Portrait — Violetta Zironi

Zurück auf Los

Nachdem sich die italienische Singer-Songwriterin Violetta Zironi von ihrem Major-Label getrennt hat, hat sie für ihre Musik im wahrsten Sinne eine neue Sprache gefunden – nicht nur, weil sie mittlerweile auf Englisch singt und textet. Es geht ihr auch um mehr Substanz.

19. März 2019 — MYP N° 24 »Morgen« — Text: Katharina Weiß, Fotografie: Roberto Brundo

Es ist nicht lange her, da schien Violetta Zironi auf dem besten Weg zu sein, die nächste Soft-Pop-Prinzessin Italiens zu werden: mit einer Stimme, die so sanft ist, dass sie jeder noch so klebrig-süßen Ballade eine gewisse Anmut geben könnte. Und mit einem Gesicht, mit dem sich jedes noch so piefige musikalische Genre zu etwas Jugendschwarmtauglichem transformieren ließe. Als Zironi 2013 als 18-Jährige an der italienischen Version von „X-Factor“ teilnahm, erkannten die Macher der Show das Potenzial der Interpretin sofort, noch während der Dreharbeiten wurde Zironi von Sony Music unter Vertrag genommen. Am Ende belegte sie den dritten Platz.

In den folgenden zwei Jahren veröffentlichte Violetta mehrere Singles in italienischer Sprache – bis sie mit 20 alles über den Haufen warf. „Ich hatte die Chance, diesen Weg einzuschlagen“, sagt sie über ihre Vergangenheit als Castingshow-Starlett. „Ich war sehr jung und hatte keine Ahnung, welche Richtung die passende ist. Doch schnell wurde mir klar: Wenn ich das für den Rest meines Lebens machen möchte, dann muss ich es richtig angehen.“

»Es ist sehr schwierig, jahrelang nur Songs zu singen, die man nicht selbst geschrieben hat.«

Mit ihrem neuen Management Pon’t Danic Music scheint sie nun den geeigneten Partner gefunden zu haben, um sich in der Welt der Musik wieder nach oben zu spielen. In einer geräumigen Villa am Grunewald, dem Außensitz von Pon’t Danic, treffen wir die mittlerweile 23-Jährige, die ihre ungewöhnliche Karriereentscheidung so erklärt: „Ich habe mir mehr Substanz gewünscht. Es ist sehr schwierig, jahrelang nur Songs zu singen, die man nicht selbst geschrieben hat. Hier habe ich die Zeit, die Geschichten zu erleben, über die ich singen will.“ In energetischer Tonlage und mit entschlossenem Blick fügt sie hinzu: „Meine Freunde sagen ohnehin immer, dass man mir sofort ansieht, wenn ich von etwas spreche, woran ich nicht glaube. Ein Künstlerleben ist so schwer, dass man sich nicht dafür entscheiden sollte, wenn man nicht mit jeder Faser hinter seinem Werk stehen kann.“

Gerade nimmt die junge Musikerin Anlauf, um ihre neuen kreativen Flügel auszubreiten. Ihre Wurzeln vergisst sie dabei nicht, denn alles fing mit ihrem Vater an. Der ist Micky Mouse-Zeichner für Disney und schrieb mehrere Kinderbücher. „Kreativität lag in der Luft“, sagt Zironi, die in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia aufwuchs. Ihr Vater, den sie als „wahnsinnig musikaffin“ beschreibt, spielt Gitarre und Harmonika. Er brachte seinen beiden Töchtern Violetta und Christina den Instrumentalunterricht nahe und schenkte ihnen die Liebe zum Blues. Eine Leidenschaft, die vor allem Violetta nie wieder loslassen sollte. Und auch wenn sich ihr Stil langsam verändert, die Jahre voller selbstgedichteter Folk- und Countrysongs waren prägend. Ihre große Ikone: Johnny Cash.

»Als ich jünger war, habe ich mich mit dem Songschreiben sehr schwergetan – denn ich hatte keine Geschichte.«

Mittlerweile schreibt Zironi ihre Texte nur noch in englischer Sprache. Die Verbindung zur Klangwelt von Cash und Co. sowie das Potenzial, mit englischen Songs ein größeres Publikum erreicht zu können, gaben den Ausschlag für diese Entscheidung. „Als ich jünger war, habe ich mich mit dem Songschreiben sehr schwergetan – denn ich hatte keine Geschichte. Stattdessen träumte ich mich in fremde Leben hinein“, sagt sie. Mittlerweile ist das kein Problem mehr. Nach mehreren Europa-Stationen, einer USA-Tour und etlichen Begegnungen mit den verschiedensten Menschen hat sie mehr als genug Stoff, um ihre Texte zu entwickeln.

»Wo sind die ganzen Girl-Producers, Tour-Managerinnen, Schlagzeugerinnen?«

Was sie im Pop-Business stört, sind die deutlich wahrnehmbaren Geschlechterungleichheiten: „Ich habe in meiner Karriere mit 40 Co-Writern gearbeitet. Vor zwei Monaten war darunter zum allerersten Mal eine Frau. Wo sind die ganzen Girl-Producers, Tour-Managerinnen, Schlagzeugerinnen?“, fragt Zironi, die einige Sexismus-Anekdoten aus dem italienischen Musik- und TV-Geschäft erzählen kann. Außerdem belastet sie der ewige Jugendwahn der Branche. „Ich lebe ständig mit dem Gefühl, dass mir die Zeit davonläuft. Ich denke immer, schon zu spät dran zu sein“, erzählt sie uns führt aus: „Wir Frauen wurden mit dem Konzept aufgezogen, dass wir mit 30 Jahren bereits alt sind und keine Karriere mehr beginnen können. Ich muss also bis spätestens 35 Jahren in der Musikwelt alles geschafft habe. Dann darf ich eine Familie haben, kann entspannen und muss nicht mehr super schön aussehen“, kritisiert Zironi die vorherrschenden Narrative.

»Ich lese gerne über Figuren, die von ihrer Frustration und ihrem unterdrückten Ärger aufgefressen werden. Aber selbst so sein möchte ich nicht.«

Violetta Zironi hat einen wachen Geist und ist sich der Umstände um sich herum bewusst. Über allem, das spürt man aber, steht eine leichte Lebenslust, die sich auch mal kampflos der Muse hingibt. Dazu passt auch, dass sie zwar total auf Regency-Literatur von Charles Dickens bis Jane Austen steht – ihr Lieblingsbuch ist „Sturmhöhe“ von Emily Brontë –, doch die Schwermut dieser Charaktere ist ihr fremd: „Ich lese gerne über Figuren, die von ihrer Frustration und ihrem unterdrückten Ärger aufgefressen werden. Aber selbst so sein möchte ich nicht.“ Im Gegensatz zu ihren ewig unglücklich verliebten Romanheldinnen ist Zironi seit über vier Jahren in einer Beziehung mit einem irischen Musiker. John, ein Bass-Spieler, begleitet sie auch zu ihrem Gespräch mit dem MYP Magazine. Er spielt währenddessen Gitarre in einem der Villen-Schlafzimmer.

Ihr Freund hat maßgeblichen Einfluss auf Zironis Lieder. So erzählt sie die Entstehungsanekdote zum Song „Toast“: „Vor fünf Jahren, also bevor wir uns kannten, schrieb mein Freund dieses Lied für einen One-Night-Stand, von dem er hoffte, dass mehr daraus werden würde. Das hat leider nicht geklappt.“ Jahre später spielte er den Song Zironi vor, die sofort das Potenzial erkannte. Zusammen schrieben sie das Stück um und rekonstruierten es aus einer weiblichen Perspektive.

Wenn die beiden nicht gerade neue Lieder komponieren, genießen sie das Berliner Leben mit all seinen bunten Facetten. Allerdings, so erzählt Zironi lachend, sei sie noch in keinem einzigen Club gewesen, seit sie in Berlin wohne. Wer ihre wilde Seite entdecken will, der muss sie bei einem ihrer Konzerte besuchen. Wenn ein Auftritt gut läuft, dann feiert sie das auch gerne mal mit einer Bartour, bei der sie bis in die Morgenstunden mit Kollegen, Zuhörern und Freunden über das Leben philosophiert – und dabei genau die Geschichten sammelt, die am Ende mit federleichter Stimme über ihren zarten Gitarrenballaden erzählt werden.