Submission — Inflection

Wutstationen

3. Mai 2014 — MYP N° 14 »Meine Wut« — Text: Maximilian Bach & Philipp Seuthe, Foto: Florian Dörr

P
14.12.11
Hochschule für Musik und Tanz Köln.
Mein Professor für Musikpsychologie behauptet, dass Wut zu den Grundgefühlen gehört.
Eifersucht zähle auch dazu. Ich melde mich und widerspreche, da Eifersucht für mich eine Synthese aus Wut und Angst darstellt. Mein Professor erwidert, dass er sich diesen Einwand merken werde.
Er erwähnt ferner, dass die Art und Weise, wie Menschen Wut zeigen, von (sub-)kulturspezifischen „display rules“ abhänge. Das leuchtet ein. In der Hip Hop-Szene damals war Wut immer okay. Die kultivierten Musikstudenten haben es nicht so mit Wut.

16.07.12
Köln, Buchheim.
Mein Tonsatzprofessor regt sich voll auf. Max und ich haben Trash produziert. Wir dachten unschuldig „Höhö, geil, wir machen brutalen Trash.“ Mein Prof findet das scheiße. Er sagt, man könne anhand objektiver Kriterien feststellen, dass unsere Musik keine Qualität habe. Der Beginn einer tollen Zusammenarbeit.

05.08.12
Amsterdam, Studio 80.
Ich bin wütend, weil meine damalige Freundin vor meinen Augen mit einer anderen Frau rumgeknutscht hat, um mir eins auszuwischen. Ich habe Angst, dass der Beziehungskrieg wieder anfängt. Ich schlage meinen Hinterkopf gegen die Steinwand des Clubs. Der Türsteher schaut zu.

21.02.13
Köln, Südstadt.
Ich lese eine extrem emotionale E-Mail von Max, die davon handelt, dass er meine Wutanfälle langsam nicht mehr aushält. Ich hatte mich darüber aufgeregt, dass er in einem Track von mir komponierte Sounds gelöscht hatte. In „Psychologie für Dummies“ steht, dass Wut auf der Annahme beruht, eine andere Person hegte eine schädliche Absicht gegen einen. Dass ich aufgrund einer solchen Annahme gehandelt habe, kann ich heute kaum noch glauben.

08.03.14
Köln, Braunsfeld.
Max und ich proben in seiner Wohnung. Wir schreien rum und dancen zu unserem eigenen Sound. Die Nachbarn freuen sich bestimmt. Ich liebe die Syntax der elektronischen Musik. Die Semantik kann wütend ausfallen, oder auch nicht.

Heute
Ich möchte überhaupt nicht mehr wütend sein. Die Dämonen, die in mir die Wut verursachen sind total alt. Die sind sowas von 90er. Wie Papier.
Der Inflection-Track „Postmelancholia“ handelt auch irgendwie von der Überwindung der eigenen Wut.

M
15.06.13
Auf dem Nachhauseweg.
Ich habe so lange keine Wut gekannt. Und wenn doch, dann war sie immer gezähmt, immer vernünftig, immer verhältnismäßig, die kommende Versöhnung schon in sich tragend. Über ein Jahr, dass mein Vater starb, über ein Jahr „es hätte aber auch schlimmer…, wir wussten ja immer schon…, immerhin und ich kann froh sein, dass…“.
Heute ist all das von mir abgefallen.
Ich sehe auf einmal ganz klar, es gibt nichts zu relativieren, überhaupt nichts ist gut, an dem was geschehen ist.
Eine Welle aus Wut überrollt den inneren Anstand, die Beherrschung, die morschen Barrikaden, den Weg zur absoluten Verzweiflung versperrend, bis ich nichts mehr bin als ein einziges NEIN, bis zur Erschöpfung anschreiend gegen das Unverhandelbare, gegen ein Leben, dem ich mich beugen soll. Ich will mich nicht beugen.
Als sich die Wogen zurückziehen, bleibe ich gereinigt zurück. Es bleibt aber auch die Tür zu einem Gefühl, so stark und rein, wie die Liebe, der es entsprungen ist, und ebenso wie diese wohl für immer.
Der Hass ist seit heute ein Teil von mir. Und ja, das beglückt mich.