Portrait — ZETA

Tiger im Käfig

Für die Studenten der Gangster, für die Gangster der Student: Der Berliner Rapper ZETA fühlt sich meistens so, als säße er irgendwie zwischen den Stühlen. Ein Spaziergang durch Friedrichshain und die Seelenlandschaft des ambitionierten Musikers.

14. Februar 2018 — MYP No. 22 »Widerstand« — Interview & Text: Katharina Weiß, Fotos: Manuel Puhl

Große Gestalt, rasender Rap, massig Muskeln: Müsste man den Berliner Musiker ZETA mit spontanen Assoziationen belegen, wären seine flinke Zunge und die gestählte Physis definitiv das Markenzeichen des 24-Jährigen. Das Konzept des „Tigers im Käfig“ funktioniert bei ZETA nicht nur auf seiner Debüt-EP „Auftakt“, er kann dieses Bild auch nahtlos in seine persönliche Präsenz übersetzen. Das Hadern mit den eigenen Dämonen, der Widerstand gegen die dunkle Seite, ein gefühlter Abstand zwischen dem Ich und der Norm – über genau diese Kämpfe rappt ZETA mit einer Raffinesse, die das HipHop-Magazin Juice als „Silbengemetzel par Excellence“ beschreibt.

Ich treffe den Musiker am RAW-Gelände und beginne mit ihm einen kleinen Nostalgiespaziergang: Bewaffnet mit ein paar Stickern seiner „Auftakt“-EP schlendern wir an den Clubs und kreativen Räumen vorbei, die den gebürtigen Braunschweiger in seinen ersten Berliner Jahren besonders inspiriert haben. „Mein älterer Bruder hat mich zum amerikanischen HipHop der 90er gebracht – das hat bei mir genau in die richtige Bresche geschlagen. Der Vibe, der Flow, die Musik haben mich einfach gecatcht. „Hier“, sagt ZETA und zeigt auf das Schild der Clublegende Cassiopeia, „war ich richtig oft.“ Immerhin ein Sticker des Rappers ziert nun den Eingang des Friedrichshainer Nachtclubs mit Subkulturflair – ob er eines Tages hier auftreten wird, steht noch in den Sternen. Unwahrscheinlich ist es bei dem Arbeitspensum des selbständigen Künstlers aber nicht.

»Ich habe gemerkt, wie stark ich geformt werden soll – für meine Ideen wäre nicht mehr genug Platz gewesen.«

Bisher arbeitet er mit seinem Producer derkalavier auf unabhängiger Basis, Angebote mehrerer Label lehnte er bisher ab. Eine größere Plattenfirma setzte sich mit ZETA zusammen und legte ihm kurz nach der Begrüßung eine Tracklist vor. „Die meinten: ‘Hier machst du ’nen Opener, der kommt krass rein mit einem dicken Beat. Im nächsten Song zeigst du deine Skills, danach machen wir was für die Mädels und gleich im Anschluss einen Track zum Feiern…’ Ich habe gemerkt, wie stark ich geformt werden soll – für meine Ideen wäre nicht mehr genug Platz gewesen.“

Der Widerstand gegen dieses geformt werden ist für ZETA ein Lebensthema. Geboren als Johannes Loock wurde der Sohn einer Kunsthistorikerin und eines Philosophen schon früh mit den Exklusionsmechanismen des Bürgertums konfrontiert. Zuhause wurde Klassik gehört, in der Familie gab es Tendenzen, die stark normieren wollten, wie ein Lebensweg aussehen soll. Und dem distinguierten Habitus der intellektuellen Freunde seiner Eltern waren subkulturelle Ausdrucksformen ohnehin fern. „Einen gefestigten, bürgerlichen, intellektuellen Weg gehen, das war nie mein Ding. Warum ich diese Widerstände auf mich genommen habe? Ich habe einfach früh gespürt, dass es nicht anders geht. Ich wusste: Ich muss das jetzt rauslassen und so sein, wie ich bin.“

»Besonders an der Uni spüre ich stark, dass mich mein Aussehen in eine Schublade katapultiert. Gewisse Fertigkeiten werden mir ab-, dafür Stumpfheit und Primitivität zugesprochen.«

Zumindest seine Eltern unterstützen und respektieren mittlerweile die Kunst des Sohnes. Dafür muss er sich jetzt an der Universität mit Kategorisierungen auseinandersetzen. Seit 2015 studiert ZETA Linguistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er erzählt: „Besonders an der Uni spüre ich stark, dass mich mein Aussehen in eine Schublade katapultiert. Gewisse Fertigkeiten werden mir ab-, dafür Stumpfheit und Primitivität zugesprochen.“ So können sich Political Correctness und die akademische Sensibilität für die „Race, Class, Gender“-Trinität manchmal in den eigenen Schwanz beißen. Klar, es fällt schwer, bei ZETAs immensen Oberarmmuskeln nicht an Proll und Macho zu denken. Aber er findet, ein unausgesprochenes Vorurteil in offene Ablehnung zu verwandeln, setzt beim Kampf gegen Privilegien an der falschen Stelle an.

Die Geschichte hinter ZETAs Affinität fürs Gewichtheben ist im Übrigen auch eine des Widerstands: „Ich hatte als Kind viel mit Unfällen zu kämpfen: kleinere Brüche, Zahnunfälle und derlei Dinge waren quasi an der Tagesordnung. Besonders einschneidend aber war aber ein ziemlich heftiger Augenunfall, bei dem ich um ein Haar erblindet wäre. Die Ärzte zogen mehrere zentimeterlange Holzsplitter aus meinen Augen. Zwei Wochen lang waren meine Augen nicht funktionsfähig – ich sah, im wahrsten Sinne des Wortes, schwarz. Eine extreme Erfahrung: unbeschreibliche Schmerzen und ein Leben komplett im Dunkeln. Jede noch so alltägliche und selbstverständliche Handlung wurde zur Schwerstaufgabe. Ich hatte aber enormes Glück und konnte dank guter Behandlung mein Augenlicht zurückerlangen. Zwei Jahre später dann ein Beinbruch, der mich acht Jahre beschäftigt hat, weil der Knochen schief zusammenwuchs. Dann musste das Bein nochmal klinisch gebrochen werden, der Heilungsprozess dauerte ewig. Krankenhaus, Rollstuhl, Wartezimmer, Krücken, Physiotherapie. Ich musste mit extremen Schmerzen kämpfen, das kann man kaum beschreiben, es gibt einfach ganz verrückte Levels von Schmerzen. Viele Sachen nicht mehr mitmachen zu können, mehrere Jahre keinen Sport machen zu können, nicht mehr in den Verein gehen zu können, das war sehr prägend.“

Die verlorene Kontrolle über seinen Körper holte er sich sobald es ging zurück. Mittlerweile gehört das Training zu seinem Alltag, ist für ihn wie Meditation: „Egal wie verpennt oder versoffen du bist, du musst dranbleiben und immer wieder hingehen – das hat meinen Charakter in vielen Aspekten stark gebildet. Mir ging es nie wirklich nur um die Ästhetik, sondern viel mehr um das Körpergefühl: Im Kraftsport musst du extrem in deinem Körper drin sein und Atemübungen und Pausen beachten. Alles andere wird ausgeblendet, da bin ich ganz bei mir.“ ZETA wirkt wie das verkörperlichte Klischee der Phrase „Ein Mann, ein Wort“. Es liegt ein Nachdruck in seinem Tonfall, der zum einen dem entschlossenen Charakter des HipHop-Genres zugeordnet werden kann, zum anderen aber auch ein Alleinstellungsmerkmal des Musikers sein könnte.

»Wenn du anderen Menschen gegenüber Aggressionen empfindest, dann sind das immer Projektionen, bei denen es eigentlich um dich selbst geht.«

Dass es auch andere Zeiten gab, deutet er an, als wir über das Thema Aggressionen sprechen: „Die können wichtig und gut sein, wenn man sie in die richtigen Kanäle leitet. Sehr produktiv und energiespendend, aber natürlich auch ein zweischneidiges Schwert, weil sie dich von innen auffressen können und dein Umfeld vergiften. Aggressionen sind meiner Meinung nach immer nach innen gerichtet. Wenn du anderen Menschen gegenüber Aggressionen empfindest, dann sind das immer Projektionen, bei denen es eigentlich um dich selbst geht.“

Während wir uns auf der Simon-Dach-Straße an verstrahlten Hipstern und jungen Familien auf Fahrradtour vorbeischieben, deutet der Musiker an, dass es auch Zeiten gab, in denen er selbst ebenfalls Probleme mit der Balance hatte: „Mittlerweile komme ich gut mit Dingen klar, mit denen ich früher große Schwierigkeiten hatte. Von außen denken die Leute vielleicht: ‚Du kommst aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, hast doch alles, was du brauchst, klassisches Mittelstandskind – worüber beschwerst du dich eigentlich?‘ Aber Probleme sind nun einmal subjektiv. Ich bin mir meiner Privilegien durchaus bewusst, aber meine Probleme sind für mich persönlich nicht minder schwerwiegend. Mittlerweile beschäftige ich mich mit diesen Abgründen durch meine Form der Expression: meinen Rap.“

Als Halbstarker, gerade so der Pubertät entwachsen, zeigte sich diese Expression auch in einer gewissen Nähe zu Gangs und Kiffern aus dem kleinkriminellen Milieu – vielleicht, um mutwillig einen Abstand zum Bürgertum herzustellen, vielleicht, um den subkulturellen Straßenwurzeln des HipHop näher zu kommen. „Ich war fasziniert von diesen Menschen, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, auch weil das in meinem Elternhaus überhaupt nicht repräsentiert war. Natürlich hat mich auch das Böse-Jungs-Image interessiert. Bei den Leuten auf der Straße war ich aber immer als Student gelabelt. Für die Studenten bin ich der Proll und, ganz blöde gesagt, der Gangster – und für die Gangster bin ich der Student. Dieses zwischen den Stühlen Sitzen hat mich oft begleitet.“

»Bewusst irgendwelche No-Gos zu bringen, um zu polarisieren und zu provozieren, ist für mich kein cooler Weg. Aber, leider Gottes, in fast allen Fällen ein erfolgreicher.«

Als wir uns gemeinsam in seinem liebsten Plattenladen, dem HHV_Store in der Grünberger Straße, durch die Vinyl-Regale stöbern, bleiben wir schnell an seinen Helden hängen: Nas, Cypress Hill, Eminem, Wu-Tang Clan. Gute Sachen. Damals provozierten diese Künstler auf die progressivste Weise, die ihnen möglich war. Aber wie funktionieren Provokation und HipHop im Jahr 2017? „Bewusst irgendwelche No-Gos zu bringen, um zu polarisieren und zu provozieren, ist für mich kein cooler Weg. Aber, leider Gottes, in fast allen Fällen ein erfolgreicher.“

Auch wenn ZETA sich an vielen klassischen Stillmitteln des Genres bedient, geht er in mancher Hinsicht neue Wege. Sein Video zu „Murderer“ arbeitet beispielsweise mit einem unerwarteten Geschlechtertausch: Eine tiefe, brachiale, männliche Stimme fängt an superschnell zu spitten – die Lippen, die sich dazu bewegen, gehören einer bunt gemischten Gruppe von Frauen, die die geliehene Stimme erst gegen Ende zurückgeben, wenn der Rapper selbst kurz in Erscheinung tritt. Das Video ist absolut nicht aufreizend, aber es zeigt Persönlichkeit, was wiederum irgendwie sexy ist.

Während wir uns in einem Café niederlassen, frage ich ZETA, welchen Einfluss sexuelle Energien auf ihn haben. „Die sind stark vorhanden bei mir, schwierig in Bezug auf Monogamie. Sexuelle Energie ist etwas sehr Treibendes, eine vitale Strömung, bei der man sich sehr stark spüren kann“, erzählt er. „Ich merke Blicke, ich gucke auch selber. Ich bin 24, also quasi auf dem absoluten körperlichen Höhepunkt. Und wenn das Leben frei von Regeln wäre, dann würde ich mich absolut austoben. Andererseits weiß ich natürlich, dass das Leben immer ein Kompromiss ist. In diesem Sinne muss ich widerstehen, weil ich weiß, dass es das Richtige ist“, kommentiert ZETA mit Hinblick auf seine aktuelle Beziehung.

Andere seiner Geschichten zeugen von einem gewissen Reiz, den das Spiel mit der Enthaltsamkeit und dem Entsagen auf den Künstler ausübt. Nach dem Abitur buchte er sich einen Flug nach Reykjavík, packte den Rucksack und begab sich auf einen sehr spontanen Solo-Survival Trip. Bummelbusse fuhren ihn an den Rand der Zivilisation, von dort aus erkundete er die karg bevölkerte Insel auf eigene Faust. Da das Gepäck vor allem aus Proviant bestehen musste, war nur noch wenig Platz für eine Extrahose, drei Shirts, eine Handvoll Socken und ein paar Unterhosen. Seine Schilderungen der Hygiene- und Schlafqualität klingen für mich weniger nach Traumurlaub und eher nach Horrortrip. Einmal wäre er fast von einer Klippe gerutscht, hielt sich gerade noch an ein paar Wurzeln fest, ein 30m Abgrund unter ihm.

»Ich schreibe meine besten Texte, wenn ich depressiv oder besoffen bin oder gerade den besten Orgasmus meines Lebens hatte.«

„Ob ich diese Reise gemacht hätte, wenn ich das alles davor gewusst hätte? Keine Ahnung, aber es inspiriert mich bis heute. Ich kann nicht sagen, ich schreibe meine besten Texte, wenn ich depressiv oder besoffen bin oder gerade den besten Orgasmus meines Lebens hatte – meine Neugier treibt mich dazu, überall Inspiration zu finden…“ Von diesen großen und kleinen Abenteuern erzählt ZETAs „Auftakt“-EP mit einer nachdrücklichen Ehrlichkeit und Innenansicht. Er hat jetzt alles auf den Tisch gelegt, sich vorgestellt und seine Position erklärt. Wohin der Weg jetzt gehen wird, ist offen. Klar ist für den Rapper aber eines: „Jetzt öffnet sich der Fokus, seid bereit“.