Submission — Davide Hjort

Du musst trainieren

29. November 2015 — MYP No. 19 »Mein Protest« — Text & Aquarell: Davide Hjort

Meine Ernährung sei der Grund, warum ich so dünn sei, meinte der Trainer im Fitness-Studio. Ich würde nicht genug essen, vor allem nicht ausreichend Proteine. Das Problem sei meine körperliche Konstition: “Deine Knochenstrukur wirkt sehr weiblich, deine Muskeln sind lang und schmal. Besonders an deinen Schultern und Armen musst du Muskeln aufbauen, um überhaupt irgendwelche Resultate zu erzielen.”, sagte er, der Trainer mit den rasierten Beinen und viel zuviel Gel im Haar. Seine Waden, glatt und braun vom Solarium, glänzten wie zwei Schinken in einem Supermarkt.

Nach anderthalb Jahren im Fitness-Studio, wo ich allen Ratschlägen folgte und mir wirklich Mühe gab, fragte ich mich: Warum tue ich mir das nochmal an? Ich sah mich um. Die meisten Männer, die im Fitness-Center schwitzten und beim Gewichteheben schnauften, waren regelmäßig dort und kamen zu festen Zeiten. Als neugieriger Mensch konnte ich meistens meine Zunge nicht hüten und kam daher öfter mit solchen Pumpern ins Gespräch. Es war und ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viele Menschen – meistens Männer, aber auch viele Frauen und Teenager – so viel Zeit, Energie und Geld in ihr Training investieren. Nach einiger Zeit habe ich verstanden, dass Fitness für sie nicht mehr bloß ein Mittel ist, um sich in ihrem Körper wohlzufühlen: Es ist zu einer Lebensbeschäftigung geworden. Und gleichzeitig ersetzt es jedes Hobby. “Wie viele Proteine am Tag muss ich essen? Zu welchen Zeiten muss ich die Shakes trinken? Wie oft muss ich trainieren, um so auszusehen?” Solche Gespräche hört man andauernd.

Wenn man sich mal mit einem dieser Menschen unterhält, dauert es nicht lange, bis man zu der Schlussfolgerung kommt, dass sie kaum noch andere Interessen haben. Und um das so zu erklären, muss man sich nur im Alltag umzuschauen: Jede Werbung, jede Zeitschrift und die meisten Fernsehprogramme erinnern einen standig daran, wie man aussehen sollte. Tut man es nicht, wird man gleich als Schwächling und Versager betrachtet.
Wann hat eigentich der Sport aufgehört, eine Möglichkeit zu sein, und wann hat er angefangen, zu einem Kulturzwang zu werden? “Du musst trainieren, um gesehen zu werden. Du musst trainieren, um dich als Teil dieser Gesellschaft fühlen zu können. Du musst trainieren, um deine Unsicherheit zu verstecken. Du musst trainieren, um deine Selbstliebe aufzubauen.” Solche Botschaften könnten auch auf den Verpackungen der Proteinshakes abgedruckt sein. Es muss wohl ein menschlicher Instinkt sein, wie ein Schaf in der Herde immer genau dem zu folgen, was allgemein als Schönheitsideal bezeichnet wird.

Dass unser Selbstbild ständig unter Druck gesetzt wird, kann man übrigens auch an der Freimütigkeit und Oberflächlichkeit dieser ganzen Dating-Apps und Webseiten feststellen, wo es Profiltexte wie beispielsweise diesen gibt: “Nur muskulöse und durchtrainierte Typen, bitte!” Für Frauen sind die Voraussetzungen leider auch nicht besser. Man muss also trainiert sein, um „Liebe” zu finden. Aha.

Mein Leben lang habe ich Komplexe wegen meines Aussehens gehabt. Aber nach der Zeit im Fitness-Center und einer tiefen Überlegung darüber, wie und warum ich das tue, habe ich realisiert, dass ich so etwas wirklich nicht brauche, nur um der Gesellschaft zu gefallen. Genauso wie ich es nicht brauche, meine Ängste und Zweifel auf mein Aussehen zu projizieren.

Warum? Weil es in meinem Leben wichtigere Leidenschaften gibt. Weil ich nicht möchte, dass solche Schönheitsideale meine Persönlichkeit und Authentizität zerstören. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich heute ungesund ernähre oder überhaupt keinen Sport mehr treibe. Aber ich muss kein falsches und krankes Ideal verfolgen, um meinen Körper zu akzeptieren. Das ist mein Protest.

Was bleibt denn am Ende für die meisten Gym-Besessenen? Ein Spiegel. Und vielleicht ein Proteinriegel.