Interview — Steven Cook

Design by Culture

Steven Cook ist Designer und Experte für Markenkultur. Seine beruflichen Anfänge fand der gebürtige Kalifornier in der wilden Surf- und Snowboardwelt, heute ist er Partner der Berliner Kreativagentur Edenspiekermann. Ein Gespräch über die Bedeutung von Marke und Design.

3. Mai 2016 — MYP No. 20 »Mein System« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Franz Grünewald

Das „Zentrale Männergefängnis Ost-Berlin“ im Stadtteil Rummelsburg diente jahrzehntelang der DDR-Regierung als Sammelstelle für politische Gefangene und sogenannte „asoziale Elemente“. Als im November 1989 die Mauer fiel, war auch das Schicksal des Gefängnisses besiegelt. Kurz nach der Wiedervereinigung wurde es geschlossen. Für immer.

Doch was macht man mit einem alten Knastgelände – vor allem, wenn es so eine exponierte Lage hat wie dieses? Das Gefängnisareal im Nordosten der Rummelsburger Bucht liegt direkt am Wasser und bietet einen beeindruckenden Blick auf die Spree und die Halbinsel Alt-Stralau.

Heute, ein gutes Vierteljahrhundert später, ist das Problem gelöst. Wo Menschen einst auf engstem Raum mit Freiheitsentzug bestraft wurden, ist in den letzten Jahren eine gediegene Wohnsiedlung entstanden. Zwischen alten Backsteinbauten, die man aufwendig entkernt, saniert und mit Loftwohnungen bestückt hat, reihen sich diverse Mehrfamilien-Bungalows aneinander – schlicht, modern und funktional gestaltet. „Bauhousy“ eben, wie man heute so schön sagt. Steven Cook, der an der südkalifornischen Pazifikküste geboren und aufgewachsen ist, lebt mit seiner Familie in einem dieser Bungalows und hat es sich mehr als gemütlich gemacht.

Jonas:
Kennst du den Artikel über Grundschüler aus Hermosa Beach, der Mitte letzten Jahres auf ZEIT online veröffentlicht wurde? Headline: „Achtung, surfende Schulkinder!“ Subline: „Wer lebt, wo andere Urlaub machen, kann jeden Tag surfen. Um den Neid deutscher 13-Jähriger zu befeuern, zeigen wir, was Jungs in Kalifornien vor der Schule so treiben.“ Dazu gibt es eine Fotostrecke, die dokumentiert, wie sich am frühen Morgen in einer kleinen Küstenstadt südlich von Los Angeles eine Horde Zwölfjähriger zum Surfen trifft. Wenn man dort aufwächst, muss man eine glückliche Kindheit haben, oder?

Ich gehörte zu den Skatern, nicht zu den Surfern – zwischen diesen beiden Gruppen gibt es öfter mal Konflikte.

Steven (schaut sich den Artikel auf dem Smartphone an):
Ich selbst komme aus Huntington Beach. Das ist von Hermosa Beach zwar eine knappe Autostunde entfernt, aber es sieht dort fast genauso aus. Ich persönlich hatte eine sehr glückliche Kindheit, allerdings gehörte ich zu den Skatern, nicht zu den Surfern – zwischen diesen beiden Gruppen gibt es öfter mal Konflikte. (Steven grinst) Dass die Kids vor der Schule surfen gehen, ist in der Gegend ganz normal – auch viele Erwachsene tun das, bevor sie zur Arbeit fahren.

Jonas:
So etwas kenne ich nur aus der TV-Serie „The O.C.“, in der Rechtsanwalt Sandy Cohen morgens immer eine Runde surft, bevor er ins Büro fährt. Ist das nicht fast schon ein wenig cheesy?

Steven:
Klar, das ist natürlich ein großes Klischee, das in der Serie bedient wird. Aber in Kalifornien ist so etwas tatsächlich ganz normal, zumindest man direkt an der Küste wohnt. Anderswo gehen die Leute ja auch joggen, bevor sie zur Arbeit fahren.

Jonas:
Neben deiner Leidenschaft fürs Skaten hast du irgendwann das Thema Design für dich entdeckt. Wie kam es dazu?

Steven:
Ich glaube, mich hat Design schon immer interessiert – genauso wie Architektur. An amerikanischen Highschools hat man die Möglichkeit, neben dem regulären Unterricht sogenannte „Vocational Classes“ zu belegen. Bei diesen Unterrichtseinheiten geht es darum, Schüler an bestimmte Berufe heranzuführen und ihnen erste praktische Fähigkeiten zu vermitteln, beispielsweise in Fotografie, Malerei oder Zeichnen.
An meiner Schule gab es damals zwei Fächer, die mich besonders interessiert haben: „Drafting“ und „Graphic Arts“. Wegen des Bezugs zur Architektur habe ich zuerst „Drafting“, also technisches Zeichnen, belegt. Im nächsten Jahr habe ich Grafikdesign ausprobiert – das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht.
Dummerweise durfte man einen Kurs nicht zweimal hintereinander belegen. Da mein Lehrer aber gemerkt hat, wie viel mir das Ganze bedeutete und dass bei mir wohl ein gewisses Talent vorhanden war, hat er mich kurzerhand zu seinem Assistent gemacht. So konnte er mit einem Trick die Vorschrift umgehen. Und mir war es möglich, noch ein weiteres Jahr zu bleiben. Spätestens ab diesem Punkt habe ich gewusst, dass ich mal einen Beruf haben werde, der etwas mit Design zu tun hat.

Jonas:
Was kann einem Besseres passieren, als mit so einer klaren Vorstellung die Highschool abzuschließen?

Steven:
Das stimmt. Allerdings habe ich mich in den ersten Jahren nach der Highschool nicht wirklich mit Design beschäftigt. Als ich auf dem Junior College war – das kommt in den USA nach der Highschool – hatte ich plötzlich die Idee, mich in Richtung Innenarchitektur zu orientieren. Aber auch das habe ich relativ schnell wieder verworfen und mich entschieden, zuerst einmal in der Firma meines Stiefbruders zu arbeiten – im Bereich Investmentbanking.

Jonas:
Du warst Investmentbanker?

Steven:
Ja, das war fantastisch! In diesem Job habe ich gelernt, wie man verkauft. Nach etwa 18 Monaten habe ich aber auch damit aufgehört und bin kurzerhand in die Berge gezogen. Dort habe ich viereinhalb Jahre lang nichts anderes gemacht, als zu snowboarden.

Jonas:
Und vom Snowboarden alleine kann man überleben?

Steven:
Reich wird man damit natürlich nicht. Aber seit der Highschool war Snowboarden irgendwie ein großes Ding für mich. Und da ich darin auch nicht so schlecht war, habe mich auf die Suche nach Sponsoren gemacht. Bereits nach wenigen Monaten hatte ich diverse Firmen an der Hand, die mich unterstützt haben – zwar nicht mit Geld, aber dafür mit einem Haufen Zeug und Ausrüstung. Außerdem hatte ich in der Zeit den einen oder anderen Nebenjob. So bin ich ganz gut über die Runden gekommen.

Jonas:
Was genau hat dich nach viereinhalb Jahren Snowboarden wieder zurück zum Design gebracht?

Steven:
Während meiner Zeit in den Bergen habe ich irgendwann nach Möglichkeiten gesucht, wieder etwas im Design-Bereich zu machen. Meine damalige Freundin, die bei Intel in der Abteilung für künstliche Intelligenz arbeitete, sagte eines Tages zu mir: „You are such a visual person. You should be a web designer, this is your thing. You should create websites!“
Das war der Punkt, an dem ich mich entschieden habe, wieder Design zu studieren. Also habe ich mich am „Platt College“ im Nordosten von Los Angeles eingeschrieben und dort zwei Jahre später mein Diplom in Grafikdesign gemacht. Anschließend bin ich an das berühmte „Pasadena ArtCenter College of Design“ gewechselt und habe dort noch ein weiteres Jahr studiert. Das muss um 1999 gewesen sein.

Jonas:
Noch sechs Jahre zuvor hat Bill Gates gesagt: „Das Internet ist nur ein Hype.“

Steven (Steven lacht laut):
Ich glaube, heute würde er das etwas anders sehen.

Jonas:
Vor kurzem hat mir ein ehemaliger Marketing-Verantwortlicher von Daimler erzählt, dass der Konzern Anfang der 90er Jahre nach einem geeigneten Standort für ein Mercedes-Benz Design Center gesucht hat. Damals hat man sich letztendlich dazu entschieden, sich in der Gegend um Los Angeles anzusiedeln – nicht zuletzt, weil man in Reichweite zum Pasadena ArtCenter sein wollte. Er sagte, dass den Leuten bei Mercedes-Benz damals bewusst wurde, dass man als Marke dorthin müsse, wo die Kreativen seien. Und nicht umgekehrt.

Steven:
Das stimmt. Das Besondere an dieser Hochschule ist, dass man sich dort weniger theoretisch mit Kunst und Design befasst, sondern einen eher pragmatischeren Ansatz mit mehr Praxisbezug verfolgt. Das macht das ArtCenter meiner Meinung nach so einzigartig – mal ganz abgesehen von der faszinierenden Lage des Campus.
Die Absolventen dort sind nicht nur hochkreativ und talentiert, sie haben gleichzeitig auch ein großes Gespür für die wirtschaftliche Bedeutung von Design sowie die vielen Möglichkeiten, die es heutzutage bietet. Daher können sie nach ihrem Abschluss oft auch in höhere Karrierestufen einsteigen als andere.

Jonas:
Das heißt, das Pasadena ArtCenter hat dir einen ganz neuen Blick auf Design eröffnet?

Unser Job besteht zu 80 Prozent daraus, dem Auftraggeber die Hand zu halten. Nur 20 Prozent der Arbeit ist tatsächlich Design.

Steven:
In meinem Fall war dafür nicht das ArtCenter verantwortlich, sondern mein Grafikdesign-Lehrer an der Highschool. Er sagte immer: „Unser Job besteht zu 80 Prozent daraus, dem Auftraggeber die Hand zu halten. Nur 20 Prozent der Arbeit ist tatsächlich Design.“ (Steven lacht)

Jonas:
Ein interessanter Satz.

Steven:
Nicht nur interessant, sondern auch wahr. Als Designer arbeiten bedeutet, seine Auftraggeber zu beraten und dafür zu sorgen, dass sie sich wohlfühlen. Und es geht darum, eine Verbindung zwischen der Qualität der eigenen Arbeit und der Wertigkeit des Business der Auftraggeber zu schaffen. Wenn ich eine Broschüre oder eine Website so gestalten kann, dass meine Auftraggeber dadurch besser verkaufen, ist das ein direkter Beleg für die Qualität meiner eigenen Arbeit, meines eigenen Designs. Das ist etwas, was ich schon sehr früh gelernt habe – und womit ich natürlich auch schon öfter meine Schwierigkeiten hatte.
Als Designer ist man ja immer bestrebt, abgefahrene Buchcover oder anderen fancy Stuff zu gestalten. Vor allem, wenn man neu in dem Job ist, denkt man, dass man sich hauptsächlich über die künstlerische Komponente positionieren muss, und bietet den Auftraggebern dementsprechend die ausgefallensten Entwürfe an. Irgendwann lernt man aber, dass das eigene Geschäftsmodell nur funktioniert, wenn man auch die Funktionalität seines Designs gewährleisten kann. Bei Kreativen entsteht in solchen Situationen oft ein Krampf: Der innerste Wunsch ist es, etwas möglichst Außergewöhnliches zu erschaffen, auf der anderen Seite geht es darum, seinen Auftraggebern zu ermöglichen, beispielsweise über das, was man da gestaltet hat, möglichst viele Elektrowerkzeuge zu verkaufen.

Jonas:
Das heißt, im Endeffekt geht es weniger darum, ein Logo oder eine Broschüre zu gestalten, sondern eine Geschäftsbeziehung zu designen.

Steven:
Auf jeden Fall! Für mich ist Design die logische Erweiterung von Businessplan und Unternehmensstrategie. Ich sehe Design als das Tool, das Medium, das Interface, das letztendlich die Verbindung zwischen Konsument und Unternehmen herstellt.

Jonas:
Im Jahr 2000 hast du gemeinsam mit einem Partner deine erste eigene Design-Agentur gegründet und ihr den Namen FDH gegeben. In Deutschland steht diese Abkürzung für „Friss die Hälfte!“.

Steven (lacht):
Diesen Namen werde ich definitiv für meine nächste Firma nehmen! In unserem Fall stand FDH für „Function Design House“.

Jonas:
Das klingt ein wenig nach Bauhaus.

Steven:
Jaja. Mein Geschäftspartner hat deutsche Eltern, die aus dem Schwarzwald stammen. Wir wollten mit dem Namen unseren Anspruch unterstreichen, Wertigkeit aus Funktionalität zu schöpfen. Und das „House“ im Namen bezieht sich einfach darauf, dass wir zusammen in einer WG gewohnt haben.

Jonas:
Wie habt ihr euer Business damals zum Laufen gebracht?

Steven:
Ich hatte ja immer noch gute Verbindungen in die Surf-, Skater- und Snowboardwelt, die haben uns einen tollen Einstieg beschert. Wir hatten Klienten wie Quicksilver, Paul Frank und viele andere mehr, für die wir hauptsächlich Webseiten erstellt haben. Und da mein Geschäftspartner außerdem einen guten Draht zum Filmbusiness hatte, haben wir mit FDH auch etliche Onlineauftritte für Filmleute wie Javier Bardem oder Jennifer Aniston realisiert. So ist unsere Company kontinuierlich gewachsen. Irgendwann sind wir sogar in ein richtiges Büro gezogen und hatten diverse eigene Mitarbeiter und Freelancer, die für uns gearbeitet haben.

Jonas:
Trotzdem hat es dich auch in deiner eigenen Firma nicht lange gehalten: Im Jahr 2004 bist du nach New York gezogen und hast bei Tommy Hilfiger angefangen. Wie kam es dazu?

Steven:
Bei FDH hatte ich eine großartige Zeit, das muss ich einfach sagen. Allerdings gab es irgendwann einen Punkt, an dem mein Geschäftspartner und ich gemerkt haben, dass wir uns immer mehr in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Während ihm das Angebot gemacht wurde, ein neues Magazin namens „Anthem Magazine“ aufzubauen, bei dem er sich künstlerisch total austoben konnte, wollte ich mich eher auf die Entwicklung und Gestaltung von Marken konzentrieren.
Ich hatte das Gefühl, dass ich in meinem Leben wieder einen größeren Schritt machen muss, um mich in meinem Beruf als Designer weiterentwickeln zu können. Also bin ich kurzerhand nach New York gezogen. Dort hatte ich ziemliches Glück: Über die Leute, die ich dort bereits kannte, habe ich erfahren, dass Tommy Hilfiger gerade einen Assistant Art Director suchte. Ich habe mich auf diesen Job beworben, wurde angenommen und habe dort dann neun Monate lang als Freelancer gearbeitet. Nach diesem Job habe ich einige Monate lang für verschiedene kleinere Label gearbeitet, bis mir plötzlich das Angebot gemacht wurde, als Creative Services Director für das ein neues Magazin names „Suede“ zu arbeiten.

Jonas:
Gibt es dieses Magazin noch?

Steven:
Nein, leider nicht. Das Besondere an Suede war, dass es das erste High End-Fashionmagazin für sogenannte „Women of Color“ sein wollte, also Schwarze, Latinas und Asiatinnen. Leider hat Time Warner, der Herausgeber, das Magazin nach knapp einem Jahr wieder vom Markt genommen, weil es nicht die geforderten Werbeeinnahmen gebracht hatte. Also habe ich mich nach etwas anderem umgesehen und bin – ebenfalls als Special Projects Designer – bei dem Modelabel Marc Jacobs gelandet.
Zwar hat sich das im ersten Moment angefühlt, als würde ich beruflich einen Schritt zurück machen – bei Suede hatte ich noch ein ganzes Team geleitet, bei Marc Jacobs war ich nur noch einer unter vielen. Aber zu dem damaligen Zeitpunkt ist die Marke sowas von durch die Decke gegangen, da wollte ich einfach dabei sein – alleine schon, damit ich mir diese Station in meinen Lebenslauf schreiben konnte.

Jonas:
Was genau hast du als Special Projects Designer bei Marc Jacobs gemacht?

Steven:
Ich habe vor allem Werbematerial designed und die Website inhaltlich und gestalterisch auf dem neuesten Stand gehalten. Dabei musste man sich ständig mit den Entwicklern und den Presseleuten austauschen: Gibt es etwas Neues über Marc, dass wir veröffentlichen sollen? Hat die Presseabteilung irgendwelche Neuigkeiten zur Marke? Gibt es ein Produkt, dass wir pushen müssen?
Außerdem habe ich viel für Marcs Spenden- und Charity-Aktionen gestaltet. Er hat zum Beispiel Produkte herausgebracht, deren Erlös zu einhundert Prozent in Hautkrebs- oder LGBT-Stiftungen floss. Gelegentlich habe ich auch mal selbst ein Produkt gestaltet – sogenannte „Special Items“. Das waren meistens kleine Ketten, Geldbeutel oder Schlüsselanhänger. Schnickschnack eben. So sagt man es doch auf Deutsch, oder?

Jonas:
Du hast eben gesagt, dass du dich in deinem Beruf stärker auf die Entwicklung und Gestaltung von Marken konzentrieren wolltest. Wann wurde dir bewusst, dass es mehr braucht, als netten Schnickschnack zu gestalten, um ein Unternehmen, eine Organisation oder eine Person zu einer echten Marke zu machen?

Ich glaube, dass ich schon immer ein ganz gutes Gespür dafür hatte, was eine Marke wirklich meint. Ich denke sozusagen in Marke.

Steven:
Das weiß ich noch ziemlich genau: im Jahr 1993, als ich auf der Higschool war. Damals war ich fasziniert davon, wie man Architektur dazu nutzen kann, Shops und Stores zu gestalten. Warum sieht beispielsweise ein McDonald’s Restaurant aus wie ein McDonald’s Restaurant? Hier manifestiert sich eine Marke nicht nur durch ein Logo oder die grafische Gestaltung, sondern auch durch Raum, Geruch und Gefühl. Das Design ist ganzheitlich gedacht und ermöglicht eine vollkommene Brand Experience – so etwas wollte ich auch entwerfen.
Ich glaube, dass ich schon immer ein ganz gutes Gespür dafür hatte, was eine Marke wirklich meint. Ich denke sozusagen in Marke. Daher bin ich auch der festen Überzeugung, dass ein Unternehmen oder eine Organisation nur erfolgreich sein kann, wenn sie tatsächlich ein ganzheitlich entworfenes Markenerlebnis bieten kann.
Bei Marc Jacobs gibt es übrigens auch eine ganz eine spezielle Auffassung davon, wie man die Brand Experience in einen Raum bringen kann. Auf der ganzen Welt hat man bei der Gestaltung der vielen Stores versucht, eine Beziehung zu der jeweiligen Location aufzubauen. Bei jedem Store geht es darum, die Sprache und Besonderheiten den unmittelbaren Umfelds aufzugreifen und diesen individuellen Charakter in das Store Design einfließen zu lassen. Das unterscheidet die Marke übrigens auch deutlich von Konkurrenten wie Dior oder Chanel.

Jonas:
In New York hat es dich – man hätte es fast geahnt – auch nicht wirklich lange gehalten. Nach fünf Jahren hast du nicht nur die Stadt verlassen, sondern auch das Land, und bist nach Berlin gezogen. Warst du damals schon wieder an einem Punkt in deinem Leben, an dem du das Gefühl hattest, einen größeren Schritt machen zu müssen?

Steven:
Ich bin vor knapp neun Jahren zum ersten Mal nach Berlin gekommen. Damals war ich zusammen mit einer Freundin hier, die für einen großen Sportartikelhersteller gearbeitet hat und mit der ich die „Bread & Butter“-Messe besucht habe. Während sie nach einigen Tagen wieder abgereist ist, habe ich mich spontan dazu entschieden, meinen Aufenthalt ein wenig zu verlängern. Die Stadt hat mich einfach total umgehauen – alleine wegen der günstigen Mieten. (Steven lacht)
Aber im Ernst: Ich bin in Berlin auf so viele interessante Leute gestoßen, dass ich das Gefühl hatte, hier könnte ich etwas vollkommen Neues erleben. Das ist überhaupt ein wichtiger Punkt in unserem Beruf: Für einen Designer wie auch für einen Journalisten oder Künstler ist es essenziell, möglichst viele Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln. Und je unterschiedlicher die Dinge sind, die man in seinem Leben tut, desto größer ist letztendlich auch der Mehrwert für den eigenen Job sowie für seine Auftraggeber – denn die erwarten das. Sie erwarten, dass man beispielsweise weiß, wie man einen Fashion Store in Tokio individualisiert. Und wie es ist, in der Telefonzentrale einer Investmentbanking-Firma zu arbeiten oder 250 Tage im Jahr auf dem Snowboard unterwegs zu sein. Je mehr man erlebt, desto größer wird auch das Wissen und die Expertise darüber, wie man eine Marke ausdrücken und kommunizieren kann.

Jonas:
Was genau meinst du damit?

Steven:
Ich selbst habe mich immer wie einen Filter gesehen: Ich erlebe Dinge und synthetisiere sie. Deshalb finde ich es auch so wichtig, sich jeden Tag auf’s Neue herauszufordern. Ich würde sogar sagen, dass ich geradezu enttäuscht wäre, wenn mir mein Alltag und meine Umgebung keine Herausforderungen bieten würden. Ich bin damals bewusst nach Berlin gekommen, um hier eine neue Sprache zu lernen und die kulturellen Möglichkeiten aufzusaugen. Ich hätte natürlich auch nach London gehen können – aber das wäre allein sprachlich für mich keine Challenge gewesen.

Jonas:
Leider haben die meisten Menschen Angst vor so viel Veränderung.

Steven:
Das Leben ist doch unvorhersehbar. Man kann aus heiterem Himmel von der Straßenbahn erwischt werden und plötzlich ist alles vorbei. Aber ist es die Lösung, deshalb nur zuhause rumzusitzen?
Man muss einfach einen Schritt nach dem anderen machen: einen Schritt aus dem Haus, einen Schritt auf die Straße, einen Schritt um die Straßenecke. Und dort trifft man vielleicht jemanden, der einen weiterbringt – das ist wie eine Kettenreaktion. Ich finde, das Leben steckt voller Möglichkeiten. Das ist lediglich eine Frage der Perspektive.

Jonas:
Berlin hat sich in den letzen zehn Jahren sehr stark verändert. Du dich auch?

Steven (lacht):
Stimmt, Berlin hat sich total verändert – allein dass hier, wo wir gerade sitzen, früher mal ein Knast war! Was mich persönlich betrifft, würde ich sagen, dass ich in dieser Stadt weiter gewachsen bin. Das klingt jetzt vielleicht nach einer doofen Floskel, aber ich glaube, dass man sich auch bewusst für sich entscheidet, ob man lernen und wachsen will oder nicht.

Jonas:
A propos persönlich wachsen: Wie bist du letztendlich bei Edenspiekermann gelandet und Partner geworden?

Steven:
Als ich noch ganz neu in Berlin war, habe ich als Freelancer für diverse Kunden und Agenturen gearbeitet. Nach ein paar Monaten habe ich mir ein kleines Studio eingerichtet, wo ich mir je nach Projekt verschiedene andere Freelancer dazugebucht habe. Das lief alles super, ich hatte überhaupt keine Pläne, zu einer großen Agentur zu wechseln. Nach etwa vier Jahren habe ich dann aber über meine Frau eine Headhunterin kennengelernt. Nachdem wir uns sehr lange über meinen Lebensweg unterhalten hatten, sagte sie: „Ich glaube, ich habe den perfekten Ort für dich: Edenspiekermann.“ Das klang irgendwie interessant. Also habe ich mich mal mit Erik Spiekermann, dem Gründer von „ESPI“, und Robert Stulle, einem der Partner, zusammengesetzt und ausgelotet, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und spontan beschlossen, es mal auf einen Versuch ankommen zu lassen. Und dann nahm alles seinen Lauf – 18 Monate später haben wir vereinbart, unsere Kooperation fortzusetzen und auf eine andere Ebene zu stellen. Ich habe Anteile an der Agentur erworben und bin seitdem einer der Partner.

Jonas:
Seit Jahrzehnten versuchen Strategen und Berater, Marken mit Hilfe komplexer Konstrukte und Modelle zu beschreiben. Dein Kollege Martin Stadler hat im letzten Jahr einen interessanten Artikel veröffentlicht, in dem er die These aufstellt, dass es diese Modelle gar nicht braucht. Er sagt, sie würden allein der Legitimation von Strategen und Beratern dienen, da sie die Einzigen seien, die diese Modelle verstehen würden. Martin plädiert dafür, in Zukunft auf derartige Modelle zu verzichten. Seiner Meinung nach sollte man sich lieber darauf konzentrieren, für seine Auftraggeber ein starkes, pragmatisches und nachhaltiges Markenversprechen zu entwickeln, das jeder versteht.

Es gibt einen Satz, der mich schon seit einer Ewigkeit begleitet: »Culture kills strategy.«

Steven:
Es gibt einen Satz, der mich schon seit einer Ewigkeit begleitet: „Culture kills strategy.“ Dort, wo ich herkomme, geht es immer nur um die Kultur – egal ob man Skater oder Snowboarder ist. Oder ob man wie die Kids aus dem ZEIT-Artikel jeden Morgen vor der Schule surfen geht. Die vielen Sport und Lifestyle-Marken, die in diesem Umfeld entstanden sind, muss man als das Sprachrohr dieser Kultur begreifen. Ihr simples und gleichzeitig starkes Versprechen ist es, diese Kultur zu festigen und sich selbst treu zu bleiben. Das ist der Grund, warum sie so erfolgreich sind.
Die Marke Volcom ist dafür ein super Beispiel: Richard “Wooly” Woolcott and Tucker “T-Dawg” Hall, die beiden Gründer, leben und atmen dieses besondere Versprechen jeden Tag. Aus ihrer Kultur ist eine Marke entstanden. Und die Marke wiederum hat dafür gesorgt, dass die Kultur bewahrt und weitergegeben wird. Wooly und T-Dawg waren Kids, die nicht viel besessen haben in ihrem Leben. Sie haben sich nachts mit Alkohol abgeschossen, „Fuck the establishment!“ geschrien und sind am nächsten Morgen um 6 Uhr aufgestanden, um surfen zu gehen. Das waren einfach verrückte Punk Rock-Surfer. Aber um diese Kultur herum haben sie ein Imperium aufgebaut. Und jeder, der dort arbeitete, hat daran geglaubt.
Es gibt da auch diese bekannte Geschichte aus einem Volcom Shop: Ein Verkäufer wurde von seinen Kollegen beim Klauen erwischt und daraufhin heftig verprügelt – allerdings nicht einfach nur, weil er Ware gestohlen hatte. Sie fragten ihn: „Hey, what are you doing to our culture? Don’t steal from Volcom!“. So etwas kann man nicht mit einem theoretischen Markenmodell beschreiben, das ist Markenversprechen pur.
An dieser Stelle kommt auch der Begriff Kauferlebnis ins Spiel. Als Kunde möchte ich, dass derjenige, von dem ich ein Produkt kaufe, die Kultur verkörpert, die hinter der Marke steht. Ich will nicht das Wort „authentisch“ verwenden – das kann man mittlerweile aus dem Fenster werfen. Es geht schlicht und einfach darum, dass die Person, die vor mir steht, die Marke glaubhaft lebt. Und im Idealfall selbst die Marke ist.

Jonas:
Seit einigen Jahren kann man bei vielen großen Marken einen Drang zur visuellen Simplifizierung beobachten. Logos werden schlichter, Websites und Werbeanzeigen wirken reduzierter, Gestaltungsrichtlinien werden radikal heruntergebrochen. Auf der anderen Seite hat man das Gefühl, dass die Welt von Tag zu Tag chaotischer und unübersichtlicher wird. Wie passt das zusammen?

Steven:
Als Amerikaner habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen in schwierigen Zeiten eher den Konservativen zuwenden. Meiner Meinung nach liegt das an der verklärten und romantisierten Sicht auf die Vergangenheit, die dort suggeriert wird. Das gibt den Leuten einfach ein gutes Gefühl, die chaotische Welt erscheint ihnen plötzlich einfacher und verständlicher. Im Design-Bereich ist es dasselbe: Wenn die Welt immer komplexer und unverständlicher wird, versucht man, diese Komplexität über simplifizierte Gestaltung zu kompensieren.

Jonas:
Besteht nicht die Gefahr, dass die Kultur einer Marke mehr und mehr verloren geht, je weiter man sie visuell simplifiziert?

Steven:
Hmm, das ist eine gute und gleichzeitig schwierige Frage. Ganz allgemein würde ich sagen: Simplicity is needed. Denn die Aufmerksamkeit, die man heute im Vergleich zu früher erhält, ist verschwindend gering. Um sie überhaupt noch zu bekommen, muss es schnell gehen – sonst ist der Auftraggeber weg. Deshalb ist Vereinfachung überlebenswichtig.
Gestalterisch besteht bei einem Simplifizierungsprozess natürlich immer die Gefahr, Oberflächlichkeit und Beliebigkeit zu erzeugen. Das kann soweit gehen, dass nach dem Redesign einer Marke fundamentale Bestandteile wie etwa die kulturellen Aspekte versteckt oder verschwiegen werden. An diesem Punkt wird es für die Marke existenziell. Ein beängstigendes Szenario, nicht wahr?

Jonas:
In der Konsequenz heißt das für einen Designer: Wenn man den Spagat zwischen der Bewahrung der Markenkultur und der Simplifizierung des Erscheinungsbilds schaffen kann, wird man erfolgreich sein.

Steven:
Ganz genau. Dershalb ist der Aspekt der Brand Experience auch so wichtig. Die Herausforderung für einen Designer besteht in Zukunft darin, sich auf der einen Seite auf genau auf den Bereich zu spezialisieren, in dem man am besten ist – beispielsweise Web Design, Illustration oder Brand Identity. Auf der anderen Seite wird es darum gehen, allumfassend zu denken und zu wissen, was in den unterschiedlichsten Kreativbereichen gerade so passiert. Und zwar weltweit.
Das heißt nicht, dass man in jeder Disziplin ein Ass sein muss. Aber man muss wissen, was es alles gibt, damit man eine Marke auch in alle Richtungen denken kann. Wenn für den Auftraggeber das Markenerlebnis stimmt und die Kultur der Marke erfahrbar wird, kann man sich auch eine Vereinfachung des Designs leisten.

Jonas:
Wie geht man als Designer damit um, wenn man im Alltag immer wieder auf gestalterische Entgleisungen stößt? Fängt man bei hässlichen Plakaten nicht an, sie sofort vor dem inneren Auge neu zu konzipieren und zu gestalten, wenn man an ihnen vorbeigeht?

Als Designer will man ja immer alles verändern. Aber man muss auch akzeptieren, dass man nicht die ganze Welt gestalten kann.

Steven:
Ich habe bei so etwas immer einen inneren Konflikt. Natürlich denke ich mir in solchen Fällen: Oh Gott, ist das schrecklich! Aber bei Gestaltung geht es auch um den Kontext der jeweiligen Situation. Schweinebauch heißt nunmal Schweinebauch. Und wenn er gerade für 99 Cent im Angebot ist, dann ist das ein besonderes Angebot. Was soll man da anderes texten, wenn es darum geht, ein Werbeplakat für einen Supermarkt zu entwickeln? Die Menschen reagieren ja darauf.
Würde ich dieses Plakat persönlich so gestalten? Nein! Ist es etwas, das sich über hochwertiges Design ausdrückt? Nein! Ist es funktional und effektiv für das spezielle Business, um das es da geht? Vielleicht! Der Kontext zählt. Als Designer will man ja immer alles verändern. Aber man muss auch akzeptieren, dass man nicht die ganze Welt gestalten kann. Und dass es Leute gibt, die die Dinge auf eine völlig andere Art und Weise angehen als man selbst. Vielleicht steht ja auch dahinter eine ganz bestimmte Kultur, die es zu bewahren gilt.