Submission — Petra Holländer

Ausbruch

14. April 2013 — MYP No. 10 »Meine Nacht« — Text & Foto: Petra Holländer

Ich saß im selben Raum. Wie lange wusste ich nicht, vielleicht seit Wochen oder Monaten. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Es musste mir auf dem Weg hierher aus der Tasche gefallen sein. Die Wände waren kahl wie eh und je. Kalt schauten sie auf mich herab, durchbohrten mich mit ihren kleinen schwarzen Äuglein.

Zu Beginn fühlte ich mich sehr unwohl hier. Ich wusste auch gar nicht, wie ich hierher geraten war, aber nun war ich hier und ich konnte nichts mehr daran ändern – da war ich mir ganz sicher. Aber man gewöhnt sich an alles.
Es war so still hier, so ruhig, also ob die Zeit stehen geblieben wäre. Kein Lüftchen wehte, kein Vogel zwitscherte, es war wie ausgestorben. Nur mein kleines Herz schlug, mal schneller, mal langsamer. Oft stand ich nahe am Abgrund, musste aufpassen, dass ich nicht fiel. Da begann es besonders zu schlagen.

An anderen Tagen saß ich in meinem Nest, ein Nest aus Träumen und Wünschen. Ich fühlte mich hier beschützt. Es war ein seltsamer Ort. Grau und nebelig, aber weit weg von allem. Tag und Nacht war ich hier. Ich war schwach und leer, nur mein kleines Herz schlug noch.

Eines Nachts passierte etwas Seltsames. Ich hatte einen Traum von einem hellen Licht, so schön, dass ich ihm folgen musste. Als ich aufwachte, erfüllte mich eine solche Sehnsucht, wie ich sie noch nie verspürt hatte. Etwas war in mir erwacht. Gedanken schossen mir durch den Kopf wie Blitze, ich war hellwach und voller Leben. Ich musste das Licht finden.

So quälte ich mich durch Wogen voller furchtbarer Gedanken, die sich vor mir aufbäumten, um wieder auf mich herabzustürzen. Ich lief durch Wälder, dessen Bäume nach mir griffen und kletterte über Berge, die mich gefangen nehmen wollten. Meine Flügel waren zerschunden und schmutzig, als ich endlich das kleine Licht fand. Es wartete schon lange. So lange, bis ich schließlich bemerkte, dass ich es selbst verdeckte. Dafür musste ich diesen langen Weg gehen, aber nun war ich bereit. Das Licht wurde größer und größer, bis es zu einem leuchtenden Rechteck wurde und sich ein Fenster in ihm öffnete.

Gestern Nacht entkam die kleine Krähe. Sie entkam ihr selbst. Es war ihre Nacht.