Submission — Gregor Drobnic

Mit offenen Armen

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Text: Gregor Drobnic, Foto: David Nassim Photography

Sehnsucht ist wie eine Terrasse mit Blick

Es ist das Jahr 1982, als ich mit meinem Vater während der Sommerferien auf einer kroatischen Insel auf der Terrasse unseres Hotels sitze. Wir sprechen über das Hotel, über das Gebäude und ich frage ihn: „Wer entscheidet, wie ein Hotel aussieht?“ Mein Vater sagt mir, das seien die Architekten und Designer. „Und was machen die Architekten?“ frage ich. Mein Vater beginnt sorgfältig zu erklären, dass Architekten Menschen sind, die ihre Ideen in Pläne umwandeln, damit ein Gebäude ein Ebenbild bekommt, damit klar wird, wie es aussehen soll und wie es ausgestattet werden soll. Aus diesen Plänen entstehen dann Häuser, Dörfer, Städte – und natürlich Hotels, wie jenes, vor dem wir sitzen. In diesem Moment ist die Sehnsucht in meinem Kopf erwacht: Das möchte ich auch machen, wenn ich erwachsen bin.

Ich erinnere mich, dass ich schon am nächsten Tag wusste, was ich beruflich machen wollte. Es war klar, dass ich Architektur studieren würde. Und nach dem Studium ist mein Wunsch, Räume zu entwerfen und einzurichten, nur noch größer geworden. Ich sehnte mich nach echten Herausforderung. Ich sehnte mich nach Räumen, die ich mit meinen Ideen, die jeden Tag geboren werden, füllen kann. Denn immer, wenn ich zum ersten Mal einen Raum betrat, erfüllte mich ein Gefühl, als ob ich auf einem ersten, einem „Blind Date“ wäre. Das ist noch heute so.

Mit jedem neuen Projekt, das ich als junger Architekt abgeschlossen hatte, wuchs das Bedürfnis noch mehr, Räume zu gestalten, sie mit Leben und Ideen zu füllen. Ich entdeckte bald, dass meine Wünsche größer waren als der Markt, für den ich ausgebildet worden war. In mir wuchs die Sehnsucht, mein Talent irgendwo auf den Prüfstein zu stellen, irgendwo, wo ich allein bei Null anfangen konnte. Ich wollte mich von den Ereignissen des Lebens führen lassen und einen Ort finden, wo ich mir beweisen konnte, dass ich von dem, was mich schon seit über 30 Jahren treibt, leben kann.

Es ist das Jahr 2003, als ich zum ersten Mal als Tourist Berlin besuche. Ich habe sofort gespürt, dass die Stadt ein Ort für neue Inspirationen und Möglichkeiten ist. Schon der erste Spaziergang durch die Straßen von Kreuzberg hat mir bestätigt, dass mein Wunsch zu entwerfen hier einen neuen Spielplatz gefunden hatte. Meine Sehnsucht hat mich jetzt also an einen Ort geführt, der über 1.000 Kilometer von meiner Heimat entfernt ist. Und ich habe endlich die Gelegenheit erhalten, zu beweisen, dass ich mich in einer neuen, völlig fremden Umgebung zurecht finden und meine Träume verwirklichen kann.

Seit diesem Sommergespräch damals mit meinem Vater verstehe ich Sehnsucht als eine Terrasse mit Blick. Einmal kann man das Meer sehen, ein anderes Mal ist es ein Wald oder eine Wiese oder eine Stadt, aber es gibt immer etwas am Horizont, das ich entdecken kann.

Es ist das Jahr 2014 und nach zwei Jahren in Berlin kann ich sagen, dass meine Sehnsucht eine Heimat gefunden hat. Vorerst. Jedes Mal, wenn ich auf der obersten Etage der Neukölln Arkaden stehe und auf die Stadt blicke, danke ich meinem Vater für seine lehrreichen Worte, die er mir als Kind gesagt hat – und ich danke Berlin, dass du mich mit offenen Armen empfangen hast.