Submission — Lukas Leister

Schwarze Wahrheit

14. April 2013 — MYP No. 10 »Meine Nacht« — Text & Foto: Lukas Leister

Ps letztes Interview, dem zu widersprechen würde auch seinen größten Kritikern schwerfallen, war schon jetzt sein bestes. Als oberflächlich mit einem Hang zu unwahrer Vulgarität kommentierte man seine Gespräche. Das Gegenteil zu behaupten, dessen war sich P bewusst, hätte auch keinen Sinn gehabt.
Einmal hatte er gelesen, dass das Vulgäre immer die Lüge ist, die in der Inszenierung des Proleten steckt. Aber gerade diese Lügen, fand P, brachten – dem schlechten Schauspiel seiner Gegenüber geschuldet – in den meisten Fällen eine für den Leser ungeahnte und für den Gesprächspartner unangenehme Wahrheit mit sich.
Betrachtete man es so, waren seine Dialoge wahrer als viele derer, die mit den großen Namen aus Politik und Wirtschaft gespickt waren. Vor allem aber waren sie erfolgreicher und mobilisierten ein für P erschreckend großes Publikum. Vergleichbar mit einschlägigen TV-Formaten zerlegten in seinen Texten schon längst gescheiterte Mediengesichter das letzte bisschen, was ihnen an gesellschaftlicher Kultiviertheit noch geblieben war. Gerne hätte er die C-Prominenz gegen Menschen getauscht, die wirklich etwas zu erzählen hatten, das hätte ihm ein wenig der Selbstverachtung genommen, die in den letzten Jahren seines Schreibens in ihm herangewachsen war.
P war sich sicher, dass sein Geschriebenes nie auch nur annähernd an die Qualität von K heranreichen würde. Ihre Texte waren im Gegensatz zu seinen mit einem Handwerk gefertigt, das nur wenige außer ihr heute noch zu beherrschen schienen, und trotzdem war er es, der erfolgreicher war als sie es je sein würde. Für P war es deshalb ein Rätsel, warum sie ihn mochte.
Wie die meisten seiner Interviews schrieb er auch dieses bei ihr. Die halbe Nacht hatten sie sich gegenüber gesessen, er gefragt, sie geantwortet, wie immer. Ihre schwarzen Augen, von denen er sich in dieser Nacht hatte noch schlechter lösen können als sonst, waren nun geschlossen. K lag im Bett hinter ihm und schlief schon einige Stunden.
P saß mit Stift, Papier und Diktiergerät am Schreibtisch und war in den letzten Zügen, sein Werk zu beenden. Wie bei jedem seiner Interviews schrieb er den Titel ganz zum Schluss. Wie nach jedem seiner Interviews, die er bei ihr schrieb, wollte er auch nach diesem nicht bei ihr übernachten.
P legte seinen Stift zur Seite, stand auf und warf, während er sich die Kapuze seines Mantels überzog, einen letzten Blick auf den Titel ihres Gesprächs. Als P die Tür öffnete und sich das Schwarz der Nacht vor ihm ausbreitete, war er sich zum ersten Mal sicher, die Wahrheit geschrieben zu haben.