Interview — I Heart Sharks

To Be Young

Warum ist eure Musik so wahnsinnig traurig? Die Jungs von I Heart Sharks erklären uns die Kraft der Zerbrechlichkeit – und warum sie nicht ewig leben wollen.

3. Mai 2014 — MYP No. 14 »Meine Wut« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Maximilian König

Das „Hackbarth’s“ in der Berliner Auguststraße ist immer für ein Bier gut – und in der Regel auch für ein interessantes Gespräch: Die Stunden hier können lang und erkenntnisreich werden.

Und so zieht es uns auch heute wieder an diesen äußerlich zwar unscheinbaren, aber dafür im Inneren um so prächtigeren Ort: Sandfarbene Wände, blaue Kacheln, dunkles Holz und eine vor Messingbeschlägen nur so strotzende Bar verbreiten eine ganz eigentümliche Wohlfühlatmosphäre. Je dunkler es draußen wird, desto stärker erstrahlt das kleine Lokal in einem seidig schimmernden Goldton.

Aber noch ist später Nachmittag – und das Wetter so unverschämt gut, dass wir uns fast dafür entschuldigen müssten, drinnen einen Tisch reserviert zu haben. Doch die von uns gewählte Ecke ist angenehm hell und gemütlich, es fällt sogar ein wenig Sonnenlicht in das charismatische Lokal.

Kaum haben wir es uns auf den Eckbänken des großen Tischs gemütlich gemacht, betreten Simon, Pierre und Martin das „Hackbarth’s“ – die Sharks sind da! Und so sitzen wir wenige Minuten später stammtischartig in großer Runde beisammen, ordern Getränke und starten das Aufnahmegerät.

Herzlich willkommen, I Heart Sharks!

Jonas:
Pierre und Simon, ihr seid euch vor sieben Jahren in Berlin begegnet. Wie kam es dazu?

Simon:
Ich bin damals gezielt nach Berlin gekommen, um hier Musik zu machen. Zwar bin ich in München geboren, in New York und Virginia aufgewachsen und habe auch eine Zeit lang in Dresden gelebt, aber irgendwie schien mir Berlin der ideale Ort zu sein, um eigene Musik zu produzieren und dafür die richtigen Leute zu treffen.

Pierre:
Ich hatte gerade in London ein Studium in Grafikdesign und Kunstgeschichte abgebrochen und wollte eigentlich nach Paris ziehen, um ebenfalls Musik zu machen – aber auch mir schien Berlin dafür die bessere Wahl zu sein.
Schon als kleines Kind wollte ich immer in einer Band singen – wahrscheinlich weil mir mein Vater fast täglich die Musik seiner Jugend vorgespielt hat: Bei uns zuhause lief ständig David Bowie, Queen und wie sie alle heißen. Ich habe zwar später in der einen oder anderen Band gesungen, allerdings war es mir nie wirklich möglich, mich dort musikalisch einzubringen – ich habe ja nie ein Instrument gelernt und musste es daher immer anderen überlassen, die Songs zu schreiben. Das wollte ich einfach nicht mehr.

Jonas:
Und wie genau haben sich hier in Berlin eure Wege gekreuzt?

Simon:
Beim Feiern im Berghain! Zur damaligen Zeit wollten wir beide in Berlin andere Musiker kennenlernen und sind zufälligerweise an einem Wochenende im Berghain ins Gespräch gekommen.

Piere:
Als ich 2007 nach Berlin gezogen bin, war ich relativ oft im Berghain und anderen Clubs. Elektronische Musik war damals in London ja im Gegensatz zu heute noch nicht wirklich cool. Daher fand ich es richtig toll, diese Musik in der Berliner Clubszene zu erleben.
Interessanterweise geht mir elektronische Musik heute gar nicht mehr so ab. Gerade mag ich gut gemachte Popmusik irgendwie mehr – vor allem, wenn sie intelligente Texte und eingängige Melodien hat, die die Leute zum Tanzen bringen. Und ehrlich gesagt macht es auch mehr Spaß, eigene Musik zu machen, als an den Wochenenden in Clubs zu feiern.

Jonas:
Sich gemeinsam im Berghain über Musik zu unterhalten ist aber immer noch etwas anderes, als tatsächlich eine eigene Band zu gründen und zusammen Musik zu machen. Wann habt ihr gemerkt, dass ihr beide musikalisch in die gleiche Richtung denkt und dass es da eine gemeinsame Basis geben könnte?

Simon (lächelt):
Der erste Versuch war irgendwie gleich ein Volltreffer – und hat bis jetzt gehalten! Jeder von uns hatte damals gewisse Vorstellungen, Ideen und vielleicht auch Talente, die wir einfach zusammengefügt haben. Das Ergebnis hat uns gefallen, also haben wir weitergemacht.

Jonas:
Martin, du bist 2011 als Schlagzeuger zur Band gestoßen, nachdem der damalige dritte Mann Georg Steinmaier ausgeschieden ist. Wie genau bist du Pierre und Simon begegnet?

Martin:
Pierre und ich haben uns kennengelernt, als ich mit meiner damaligen Band sein Projekt „Vienna“ supportet habe. Einige Zeit später schrieb er mich auf Facebook an und erzählte, dass sie einen neuen Schlagzeuger suchen. Ich weiß noch, dass ich gerade total euphorisiert von einem Coldplay Konzert kam, als ich seine Nachricht sah – daher habe ich auch direkt zugesagt. Martin grinst.

Jonas:
Im Jahr 2011 habt ihr auch euer erstes Album „Summer“ veröffentlicht. Habt ihr euch dafür bewusst vier Jahre Zeit gelassen?

Pierre:
Wir hatten am Anfang eigentlich gar nicht vor, ein Album zu produzieren, und wollten eher nur Live-Konzerte spielen – in Clubs, Kellern und wohin wir sonst noch so gepasst haben. Uns war es wichtig, immer unterwegs zu sein und neue Leute kennenzulernen. Daher haben wir unsere Songs auch hauptsächlich für Live-Auftritte geschrieben.
Wie das aber so ist, haben uns die Leute irgendwann gefragt, wann wir endlich mal ein Album veröffentlichen wollen. Also haben wir uns ernsthaft mit diesem Thema befasst und „Summer“ produziert. Die ersten Tracks der Platte sind allesamt Stücke, die ursprünglich nur für unsere Live-Auftritte geschrieben wurden. Daher war es uns bei unserem zweiten Album „Anthems“ umso wichtiger, dass diesmal alles etwas besser zusammenpasst.

Jonas:
Trotzdem hatte man schon bei „Summer“ den Eindruck, dass hinter dem Album ein schlüssiges Gesamtkonzept steht, weil der Sound über die gesamte Platte so klar und prägnant wirkt.

Pierre:
Das liegt daran, dass wir die Songs immer in relativ kleinen Proberäumen eingeübt haben, wo die Akustik schlecht war und die Instrumente ziemlich viel Lärm gemacht haben. Wir mussten für diese Gegebenheiten also Gitarrensounds erzeugen, die durch den ganzen Lärm durchschneiden konnten.
Als wir diese Live-Songs dann später für unser erstes Album aufgenommen haben, haben wir eine etwas andere Ästhetik erzeugt und relativ viele Elemente rausgelassen, was die Stücke insgesamt etwas nackter gemacht hat. Die Songs auf unserem zweiten Album „Anthems“ dagegen sind ganz anders balanciert, weil sie von Anfang an für eine andere Umwelt geschrieben wurden.

Jonas:
Bei dem Song „To be young“, der ersten Single-Auskopplung eures neuen Albums, hört man zwar direkt I Heart Sharks heraus, trotzdem hat man das Gefühl, euch von einer ganz neuen, poppigeren Seite kennenzulernen.

Pierre:
Es war nicht unser vorrangiges Ziel, auf der neuen Platte poppiger zu klingen. Wir wollten vielmehr generell etwas anderes machen als vorher. „To be young“ beispielsweise zeigt nur eine Seite des Spektrums des neuen Albums. Die nächste Singleauskopplung dagegen wird dafür eine ganz andere Seite dieses breiten Spektrums zeigen.
Ich glaube auch, dass man sich das neue Album ein paar Mal anhören muss, um komplett reinzukommen. Alle 14 Tracks sind sehr unterschiedlich, dennoch haben wir darauf geachtet, dass der rote Faden erkennbar ist – und dass man bei jedem Song erkennt, dass es sich um I Heart Sharks handelt.

Simon:
„Anthems“ ist aber wie schon das erste Album kein Konzeptalbum: Wir haben uns nicht im Vorfeld konspirativ zusammengesetzt und geplant, ein in sich geschlossenes, themenbezogenes Werk zu produzieren. Die Platte ist vielmehr so entstanden, dass wir uns immer mal wieder getroffen und dabei einen Song geschrieben haben. Dann waren wir mal bei einem Konzert oder haben etwas Besonderes erlebt, haben uns erneut getroffen und einen weiteren Song geschrieben. So kam im Laufe der Monate immer ein Stück dazu. Somit ist das neue Album durch eine Kette von Entwicklungen entstanden, die interessanterweise erst im Nachhinein und beim Betrachten des finalen Ergebnisses den Eindruck vermitteln, als stünde tatsächlich ein großes inhaltliches Gesamtkonzept dahinter.
Musikalisch gesehen hatten wir allerdings schon eine gewisse Idee davon, wie das Album werden soll: Insgesamt wollten wir uns mehr am etwas schmutzigeren, rotzigeren Sound englischer Bands orientieren und nicht so sauber klingen, wie man das aus dem deutschsprachigen Raum gewohnt ist. Daher haben wir auch mit einem Produzenten aus Manchester zusammengearbeitet, der über eine sehr große Erfahrung in diesem Bereich verfügt.

Jonas:
Wie genau lief eure Zusammenarbeit ab?

Simon:
Wir haben alle sehr viel Zeit miteinander verbracht und den Produzenten quasi übergangsweise als viertes Bandmitglied aufgenommen. Das Gute war, dass er uns nie vorgegeben hat, wie wir diesen Sound erreichen müssen. Alles hat sich sehr natürlich und in gemeinsamer Arbeit entwickelt.

Pierre:
Und nachdem die Songs auf unserem ersten Album mehr auf einzelne Statements fokussiert waren, wollten wir diesmal mit jeden Lied eine Geschichte erzählen.

Jonas:
Im Refrain von „To be young“ heißt es: „Had no time to be young“ – habt ihr selbst das Gefühl, keine Zeit gehabt zu haben, um jung zu sein?

Pierre:
Den Begriff „jung sein“ verstehe ich eher als eine Metapher: Es geht darum, sich Zeit für sich selbst zu nehmen und die Dinge zu tun, die einen glücklich machen. Viele Menschen legen in ihrem Leben den Schwerpunkt einfach viel zu sehr auf ihre Arbeit und geben ihrer Freizeit dabei zu wenig Raum. Irgendwann aber geht man in Rente und merkt plötzlich, dass man sein halbes Leben verpasst hat.

Jonas:
Es gibt eben Berufe, die einen zeitlich sehr vereinnahmen.

Pierre:
Das stimmt. Es geht mir auch vielmehr darum zu zeigen, dass man nicht ewig leben wird und seine Zeit daher sinnvoll nutzen soll. Ich selbst musste in den letzten Jahren schmerzhaft meine Grenzen kennenlernen und feststellen, dass ich nicht für immer und ewig ein junger Mann bleiben werde. Irgendwann lernt jeder seine eigene Zerbrechlichkeit kennen und fragt sich zwangsläufig: Bin ich eigentlich glücklich? Mache ich genau das, was ich für mein Leben will?

Jonas:
Dabei ist Zerbrechlichkeit etwas, was die heutige Gesellschaft eigentlich gar nicht mehr gestattet. Da geht es um Stärke, Leistung und ein ständiges Höher-schneller-weiter.

Simon:
Davon sind aber auch wir nicht wirklich verschont. Es gibt auf der Welt und vor allem in Berlin viele talentierte Leute, die gute Musik machen und damit Geld verdienen wollen. Man steht da in einem ständigen Wettbewerb und hat eigentlich keine Zeit, sich auszuruhen.

Pierre:
Ich glaube aber, dass sich viele Leute unnötig unter Druck setzen, weil sie glauben, unbedingt auf diesen Höher-schneller-weiter-Zug aufspringen zu müssen. Dabei stopfen sie ihren Kopf mit unnötig vielen Informationen voll, um ja nichts zu verpassen. Doch gerade dadurch verpassen sie es, sich auf das Wesentliche in ihrem Leben zu konzentrieren.
Geht es nicht letztendlich darum herauszufinden, was für das eigene Leben wesentlich ist? Wenn man glücklich mit sich selbst ist und sich gezielt die Dinge rauspickt, die einen weiterbringen, ergibt sich der Plan des Lebens ganz von alleine.

Für einen kurzen Moment wird es ganz still – als würde jeder der am Tisch Versammelten die gerade gesprochenen Sätze für sich und sein eigenes Leben überprüfen.

Plötzlich poltert ein Lastwagen über das Kopfsteinpflaster der Auguststraße und unterbricht abrupt die Stille. Wie durch einen Automatismus richten sich unsere Blicke mit einem Mal zur Eingangstür: Das Leben spielt sich heute draußen ab – und das Wetter ist nach wie vor gigantisch! Wir zahlen kurzerhand und verlassen das Lokal, denn wir wollen noch ein wenig Sonne einfangen. Und so spazieren wir wenig später entlang der August- und Mulackstraße in Richtung Rosa-Luxemburg-Platz, lassen uns treiben und genießen diesen wunderschönen Tag unter strahlend blauem Himmel. Dabei halten wir immer mal wieder an, um das eine oder andere Foto von Simon, Pierre und Martin zu schießen.

Jonas:
Würdet ihr das, was ihr tut, als Beruf bezeichnen?

Martin:
Ich glaube, Beruf ist da nicht das richtige Wort. Ich würde es eher Leidenschaft nennen – auch weil darin das Wort Leiden steckt. Man ist in unserem Job ja immer auf Achse, steht unter Stress, versucht Termine einzuhalten und schleppt Equipment von einem Ort zum anderen.
Aber wenn man auf der Bühne steht, bekommt man von den Leuten so viel zurück, dass man weiß, wofür man das alles tut. In dieser einen Stunde während des Auftritts vergisst man den ganzen Mist, der davor war. Und genau das treibt einen jedes Mal wieder dazu an, mit all dem weiterzumachen.
Es macht meinen Tag zwanzig Mal schöner, wenn sich fremde Menschen mit mir über unsere Musik unterhalten und beispielsweise erzählen, was einer unserer Songs in ihnen auslöst.

Jonas:
Was genau ist es denn, was man von den Leuten vor der Bühne zurückbekommt?

Simon:
Das ist ein Gefühl, das den gesamten Körper in einen Rausch versetzt. Für mich ist es immer wieder atemberaubend, die Dynamik der großen Menschenmasse zu erleben, etwa wenn die Leute tanzen oder gleichzeitig hochspringen. Das hat eine ganz eigene Ästhetik.

Pierre:
Stimmt. Und wenn man nach dem Auftritt vor hunderten Menschen plötzlich alleine im tristen Backstage-Bereich sitzt, merkt man noch viel deutlicher, wie gut das war, was man gerade erlebt hat.
Für mich hat aber nicht nur diese große Masse etwas Magisches, sondern auch die persönliche Begegnung mit den Leuten. Es macht meinen Tag zwanzig Mal schöner, wenn sich fremde Menschen mit mir über unsere Musik unterhalten und beispielsweise erzählen, was einer unserer Songs in ihnen auslöst.

Jonas:
Welche Musik löst denn in euch etwas aus?

Pierre:
Ich bin immer den Tränen nahe, wenn ich mir das Album „Hurry up, we’re dreaming“ von M83 anhöre. Das zerstört mich jedes Mal auf’s Neue. Oder die Musik von The National.

Martin:
The National zerreißen mir auch das Herz. Ende letzten Jahres war ich zusammen mit Pierre auf einem Konzert von The National in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Uns beiden stand das Wasser in den Augen – und wir haben zwei Stunden lang nur gestaunt, wie unfassbar gut diese Musik ist.

Simon:
Live-Musik kann sowieso viel mehr Emotionen auslösen als jede CD oder Schallplatte. Wenn ein Künstler leibhaftig vor mir steht und mir ehrlich verkauft, was er da tut, hat das großes Gänsehaut-Potenzial. Für mich erzeugt beispielsweise die Band Efterklang eine unglaubliche Magie auf der Bühne.

Jonas:
Seit ein paar Jahren beobachten wir zwei sehr gegensätzliche Entwicklungen: Auf der einen Seite scheinen sich junge Leute immer ausführlicher und intensiver mit Musik – auch mit Indie-Musik – zu beschäftigen, auf der anderen Seite spielt medial die Qualität von Musik eine immer kleinere Rolle: Menschen stehen Schlange bei unzähligen Casting-Shows, um in möglichst kurzer Zeit ein wenig Ruhm und Aufmerksamkeit zu erlangen. Nehmt ihr diese Veränderungen ähnlich war?

Simon:
Musik gehört heute viel stärker zum persönlichen Lifestyle als noch vor ein paar Jahren. Alleine die Tatsache, dass man seine Musik auf dem Smartphone überall dabei hat, führt dazu, dass man sich permanent darüber definiert. Dadurch kommt der Musik automatisch ein höherer Stellenwert zu.

Pierre:
Indie ist ja auch der neue Mainstream.

Simon:
Und Mainstream ist das neue Indie.

Pierre:
Indie war am Anfang ja kein eigenes Musikgenre, sondern stand einfach für „Independent Records“. Es hat sich nur deshalb zu einem Genre entwickelt, weil die Bands alle sehr ähnlich klangen. Wahrscheinlich wird der Indie-Künstler der Zukunft jemand sein, der zuhause im Schlafzimmer irgendwelche Beats und Sounds an seinem Laptop baut und dadurch „independent“ und nicht Mainstream ist.
Insgesamt ist Mainstream aber auch nichts Schlechtes: Es bedeutet ja in erster Linie nur, dass viele Menschen diese Musik mögen und daher öfter hören.

Jonas:
Im Gegensatz zu vielen Mainstream-Bands gelingt es euch, eure Musik auch grafisch zu interpretieren. Alleine die Schriftart, die ihr verwendet, orientiert sich mit ihrer klaren, spitzen und aussagekräftigen Architektur sehr stark am I Heart Sharks-Sound.

Pierre:
Mir war es sehr wichtig, dass eine inhaltliche Verbindung zwischen unserem Sound und unserem visuellen Auftritt hergestellt wird. Daher habe ich unsere Typo auch selbst entworfen. Insgesamt wollte ich bei I Heart Sharks grafische Klarheit schaffen und kein Chaos erzeugen. Und ich versuche, über alle Alben ein in sich schlüssiges Corporate Design zu etablieren.

Jonas:
Dabei scheint bei dem Artwork eures zweiten Albums „Anthems“ die Fotografie eine wesentlich größere Rolle zu spielen als vorher.

Pierre:
Das stimmt, die Optik ist sehr stark von der Fotografie Helmut Newtons inspiriert, den ich während des Schreibens für mich entdeckt habe. Ich kannte zwar seine Bilder schon vorher, aber habe mich erst vor kurzem intensiver damit auseinandergesetzt.
Ich muss sagen, dass mich seine Farbfotos noch wesentlich stärker berühren als seine Schwarzweiß-Werke. Ich liebe einfach diese Traumwelten, die er mit prägnanten, übersättigten Farben und starken Kontrasten kreiert. Diesen Stil wollte ich für „Anthems“ interpretieren, da unsere Musik ebenfalls sehr prägnant und kontrastreich, aber dennoch in gewisser Weise träumerisch ist.

Traurig sein hilft der Kreativität enorm, da man in diesem Zustand in viel mehr Richtungen denkt und seine Gefühle besser kanalisieren und auf Papier bringen kann.

Jonas:
Aus welchem Gefühl heraus könnt ihr denn am besten komponieren und texten?

Simon:
Ich bin ja leider eher der sachliche Typ, gehe alles sehr systematisch an und entscheide wenig aus dem Bauch heraus. Das nervt mich ein wenig, lässt sich aber nicht so einfach abstellen.

Pierre:
Ich finde Reisen dafür perfekt: Andere Länder kennenzulernen macht mich immer total kreativ. Aber auch negative Emotionen wie etwa Traurigkeit lassen mich bessere Texte verfassen. Als ich die Songs für unser neues Album geschrieben habe, hatte ich gerade eine Trennung hinter mir. Unser Manager scherzt immer, dass wir öfter Beziehungen beenden sollten, weil dadurch unsere Songs besser würden.

Martin (lacht):
Für einen Schlagzeuger ist wahrscheinlich Wut die beste Gefühlslage, bei einem Gitarristen würden ja direkt die Saiten reißen.
Aber ich gebe Pierre recht: Traurig sein hilft der Kreativität enorm, da man in diesem Zustand in viel mehr Richtungen denkt und seine Gefühle besser kanalisieren und auf Papier bringen kann. Wenn man glücklich ist, macht man sich eben nicht so viele Gedanken – dann ist man einfach nur glücklich.

Wir sind mittlerweile am Rosa-Luxemburg-Platz angekommen und lassen uns auf den steinernen Treppen der Berliner Volksbühne nieder. Die Sonne hat sich zurückgezogen, es ist ein wenig kühl geworden. Der Himmel strahlt nach wie vor in kristallklarem Blau und wartet zufrieden auf die Dunkelheit.

Wir schießen die letzten Fotos und verabschieden uns wenige Minuten später von Simon, Pierre und Martin. Mit jeder Minute, in der sich die Dämmerung stärker über den Rosa-Luxemburg-Platz legt, betreten immer mehr Lichter der Großstadt die Bühne.

Wie gut, dass wir noch draußen waren und den Rest dieses wunderschönen Tages erleben konnten.

Dafür sollte man sich ohnehin mehr Zeit nehmen – und für alles andere, was im Leben wichtig ist.