Submission — Christopher Engelmann

Die neunte Pforte

21. März 2015 — MYP No. 17 »Mein Ritual« — Text & Foto: Christopher Engelmann

Schrill schreiend steht sie vor mir. Ihre Gesichtszüge verzerren sich zu einer Fratze, während sie einen stetig stärker glühenden Rotton annimmt. Ihr Blut scheint zu kochen.

Alles wird dumpf um mich herum. Ich höre nur noch halb zu. Ich habe gelernt, nur noch halb zuzuhören. Einst dachte ich, ein ehrlicher und gleichberechtigter Dialog sei die Lösung für alles. Da lag ich wohl falsch. “Silentium est aureum.“ So heißt es unter dem ersten Holzschnitt in Roman Polanskis “Die neun Pforten“. Neun Holzschnitte bilden die Hinweise auf neun Pforten. Es ist ein Neun-Schritt-Ritual, um den Teufel herbeizurufen und in sein Reich einzuziehen. Durchschreitest du die neunte Pforte, bist du bei ihm. Doch sollte ich nicht besser sagen: bei ihr? Denn ich weiß, wo sich die neunte Pforte befindet. Es ist die Tür zu meiner WG.

Sind wir ehrlich mit uns selbst, so fallen uns Fehler in unserem eigenen Verhalten auf. Menschen machen Fehler und für einige werden sie sogar geliebt. Mit den Fehlern aus meinem Leben könnte man sicherlich ganze Bücher füllen, doch habe ich mich so falsch verhalten, dass meine Mitbewohnerin zum Teufel wurde? Habe ich unbewusst die ersten acht Pforten im Zusammenleben durchschritten und eines Tages, als ich die Wohnungstür aufschloss, trat ich durch die neunte Pforte in das Reich der Schatten?

Was richtig und was falsch ist kann sehr subjektiv sein. Und es scheint, dass ich für sie diese Fehler begangen habe. Auch wenn das, außer ihr, sonst niemand so sieht. Ich sei das Problem, sagt sie immer so gerne. Ich frage mich jedes Mal, warum dann auch mein Mitbewohner auszieht.

Post-its pflasterten unsere WG. Und hätte ich mir ihre Orte genauer angeschaut, sie hätten sicherlich ein umgekehrtes Pentagramm ergeben. Dies ist falsch und das ist falsch, Hauptsache in klebender Form ausgedrückt. Irrationalität begleitete jeden Streit, denn Ursprung dessen war eigentlich nur, dass die Fürstin der Finsternis keine Frage oder gar Widerrede duldete. Sie lebt nun einmal seit Anbeginn in dieser Hölle und ist deren Herrscherin. Und wenn die Peitsche knallt, dann knallt sie!

Und sowieso, dies ist der Tag des jüngsten Gerichts! Waschmaschinenverbot! Kühlschrankverbot! Und von allem, was mir gehört, lässt du die Finger! Dafür hab‘ ich mal einen Abschlag gezahlt und dafür auch! Und dass ich dich nie gefragt habe, ob du dafür auch was zahlen kannst, da das hier schon seit langem vor deiner Zeit zum WG-Eigentum gehört, ist egal!

Was ist es, das am Ende bleibt, wenn ich hier weg bin? Negativerfahrung wäre ein passendes Wort. Und … vielleicht der Nachhall einer Warnung? “Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“