Interview — Jurassica Parka

Paillette geht immer

Jurassica Parka ist vieles: Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin. Vor allem aber ist die Berliner Drag Queen eines: eine echte Diva, die weit über ihren Kiez hinaus strahlt und sich für die Rechte von LGBTI-Menschen einsetzt. Ein Interview mit Sektchen.

5. Juli 2015 — MYP No. 18 »Meine Suche« — Interview: Jonas Meyer & Benedict Föll, Fotos: Maximilian König

Für ein Sektchen ist es nie zu früh, auch nicht morgens um halb elf. Vor wenigen Minuten erst haben wir die neuen Räumlichkeiten des SchwuZ in der Neuköllner Rollbergstraße betreten, schon werden wir von Gisela, einer der vielen guten Seelen des Hauses, mit einer eisgekühlten Flasche „Geldermann Carte Blanche“ versorgt.

Zugegeben, das erfrischende Präsent ist nicht direkt an uns gerichtet. Es gilt in erster Linie der Berliner Dragqueen Jurassica Parka, die die Flasche wie ein Neugeborenes auf den Armen hält und streichelt. „Sekt ist mein Lebenselixier!“, stöhnt sie mit lasziver Stimme. Warum auch nicht?

Jurassica Parka heißt mit bürgerlichem Namen Mario Olszinski und verfügt über eine stolze Ansammlung von Berufsbezeichnungen: Travestiekünstlerin, Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin – alles simultan, wohlgemerkt. Zusammenfassen könnte man das Ganze auch schlicht als multimediale One-Woman-Show. Und das Berliner Schwulenzentrum – kurz SchwuZ – ist der Ort, an dem diese Show vor über zehn Jahren begann.

Als Jurassicas Karriere startete, hatte das SchwuZ bereits seine härtesten Schlachten gekämpft – nicht selten unter Wut und Tränen, dafür aber immer aufrecht. Die Anfänge des Zentrums gehen zurück auf die Berliner Schwulenbewegung der 1970er Jahre.

Seitdem versteht es sich als „Ort des Aufbegehrens und der Emanzipation homosexueller Lebensweisen“ und leistete im Laufe der Zeit an etlichen Stellen Starthilfe. So sind beispielsweise die Idee zum Stadtmagazin „Siegessäule“ sowie zum ersten CSD der Hauptstadt im Jahr 1979 in den Räumlichkeiten des SchwuZ entstanden.

Die knapp 40-jährige Geschichte des Schwulenzentrums beinhaltet auch drei große Umzüge: 1987 ging’s von der Kulmer Straße in Schönberg in die Kreuzberger Hasenheide. Acht Jahre später zog man weiter in einen kuscheligen Kellerclub am Mehringdamm und im Jahr 2013 schließlich in das großzügige Gebäude der ehemaligen Kindl-Brauerei.

Hier ist nun endlich Platz für die zahllosen Veranstaltungen des SchwuZ. Denn wer kräftig aufbegehrt, der will auch mindestens genauso kräftig feiern. „Prösterchen!“ also, wie Jurassica Parka sagen würde.

»Mein Vater musste irgendwann einsehen, dass ich nicht der geborene KFZ-Mechaniker bin.«

Jonas:
Du bist in den 80ern in Neukölln aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Jurassica (lacht):
Ich bin in der Upper-Eastside von Neukölln groß geworden: in Britz. Britz ist nicht wirklich Neukölln, sondern ein kleiner Mikrokosmos für sich – alles super beschaulich. Was Neukölln angeht, erinnere ich mich, dass die Karl-Marx-Straße zu Mauerzeiten noch eine klassische Einkaufsstraße war. Die vielen Handyshops und Dönerbuden gab es in den 80ern noch nicht. Damals hatte Neukölln auch noch nicht dieses Ghetto-Image, das man dem Stadtteil heute gerne zuspricht.
In Britz hatte ich eine wunderschöne und wohl behütete Kindheit. Mein Vater hatte eine Autowerkstatt, in der er an alten Oldtimern geschraubt hat. Nach ein paar Jahren sind wir leider nach Rudow gezogen – in ein kleines Einfamilienhaus, das direkt an der Mauer lag. Sonntags sind mein Vater und ich manchmal mit dem Rad zur Mauer gefahren. Dann sind wir auf einen dieser Aussichtstürme geklettert, von denen aus man auf den Todesstreifen schauen konnte. Das war für mich als Kind total normal, ich habe das nicht wirklich hinterfragt.
Wenn wir zu unseren Verwandten nach Ost-Berlin gefahren sind, war das für mich sehr befremdlich. Alles sah so anderes aus, so grau. Am Alex gab es damals ein Kaufhaus, in dem heute Kaufhof sitzt. Ich weiß noch, dass ich mich immer gewundert habe, wieso es da nicht wirklich etwas zu kaufen gab.

Jonas:
Wolltest du beruflich nicht in die Fußstapfen deines Vaters treten?

Jurassica:
Mein Vater musste irgendwann einsehen, dass ich nicht der geborene KFZ-Mechaniker bin. Schon mit 15 war mir klar, dass ich in die Werbung will. Daher habe ich nach dem Abi hier in Berlin Grafikdesign studiert und anschließend in einer Werbeagentur gearbeitet.

»Ich habe für mich in der Travestie einen Kanal gefunden, über den ich Energie ablassen konnte – es war sofort um mich geschehen.«

Ben:
Irgendwann hast du damit angefangen, abends aus Mario eine Frau werden zu lassen. Wie kam es dazu?

Jurassica:
Der Drang, Frauenkleider zu tragen, war schon immer in mir. Als Kind habe ich es geliebt, mir Mamas Klamotten anzuziehen. Meine Oma war Schneiderin und hat den Spaß mitgemacht – und mich damals immer wieder als Frau verkleidet. Wenn sie heute noch leben würde, wäre sie sicherlich eine Schwulen-Mutti.
Die Szene habe ich relativ spät entdeckt. Mit 19 war ich zum ersten Mal schwul aus und habe im Berliner Nachtleben die vielen Transen gesehen, die mich unglaublich fasziniert haben. Irgendwann fing ich selbst an, damit zu experimentieren. Und im Oktober 2004 bin ich zum ersten Mal als Transe ausgegangen: auf den Berliner HustlaBall. Ich habe mich damals von einer Freundin schminken lassen und sah furchtbar aus. Von heute aus betrachtet muss ich als Transe eine absolute Katastrophe gewesen sein: völlig aufgedreht und in viel zu hohen Schuhen, in denen ich überhaupt nicht laufen konnte. Aber ich fand das super! Damals habe ich sofort Blut geleckt und für mich in der Travestie einen Kanal gefunden, über den ich Energie ablassen konnte – es war sofort um mich geschehen.
In den folgenden Wochen und Monaten bin ich aus Spaß an der Freude immer öfter als Transe in Clubs gegangen. Und irgendwann fing es damit an, dass ich im SchwuZ am Schnapstresen Kurze verteilt habe und dann nach und nach bezahlte Auftritte dazukamen.

»Zuhause wirft man ja gerne mal die Nebelmaschine an.«

Ben:
Dieses Hobby hast du irgendwann zum Beruf gemacht. Das Festgehalt der Werbeagentur aufzugeben und sich mit der Travestie selbstständig zu machen, war bestimmt kein leichter Schritt.

Jurassica:
Irgendwann musste ich mich für eines von beiden entscheiden. Du kannst nicht fünf Tage in der Woche in einer Werbeagentur arbeiten und dir freitags und samstags die Nächte um die Ohren schlagen. Davon wirst du bekloppt.
Im Jahr 2008 kam es zu dem glücklichen Zufall, dass mir in der Agentur gekündigt wurde. Ich dachte mir, wenn ich jetzt nicht diesen Beruf zu meinem Hauptberuf mache, mache ich es wahrscheinlich nie. Trotzdem war das natürlich ein schwerer Schritt. Und Mutti war davon auch nicht sonderlich begeistert. Aber mir war das egal, ich wollte das einfach machen und habe eine reine Bauchentscheidung getroffen. Kohlemäßig war es in der ersten Zeit zwar
desaströs, aber da muss ja jeder Künstler am Anfang durch.

Jonas:
Schon im Jahr 2008 wurde ein Taff-Beitrag über dich produziert. War es deine Absicht, medial so früh in Erscheinung zu treten?

Jurassica (lacht):
Zu Taff bin ich gekommen, weil ich mich dort selbst beworben hatte. Ich habe Taff geliebt! Anschließend habe ich mich noch gleich von VOX einrichten lassen, was aber ziemlich schlimm war – das würde ich nie wieder machen. Kohle gab es für beide Formate keine, ich habe nur Sachpreise gewonnen: eine Diskokugel, Scheinwerfer und eine Nebelmaschine. Toll! Zuhause wirft man ja gerne mal die Nebelmaschine an. Aber dieses Privatfernsehen war damals ein absoluter Bekanntheits-Booster – und ist es immer noch.

»Ich dachte immer, dass Pro7 all seine Praktikanten und Volontäre zu so einer Veranstaltung karrt, damit die Halle voll wird.«

Jonas:
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Kandidaten wäre für jemanden wie dich der Dschungel bestimmt ein absoluter Karriere-Kick – sonst bedeutet das Format ja eher die Endstation des medialen Lebens.

Jurassica:
Auf jeden Fall!

Ben:
Ohnehin scheinst du eine ganz spezielle Beziehung zum Privatfernsehen zu haben. Auf der einen Seite erfährst du dadurch Aufmerksamkeit und profitierst davon, auf der anderen Seite lässt du etwa bei der Moderation von „Nutten gucken“ – deinem Public Viewing-Format von „Germany’s Next Topmodel“ – kein gutes Haar an den Privaten.

Jurassica:
Das „Nutten gucken“ war kein Kalkül. Ich bin durch Zufall dazugekommen, als ich vor ungefähr acht Jahren noch im „Schmutzigen Hobby“ im Prenzlauer Berg gearbeitet habe. Da habe ich donnerstags immer aufgelegt und ein bisschen moderiert. Die Topmodels habe ich damals privat super gerne gesehen. Da war es natürlich scheiße, dass die immer donnerstagsabends kamen. Aus dieser Situation heraus haben wir dann das Public Viewing veranstaltet. Ich fing an, das Ganze zu moderieren und zu kommentieren. Mittlerweile sehe ich die Topmodels ganz anders als früher. Privat würde ich mir das nicht mehr anschauen, weil es mich absolut nicht interessieren würde.
Das Absurde beim „Nutten gucken“ ist ja, dass ich als Transe auf der Bühne sitze, total nuttig aussehe und ein widerwärtiges Frauenbild präsentiere – und dabei Frauen verachtendes Unterschichtenfernsehen auf bösartige Weise kommentiere. Dabei bin ich eigentlich dasselbe, was sich auch im Fernsehen abspielt. Mittlerweile ist das für mich eine absolute Abrechnung mit dem Privatfernsehen, wo arme kleine Mädchen vorgeführt werden, die wahrscheinlich noch nicht einmal Geld dafür bekommen. Ich find’s widerwärtig.

Jonas:
Es soll mittlerweile sogar Studien geben, die belegen, dass Jugendliche durch Sendungen dieser Art einem falschen Schönheitswahn verfallen und ernsthaft erkranken können.

Jurassica:
Es gibt viele Jungs und Mädchen, die dieser Sendung total verfallen sind. Als ich beim GNTM-Finale in Mannheim war, war ich sehr überrascht: Ich dachte immer, dass Pro7 all seine Praktikanten und Volontäre zu so einer Veranstaltung karrt, damit die Halle voll wird. Die Zuschauer waren aber alle absolute Hardcore-Fans – Mädchen im Alter von sechs bis 15 Jahren sind extra mit Mama und Papa nach Mannheim gefahren, um die Models wie Stars zu feiern. Dieser Kritik stimme ich daher zu.
Aber den Vorwurf, die Sendung würde krankmachen, finde ich etwas weit hergeholt. Würde die Sendung – zugespitzt gesagt – die Magersucht fördern, dann gäbe es doch nicht andauernd Berichte, dass Deutschlands Kinder immer fetter werden. Das ist eine Diskrepanz, die mir nicht logisch erscheint. Die Mädchen wollen alle richtige Models sein und schön aussehen. Aber was sie in ihrem richtigen Leben machen, ist nochmal etwas ganz anderes.

»Es gibt so viele heterosexuelle Männer, die insgeheim auf Transen stehen.«

Jonas:
Dein YouTube-Videobericht über das GNTM-Finale startet mit einer Szene, in der du morgens an einer Straßenecke in Mannheim stehst und von Autofahrern angehupt wirst. Begegnet dir eine solche Verhaltensweise auch in Berlin? Oder ist das eher ein Merkmal der Provinz?

Jurassica:
Das Gehupe hat man immer wieder, obwohl es in Mannheim schon extremer war als in Berlin. Hier sind die Leute so etwas eher gewohnt. Generell bist du als Transe aber immer eine Attraktion, wenn du raus auf die Straße gehst. Die Leute glotzen grundsätzlich immer, egal wo du bist. Aber das gefällt mir auch.

Ben:
Glotzen auch die Männer?

Jurassica:
Es gibt so viele heterosexuelle Männer, die insgeheim auf Transen stehen. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich zusammen mit zwei Transen an der Kurfürstenstraße für meinen YouTube-Kanal gedreht habe. Da haben etliche Autos angehalten – die Fahrer wollten wissen, wie viel wir nehmen. Das ist halt so, damit musst du leben können.
Natürlich gibt es auch oft Anfeindungen zu hören – damit stößt man bei mir aber auf Teflon.

Jonas:
Gibt es Situationen, in denen du tatsächlich Angst hast?

Jurassica:
Ich vermeide es weitgehend, mich selbst in derartige Situationen zu versetzen. Anders als viele Kolleginnen würde ich beispielsweise abends nie im Fummel U-Bahn fahren. Ich nehme immer nur das Taxi. Wenn ich im Kostüm bin, versuche ich grundsätzlich, möglichst wenige Reibungspunkte mit dem echten Leben als normaler Mann zu erzeugen.

Ben:
Im Alltag bist du Mario – ohne Paillette und Makeup. Wie siehst du die Beziehung zwischen der Kunstfigur Jurassica Parka und dem echten Mario? Beeinflusst ihr euch gegenseitig?

Jurassica:
Ich glaube, Jurassica ist ein großer Mehrwert für Mario. Bevor ich eine Transe geworden bin, habe ich auf andere Leute ziemlich anstrengend gewirkt – einfach, weil ich schon immer sehr extrovertiert war. Jurassica bietet mir einen Kanal, in den ich das alles reinpfeffern kann.
Privat bin ich dadurch sehr viel ruhiger und unaufgeregter geworden. So gesehen war Jurassica für meinen persönlichen Charakter fantastisch.

»Böse Transen kommen immer gut an bei den Leuten – das hat mir aber auch viel Ärger eingebracht.«

Ben:
Wie hat sich Jurassica über die Jahre verändert?

Jurassica:
Sehr stark. Vor allem optisch. Mir ist erst neulich wieder bewusst geworden, dass das Gesicht das Wichtigste bei einer Transe ist. Natürlich auch das Outfit und die Haare – aber beim menschlichen Miteinander geht es vor allem um das Gesicht. Daher sitze ich am Makeup um die zwei Stunden. Outfit und Haare habe ich in 15 Minuten fertig. Als Transe arbeitest du permanent am Makeup, das ist immer unvollendet. Daher schaue ich mir nach wie vor YouTube-Tutorials an oder beobachte meine Kolleginnen. Wenn ich mir Fotos von vor einem Jahr anschaue, erschrecke ich jedes Mal davor, wie ich damals aussah. Das wird auch immer so bleiben. Bei Kolleginnen, die das seit 40 Jahren machen, ist das nicht anders.
Jurassica hat sich über die Jahre aber nicht nur optisch sehr verändert. Mit der Erfahrung wird man einfach besser im Job: Heute bin ich beispielsweise viel eloquenter als früher. Vor drei Jahren hätte man mich nicht ohne Weiteres unvorbereitet auf eine Bühne stellen können. Mittlerweile habe ich mir aber eine Art Handwerksköfferchen gebastelt, das ich aufmachen und meinen Text abspulen kann. Das verbessert sich stetig. Und auch die Gagenverhandlungen werden besser. Ich habe es immer gehasst, über Gagen zu verhandeln. Mir war das jedes Mal unangenehm. Mittlerweile bin ich da eiskalt.

Jonas:
Hat sich mit der Zeit auch Jurassicas Charakter verändert?

Jurassica:
Jurassica ist bissiger und böser geworden. Wenn ich mir heute Videos von vor drei Jahren anschaue, wirkt Jurassica im Vergleich zu heute sehr handzahm. Das liegt zum einen am Format „Nutten gucken“, aber auch an meiner Kolumne in der Siegessäule, in der ich für das Bösesein bezahlt werde. Böse Transen kommen immer gut an bei den Leuten – das hat mir aber auch viel Ärger eingebracht. Das gehört nun einmal dazu.

Jonas:
Dein YouTube-Kanal ist für deine Arbeit ein zentrales Instrument: Du warst auf der Plattform bereits aktiv, als der Hype um YouTuber in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Wieso haben Videos einen so großen Stellenwert für Jurassica Parka?

Jurassica:
Das liegt an meiner Ausbildung. Bereits im Studium habe ich mich sehr für Videoschnitt interessiert, dementsprechend habe ich im Rahmen meiner Abschlussarbeit auch einen Film produziert. Das Cutten war schon immer mein Steckenpferd, daher war für mich von Anfang an klar, dass Video ein zentraler Teil meiner Arbeit sein muss. Der YouTube-Kanal ist dabei aber nicht aus irgendwelchen strategischen Überlegungen entstanden, sondern aus reinem Spaß. Damit habe ich auch nach und nach die Aufmerksamkeit von Menschen gewinnen können, die nicht unbedingt in der Schwulen-Szene unterwegs sind. Von diesen Leuten Anerkennung zu erfahren, freut einen natürlich umso mehr. Die sehen das, was ich tue, einfach aus einem ganz anderen Blickwinkel.

Jonas:
Hinter der Produktion der Videos steckt eine Menge Arbeit. Schneidest du alles selbst?

Jurassica:
Ja, das tue ich. Das ist zwar viel Arbeit, aber es macht mir auch eine Menge Freude. Und wenn ich das tue, gibt es für mich nichts anderes. Mein Mann sagt dann immer: „Ach, du bist heute wieder am Schnippeln? Gut, ich bin dann mal abgemeldet.“

»Im Grunde genommen sind wir alle wahnsinnig geltungsbedürftige Transvestiten, die alle eine Bühne brauchen.«

Jonas:
Zu deiner Arbeit erhältst du nicht immer positives Feedback. Auf deinem Kanal gibt es einige Videos, in denen du dich aktiv mit diesem Feedback auseinandersetzt und beleidigende Kommentare vorliest und kommentierst. Wie gehst du persönlich mit dieser mehr als unsachlichen Kritik um?

Jurassica:
Gar nicht. Ich lese es einfach vor. Persönlich geht mir wirklich am Arsch vorbei – obwohl da oft wirklich krasse Kommentare dabei sind wie etwa „Die Transe muss brennen!“. Ich frage mich, warum Leute so etwas schreiben. Aber damit musst du eben rechnen, wenn du dich als Transe auf YouTube zur Schau stellst. Und es dir einfach am Arsch vorbei gehen zu lassen, ist der einzige Weg, um damit umzugehen. Wenn ich das lese, sitze ich nicht zuhause und heule. Ganz im Gegenteil: Ich finde das wirklich unterhaltsam. Mir ist klar, dass die Leute, die das schreiben, dumme und armselige Menschen sind, die es einfach nicht besser wissen. Das sieht man alleine an den unzähligen Schreibfehlern.
Ohnehin gibt es im Internet ja keine Grammatik. Aber die Kommentare unter meinen Videos schießen nochmal den Vogel ab. Ich muss zugeben, dass ich mich richtig darauf freue, dass derartige Kommentare bei mir gepostet werden. Mittlerweile habe ich schon wieder eine riesige Liste voll, sodass es dazu bald ein neues Video geben wird – das mir wiederum etliche Klicks beschert.

Ben:
Stößt du auch innerhalb der Berliner Szene auf Ablehnung oder Kritik an dir und deiner Arbeit?

Jurassica:
Die Konkurrenz in Berlin ist natürlich enorm. Hier gibt es die größte Drag-Szene in Deutschland. Ich würde aber sagen, dass ich mit allen Kolleginnen auskomme. Es gibt natürlich welche, mit denen man sich besser versteht als mit anderen – bei denen gibt es dann eine ganz distanzierte Höflichkeit. Man kann ja auch nicht jeden mögen. Aber irgendwie müssen wir ja alle miteinander existieren und ich habe keinen Bock auf Zickerei. Im Grunde genommen sind wir alle wahnsinnig geltungsbedürftige Transvestiten, die alle eine Bühne brauchen. Natürlich gibt es Konfliktpotenzial, wenn die eine schöner oder lustiger ist als die andere. Das ist aber in allen Berufen so. Im Großen und Ganzen hält in Berlin die Szene zusammen.

»Als ich noch single war, habe ich bei Dates nie über meinen Beruf gesprochen.«

Jonas:
Die Reaktionen auf deine Arbeit könnten kaum gegensätzlicher sein: Auf der einen Seite erhältst du im Internet Kommentare von Leuten, die all das hassen, was du bist, auf der anderen Seite wirst du als Dragqueen in der Szene extrem gefeiert und bewundert. Wie gehst du mit diesem Spannungsverhältnis um?

Jurassica:
Das ist mir in dieser Form noch nie wirklich aufgefallen, aber du hast recht. Ich denke über so etwas nicht wirklich nach. Ich mache einfach mein Ding und lasse meinen Bauch entscheiden. Daher belastet mich das überhaupt nicht.

Ben:
Als Transvestit hat man es oft auch innerhalb der queeren Szene nicht leicht, Diskriminierung von Trans- oder beispielsweise Bi-Menschen existiert auch dort. Hast du selbst damit Erfahrungen gemacht?

Jurassica:
Ich persönlich habe gemerkt, dass es als Transe wahnsinnig schwer ist, einen Partner zu finden. Transen sind zwar unter Schwulen extrem beliebt und gefeiert. Aber als Freund? Bloß nicht – das ist zu schwul! Das geht nicht! Als ich noch single war, habe ich bei Dates nie über meinen Beruf gesprochen. Ich habe immer gesagt, dass ich Grafiker bin. War ich allerdings von Anfang an offen und ehrlich, war der Abend meistens gelaufen. Das liegt vielleicht auch daran, dass man als Partner einer Transe ein riesiges Ego braucht: Ich als Transe stehe immer im Mittelpunkt, mein Mann ist dabei nur die First Lady.

Jonas:
Es gibt Kolleginnen wie etwa Olivia Jones, die sich auch politisch äußern – ihr Auftritt auf einem NPD-Parteitag mit einem Kamerateam von „extra 3“ ist legendär. Glaubst du, dass du selbst durch deinen Beruf eine gewisse Verantwortung dafür trägst, gesellschaftliche und politische Missstände anzusprechen?

Jurassica:
Generell bin ich der Meinung, dass man als Transe ein gutes Sprachrohr sein kann. Ehrlich gesagt fällt es mir mir persönlich aber eher schwer. Als ich im letzten Jahr „Miss CSD“ wurde, war ich plötzlich ungewollt in einer politischen Rolle. Ich finde es generell wichtig, dass man bestimmte Dinge öffentlich anspricht – auch wenn ich mich selbst darin unwohl fühle. Für mich persönlich gibt es auch nur ganz wenige Kolleginnen oder Promis, denen ich politische Statements wirklich abnehme. Vielen gelingt es einfach nicht, politische Aussagen mit tat- sachlichem Inhalt zu verbreiten. In dem Moment wirkt es dann nur aufgesetzt und lächerlich. Manchen Personen nimmt man es einfach nicht ab. Man weiß ganz genau, dass sie es nur machen, weil es beispielsweise gerade total en vogue ist, Putin zu hassen. Politik ist für mich ein so vielschichtiger Bereich mit derartig vielen Pros und Contras, dass ich es mir nicht anmaßen möchte, Statements dieser Art zu liefern. Eine politische Transe zu sein ist extrem schwierig!

»Ich selbst bin auch das ein oder andere Mal auf eindeutige Angebote von Taxifahrern eingegangen – als ich betrunken war und mir das Taxigeld sparen wollte.«

Jonas:
Gibt es denn überhaupt ein rein politische Transe?

Jurassica:
Generell gibt es innerhalb der Travestie große Unterschiede. Hier ein kleiner Crashkurs in Travestie: Es gibt die Dragqueen, sprich die Transe. Dazu zähle ich mich – ich bin schön, witzig und mache Entertainment. Und es gibt die Tunte, was eher ein Berliner Phänomen ist. Die Tunte ist immer politisch. Sie hat hier in der Stadt eine große Tradition. Das SchwuZ zum Beispiel wurde von Tunten gegründet. Die Figur der Tunte ist in den 70er Jahren aus der Homobewegung heraus als konterkariertes Spiegelbild entstanden: Aus dem Schimpfwort haben Männer in Frauenkleidern einfach eine Selbstbezeichnung gemacht.
Die Tunte ist zwar nicht so glamourig wie die Dragqueen – sie trägt eher einen ollen Fummel, ist nicht besonders gut geschminkt und die Haare sitzen nicht so richtig – aber sie hat eine politische Meinung, setzt ein Statement und geht bei jeder Möglichkeit auf die Straße, um die Regenbogenflagge hochzuhalten. Diese Form gibt es so nur in Berlin. Die Tunten sind auch die einzigen, denen ich politische Statements abnehme: Denen ist die Bewunderung und Medienaufmerksamkeit scheißegal, sie fahren mit dem Fahrrad im Fummel in die Disko. Ich selbst sehe mich allerdings überhaupt nicht so und habe mich auch nie so gesehen.

Jonas:
Dafür spielt für dich als Dragqueen Humor eine große Rolle in deinem Leben. An welcher Stelle verstehst du keinen Spaß mehr?

Jurassica:
Beim Haare anfassen! Kennt ihr die drei goldenen Regeln der Travestie? First rule: Never touch the hair. Second rule: Never touch the hair. Third rule: Never touch that fucking hair. Und das ist wirklich so! Ein anderes No-Go: wenn Leute meine Brüste anfassen wollen. Es ist doch so offensichtlich, dass das Plastikbrüste sind. Generell hört daher der Spaß für mich auf, wenn Leute übergriffig werden.

Ben:
In einer deiner Kolumnen schreibst du über Erlebnisse mit den Berliner Taxifahrern. Hört da der Spaß ebenfalls auf?

Jurassica:
Taxifahrer sind ein Thema für sich. Die Mehrzahl der Berliner Taxifahrer ist arabisch- oder türkischstämmig. Und die lieben einfach Transen. Ich werde dafür zwar oft aus der politisch korrekten Ecke heraus kritisiert, aber ich sage es trotzdem. In der Türkei existiert ja Homosexualität offiziell nicht. Wenn man dort offen schwul ist, ist man eine Transe – und zwar eine Nutte. Viele prostituieren sich im Fummel. Und deshalb denken wohl viele Türken in Berlin, dass wir alle Nutten wären. So muss das sein, anders kann ich es mir nicht erklären.
Am Anfang meiner Karriere bin ich selbst auch das ein oder andere Mal auf eindeutige Angebote von Taxifahrern eingegangen – als ich betrunken war und mir das Taxigeld sparen wollte. Mittlerweile nervt es mich aber nur noch. Wenn ich gerade ins Taxi gestiegen bin und von der Rückbank aus schon die gaffenden Augen im Rückspiegel sehe, fühle ich mich genervt und belästigt. Meistens geht es dann mit ganz vorsichtigen Fragen los. Wenn ich ihnen daraufhin eine Abfuhr erteile, sind die meisten Fahrer plötzlich total devot und haben Angst vor mir. Die haben einfach einen riesigen Respekt vor großen Frauen!

Jonas:
Homosexualität ist in den letzten Monaten und Jahren ein immer größeres gesellschaftliches Thema geworden. Glaubst du, dass wir insgesamt auf einem guten Weg in Richtung vollkommene Gleichstellung sind?

Jurassica:
In Deutschland geht es den Schwulen doch eigentlich heute schon ganz gut. In meiner Familie geht man mit mir und meinem Beruf ganz normal um. Das mag aber vielleicht auch ein Phänomen meiner Familie sein. Natürlich gibt es aber immer wieder Dinge, die mich einfach wütend machen. Vor kurzem hat der Regierungssprecher wieder kommuniziert, dass es mit dieser Regierung in dieser Legislaturperiode keine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare geben wird. Da bin ich stinksauer! An dieser Stelle sieht man, dass doch noch einiges gemacht werden muss.
Aber das wird, alles braucht seine Zeit – leider. Ich finde, in den letzten 15 Jahren ist so viel passiert, was in den Jahrhunderten davor nicht passiert ist. Das ist doch ein gutes Zeichen. Die Entwicklung geht immer schneller und schneller. Meiner Meinung nach wird es letztendlich ein Selbstläufer sein. Ich merke das an der jungen Generation: Wenn ich in schwulen Clubs auflege, sind da so viele heterosexuelle junge Männer und Frauen, die mit Homosexualität so viel entspannter umgehen als früher. Denen ist das heute gar nicht mehr so wichtig. Das ganze Thema wird sich daher immer weiter verselbstständigen.

»Talk ist genau mein Ding. Mein großer Traum ist es, irgendwann meine eigene Show im Fernsehen zu haben.«

Jonas:
Wie geht es mit dir persönlich weiter? Hast du einen Plan für die Zukunft?

Jurassica:
Einen Plan gibt es nicht, aber es gibt Träume. Ich will auf jeden Fall innerhalb der nächsten maximal zehn Jahre aus der Disko raus. Es gibt Kolleginnen, die mit 50 immer noch in der Disko stehen und auflegen. Ich merke aber schon jetzt mit 35, dass es mich anstrengt, mir die Nächte am DJ-Pult um die Ohren zu hauen. Manchmal bekomme ich auch Musikwünsche, von denen ich noch nie im Leben etwas gehört habe. Langsam gibt es einen Altersunterschied zwischen mir und meinem Publikum, dass ich mich auf manchen Partys wie die Kindergärtnerin fühle. Irgendwann wirke ich dann auch nicht mehr authentisch am DJ-Pult. Das Nacht- und Partyleben geht eben auf Dauer nicht.
Seit einer Weile habe ich im BKA-Theater meine Late-Night-Show „Jurassica Parka – Paillette geht immer“, die mir unglaublich viel Freude bereitet. Ich bin zwar überhaupt keine Show-Transe, aber ich kann lustig sein und reden. Talk ist genau mein Ding. Mein großer Traum ist es, irgendwann meine eigene Show im Fernsehen zu haben. Fernsehen ist mein Medium. Gäbe es noch „Wetten, dass…?“, würde ich das übernehmen wollen.
Ich musste in der Vergangenheit leider immer wieder feststellen, dass es sich die Sender nicht trauen, eine Transe ins Fernsehen zu holen. Travestie gibt es im deutschen Fernsehen einfach nicht. Außer vielleicht bei „Punkt12“, wenn sie mal einen perversen Schwulen brauchen, der Perücken austestet.
In diesen Momenten ärgere ich mich manchmal, dass ich mir diese Optik ausgesucht habe. Als Mann würde ich es zwar niemals machen wollen, aber ich hätte es auf jeden Fall leichter.
Aber auch das wird sich verändern! In den USA ist Travestie durch Sendungen wie „RuPaul’s Drag Race“ zum Mainstream geworden. Das wird in Deutschland noch ein paar Jahre dauern, aber dann wird auch hier der Fernsehmarkt offen sein für die Transen. Ich bin allzeit bereit!