Interview — Leslie Clio

Für die Seele

Hier fehlt ein Abstract-„I Told you so“ – aus der Kleinen wird noch was. Die Rede ist von Leslie Clio und ihrem neuen Soulpop-Album. Wir sprechen mit ihr über ihre Zeit in New York und den Grund, warum sie vor kurzem von Hamburg nach Berlin gezogen ist.

13. Januar 2013 — MYP No. 09 »Meine Geschichte« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Ole Westermann

Friedrichshain an einem Samstag mitten im Dezember. Der Schnee, der sich in den letzten Tagen so sanft und weiß über die Stadt gelegt hat, klebt inzwischen wie vernarbt auf den Bürgersteigen rund um den Boxhagener Platz und mischt sich mit dem pechschwarzen Streugranulat zu einer seelenlosen grauen Masse.

Grau ist heute auch die Haltung des Berliner Himmels, der sichtlich gelangweilt irgendetwas zwischen Regen und Schnee nach unten fallen lässt. Und grau sind die Gesichter der wenigen Menschen, die sich eilig und vermummt aus den schmalen Hauseingängen heraus- und wieder hineinflüchten. Winterwunderland sieht irgendwie anders aus.

In wenigen Minuten sind wir mit der jungen Sängerin Leslie Clio verabredet, erst zum Interview, dann zum Shooting im benachbarten Studio des Fotografen Ole Westermann. Während wir warten, gehen uns die Klänge ihrer Single „Told you so“ durch den Kopf, die sie vor wenigen Monaten veröffentlicht hat – gerade das Richtige, um seine Stimmung gegen das um sich greifende Grau zu schützen.

Da ist sie auch schon. Mit hellen, wachen Augen und einem großen Lächeln steuert Leslie auf uns zu und begrüßt uns freundlich. Wie ihre Single ist auch die junge Sängerin ein willkommenes Kontrastprogramm zu diesem grauen Wintersamstag. Trotzdem ist es kalt hier draußen, also flüchten wir uns in die tiefen Plüschsessel des Café Macondo an der nächsten Ecke.

Jetzt erstmal was für die Seele: einen Milchkaffee und eine heiße Schokolade, bitte!

Jonas:
In deiner Biografie heißt es, deine Augen hätten schon mehr gesehen als die deiner Altersgenossen…

Leslie (lacht):
Ja, das kann man in gewisser Weise sagen. Ich habe nach dem Abi meiner Heimatstadt Hamburg den Rücken gekehrt und bin zwei Jahre lang durch die Welt gereist: Ich war in Australien, Neuseeland, Indien, Thailand, Amerika und ganz viel in Europa unterwegs. Da sieht und erlebt man einfach viel.

Jonas:
Gab es einen bestimmten Grund, warum du für so lange Zeit hinaus in die Welt gezogen bist?

Leslie:
Nein, ich hatte einfach das Gefühl, mal was anderes sehen zu müssen. Außerdem bin ich seit meiner frühen Kindheit schon immer viel gereist – ich bin echt gerne unterwegs und lebe viel dem Koffer. Als ich ein Baby war, mussten mich meine Eltern auch ins Auto packen, die Musik aufdrehen und mit mir um den Block fahren, damit ich eingeschlafen bin.

Jonas:
Hattest du während dieser zwei Jahre eine Vorstellung davon, wohin du in deinem Leben steuern willst?

Leslie:
Ehrlich gesagt bin ich kein Mensch, der riesige Pläne schmiedet. Ich habe mir auch nie viele Gedanken über meine Zukunft gemacht. Es war immer irgendwie dieses Gefühl da, dass ich irgendwann irgendwo ankomme.

Während dieser zwei Jahre gab es tatsächlich nie einen Moment, in dem ich mir ernsthafte Sorgen darüber gemacht hätte, wohin ich gehe oder was aus mir wird. Ich bin nicht sonderlich spirituell, aber ich habe gewusst, dass sich alles auf irgendeine Art und Weise fügen wird und dass alles, was passiert, einen Sinn hat.
Und so ist es dann auch gekommen: Ich wusste, dass ich singen will und nichts anderes. Und genau das tue ich jetzt.

Jonas:
Seit wann besteht dieser feste Wunsch, Sängerin zu werden?

Leslie:
Schon immer! Natürlich gab es Phasen in meinem Leben – etwa während der Pubertät – , in denen dieser Wunsch mal mehr und mal weniger präsent war. Trotzdem war er nie weg: Meine Antwort auf die Frage, was ich mal werden will, war Zeit meines Lebens „Sängerin“.

Jonas:
Sind dir die musikalischen Gene in die Wiege gelegt?

Leslie:
Nö, interessanterweise gar nicht. Meine Eltern spielen kein Instrument oder machen in sonst irgendeiner Art und Weise Musik. Bei uns zuhause lief aber immer viel Musik, vor allem Swing. Ich habe als Kind immer mitgesungen, wenn ich irgendwo Musik gehört habe, und bin unter anderem dadurch früh mit der englischen Sprache in Berührung gekommen. Das hilft mir beim Songschreiben heute sehr.

Der Milchkaffee und die heiße Schokolade werden serviert, wir machen eine kleine Pause. Draußen wird es allmählich freundlicher, der Himmel lichtet sich, es fällt kein Regen mehr.
Trotzdem bleibt es ungemütlich kalt, weshalb wir uns glücklich schätzen, drinnen im Warmen zu sitzen und die eisige Welt da draußen aus der Distanz zu beobachten. Immer tiefer versinken wir in den ausladenden Plüschsesseln und klammern uns an unseren Tassen fest.

Wir schweigen für eine Weile und lauschen der alten Kaffeemaschine, die sich anhört wie eine alte Dampflok.

Jonas:
Wie ging es nach der Weltreise in deinem Leben weiter?

Leslie:
Als ich zurück in Hamburg war, habe ich an einer kleinen Privatschule eine Gesangsausbildung gemacht. Ich muss sagen, dass ich zwar immer das Bedürfnis hatte, Sängerin zu werden, aber nie wirklich gefühlt habe, dass mein Fähigkeiten ausreichen könnten. Natürlich sagen Eltern und Freunde immer, dass man das gut macht – aber das ist leider kein professionelles Feedback.
Als ich während der zwei Jahre für einige Zeit in New York war, habe ich oft Open Mic Sessions besucht und anderen zugehört. Mich aber selbst mal nach vorne zu wagen und mitzumachen, darauf wäre ich nie gekommen. Ich bin eh nicht so der Typ, der sich in den Mittelpunkt drängt. Die anschließende Gesangsausbildung hat in mir unendlich viel Selbstbewusstsein erzeugt und mir ein starkes Urvertrauen mit auf den Weg gegeben. Diese Unterstützung war einfach großartig, weshalb ich auch von Hamburg nach Berlin gezogen bin.

Jonas:
Konnte dir Hamburg damals nicht das musikalische Umfeld bieten, das du gesucht und gebraucht hast?

Leslie:
Ich liebe Hamburg sehr. Ich bin hier geboren und es ist meine Heimat. Wenn man aber hier sein ganzes Leben verbracht hat, kennt man irgendwann jede Ecke, die Stadt wird zu klein. Es war für mich einfach kein Reiz, in den Läden aufzutreten, in denen ich eh in den letzten Jahren immer rumstand und wo mich alle kennen. Also musste etwas Neues her.

„Leslie, wenn du das jetzt machst, dann bist du komplett weg von der Musik!“

Jonas:
Dann bist du also nach Berlin aufgebrochen…

Leslie:
…und bin dort in eine WG gezogen und habe ganz viel Socializing betrieben: Ich bin viel ausgegangen, habe viel gefeiert und mich mit etlichen Musikern getroffen.
Das war auch eine Zeit lang ganz nett, allerdings habe ich nach etwa einem Jahr gemerkt, dass ich mal irgendwie zu Potte kommen muss. Alles war so unproduktiv und ging mir zu langsam. Und da ich so ein Schaffensmensch bin, habe ich kurzerhand eine Ausbildung zur Raumausstatterin angeleiert: Komischerweise hatte ich nach nur zwei Anrufen schon am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch und noch vor Ort eine Zusage. Bevor ich mich aber endgültig entschieden habe, habe ich noch mit zwei, drei Freunden darüber geredet, die alle meinten: „Leslie, wenn du das jetzt machst, dann bist du komplett weg von der Musik! Hab’ einfach noch ein wenig Geduld, das wird schon! Aber du und Raumausstatterin? Never ever!“
Meine Freunde sollten recht behalten: Schon eine Woche später habe ich den Produzenten und Thees Uhlmann-Gitarristen Nikolai Potthoff kennengelernt – der Wendepunkt!

Jonas:
Wie habt ihr euch denn genau kennengelernt?

Leslie:
Durch eine gemeinsame Freundin, der ich mal alte Gesangsaufnahmen von mir gezeigt hatte. Sie hatte sie behalten, wochenlang angehört und irgendwann an Niko weitergegeben. Der hat mir daraufhin die Instrumentalversion von „Told you so“ geschickt und mich ins Tonstudio eingeladen. Als ich das Band erhalten und angehört habe, dachte ich nur: Wow! Das ist genau die Musik, die ich machen will! Also bin ich in sein Studio und habe das Stück eingesungen.
Es war quasi musikalische Liebe auf den ersten Blick: Niko hatte genau die Künstlerin gefunden, mit der er seine Platte produzieren konnte, und ich war bei meinem Sound angekommen.

Jonas:
Das Besondere an „Told you so“ ist ja, das es sich im Kopf festsetzt. Ehrt es dich, wenn Menschen deine Musik dauernd bei sich tragen, weil sie sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hat?

Leslie:
Es freut mich auf jeden Fall sehr. Ich hätte mir im Traum nicht gedacht, dass der Track zu einem Hit wird, den die Leute rauf und runter hören. Ich hatte keinerlei Erwartungen.
Dass sich die Leute tatsächlich in meiner Musik finden und damit was anfangen können, macht mich einfach nur unendlich glücklich.

Wir brechen auf, denn Ole Westermann erwartet uns schon.

Es fällt nicht leicht, die gemütlichen Sessel und die heiße Schokolade gegen den Berliner Winter einzutauschen. Mit Schal und Handschuhen bewaffnet geht es wieder raus in die Kälte. Nur wenige hundert Meter müssen wir laufen, dann wird es wieder warm.

Also los geht’s.

Jonas:
Am 8. Februar erscheint dein Album „Gladys“. Spürst du einen gewissen Druck, weil die Erwartungshaltung nach dem Erfolg von „Told you so“ so hoch ist?

Leslie (lacht):
Ne, da bin ich total tiefenentspannt. Ich mag das gesamte Album sehr. Und es gibt mindestens noch einen Track, der genauso toll ist wie „Told you so“.

Jonas:
Du selbst bezeichnest deine Musik als modernen Soul-Pop. Ist Soul die Musikrichtung, die dich dein Leben lang begleitet hat?

Leslie:
Ja, definitiv. Ich bin mit den alten Motown-Sachen oder Songs von Stevie Wonder aufgewachsen. Aber auch New Soul-Künstler wie Erykah Badu haben mich sehr geprägt. Mit dieser Musik sind bei mir einfach ganz viele Erinnerungen verbunden.
Es gibt total viel, was mich musikalisch inspiriert hat. So haben sich im Laufe meines Lebens ganz viele Puzzleteile angesammelt. Niko und ich haben versucht, mit dem Album all’ diese Puzzleteile zusammenzusetzen und zu einem großen Ganzen werden zu lassen, das meinem eigenen Stil entspricht.
Niko war da einfach perfekt, weil er ein sehr kantiges Arrangement mit vielen Trip-Hop-Elementen, weiten Flächen und viel Hall erzeugt hat. So haben wir es geschafft, nicht diesem klassischen Retro-Soul-Pop zu verfallen, sondern einen neuen Twist reinzubringen, da die Stücke raugher instrumentiert und mit einem Pop-Teppich unterlegt sind.

Jonas:
Was ist die inhaltliche Grundidee deines Albums?

Leslie:
Wir alle sind Menschen und haben die gleichen Wünsche, Träume, Ängste und Sorgen. Manche von uns nehmen ihre Gefühle, machen daraus Musik und stellen sie anderen Menschen hin in der Hoffnung, dass sie damit was anfangen und sie als Ventil für ihre eigenen Gefühle nutzen können.
So dreht sich „Gladys“ auch hauptsächlich um Liebe und Herzschmerz. Ich habe dabei überhaupt kein Problem, mein Herz rauszusingen, da ich mittlerweile weiß, dass ich nicht mit Tomaten beworfen werde, wenn ich auf der Bühne stehe, sondern dass meine Musik die Leute tatsächlich berührt.

Wir sind da. Ole Westermann begrüßt uns mit der Kamera in der Hand und bittet uns herein.

Tür zu, Heizung hoch. Das Set ist schon aufgebaut, wir können direkt loslegen.

Jonas:
Wie wirst du die letzten Wochen vor dem Album-Release verbringen?

Leslie:
Ich werde noch einmal verreisen, und zwar nach Vietnam – diesmal allerdings nur drei Wochen. Ich will einfach nochmal den Kopf frei bekommen, bevor das Album veröffentlicht wird. Ich werde relaxen, viel Musik hören, schreiben und für mich sein. Und ich werde versuchen, so viel Input wie möglich zu sammeln, um später im Studio wieder viel Output geben zu können.
Es ist einfach wichtig, nochmal Energie tanken zu können, bevor man in Berlin wieder zum Workaholic wird. Das neue Jahr wird nämlich richtig busy: Wir planen eine Präsi-Tournee und eine Tour im Herbst, darüber hinaus gibt es unzählige Termine, auf die ich mich aber alle sehr freue.

Jonas:
Denkst du manchmal daran, wie sich dein Leben entwickelt hätte, wenn du Niko nicht getroffen hättest?

Leslie:
Nein, niemals. Ich bin kein Grübler. Ich bin mir außerdem ganz sicher, dass ich trotzdem Musik gemacht hätte. Dann würde die Platte vielleicht nicht so klingen, wie sie jetzt klingt. Aber dafür anders. Ich hätte so oder so etwas gemacht, wo ich sehr ich wäre. Und das wäre so oder so der Gesang.
Es gibt ja viele Menschen, die sich ständig fragen, warum sie überhaupt auf der Welt sind. Ich bin froh, dass ich darauf schon immer eine Antwort hatte: Ich bin da, um andere Menschen durch meine Musik glücklich zu machen. Das ist einfach mein Ding.

Alle Fotos sind im Kasten, wir sind fertig.

Leslie Clio wirft ihren Wintermantel über, legt Schal und Handschuhe an und verabschiedet sich. Draußen wartet nach wie vor der Berliner Winter. Und obwohl der Himmel mittlerweile fast freundlich wirkt, ist es immer noch bitterkalt.

Schnell wieder die Tür schließen, sonst wird es ungemütlich.

Bevor sich die Stimmung dem allgegenwärtigen Dezembergrau ergeben kann, gehen uns wieder die Klänge von „Told you so“ durch den Kopf.

Manchmal braucht es eben nur gute Musik.

Und heiße Schokolade.

Für die Seele.