Interview — Milky Chance

Wellenreise

Auf ihrem neuen Album vereinen Milky Chance das Beste aus verschiedenen Welten. Auch im wahren Leben sind Clemens Rehbein und Philipp Dausch vom Zwiespalt getrieben. Wir trafen das Dream-Team auf einen Whisky in Kreuzberg.

12. November 2019 — MYP N° 27 »Heimat« — Interview & Text: Niklas Cordes, Fotos: Steven Lüdtke

Es muss Liebe sein: Selbst bei der Auswahl des Drinks sind sich die Frontmänner der Folktronica-Band Milky Chance einig. Whisky, bitte nicht zu rauchig, soll beim vereinbarten Gespräch in der Bar „Trödler“ die Stimmung lockern – und die Zungen. Es ist der erste Promotion-Tag seit anderthalb Jahren, den Clemens Rehbein und Philipp Dausch absolvieren. Der Grund: ihr mittlerweile drittes Album mit dem Titel „Mind The Moon“, das am 15. November erscheint.

Vorher war es etwas ruhiger geworden um die 26-Jährigen, die 2013 mit „Stolen Dance“ einen weltweiten Megahit veröffentlichten. Es folgten Auftritte in US-Talkshows, ein Echogewinn, ein zweites Album und Touren durch ganz Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland und Südafrika. Viel Erfolg in kürzester Zeit für die Jungs aus Kassel, die seit der Oberstufe gemeinsame Sache machen.

Zeit für eine Verschnaufpause, Pflege der Gesundheit und des Privatlebens. Doch mit der Musik ist es wie mit jeder anderen Droge: Wer ihr einmal verfallen ist, der kommt nicht mehr von ihr los. Also stürzen sich Rehbein und Dausch wieder kopfüber in die Fluten aus Fans, Studioarbeit und Tourleben – denn wie sie auf der Erfolgswelle reiten können, ohne von ihr verschluckt zu werden, haben sie in den vergangenen Jahren gelernt, wie sie uns im Interview verraten.

»Wir feiern Release und Geburtstag gleichzeitig.«

Niklas:
Am 15. November erscheint das neue Album. Wie feiert ihr euer mittlerweile drittes Baby?

Philipp:
An diesem Tag werden wir für Promo-Zwecke in Stuttgart sein, meiner Heimatstadt. Und ich habe an dem Tag Geburtstag!

Clemens:
Wir feiern also Release und Geburtstag gleichzeitig.

Niklas:
Das Album trägt den Titel „Mind The Moon“. Was hat es damit auf sich?

Clemens:
Die Titelfindung war nicht so leicht. Letzen Endes fiel die Entscheidung in Norwegen.

Philipp:
In der letzten Phase der Fertigstellung waren wir dort in einem Studio, das direkt am Wasser lag. Das hat uns beim Schreiben beeinflusst und inspiriert. Dieser Bezug zum Meer, zum Licht. In Norwegen wurde es zu der Zeit erst um Mitternacht dunkel. Eigentlich wollten wir es „Blue Mind“ nennen, bezogen auf diese mystische Kraft, die wir gespürt haben.

Clemens:
In unserem Song „Daydreaming“ gibt es die Line „might be the moon“, das fanden wir letztendlich treffender. Daraus wurde dann „Mind The Moon“, das hat als Aufforderung mehr Aussagekraft.

»Der Mond ist ein wiederkehrendes Symbol, das sich in vielen unserer Lieder finden lässt.«

Niklas:
Seid ihr denn mondsüchtig? Hattet ihr beim letzten Vollmond Schlafschwierigkeiten?

Clemens: Nein, zum Glück nicht. Aber der Mond ist ein wiederkehrendes Symbol, das sich bei in vielen unserer Lieder finden lässt, auch schon auf dem letzten Album.

Niklas:
Wenn es nicht der Vollmond ist, was raubt euch sonst den Schlaf? Der Erfolgsdruck?

Philipp:
Nicht wirklich. Das war eher beim zweiten Album so, als wir sehr viel getourt sind und wir gerade Anfang zwanzig und im Gefühlschaos waren.

Clemens:
Wir haben damals eben versucht, die Erfolgswelle des ersten Albums nicht abebben zu lassen, da war schon sehr viel los.

Philipp:
Es fühlt sich gerade alles viel freier an, wir haben die letzten anderthalb Jahre keine Tour gemacht.

»Ideen zu sammeln und sie dann mit Abstand zu betrachten, das hat schon seine Vorteile.«

Niklas:
Manche Musiker sind produktiver in Stresssituationen, andere können unter Druck nicht kreativ sein. Wie ist das bei euch?

Clemens:
Es hält sich die Waage. Viele Songideen kamen uns auch schon auf Tour im Bus. Aber generell ist es geiler, sich Zeit nehmen zu können, wenn man neue Musik aufnimmt. Ideen zu sammeln und sie dann mit Abstand zu betrachten, das hat schon seine Vorteile.

Philipp:
Kreativität in Form von Ideen kann aus beidem herauskommen, aber letztendlich geht es um die Kraft, diese auch umzusetzen. Und die hat man klar, wenn man nicht unter Druck steht.

»Wir sind entspannter und gelassener geworden.«

Niklas:
Ihr habt zu Anfang eurer Karriere gesagt, dass ihr lieber eure Musik anstelle eurer Personen in den Vordergrund stellt. Fühlt ihr euch jetzt, sieben Jahre später, mehr als Rockstars?

Philipp und Clemens:
Nee!

Clemens:
Eher im Gegenteil. Damals, als diese erste große Attention-Welle über uns kam, waren wir noch in dem Strudel, alles war ganz crazy. Jetzt ist es eher alles gesetzter, wir sind entspannter und gelassener geworden.

Philipp:
Als ich mal in Australien das Surfen ausprobiert habe, waren da auch diese großen Drei-Meter-Wellen. Ich habe mich nur überschlagen, Salzwasser geschluckt und mich übergeben. Beim zweiten Mal habe ich die Ein-Meter-Wellen getestet, da hat es dann angefangen, Spaß zu machen. Damit lässt sich das ganz gut vergleichen. Wir sind sicherer geworden.

»Wir beide haben Kinder, was einen großen Einfluss auf unser Denken und Handeln hat.«

Niklas:
Würdet ihr sagen, dass diese Gelassenheit vielleicht auch dem Älterwerden geschuldet ist?

Clemens:
Eher der Erfahrung.

Philipp:
Wir beide haben auch Kinder, was natürlich ebenfalls einen großen Einfluss auf unser Denken und Handeln hat.

Clemens:
Wir sind richtig spießig geworden (lacht)!

Niklas:
Zumindest hat einer von euch dem Spießigwerden mit einem Umzug nach Berlin entgegengewirkt…

Philipp:
Ich bin immer noch stark mit Kassel verbunden, aber meine Freundin hat hier einen Job gefunden. Das hat also pragmatische Gründe. Ich mag es hier, aber ich bin eigentlich kein Großstadt-Typ.

»Wir haben keine Kuscheldecken oder so etwas. Aber wir haben ja uns!«

Niklas:
Aber ihr habt schon einige Metropolen bereisen dürfen. Habt ihr auf Tour ein Stück Heimat dabei?

Clemens:
Nein, keine Kuscheldecken oder so etwas. Aber wir haben ja uns!

Philipp:
Und unser Bandmitglied Toni und den Rest der Crew natürlich.

Niklas:
Auf „Mind The Moon” vereint ihr unterschiedliche Welten: smoothen Minimalismus und Panorama-Pop. Man kann den Eindruck gewinnen, dass ihr auch sonst immer einen kleinen Spagat lebt.

Clemens:
Ja, wir sind Gradwanderer. Ich habe in den vergangenen Jahren immer in zwei Modi gelebt, im Tour-Modus und im Zuhause-Modus. Das sind zwei Welten, zwischen denen man hin- und herswitcht.

Philipp:
Zuhause sind die Verantwortungen und das Umfeld ja ganz andere. Man nimmt verschiedene Rollen ein. Aber auch musikalisch waren wir schon immer gerne in den Zwischenräumen, zwischen den Stilen.

»Mein Opa sagt immer, er sei zufrieden. Das finde ich ganz zutreffend.«

Niklas:
Eure Lieder haben meistens einen fröhlichen Beat, die Texte stehen dazu im Kontrast, wirken melancholisch. Würdet ihr euch als glückliche Menschen bezeichnen?

Clemens:
Puh, das ist schwierig. Die Musik ist jedenfalls ein Ventil für uns, da können wir viel kanalisieren.

Philipp:
Wir sind beide melancholische Typen. Das Leben besteht ja aus vielen Baustellen – wenn du dir manche anschaust, bist du glücklich, bei anderen ist es nicht so. Mein Opa sagt immer, er sei zufrieden. Das finde ich ganz zutreffend. Glücklich ist für mich ein extremes Wort.

Clemens:
Zufrieden, das können wir unterschreiben. Aber auch da kommt es auf die Bereiche an (lacht). Wir fühlen das Prinzip der Dualität jedenfalls auf allen Ebenen, in der Musik und im Gefühlsleben.

Niklas:
Wenn ihr jedem eurer drei Alben ein Gefühl oder Begriff zuordnen müsstet, welche wären das?

Philipp:
Puh, naja beim ersten wäre das dann wohl Aufbruch, aber auch Naivität.

Clemens:
Das zweite steht für Sturm und Drang, aber auch für Widerstände, würde ich sagen.

Philipp:
Und das dritte für Freiheit, Reife.

»Wir verstehen teilweise erst jetzt den Erfolg, der uns damals zuteilwurde.«

Niklas:
Gab es eigentlich den einen Punkt, an dem ihr für euch gemerkt habt, „wir haben es echt geschafft“?

Philipp:
Ich muss sagen, dass wir teilweise erst jetzt den Erfolg verstehen, der uns damals besonders zu Anfang zuteilwurde. Welches Glück einem da auch als Musiker widerfahren ist! Andere haben in den Endzwanzigern andere Probleme, besonders was die Jobfindung angeht.

Clemens:
Wir waren teilweise auch überfordert vom Erfolg. Als im Raum stand, das erste Mal nach Amerika zu gehen, waren wir uns beide gar nicht sicher, ob wir das wollen und schaffen können. Wir hatten echt Schiss.

»Als im Raum stand, das erste Mal nach Amerika zu gehen, waren wir uns beide gar nicht sicher, ob wir das wollen und schaffen können.«

Niklas:
Gab es denn einen Plan B?

Philipp:
Nicht wirklich. Ich war auch nirgendwo eingeschrieben für einen Studiengang. Wir waren echt planlos.

Clemens:
Obwohl, wir wollten eigentlich lange reisen. Aber das hat sich damit ja dann auch erübrigt.

Niklas:
Habt ihr auf euren Touren einen Sehnsuchtsort für euch entdecken können?

Clemens:
Neuseeland war für mich wundervoll. Da haben wir auch zwei Wochen privat verbracht.

Philipp:
Ich war von Afrika sehr beeindruckt und will unbedingt wieder mal zurück.

»Wir sind ein richtiges Vorzeige-Ehepaar!«

Niklas:
Das Tourleben kann ganz schön kräftezehrend sein. Wie haltet ihr euch gesund?

Philipp:
Ich muss ab jetzt jeden Morgen meine Übungen machen, weil ich dieses Jahr einen Bandscheibenvorfall hatte. Und man muss sich gesund ernähren, sonst wird man müde und schlaff.

Clemens:
Wir wollen bei der nächsten Tour mal Yoga ausprobieren, mal sehen, wie das klappt.

Niklas:
So auf engstem Raum im Tourbus lernt man sich ja nochmal anders kennen. Liebt ihr auch die Macken aneinander?

Clemens:
Viel Zeit auf engem Raum miteinander zu verbringen, war nie ein Problem für uns.

Philipp:
Verrückt eigentlich, oder?

Clemens:
Wir sind ein richtiges Vorzeige-Ehepaar!