Editorial — Thaer Ayoub

Dialog mit dem Gefängniswärter

Schriftsteller Thaer Ayoub floh Anfang 2015 von Aleppo nach Deutschland, nachdem er vom syrischen Regime wegen seiner Gedichte ein Jahr lang inhaftiert und gefoltert worden war. Im Dezember 2017 erschien sein Gedichtband »Katharina und Aleppo« – die deutsche Sprache hat er sich selbst beigebracht.

18. Juni 2018 — MYP No. 22 »Widerstand« — Text: Thaer Ayoub, Fotos: Michel Diercks

»Wenn ich schrie, war meine Stimme ihre Furcht.«

Dort … wo die Nachtzeit endlos ist
War mein Schweigen endlos
Und mein Körper schützte sich vor den Peitschen
Mit seiner Blutung
Und wenn ich schrie, war meine Stimme ihre Furcht, dann erhöhten sie die Lautstärke der
Beschimpfungen,
um sich vor ihrer Musik zu schützen.

So war ein Jahr wie ein Jahrhundert des Schmerzes.

Ist der Skorpion der Zeit so langsam
Oder sind wir langsam in unserem Kriechen in den Tod?
Wo ist diese ewige Ruhe, die die Philosophen Nihilismus nennen?

Der Freund, der aus dem Folterzimmer kam,
nachdem er seine Quote bekommen hatte, sagte mir:

Ich verleihe dir die Fähigkeit, die in mir übrigblieb, zur Hoffnung.
Alles ist möglich, bis auf dass du den Weg verlierst.
Nein … habe keine Angst vor dem Schmerz,
sondern sieh ihn als Freund.
Umarme ihn und verleihe deiner Seele aus ihm
Den Anfang der Melodie, dann tanzt sie vielleicht hoch
Weit weg von den Peitschen als Zeuge für dieses Verbrechen.

Tanz, weil der Tanz die Reinheit der Seele von der Niederlage ist.

»Größer als ihr Gefängnis ist dein Herz.«

Oh … falls der Gefängniswärter das Wesen des Tanzes lernen würde
Und falls die Peitsche zu einer zärtlichen Flöte würde,
würde die ganze Welt sich von den Kriegen, der Tyrannei, dem Hass,
dem unterschwelligen Groll, dem Rassismus, den Gefängnissen und der Aggression befreien.

Ein Märtyrer sagte mir eine Stunde vor der Hinrichtung:

Größer als ihr Gefängnis ist dein Herz
Und weiter als ihre Vermutung ist dein Weg
Und wärmer als ihre Kälte ist dein Blut, das das Leben segnet
Und wilder als ihre Beschimpfung ist dein Mund, dem die Lieder gehören
Und dein Schweigen ist nervig.

Widerstehe wie wir widerstanden
und unterschreibe nicht auf der Kapitulationsurkunde.
Versöhne nicht.
Die Versöhnung ist nichts anderes als Verzichten auf die Träume.
Wenn du auf deinen Traum verzichtest, stirb lieber
Und glaube nicht den Worten der Politiker über den Frieden.
Die Politiker tragen in ihren Behauptungen einen Sarg
Für deinen Traum, der auf dem Markt der wirtschaftlichen Interessen begraben wird.
Nein … kein Frieden ohne Freiheit.
Dort … in einem Keller,
der mit allem, was es im Universum vom Hass auf das Leben gibt, vorbereitet ist
und dessen Ziel es ist, irgendeine Zukunft zu sabotieren
und das Selbst herauszuziehen,
war unser erstes Treffen.

Mein Gefängniswärter sagt:

„Glaubst du wirklich an den Sieg?“

„Wir versuchen immer noch, wie die Freien zu sterben,
wenn wir wie die Freien nicht leben können.“

„Ihr werdet aber getötet.“

„Nicht so schlimm. Viele Generationen werden leben, aber in Freiheit.“

»Ihr, also die Dichter, seid dumm. Ihr glaubt, dass ihr diese ganze Welt mit dem Stift verbessern könnt.«

„Ihr, also die Dichter, seid dumm. Ihr glaubt, dass ihr diese ganze Welt mit dem Stift verbessern könnt.“

„Wenn wir es nicht können, werden wir wenigstens den Anteil des Elends in ihr nicht erhöhen, wie ihr es macht.
Lest die Geschichten der Völker, um zu verstehen,
dass es keine Ewigkeit für einen Tyrannen gibt
und dass die Fesseln nicht beständig sind
und dass die Peitschen fadenscheinig werden
und um zu verstehen, dass die Völker trotz der hohen Wände des Gefängnisses die Sonne haben werden.“

„Falls du irgendwann hier rausgehen wirst, wirst du mich töten?“

„Ich werde machen, was ein freier Mensch machen kann.
Dein Blut ist nicht das Ziel des Blutes, das geflossen ist,
weil du nur eine Phase bist, die enden wird, bevor mein Blut
auf dem Veilchen der Heimat ausgetrocknet sein wird.
Es wird …“

„Es geht los.“

Er unterbrach seinen Dialog und hing mich auf.

»Vor ihm war ich ganz nackt, bis auf die Ehre.«

Vor ihm war ich ganz nackt, bis auf die Ehre.
Ich guckte in seine Augen, aber sah das Gesicht des Todes nicht,
sondern ich sah mich als Vogel vor der Geliebten.

Er sah in meine Augen, dann schauderte er
Und sah sich selbst als den Gefangenen,
der ans Kreuz gehängt ist.