Interview — Tex

In Schwarzweiß

Ihr mochtet Mathematik in der Schule nie? Tex Drieschner kann das vielleicht ändern. Wir sprechen mit dem Gastgeber der Sendung „TV Noir“ über die Kreativität der Berechnung und die emotionale Relevanz der Traurigkeit.

27. Oktober 2013 — MYP No. 12 »Meine Stille« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Lukas Leister

Der Saalbau in Neukölln hat viel erlebt in seinen 140 Jahren. Geboren als Teil eines Dorfgasthauses in der Zeit, als die Gegend hier noch Rixdorf hieß, avancierte er schon bald zum Stadttheater und wurde später sogar UFA-Kino. Auf seinem Parkett feierten die Berliner jene goldenen Zwanziger und tanzten als gäbe es kein Morgen. Ein Ort für Kunst zu sein, das sagt der Saalbau heute, mache ihn am glücklichsten. Und es wirkt, als entweiche seinen alten Mauern ein kleines Lächeln, wenn er an seine unbeschwerte Jugend denkt.

Wenige Jahre später, als über Alle und Alles die dunkelste aller Zeiten hereinbrach, machten die Nationalsozialisten aus dem Saalbau Neukölln eine Sammelstelle für Güter jüdischer Bürger. Nachdem der Krieg ein Ende hatte und geschehen war, wofür es keine Worte gibt, wurde das Gebäude renoviert und umgebaut. Endlich durfte er wieder sein, was er am liebsten war, und strahlte nun als Zentrum für Konzert, Theater und Film.

Doch der Saalbau fiel Ende der Sechziger in einen Dornröschenschlaf, irgendwann drohte sogar der Abriss. Es musste erst das Jahr 1990 kommen, um ihn als Kulturstätte wiederzubeleben – und die ist er bis heute: Seit 2009 hat der Saalbau Neukölln einen Mitbewohner, das Volkstheater-Kollektiv „Heimathafen Neukölln“ fand hier sein neues Zuhause.

Er hat also viel erlebt in seinen 140 Jahren, doch irgendwie merkt man ihm das gar nicht an. Und so beobachtet er auch heute ganz gelassen und entspannt die Gäste des Café Rix, die in seinem Innenhof bei Kaffee und Kuchen die Stille genießen. Tapfer trotzt die kleine Oase dem Lärm der belebten Karl-Marx-Straße und wirkt dabei wie ein Schutzraum vor dem Alltag.

An diesem Zufluchtsort haben auch wir an diesem spätsommerlichen Nachmittag einen freien Tisch ergattert. Während unsere Augen etwas gedankenverloren den Bildern aus Licht und Schatten folgen, die die Sonne auf die hellen Mauern malt, radelt ein großgewachsener Mann im schwarzen Anzug in den Innenhof. Es ist Tex Drieschner, der Anfang 2010 mit seiner Sendung „TV Noir“ in den Heimathafen gezogen ist. Tex schließt sein Fahrrad ab, steuert lächelnd unseren Tisch an und setzt sich zu uns.

Jonas:
Du hast in deinem Leben schon in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet: Von Vorstandsmitglied über Weihnachtsmann bis Karikaturist war eigentlich alles dabei, was man sich so vorstellen kann. Wie kommt man zu einer so ausgefallenen Vita?

Tex:
Ich hatte nie einen bestimmten Plan, der mir vorschreibt, was in mein Leben passt. Ich mache immer das, was sich gerade anbietet und worauf ich Lust habe. Erst im Nachhinein und mit einem gewissen Abstand sehe ich dann die Gemeinsamkeiten meiner unterschiedlichen Tätigkeiten. Ich glaube, dass ich gerne einen Wald von Möglichkeiten auf mich wirken lasse und dann die spannendste Option verfolge.
Das ist in etwa vergleichbar mit der Beweisfindung in der Mathematik: Dort offenbart sich meistens auch ganz langsam im Dunkeln eine Struktur, die es dann auszuarbeiten und elegant zu machen gilt. Ich glaube, dieses Grundprinzip lässt sich auf ganz Vieles projizieren: etwa auf das Zeichnen von Cartoons, das Schreiben von Songs oder die Arbeit als Knowledge-Management-Berater.
Oft hat man einerseits eine Situation, die zunächst sehr komplex wirkt, und andererseits eine Vision davon, was man erreichen möchte – das Ziel wird dadurch mit einer positiven Emotion besetzt.
Also kann man sich auf die Jagd begeben und versuchen, im Wald aller Möglichkeiten genau diejenige zu finden, die der eigentlichen Vision am nächsten kommt. Das mag der Kern der vielen Begeisterungen sein, die mich im Laufe meines Lebens ergriffen haben.

Jonas:
Viele Menschen haben große Berührungsängste gegenüber der Mathematik. Kennen sie einfach diesen emotionalen Aspekt nicht?

Tex:
Viele Leute verbinden die Mathematik leider mit etwas Trockenem und Spaßlosen. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie in der Schule immer etwas machen mussten, wovon sie sich bedroht fühlten. Wenn Menschen Angst empfinden oder das Gefühl haben, etwas nicht mehr schaffen zu können, machen bestimmte Inhibitoren das Gehirn einfach dicht. Verrichtet man dagegen Dinge in spielerischer Begeisterung, werden Stoffe ausgeschüttet, die das Gehirn für neue Vernetzungen öffnen.
In der Schule geht es darum, vorgefertigte Algorithmen auswendig zu lernen und wiederzugeben. Das ist natürlich total langweilig und würde selbst einen Mathematiker nicht bei der Stange halten – es kommt dabei ja absolut keine Begeisterung auf.
Diese Begeisterung kann aber entstehen, wenn man über Wochen instinktiv an einer Arbeit sitzt und ahnt, auf der richtigen Spur zu sein – und man plötzlich merkt, dass man das zu Zeigende auch zeigen kann. Hat man die Fährte zur Lösung einmal aufgenommen, geht es im zweiten Schritt darum, das Geschaffene zu schleifen, zu färben und eleganter zu machen – das ist immer ein sehr kreativer Prozess.

Wenn man seine Umgebung einfach als ein riesiges Angebot akzeptiert und immer das wählt, was gerade passt, kommt man automatisch irgendwann zum Meer.

Jonas:
Das hat fast etwas sehr Pfadfinderartiges…

Tex:
Absolut. Im Leben geht es ja oft darum, eine Lösung für Situationen zu finden, die äußerst schwierig und komplex erscheinen. Das ist, als würde man mitten in einem ungeliebten Gebirge stehen und nach einem Pfad suchen, der zum ersehnten Meer führt.
Doch die wenigsten Gebirge grenzen an ein Meer, der Weg dahin ist einfach nicht ersichtlich. Daher muss man für sich persönlich eine Strategie entwickeln, um angesichts der gegebenen Optionen das Beste aus der Situation zu machen: Man kann etwa im ersten Schritt einen Teilabschnitt wählen, auf dem man sich wohlfühlt. Und sollte es mal nicht mehr weitergehen, kann man auch einfach stehenbleiben und sich die Landschaft anschauen.
Diese Herangehensweise gibt einem eine gewisse Freiheit und nimmt diesen Druck, auf dem schnellsten Weg zum Meer kommen zu müssen: Man muss nämlich gar nichts.
Wenn man seine Umgebung einfach als ein riesiges Angebot akzeptiert und immer das wählt, was gerade passt, kommt man automatisch irgendwann zum Meer. Das ist eine wichtige Grundphilosophie des Alltags.

Jonas:
Ein treuer Begleiter auf deinem eigenen Pfad war immer die Musik. Weißt du noch, wann du zum ersten Mal gemerkt hast, dass sie eine essenzielle Komponente deines Lebens ist?

Tex:
Auf jeden Fall nicht in meiner Kindheit – ich bin förmlich zur Geige geprügelt worden. Meinen Eltern bin ich zwar heute dafür wahnsinnig dankbar, aber damals habe ich sie gehasst, weil ich dauernd üben musste. Mit der Geige konnte ich auch nicht so wirklich cool sein, das habe ich spätestens in der Pubertät gemerkt. In der Schule war ich sowieso ein ziemlicher Loser und nicht besonders beliebt in den ersten Schuljahren. Prägend für mich war das Skilager in der siebten Klasse: Ein entfernter Cousin saß mit seiner Gitarre einfach da und sang. Alle hatten sich um ihn versammelt, die Mädchen himmelten ihn an. Nur ich saß in der vorletzten Reihe und dachte: Wie toll wäre es, wenn ich selbst da vorne in der Mitte sitzen würde.
Diese Sehnsucht hat in mir den Drang genährt, ein ähnlich intensives Gefühl auch in anderen hervorrufen zu können – noch lange bevor ich selbst Musik gemacht habe. In der Pubertät vermischt sich das ja so schön: sich auf der einen Seite selbst profilieren zu wollen und sich ein neues Ich zu geben und auf der anderen Seite von der Sache selbst begeistert zu sein.

Jonas:
Trotzdem war diese Sehnsucht auch Grundstein für deine eigene musikalische Karriere: Im Laufe der Jahre hast du unter anderem in einer Münchener Fun-Punkband gespielt und warst Mitglied der Hamburger A Capella-Band „The Buddhas“. Wie hat sich aus alldem dein Soloprojekt „Tex“ entwickelt?

Tex:
Es gab für mich im Jahr 1992 ein Schlüsselerlebnis: Ich hatte mir nach einem Zeltlager mit viel Singen, noch mehr Wein und wenig Schlaf die Stimme total ruiniert. Damals habe ich noch in München gelebt und war Sänger in dieser Fun-Punkband. Leider konnte ich absolut nicht einschätzen, wann meine Stimme wieder voll belastbar sein würde. Nach ein paar Wochen dachte ich, ich probier’s mal wieder – vor 1.200 Leuten bei einem für uns ziemlich wichtigen Auftritt im „Theatron“. Alle wollten Party machen und warteten darauf, dass es endlich losgeht. Aber meine Stimme wollte nicht. Ich stand auf der Bühne und klang total widerlich: ein ganz und gar schlimmes Erlebnis.
Da meine Stimme wohl vorerst nicht mehr zu gebrauchen war, habe ich wenige Tage später in meiner Verzweiflung einige Sachen rausgesucht, die ich früher einmal geschrieben hatte. Die Songs waren eigentlich nie cool genug für diese Band, trotzdem habe ich mich mit dem Gitarristen zusammengesetzt und sie ihm gezeigt – wir konnten ja gerade eh nichts anderes machen.
Als wir anfingen, die Stücke auch mal zweistimmig zu spielen, fanden wir das irgendwie geil. Zwar haben wir das Ganze letztendlich nicht weiterverfolgt, aber ich hatte von nun an diesen Klang im Kopf. Und als ich 1993 nach einem kurzen Aufenthalt in den USA nach Hamburg zog, kramte ich allmählich meine Songs wieder aus.
Ich glaube, es war 1997, als es so langsam ernst wurde und ich mich dazu entschied, ganz und gar diese Musik zu machen – unter dem Namen „Tex“ und mit klaren deutschen Texten. Ich hatte plötzlich eine eindeutige Vision davon, wie sich das Projekt anfühlen soll, und veröffentlichte mit „Düster bist du schön“ die deutsche Version eines jener Stücke, die in München noch auf Englisch entstanden waren. Dieser Song gehört nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsliedern.

Texten ist qualvoll, aber gleichzeitig auch wahnsinnig erfüllend.

Jonas:
Hat Sprache für dich und deine Musik generell eine wichtige Bedeutung?

Tex:
Aus diesem Winkel hat sich die Frage für mich nie gestellt – und ich habe mich selbst dahingehend auch nie analysiert.
Ich weiß nur, dass ich von Anfang an bei meinen Musikprojekten die Texte selbst geschrieben habe, weil es mir irren Spaß macht, zu reimen und zu gestalten. Und das hat wiederum etwas mit diesem Prozess des Suchens und Findens zu tun.
Vielleicht ist Spaß aber auch nicht das richtige Wort. Wie vielen anderen geht es auch mir so, dass es oft sehr schmerzhaft sein kann, eigene Texte zu schreiben – eine schwere Geburt, bei der man viele Entscheidungen treffen und die sich bietenden Optionen reduzieren muss. Texten ist qualvoll, aber gleichzeitig auch wahnsinnig erfüllend – vorausgesetzt es kommt etwas dabei heraus, mit dem man selbst zufrieden ist.

Jonas:
Viele junge Musiker können kaum oder gar nicht von ihrer Kunst leben. Hattest du in all’ den Jahren selbst mit Existenzängsten zu kämpfen?

Tex:
Ich glaube, dass ich tatsächlich nie in einer finanziellen Notlage war. Ich hatte während meines gesamten Studiums zwar nicht sonderlich viel Geld, aber ich wurde eine ganze Weile von meinem Papa finanziert. Außerdem hatte ich schon als Kind damit begonnen, mit dem Computer rumzuexperimentieren, und da fanden sich natürlich immer gut bezahlte Jobs. So hatte ich nie wirklich existenzielle Probleme.
Manche Musiker sind aber auch sehr radikal in ihren Entscheidungen und lassen alles andere im Leben fallen, nur um sich voll und ganz auf ihre Kunst konzentrieren zu können. Diese Radikalität vermisse ich auch manchmal an mir selbst. Ich lasse mir einfach gerne verschiedene Optionen offen und arbeite zwischen den Gleisen.
Wahrscheinlich würde ich es auch gar nicht hinbekommen, eine einzige Sache so zu fokussieren. Allein mein kleines TV Noir-Projekt von damals ist mittlerweile so schwergewichtig geworden, dass ich nicht nur die Sendung moderiere, sondern mich auch um die ganze Firma drumherum kümmere. Da ist es fast unmöglich, sich die Zeit und Einsamkeit zu nehmen, die man so dringend braucht, wenn neue Songs entstehen sollen.
Ich schreibe zwar gerade an meinem nächsten Album, das tue ich allerdings sehr langsam. Es geht mir momentan auch wesentlich mehr um die Vorbereitung meiner Tour, die im November endlich startet. Ich kann mir zwar vorstellen, dass dabei auch einiges für das neue Album abfällt, trotzdem stehen die Liveshows jetzt erst einmal im Fokus.

Während Tex in tiefer Gelassenheit und mit freundlicher Stimme aus seinem ereignisreichen Leben erzählt, wirkt es fast, als würden ihm die alten Saalbau-Mauern heimlich lauschen.

Denn die Geschichte von TV Noir ist seit einiger Zeit auch ein Teil ihrer Geschichte: Seit Tex vor knapp vier Jahren mit der Sendung in den Heimathafen gezogen ist, empfängt er hier regelmäßig außergewöhnliche Musiker auf seiner Bühnencouch.

Eine besondere Form der Stille. Und ganz in Schwarzweiß.

Jonas:
TV Noir existiert mittlerweile seit fünf Jahren. Erinnerst du dich noch, wie alles angefangen hat?

Tex:
Gestartet sind wir im ersten Stock eines winzigen Cafés namens „Edelweiss“ im Görlitzer Park. Anfangs kam die Musik noch von mir selbst und zwei Bekannten, aber wir haben recht bald versucht, auch etwas größere Namen für uns gewinnen zu können. Viele fanden seltsam, was wir da machen: mit irgendwelchen Freunden komische Geschichten veranstalten. Aber ich hatte das Gefühl, dass es irgendwie funktioniert und genau das beinhaltet, was ich cool finde.
Ich hatte deshalb auch einen Freund gebeten, gleich die erste Show mit einer Kamera aufzuzeichnen – die hatte ich mir für 139 Euro bei Ebay ersteigert.
Zwar hat diese Kamera natürlich nicht viel hergegeben, trotzdem habe ich damals schon an der Gradationskurve geschraubt, den Gammawert etwas hochgezogen und das Ganze ins Netz gestellt. Ich war schon immer ziemlich stylebesessen – und es war mir von Anfang an wichtig, wie das wirkt, was wir da machen.

Mit einem Mal fand eine andere Art von Konzert statt.

Jonas:
Aus welcher Idee heraus ist TV Noir überhaupt entstanden?

Tex:
Es gab zwei wesentliche Treiber: Zum einen veranstaltete ein guter Freund namens Sebastian Block schon damals mit einer Songwriterclique ganz informelle Abende, die „Prima Platte-Abende“ hießen. Ich selbst hatte vorher eigentlich nie Kontakt zu anderen Musikern aus meinem Genre. Erst durch den Rio Reiser Songpreis bin ich mit dieser Clique in Berührung gekommen, zu der neben Sebastian auch Guillermo Morales und Simon Goldfein gehörten.
Bei diesen Abenden wurde reihum auf der Gitarre gespielt. Das hatte etwas unglaublich Intimes und Schönes, denn dadurch wurde ein kleiner Raum geschaffen, in dem jeder Platz für seine ganz eigenen Sachen hatte. Ich war davon so fasziniert, dass ich Lust bekam, da meinen eigenen Input beizusteuern: Ich dachte mir, es wäre schön, den Ablauf des Ganzen etwas zu straffen und genauer auf den Punkt zu bringen, weil sich die Veranstaltung zunächst immer etwas verlaufen hatte.
Der zweite Treiber war ein Konzert von Enno Bunger an einem kalten Winterabend, bei dem ich kurzfristig mitgespielt hatte. Enno war damals noch total unbekannt und so war ziemlich klar, dass unter den Voraussetzungen nicht viele Leute kommen würden. Daher haben wir relativ spontan entschieden, ein paar Lebkuchen und Glühwein zu kaufen, und machten aus der Veranstaltung eine ostfriesische Weinnacht. Dabei habe ich Enno spaßeshalber vor Publikum interviewt. Als er im Anschluss daran gespielt hat, habe ich gemerkt, dass das Publikum plötzlich ganz anders rezipiert hat. Mit einem Mal fand eine andere Art von Konzert statt. Das Publikum wirkte viel offener und interessierter, weil der Typ, der gerade noch von sich selbst erzählt hatte, jetzt noch zusätzlich tolle Songs spielte. Aus diesen beiden Treibern ist dann die Idee zu TV Noir entstanden.

Jonas:
Das Format hat in den letzten Jahren für viele Menschen eine enorme Relevanz entwickelt. Weißt du um diese emotionale Wirkung von TV Noir?

Tex:
Ja, das merke ich total. Das ist auch seit der ersten Folge der Grund, warum wir diese Sendung überhaupt produzieren. Dieses Gefühl zu erzeugen war und ist Teil unserer Vision. So waren auch recht frühe Sendungen etwa mit Bosse oder mit Philipp Poisel schon sehr berührend und gingen in die Tiefe, was mit der Größe des Projekts auch in erster Linie gar nichts zu tun hatte.

Im Innenhof ist es mittlerweile etwas schattig geworden, daher entscheiden wir, den Saalbau zu verlassen und der Sonne hinterher zu spazieren.

Wir überqueren die belebte Karl-Marx-Straße und schlendern zu einer parkähnlichen Grünanlage, die nur wenige Minuten entfernt liegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier auf zwei Hügeln die Trümmer der umliegenden Häuser zusammengetragen, die man später mit Erde aufgeschüttet und bepflanzt hat. Die beiden Hügel tragen seitdem die Namen „Lessinghöhe“ und „Thomashöhe“ und bilden mitten in Neukölln einen besonderen Hort der Stille – wie der Innenhof des Saalbaus, nur draußen im Grünen.

Jonas:
TV Noir scheint ein Indiz dafür zu sein, dass es tatsächlich noch ein Bedürfnis nach wahrhaftiger, authentischer Musik gibt. 2009 wurdet ihr für den Grimme Online Award nominiert, 2011 startete die Zusammenarbeit mit ZDF Kultur. Leider steht der Sender jetzt vor dem Aus. Wie geht’s bei euch weiter?

Tex:
Es wäre vor fünf Jahren wahrscheinlich nicht möglich gewesen, so eine Show in einem öffentlich-rechtlichen Sender zu platzieren. Die Kooperation konnte 2011 nur realisiert werden, weil es im TV immer wieder Trendwellen in die ein oder andere Richtung gibt. Daniel Fiedler, der kreative Vater von ZDF Kultur, hatte in dem Sender einfach eine tolle Vision umgesetzt und in kürzester Zeit eine Marke geschaffen, die funktioniert hat.
Dass so etwas jetzt ersatzlos eingestampft wird, zeugt schon von einer gehörigen Ignoranz. Dabei könnte das ZDF dringend eine Marke gebrauchen, die eine gewisse Coolness für junge Leute bietet und bei dieser Zielgruppe Relevanz erzeugt.
Dass es uns überhaupt in dieser Form gibt, verdanken wir in nicht unerheblichem Maße der Trash-Kultur auf YouTube. Darüber kann man einerseits wahnsinnig schimpfen, andererseits muss man sich aber eingestehen, dass diese Plattform die Grundlage dafür geschaffen hat, dass die TV Noir Inhalte allen zur Verfügung stehen.
An dieser Stelle sind wir auch wieder bei dem Gebirgsbild: Die Landschaft ändert sich und wir Pfadfinder müssen schauen, welche der neuen Pfade die besonders schönen und für uns wichtigen sind.
Das heißt, wir müssen herausfinden, welche Möglichkeiten sich für uns in dieser noch viel konvergenter gewordenen Welt zwischen klassischem Fernsehen und Webvideo auftun.
Man muss eben ständig auf der Suche sein nach neuen Wegen, die finanziell darstellbar sind und uns abseits des Mainstream ermöglichen, genau das zu machen, was uns Spaß macht.

Jonas:
In welche Richtung soll sich das TV Noir-Format denn generell entwickeln?

Tex:
Es ist ein wesentliches Prinzip unserer Arbeit, dass es wenige konkrete Vorgaben gibt, die wir zu erreichen haben – Pfadfinderei eben. Wir wissen, wie sich TV Noir anfühlen muss und überprüfen alles, was wir tun, auf dieses Gefühl hin.
Dabei versuchen wir, uns immer die Option offenzuhalten, wieder zurückrudern zu können, wenn es in einer Richtung mal nicht geklappt hat.
Als wir zum Beispiel die Kooperation mit dem ZDF gestartet haben, war es uns sehr wichtig, zuerst einen Testlauf zu fahren und dann auf Basis unseres Gefühls zu entscheiden, ob wir weitermachen.
Und als wir Ende 2009 aus dem Edelweiss in den Heimathafen gezogen sind, war das ebenfalls eine riesige Diskussion. Viele befürchteten, dass man das Format in einem so großen Theater nicht realisieren könnte, weil TV Noir vor allem von der intimen Atmosphäre lebt. Dann haben wir uns gesagt, dass wir es einfach ausprobieren wollen und es fortsetzen, wenn es sich gut anfühlt.

Jonas:
Du hast im Jahr 2005 den Song „Sie haben die Wahl“ veröffentlicht. Ist es dir wichtig, als Künstler auch politisch zu sein und über die Musik deinen Standpunkt klarzumachen?

Tex:
Die Frage trifft einen wunden Punkt. Früher war ich wirklich von einer politischen Leidenschaft durchdrungen. Ich liebe zum Beispiel die Autobiografie von Arthur Miller, wo auf jeder Seite durchschimmert, wie leidenschaftlich politisch er ist.
Momentan sehe ich aber einfach keine gute Möglichkeit, selbst politisch zu werden. Erstens muss ich sagen, dass ich das Politische mittlerweile weitaus weniger emotional betrachte als früher. Und zweitens finde ich es wahnsinnig schwer, überhaupt politisch zu schreiben – auch wenn ich tatsächlich mal von einer Sache bewegt bin wie etwa in letzter Zeit von dieser NSA-Geschichte.
Ich war mal ein wirklich leidenschaftlicher Chomsky-Vergötterer, habe viel gewusst und diskutiert Das ist aber mittlerweile total in den Hintergrund getreten. Gott sei Dank gibt es Künstler wie beispielsweise den fantastischen Maxim, den ich als einen wirklichen Glücksfall für die deutsche Schreiberlandschaft betrachte. Maxim schafft es, in seinen Songs genau das unterzubringen, was ihm wichtig ist – sehr berührend, aber ohne dass es komisch klingt.

Jonas:
Abgesehen von Maxim: Welche Musik berührt dich?

Tex:
Es gibt viel Musik, die für mich total relevant ist. Das hört man wahrscheinlich auch in meinen eigenen Songs. Zur Zeit befinde ich mich wieder in einer ausgedehnten Phase absoluter Verehrung für Leonard Cohen. Diese Musik steht momentan an erster Stelle.
Seit Jahren finde ich aber auch Radiohead ganz toll – und mein klassisches Idol ist Elvis Costello. Ich würde sagen, dass ich jedes zweite Mal einen Song von ihm spiele, wenn ich mich ans Klavier setze.

Wenn man sich in einem festgelegten Rahmen bewegt und genau weiß, was als Nächstes kommt, hat man auch die Möglichkeit, mal ungeplanten Scheiß zu machen.

Wir spazieren noch eine Weile über die Thomashöhe und bleiben irgendwann vor einem kleinen Pfad stehen, der zurück zur Straße führt. Tex atmet tief ein, verabschiedet sich und tritt den Rückweg an in Richtung Heimathafen.

Während unsere Blicke ein letztes Mal über die hügelige Fläche des Parks wandern, stellt sich in uns ein tiefes Gefühl der Freiheit ein.

Man sollte einfach öfter einen Ort der Stille suchen – oder selbst einen kreieren.

Mit viel Musik und in Schwarzweiß.

Jonas:
Hast du dir persönlich bestimmte Ziele gesetzt, die du in den nächsten Jahren erreichen willst? Gibt es einen Plan?

Tex:
Nein, also da bin ich tatsächlich dem treu, wovon ich eben schon gesprochen habe. Ich versuche einfach, für alles offen zu bleiben, um zu spüren, was der nächste sinnvolle Schritt ist.
Einige meiner alten Musikerfreunde haben damals aus reiner Intuition einen Lebensplan geschmiedet, der deckungsgleich war mit ihrer Vision. Musik machte ihnen Spaß, danach war alles ausgerichtet. Diesen Plan haben sie aber nie mehr hinterfragt. Jetzt fahren sie regelmäßig nach Mallorca und müssen dort etwas abliefern, was sie total kaputt macht. Nichts ist mehr übrig von ihrer Intuition und der Leidenschaft – aber sie folgen brav dem Plan. Insofern nein, ich habe keinen Plan.
Wenn man natürlich so eine Firma wie TV Noir betreibt, wo sieben Leute Vollzeit arbeiten und jeden Monat dreißig Leute zusammengetragen werden müssen, dann macht es schon auch Sinn, bestimmte Etappenpläne zu haben. Daher sind wir gerade auch intensiv damit beschäftigt, ein Projektmanagement zu etablieren, damit man Etappen sauber abschließen und sich zumindest mittelfristige Ziele setzen kann.
Wenn man bei einem Projekt auf der einen Seite für Stabilität und Klarheit sorgt, hat man auf der anderen Seite mehr Freiheitsgrade. Dieses Spiel erleben wir oft, gerade wenn wir wieder eine Show organisieren. Wenn man sich in einem festgelegten Rahmen bewegt und genau weiß, was als Nächstes kommt, hat man auch die Möglichkeit, mal ungeplanten Scheiß zu machen. Man fühlt sich durch die Regeln sicher und weiß, dass nichts schiefgehen kann.
Im Yoga gibt es dieses ganz wichtige Prinzip, dass man in der Peripherie Stabilität besitzen muss, damit man im Herzen umso freier und durchlässiger werden kann. Das ist wohl ein ganz schönes Bild dafür.