Interview — Britta Steffenhagen

Eine Berliner Königin

Schauspielerin, RBB-Moderatorin und Kiez-Ikone Britta Steffenhagen lebt in wilder Ehe mit ihrer Heimatstadt Berlin. Die Kabarettkönigin reist mit uns durch die Stationen der Liebesgeschichte zwischen ihr und der Spreemetropole und erzählt von einer Kindheit an der Mauer.

17. Dezember 2019 — MYP N° 27 »Heimat« — Interview & Text: Anna Kasparyan, Fotos: Steven Lüdtke

„Oh Berlin, Berlin, Berlin, du bist aller Städte Queen.“ Diese Zeile aus dem berühmten Lied von Nina Hagen, „Berlin (ist dufte)“, wird seit 1991 generationenübergreifend von (Wahl-)Hauptstädtern geschmettert, die viel Berliner Luft und noch mehr Lokalpatriotismus verspüren. Eine Regung, die auch Moderatorin und Schauspielerin Britta Steffenhagen nicht fremd ist. Bekannt wie ein bunter Hund, verkörpert sie die Kabarettkultur der Stadt, in der sie geboren wurde und nach eigenen Angaben auch sterben wird.

In ihrer Live Show auf Radio Eins, die Sie zusammen mit Magnus von Keil moderiert, fängt die 43-Jährige den Puls der Hauptstadt ein. Daneben erfindet sie, als Teil des Ensembles des Neuköllner Heimathafens, altes Berliner Mundart-Repertoire neu – mit einer endlosen Energie und ihrer rotzfrechen Großstadtmädchen-Attitüde. Ihre Leidenschaft des Lebens, sagt sie, sei der Witz. Denn Menschen zum Lachen zu bringen mache die Welt erträglicher.

Britta Steffenhagen, Enfant terrible und Anarchistin par excellence, trifft uns auf dem Dach des Kreuzberger Urban Krankenhauses. Wir flanieren von ihrem Geburtsort bis zur Stammbühne in Neukölln und lassen uns von ihr ein paar Geheimnisse aus dem Leben und Lieben einer Kiezikone erzählen.

»Ich würde meine Familie als kreative, gebildete Arbeiterklasse bezeichnen.«

Anna Kasparyan:
Du bist in einem Kreuzberger Haushalt aufgewachsen, einen Deiner Opas hast du mal „den König vom Kiez“ genannt. Dich selbst bezeichnest du als eine Berliner Pflanze: Welches Sippengemälde kannst du uns malen?

Britta Steffenhagen:
Ich würde meine Familie als kreative, gebildete Arbeiterklasse bezeichnen. Macher, immer Macher! Alles Berliner. Konditormeister. Elektromeister… Einer meiner Opas war Mitgründer der Taxiinnung, der andere war Fliesenleger. Nachdem er in Stalingrad ein Bein verloren hatte, studierte er an der Sporthochschule und arbeitete im Versehrtensport. Dieser Opa hat mir das Schachspielen beigebracht. In meiner Familie war ohnehin immer viel los. Meine Mutter hatte ein Atelier in Kreuzberg, mein Vater war eine Zeit lang Stadtschreiber, veröffentlichte mehrere Gedichtbände veröffentlicht und nahm Hörbücher auf. Er war zudem im Arbeitskreis „Literatur der Arbeiterwelt“: Arbeiter schreiben für Arbeiter. Da waren wir Kinder auch bei Geheimtreffen mit Literaten in Ostberlin dabei, also in der damaligen DDR. Wir wurden von Anfang an auch zu Erster-Mai- und Friedensdemos mitgenommen.

»Von meinem Vater habe ich alles über Humor gelernt, von meiner Mutter alles andere.«

Anna Kasparyan:
Was davon hat Dich am nachhaltigsten geprägt?

Britta Steffenhagen:
Von meinem Vater habe ich alles über Humor gelernt, von meiner Mutter alles andere. Sie brachte mir vor allem eine warme Anarchie bei. Generell hat dieses „Berlinsein“ meinen Humor sehr geprägt. Und ich habe wenig Hörigkeitsbewusstsein. Man hört, was jemand sagt und wie er es sagt – und nicht, wer das sagt. Das ist etwas, das mir sehr von meinen Eltern mitgegeben wurde. Ich beschreibe sie immer gerne als konservative Achtundsechziger: wertkonservativ, wenn jemand Hilfe braucht – dann ist man da für die Gemeinschaft. Ansonsten wird an der Freiheit zu sich selbst gearbeitet. Aber stets eine Freiheit in dem Bewusstsein, dass du eine Verantwortung für die Gesellschaft hast. Ein Grundgefühl, dass du dich nicht allein in der Gesellschaft bewegst. Das ergibt eine Spannung zwischen Anarchie und Verantwortung. Es ist vielleicht etwas abgedroschen, dieses „Herz mit Schnauze“, aber das gibt es wirklich, finde ich.

»Nach Berlin gehst du, um was zu werden.«

Anna Kasparyan:
Du bist Aushängeschild des RBB und Teil des Gründungsensembles des Berliner Heimathafens. Was macht die Kultur der Hauptstadt aus?

Britta Steffenhagen:
Nach Berlin gehst du, um was zu werden. Und wenn du was bist, gehst du woanders hin. Hier macht es jeder nach seiner Façon. Auch wenn es früher noch rentabler war, ist es im Städtevergleich immer noch so: Du kannst hier günstig leben und dir etwa aufbauen. Dabei triffst du auf Gleichgesinnte, die ebenfalls irgendetwas basteln und irgendwie schräg drauf sind. Die ganze Stadt singt im Chor: Mach dein Ding!

Anna Kasparyan:
Hast du manchmal Angst, dass du den Lokalkolorit irgendwann satthast?

Britta Steffenhagen:
Nee. Nee!

»Ich weiß, dass Berlin mich nicht fallen lassen wird.«

Anna Kasparyan:
Du würdest Berlin niemals verlassen?

Britta Steffenhagen:
Niemals. Ich habe an anderen Orten studiert und gelebt. Ich bin in Kanada zur Schule gegangen, habe lange in London gelebt und ein Jahr in Dublin verbracht. Ich habe immer noch viele Freunde im Ausland. Ich liebe es zu reisen. Aber woanders leben? Dafür mache ich zu viel und zu gerne Projekte in meiner eigenen Sprache: Hörbücher lesen und synchronisieren, Theaterstücke selber schreiben. An Sprache interessieren mich Rhythmus, Akzente und Dialekte. Für mich liegt im Berliner Dialekt ein besonderer Witz, den ich an einem anderen Ort nicht ausleben könnte.
Mir wird es in Berlin nie langweilig. Immer wieder laufe ich irgendwo vorbei und denke mir: Ah, ich liebe es! Ich habe vor einer Weile ein Hörspiel darüber geschrieben, dass ich wirklich in die Stadt verliebt bin – wir haben so eine richtig coole, heiße Affäre. Oder vielleicht eher eine wilde Ehe! Ich würde Berlin um nichts in der Welt fallen lassen und ich weiß auch, dass Berlin mich nicht fallen lassen wird.

»Humor macht es leichter, das Dasein auszuhalten.«

Anna Kasparyan:
Deine Fans lieben dich für deine ungefilterte, exaltierte Persönlichkeit. Wie siehst du dich selbst?

Britta Steffenhagen:
Ich bin schon eher laut. Extrovertiert wohl. Meine Hauptmotivation ist es, die Menschen zum Lachen zu bringen. Wenn mir ein lustiger Gedanke kommt, dann äußere ich ihn auf der Elternversammlung in der Schule genauso wie auf der Redaktionskonferenz. Das ist oft anstrengend für meine Mitmenschen, aber viele lachen eben auch. Meine Aufgabe im Leben ist: Finde den Witz! In jeder Situation.
Ich glaube, ein Witz kann gesellschaftskonstituierend sein. Es ist doch absurd, als denkender Affe leben zu müssen. Du weißt oft nicht, was du hier sollst, wieviel Zeit Du noch hast und wann du gehen musst. Das ist schwer auszuhalten. Und da geht es uns allen gleich. Der andere steckt da genauso in der Bredouille wie du. Selbstironie speziell hilft zu sehen, wie absurd das Leben ist. Humor macht es leichter, das Dasein auszuhalten. Eigentlich bin ich grundmelancholisch, aber das wäre mir als Lebenshaltung zu langweilig.

»Menschen, die ihre Sexualität erkannt haben und ausleben, sind besser in der Welt.«

Anna Kasparyan:
Aber nicht pessimistisch?

Britta Steffenhagen:
Nein, überhaupt nicht. Ich würde es nicht zulassen, dass die Traurigkeit mich lähmt. Zudem bin ich total romantisch. Ich glaube, dass Liebe sehr beim Überleben hilft. Und Sex – Humor, Liebe und Sex. Letzterer ist ein sehr guter Lebensmotor. Ich glaube, dass Menschen, die ihre Sexualität erkannt haben und ausleben, besser in der Welt sind. Sie können oft besser kommunizieren und dadurch fällt es ihnen leichter, andere und sich selbst zu akzeptieren.

Anna Kasparyan:
Wie erlebt man Dich in ruhigen Momenten oder in Situationen, in denen das Energielevel niedriger ist?

Britta Steffenhagen:
Klar verausgabe ich mich. Aber die Leute unterschätzen auch immer wieder, dass meine Kollegen und ich viel von den Zuschauern zurückbekommen. Es ist ein Geben und Nehmen. Es gibt diesen klaren Moment nicht, in dem meine Energie erschöpft ist, weil davor schon wieder drei Witze kommen. Wenn man etwas macht, das einem grundsätzlich nicht liegt und keinen Spaß macht, dann verausgabt man sich wirklich.

»Wahrscheinlich werde ich mal so eine richtig bekloppte Alte.«

Anna Kasparyan:
Hast Du schon immer mit so viel Leidenschaft gespielt, gearbeitet und geliebt?

Britta Steffenhagen:
Ich glaube schon, ja.

Anna Kasparyan:
Spielt für Dich Alter überhaupt eine Rolle?

Britta Steffenhagen:
Pff, wir leben zum Glück in Zeiten, in denen das ziemlich verschwimmt. Mir ging es nie besser als jetzt. Die Beziehungen, die ich habe, und die Tatsache, dass ich zwei Kinder bekommen konnte, das hat mich eher fitter gemacht. Ich werde auch nicht ruhiger oder weniger verrückt. Wahrscheinlich werde ich mal so eine richtig bekloppte Alte.

»Ich war gewohnt, dass regelmäßig die Erde zitterte, wenn die Panzer an mir vorbeifuhren.«

Anna Kasparyan:
Und wie war deine Kindheit?

Britta Steffenhagen:
Als Kind habe ich mir mehr Zeit für mich alleine genommen, stromerte beispielsweise mit der Blockflöte durch den Wald und habe Nüsse gesammelt, in von mir hergestellten Beutelchen. Das war so eine einsiedlerische Elfennummer. Sieben Monate im Jahr lebten wir in einer großen Stadtwohnung in Schöneberg. Aber im Sommer lebten wir etwas weiter draußen in Rudow, weil wir dort den Garten meiner Urgroßmutter hatten, mit einem richtigen Steinhaus drauf. Ich wuchs also an der Mauer auf. Von diesem Garten wurde nach dem Krieg ein Teil abgetrennt, weil die Alliierten eine Straße bauen wollten, um mit Panzern auf der anderen Seite der Mauer patrouillieren zu können. Ich war gewohnt, dass regelmäßig die Erde zitterte, wenn die Panzer an mir vorbeifuhren.
Neben der Straße befand sich die Uferböschung entlang des Landwehrkanals und auf der anderen Seite lagen der Mauerstreifen und die Mauer, mit einem schmalen Streifen Brachland davor. Da war nichts außer Blumen, Obstbäumen und Unkraut, Kilometer um Kilometer um Kilometer. Ein wilder Spielplatz. Wir Kinder aus der Gegend wussten: Ah, jetzt sind die Himbeeren reif! Da hinten gibt es Walnüsse! Hinter der Ecke ist das Höhlenbauen am besten!
Oft wurden wir dabei von den Grenzern beobachtet. Wir kletterten zum Beispiel auf einen Baum, um Kirschen zu pflücken. Aber wenn der Baum zu nah an der Mauer stand, haben uns die Grenzer vom Wachturm aus mit dem Maschinengewehr bedroht und wir musstest runter. Ein beliebtes Spiel war auch: „Wer traut sich, die Mauer anzufassen?“ Vom Westen aus ging das ja.

Anna Kasparyan:
Wie hast du 1989 den Mauerfall erlebt?

Britta Steffenhagen:
Ich fand das toll! Endlich war die Mauer weg! Wahnsinn, erstmal Freiheit für alle. Aber um meinen wilden Spielplatz tat es mir leid. Jetzt war es weg, mein Paradies. Mein kilometerlanges „Wo-keiner-dir-was-konnte“ war dahin. Heute ist genau an dieser Stelle eine Autobahn.

»Bis vor ein paar Jahren habe ich mich für Feminismus in dem Sinne nicht interessiert.«

Anna Kasparyan:
Du hast Dich entschieden, mit Deinem Mann und Deinen beiden Kindern in Kreuzberg sesshaft zu werden. Wie stark wirst Du in deinem Umfeld mit der Frage konfrontiert, wie Du Kinder und Karriere unter einen Hut bekommst?

Britta Steffenhagen:
Das wird schon öfter gefragt. Aber ich bin nicht alleine mit den Kindern. Mein Mann und ich teilen uns da ziemlich paritätisch auf. Warum auch nicht: Ich bin Mutter und Bühnenarbeiterin, er ist Vater und Jurist. Ein Mann, der zwei Kinder hat und einen Vollzeitjob, wird immer noch viel seltener gefragt: „Wie schaffen Sie das denn, den Job und die Familie?“
Ich bin Neu-Feministin, das heißt: Bis vor ein paar Jahren habe ich mich für Feminismus in dem Sinne nicht interessiert. Ich habe mein ganzes Politikwissenschaft-Studium an der Freien Universität ohne ein einziges Feminismus-Seminar geschafft und war noch stolz drauf.
„Oh, wo ist das Problem, Männer sind doch geil und wir sind doch alle Menschen,“ das war mein großer, vollmundiger Spruch mit 18. Und je mehr ich dann in Strukturen gearbeitet und die vergangenen Jahre beim RBB erlebt habe, wurde mir klar: Ey, das ist der Wahnsinn! Ich hab‘ da Sachen gehört und erlebt, bei denen ich nie gedacht hätte, dass es die noch gibt. Da ist mir die Blase, in der ich davor gelebt und gearbeitet hatte, erst bewusst geworden.

»In der Unterhaltung ist es nicht lustig als Frau, wenn du die Fresse aufreißt.«

Anna Kasparyan:
Als Frau in einer sehr männerdominierten Branche zu arbeiten, ist sicherlich nicht einfach, zumal Frauen in der Unterhaltung immer wieder gegen Vorurteile ankämpfen müssen. Wie siehst Du das? Wie würdest Du deinen Weg bis hierhin beschreiben?

Britta Steffenhagen:
In der Unterhaltung ist es nicht lustig als Frau, wenn du die Fresse aufreißt. Da bist Du schnell hysterisch, während Männer mal sagen, was Sache ist. Als ich anfing, die RBB-Abendshow zu moderieren, war ich erstaunt, dass keiner von den CVDs (Anmerkung der Redaktion: Chefs vom Dienst, die die Sendung verantworten) eine Frau war. Auch der Redaktionsleiter war ein Mann und im Redaktionsstab sah ich wenige Frauen. Die Bestimmer sind halt nach wie vor oft Männer, das fand ich schwierig.
Beim Heimathafen Neukölln, bei den „Rixdorfer Perlen“, läuft es ganz anderes. Wir sind ein Frauenteam, das gesagt hat: „Wir haben kein Bock mehr auf diese männlichen Bühnen. Wir machen jetzt Theater in einer Bezirksecke, wo es kein Theater mehr gibt – von Berlin, für Berlin.“ Der Heimathafen ist Volkstheater im guten Sinne. Da muss man vorher kein Reclam Buch gelesen haben und es geht trotzdem um aktuelle Politik und um „schwierige“ Themen.

»Dieser Ton geht bei uns gar nicht.«

Anna Kasparyan:
Gegen welche Vorurteile musst Du immer wieder ankämpfen?

Britta Steffenhagen:
Wenn man als Künstlerin – wobei ich den Begriff „Künstler“ oft sehr abgehoben finde – in so ein amtliches Gefüge gerät, hört man schnell: „Dieser Ton geht bei uns gar nicht.“ Wobei ich meine anarchistischen Umfragen gemacht habe und die meisten Mitarbeiter weniger Probleme mit mir hatten als die Chefs. Da hieß es beispielsweise: „Vor den Technikern kannst du so nicht reden!“ Mit den Technikern habe ich mich aber am besten verstanden. Die haben dann auch gesagt: „Na, wir sind doch eine Familie, wir wissen doch, wie Du tickst.“

Anna Kasparyan:
Wie blickst Du in die Zukunft?

Britta Steffenhagen:
Machen. Arbeiten. Die Message herausarbeiten. Weiter die Fresse aufreißen.

»Die Aufgabe des Öffentlich-Rechtlichen ist, jedem einzelnen Zuschauer Mut zu machen.«

Anna Kasparyan:
Sowohl deine frühere „Abendshow“ als auch deine „Radioshow“ gehören zum Öffentlich-Rechtlichen. In der guten alten BRD war dieses TV-Konzept ein Heimatschaffendes für das Nachkriegs-Westdeutschland. Welche Rolle kann das Öffentlich-Rechtliche heute noch spielen und wie denkst du über die Debatten zur Abschaffung des Pflichtbeitrags?

Britta Steffenhagen:
Die Aufgabe des Öffentlich-Rechtlichen ist – gerade bei Unterhaltungsformaten – nicht einzuschläfern und abzulenken, sondern jedem einzelnen Zuschauer Mut zu machen und nah an den Leuten zu sein. Daher habe ich eigentlich immer gerne für den RBB gearbeitet. Immerhin sind meine Eltern nach Brandenburg gezogen, ich kann den Bogen also von der Hauptstadt bis in die Provinz spannen. Auf dem Weihnachtsmarkt in Lehnin wurde ich genauso angesprochen wie in der U-Bahn in Berlin. Ich glaube gar nicht, dass die Brandenburger und die Berliner so unterschiedlich sind. Der Humor ist auf jeden Fall derselbe.

»Weißt du eigentlich, für wieviel andere Scheiße du Geld zahlst?«

Anna Kasparyan:
Und die Debatten zur Abschaffung des Pflichtbeitrags findest Du in diesem Kontext überflüssig?

Britta Steffenhagen:
Wenn ich das höre, „Ey, für diese Scheiße habe ich jetzt Geld bezahlt!“, dann denke ich mir: Weißt du eigentlich, für wieviel andere Scheiße du Geld zahlst? Ich sag‘ das jetzt mal so platt links: Mit deinen Steuergeldern werden Subventionen für die Superreichen gezahlt. Dann gibt es noch Euroatom, die institutionelle Förderung von Atomkraft. Die Automobil-Lobby macht einen guten Job, umweltschädliche Subventionen zu protegieren, die wirklich das Gemeinwohl schädigen. Deshalb finde ich: Wenn man dafür nur halbwegs ein Gefühl entwickelt hat, dann sind die Rundfunkgebühren die geringste Abgabe.

»Der Glanz von Berlin hat viel mit dem Ermächtigen von Kreativen zu tun.«

Anna Kasparyan:
Wie siehst Du die Entwicklung Deiner Stadt? Gerade in Berlin finden zur Zeit massive Demonstration statt, etwa für Enteignungen und gegen Mieterhöhungen. Hast du Angst, dass Deine Stadt ihren Glanz verlieren könnte?

Britta Steffenhagen:
Das impliziert, dass niedrige Miete gleich Glanz bedeutet. Ich glaube, der Glanz von Berlin hat viel mit dem Ermächtigen von Kreativen zu tun. Es ist diese Grundstimmung: „Mach ruhig dein Ding, mach ich auch.“ So eine Grundstimmung muss ermutigen und die Individualität fördern – und keine Angst davor haben. Westberlin zum Beispiel war unter den Alliierten ganz schön verspießt. Ich habe erst vor kurzem einen interessanten Artikel gelesen, in dem es hieß, dass sich die Westberliner viel mehr an die Amis und die Franzosen – also an die Besatzer-Mächte – assimiliert hätten, als sich die Ossis an die Russen angepasst hätten. Und trotzdem hat jene Zeit auch Nischen und Gegenbewegungen befördert. Ich glaube, in beiden Teilen der Stadt gab es immer dieses spezielle, typisch berlinerische Autoritätsverhältnis. Auch wenn der Turbokapitalismus seine Schneisen in die Stadtseele schlägt…

»Wir als Bewohner müssen eine Vision davon haben, wo die Stadt hinsoll.«

Anna Kasparyan:
Ist Berlin gerade in Gefahr?

Britta Steffenhagen:
Na ja. Berlin ist das, was wir daraus machen. Hier gibt es Extinction Rebellion, Hausbesetzer, es gibt die Diskussion zum Mietendeckel und irgendwie glaube ich auch daran: Wenn’s zu viel ist, wird hier alles lahmgelegt. Beim Klimastreik waren in Berlin die meisten Menschen auf der Straße, verglichen mit anderen deutschen Städten – das hat mich gar nicht überrascht. Wir als Bewohner müssen eine Vision davon haben, wo die Stadt hinsoll. Tatsächlich wundere ich mich deshalb, warum von Berlin aus nicht mehr gesellschaftliche Innovation kommt. Zum Beispiel das Experiment eines bedingungslosen Grundeinkommens.

»Den Begriff Heimat dürfen wir nicht den Wichsern überlassen.«

Anna Kasparyan:
Was denkst Du über die aktuelle Debatte um den Heimatbegriff? Und was bedeutet für Dich Heimat?

Britta Steffenhagen:
Ich finde, den Begriff Heimat dürfen wir nicht den Wichsern überlassen. Deshalb bin ich auch beim Heimathafen dabei. Heimat ist der Hafen – und die Seefahrer kommen von überall. Man selbst war auch überall, man ist Kosmopolit, trotzdem weiß man, wo der eigene Anlegeort ist. Und deshalb verträgt sich aus dieser Sicht der Begriff Heimat überhaupt nicht mit Fremdenfeindlichkeit oder Angst!

Anna Kasparyan:
Was ist Dein letztes Statement?

Britta Steffenhagen:
Machen ist wie Wollen, nur krasser… und vielleicht noch Ficken für den Feminismus!