Submission — Julia Schubert

Einsame Insel

27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Text & Foto: Julia Schubert

Die kleine Insel Torcello in der Lagune von Venedig war mir schon seit längerem bekannt und in Erinnerung als Ort, an dem ganz im Gegensatz zu Venedig und allen anderen umliegenden Inseln einfach gar nichts los ist. Die wenigen Touristen, die Torcello, diesen eigentlichen Ursprung Venedigs, besuchen, tun dies meist ganz gezielt, als Kenner der Kunstgeschichte oder der Gastronomie, angelockt von den zwei ältesten Kirchen in der  Lagune und von zwei, drei  Restaurants.

Aber auch das ändert nichts an der Tatsache: Wenn das letzte Vaporetto gefahren ist, dann ist es hier still. Noch zwölf Menschen sollen hier leben. Wer sind sie?

Diese Frage hat mich interessiert, aber auch: Wie leben sie in dieser Einsamkeit? Es war dieser überdeutliche Kontrast zu Venedig, dem eigentlichen Ziel einer Fotoexkursion, der mich reizte, diesen Fragen nachzugehen und meine Erfahrungen zu dokumentieren.

Während meiner Woche in Venedig fuhr ich also jeden Tag nach Torcello und „suchte“ die Einwohner – letztendlich habe ich keinen von ihnen zu Gesicht bekommen.

Nur von anderen Menschen, die dort arbeiten, wurde mir vieles berichtet, es blieb unklar, ob dort noch sieben, elf oder zwölf Personen wohnen…

Bei meinen täglichen Ausflügen verschob sich bald das Interesse. Es ging mir schließlich nicht mehr nur um die Einwohner, sondern um die Insel als Ganzes. Die Menschen, die dort arbeiten, die Häuser, verlassenen Grundstücke und bewachsenen Flächen, die Objekte, die sich dort befinden, wenigstens Spuren der Inselbewohner – meine Begrenzung war nur das umgebende Wasser.

Ich erkundete die Insel, suchte auch Wege abseits des Hauptwegs entlang des Inselkanals und war dabei immer wieder ganz alleine in menschenleerer Umgebung. Ich schlich mich durch Gestrüpp oder über große, merkwürdigerweise gemähte Rasenflächen – Spuren von  Arbeit – und tatsächlich traf ich dort auf zwei Gärtner.

Gefunden habe ich noch ein paar weitere Menschen, die hier arbeiten: einen Toilettenaufseher und drei Restaurantbesitzer. Und dann entdeckte ich in der angespannten Stille scheinbar vergessene Gartengeräte, und immer war da das Gefühl, da sei noch etwas anderes. Irritierend, verunsichernd ist es, immer wieder auf Dinge zu stoßen, die auf Menschen verweisen, und sie nicht zu sehen: Ich finde ein Tor mit der Beschriftung ‘proprieta privata‘, aber alleine stehend, ohne angrenzende Umzäunung. Eine rote Gießkanne liegt einsam in einem Garten.

Ich entdecke einen Swimmingpool auf einem Hügel eines Privatgrundstücks, aber niemand ist da. Vielleicht liegt es nur an der Jahreszeit: Es ist November, kalt und die Besitzer sind nicht da.

Venedig ist eng und man ist selten allein in den Gassen, überall Menschen in Cafés, in Restaurants und Geschäften. Wenn ich abends  von Torcello dort ankam, fand ich die Geräusche entspannend und angenehm: endlich wieder Leben.