in einem Online-Shop.
Als ich ihr kleines Foto sah, wusste ich: Die muss ich haben – sofort! Denn sie sah nicht nur unglaublich schön aus, sondern war auch ein echtes Schnäppchen: Nur 500 Euro hat sie gekostet. Das Geld dafür habe ich mir trotzdem hart zusammengespart und dafür Dinge wie meine Playstation verkauft.

Ja, so war das damals. Und heute erinnert sie mich an alles, was ich in der letzten Zeit erlebt habe: Reisen in die Karibik, Ausflüge nach Berlin, Köln, Hamburg. Und Ans Meer.
Wenn ich auf ihr spiele, habe ich Bilder in meinem Kopf. Meistens sehr schöne. Von Freunden, die ich gerade nicht sehen kann. Ich sehe sogar Lieder. Lieder, die ich liebe, oder solche, die ich längst nicht mehr hören kann.

Sie erinnert mich auch an Zuhause, denn da wohne ich jetzt nicht mehr. Um Musik zu machen, habe ich gerade meine Heimat Eutin in Schleswig-Holstein verlassen.
Mit einem Koffer in der Hand. Und meiner Gitarre auf dem Rücken.

München ist jetzt meine neue Stadt. Eigentlich ist das ist ein sehr schöner Ort – aber leider einer ohne Meer. Das hatte ich früher direkt vor der Tür. Und jetzt trennen mich und das viele salzige Wasser der Ostsee mehrere hundert Kilometer.

Das gleiche gilt für meine Familie. Sie ist jetzt ebenfalls ganz weit weg von mir.

Aber meine Gitarre ist ja noch da. Und wenn ich auf ihren sechs Saiten spiele, sehe ich das Meer und meine Familie vor mir. Ich schmecke die salzige Luft. Und sehe die Gesichter der Menschen, die ich mag.

Auf den Gitarren-Hals habe ich mir übrigens den Namen meiner kleinen Schwester geschrieben. Aber die Gitarre selbst hat keinen Namen!

Warum? Ich habe schon oft überlegt, wie ich sie nennen könnte. Otto, Claudia, Johnny?
Nein – kein Name dieser Welt kann sagen, was sie für mich ist…


Julian Heun

Submission — Julian Heun

Eine indische Rupie in einer Dose

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text: Julian Heun, Foto: Roberto Brundo

Ich weiß nicht mehr, wie es genau geschah, aber ich stand in Bangalore neben einem Straßenstand für gebratene Eingeweide und hatte kein Geld mehr. Eine unglückliche Mischung aus gestrichenen Flügen und fehlgeschlagenen Überweisungen trug Schuld.

Also ging ich tagelang immer wieder zum Geldautomaten durch die Slums und hasste die Stadt mit ihrem Smog und der fettigen Luft, die einen Schmierfilm auf die Haut legte. In Indien kann man Essen für Kleinstbeträge kaufen, aber irgendwann war die letzte Münze weg und sogar die verbrannten Schafsinnereien unerschwinglich.

Das Blickfeld quoll über vor blauer Plastikplanen der sich aneinanderdrängenden Behausungen aus Altmetallstücken, Pappfronten, Palettenkisten und immer wieder jenen blauen Plastikplanenfetzen. Hügel aus Müll wie Vorgärten. Aber alles Interesse für die Fremde war überdeckt von meiner Kraftlosigkeit und Aggressivität. Nichts essen können, nichts tun können, nur warten und schwitzen. Dann die unwirklichen Shoppingcenter voll geleckter Bars und Läden für IT-Yuppies, an deren Fassaden der Blick ausrutschte und gegen reiche Inder prallte, die in den unterkühlten Glasgängen ihre seltsame Neigung für Schlaghosen befriedigten.

Bankautomat für Bankautomat, doch es gab kein Geld. Meist war ich zu schwach, die Bettler anzuschauen. Bis irgendwann auf halbem Weg zu den Bankautomaten in einem Slum ein kleiner Junge vor mir stand in einer Wand aus Geruch. Er war von seinen Eltern zum Betteln verkleidet worden als der Affengott Hanuman. Mit der einen Hand formte er eine Essgeste und mit der anderen hielt er seinen lila Affenschwanz. Aber diesmal konnte ich nicht weggucken und was blieb mir, außer zu sagen, dass ich nichts habe, gar nichts.

Da lächelte er, fasste in ein Beutelchen und reichte mir daraus eine Rupie. Die Rupie hat wie jede einen Wert von 1,7 Cent und ich bewahre sie in der abgebildeten Dose auf. Sie ist mir heilig. Deshalb möchte ich sie auch nicht fotografieren. Wenn man es versuchte, entstünde eine digitale Rückkopplung, die Linse splitterte. Sicherlich käme ein lila beschwanzter Trockennasenaffe herbeigeeilt, der – bevor das Glaskonfetti zu Boden gefallen wäre – dem Photograph die Kamera entrisse und sie kreischend am Sockel einer großen Hanuman-Skulptur opferte.


Robin Kater

Submission — Robin Kater

Für immer wach

14. Juli 2013 — MYP No. 11 »Mein Souvenir« — Text & Foto: Robin Kater

Als Kind brachte ich von all’ meinen Reisen irgendein Andenken mit nach Hause, sei es ein Kuscheltier, eine Postkarte oder “irgendetwas zum Hinstellen”.
Diese Gegenstände sind daraufhin leider häufig in allen möglichen Ecken meines Zimmers verschollen oder verstaubten in Regalen.

Wenn ich sie ansah, wusste ich zwar noch ungefähr, wo dieser Gegenstand herkam, aber oft gab es dazu keine bestimmte Geschichte, die mir wieder einfallen würde.

Seitdem ich eine Kamera besitze und diese aktiv nutze, stelle ich fest, dass mein Andenken an alles, was mir besonders erscheint, durch meine Bilder gewährleistet wird. Dies sind nicht unbedingt Momente, die mit der Kamera festgehalten wurden, sondern vor allem Orte und Stimmungen an denselben, die sich irgendwo in meinem Gedächtnis eingenistet haben.

Diese Andenken sind nun nicht mehr materiell, sondern eigentlich weder greifbar und leicht mit Anderen teilbar.

So erinnere ich mich beispielsweise oft an einen einzelnen Tag, den ich mit meiner Familie während eines Schottlandurlaubs erlebt habe.

Sonne, Meer, Wald, Berge, Klippen, Wind, Waldwege, eine Bucht… All das sind die einzelnen Andenken, die mir diesen Tag immer noch nahezu lebhaft vor Augen führen.

An diesem Tag habe ich auch fotografiert. Ich hoffe, dass die Bilder, die ich dort gemacht habe, mein Andenken an die Stimmung an diesem Tag für immer wach halten.