Interview — Muriel Wimmer

Saudade de Berlim

Saudade – Schauspielerin Muriel Wimmer hat portugiesische Wurzeln und kennt diesen landesty-pischen Begriff für Sehnsucht ganz genau. Wir sind mit ihr ans Meer gefahren und sprechen mit ihr über die „Zehn wichtigsten Wörter des Lebens“, die einst Albert Camus formuliert hat.

19. Januar 2014 — MYP N° 13 »Meine Sehnsucht« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Maximilian König

Warum die Dinge sind, wie sie sind – wer weiß das schon. Es ist auch nicht wichtig. Denn nichts ist wirklich wichtig in diesem Moment, nichts kann in seiner Bedeutung gerade mithalten mit dieser berauschenden Unendlichkeit, die eine graugrüne Brücke baut zwischen unseren Augen und dem Horizont – und die unsere Beine mit kaltem Salzwasser umspült, wenn wir nicht schnell genug zurückweichen.

An diesem letzten Tag im November ist die Ostsee rau und unberechenbar – und dabei wunderschön. Auf ihren Wellen reitet ein eisiger Wind, den sie vorbei an unseren Nasen und Wangen ins dicht bewachsene Hinterland jagt. Gemeinsam mit der jungen Schauspielerin Muriel Wimmer stehen wir am Strand von Ahrenshoop, blicken fasziniert und voller Ehrfurcht aufs Wasser – und schweigen. Sekundenlang, minutenlang? Die Zeit hat aufgehört zu existieren, ist ertrunken in den dunklen Tiefen der Ostsee.

Hier, an einem der nördlichsten Punkte Deutschlands, scheint die Natur eine perfekte Balance gefunden zu haben zwischen dem großen Ganzen und den kleinsten Details, zwischen leuchtend und blass, zwischen ewig und vergänglich, zwischen Leben und Tod. Vielleicht sind es diese Gegensätze, die an einem solchen Ort ein tiefes Gefühl der Sehnsucht aus der Seele kitzeln.

Berlin, fünf Wochen später.

Das neue Jahr ist noch nicht wirklich in die Gänge gekommen und wirkt ein wenig lustlos. Sogar die Hackeschen Höfe im Herzen von Mitte wirken an dem heutigen Januarnachmittag unerwartet leer: Kein Krieg der Einkaufstaschen, keine Schlange bis zur Tür bei Starbucks.

Wir wagen es, für einen Moment innezuhalten, die Augen zu schließen und uns die Bilder der Ostsee wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ein leises Rauschen durchfährt unsere Ohren – natürlich pure Einbildung, aber dafür eine schöne.

Als wir die Augen wieder öffnen, steht plötzlich Muriel vor uns, mit der wir uns zum Interview verabredet haben. Sichtlich erholt und mit leichter Sonnenbräune wirft sie uns ein freundliches Lächeln entgegen – die junge Schauspielerin war zwischenzeitlich einige Wochen in Thailand. Wir betreten das wenige Meter entfernte Restaurant PanAsia, das für die nächsten beiden Stunden Teil unserer Exit-Strategie aus dem Berliner Januargrau sein soll.

Jonas:
Vor wenigen Tagen bist du von einem mehrwöchigen Thailandurlaub zurückgekehrt. Welche Eindrücke hast du mitgebracht?

Muriel:
Die Zeit in Thailand war wunderschön und sehr beeindruckend. Ich hatte unter anderem die Gelegenheit, einen Tag lang einen Nationalpark gut eine Stunde vor der Küste von Koh Samui zu erkunden. Die Fläche dieses Nationalparks ist zu etwa 90 Prozent mit Wasser bedeckt, die restlichen 10 Prozent verteilen sich auf über 40 kleine Inseln. Die meisten davon sind unbewohnt und absolut naturbelassen. Es war ein seltsames Gefühl, diese vielen Flecken Erde zu sehen, auf die noch kein Mensch zuvor einen Fuß gesetzt hat.
Insgesamt hat mir Thailand sehr geholfen, etwas Ruhe zu finden und einen gewissen Abstand zu Berlin zu gewinnen. Interessanterweise hatte ich aber nach zwei Wochen nicht mehr das Gefühl, länger bleiben zu müssen – und plötzlich habe mich wieder total nach der Hauptstadt gesehnt.

Jonas:
Was genau hast du an Berlin so vermisst?

Muriel:
Ich bin vor wenigen Monaten aus der Wohnung meiner Mutter in Pankow ausgezogen und habe im Prenzlauer Berg mit zwei Freundinnen eine WG gegründet. Dort habe ich mir zum ersten Mal im Leben einen Raum geschaffen, der mir ganz alleine gehört.
Zwar war es bei meiner Mutter wirklich schön, aber ich hatte das Gefühl, dass es für mich an der Zeit ist auszuziehen. In meinem Kopf habe ich einfach nicht mehr den Spagat geschafft, mich auf der einen Seite zuhause bemuttern zu lassen und auf der anderen Seite mein Leben weitestgehend selbstständig zu regeln.
Ich glaube, dass ich am Ende meines Thailand-Urlaubs diese neu gewonnene Freiheit in meinem ersten eigenen Zuhause vermisst habe und daher unbedingt nach Berlin zurückkehren wollte.

Jonas:
In Berlin fing ja auch in Sachen Schauspielkarriere alles für dich an. Erinnerst du dich noch, wann du dein Interesse für die Schauspielerei entdeckt hast?

Muriel:
Mein Vater betreibt ein Café in Mitte. Gleich dahinter ist eine Schauspielagentur, in der immer viele Kinder ein- und ausgehen. Obwohl ich zuhause als Kind regelmäßig den Kasper gemacht habe und richtig aufgeweckt war, habe ich mich außerhalb unserer vier Wände nie irgendetwas getraut und war total schüchtern. Daher hat mich mein Papa am Tag der offen Tür zu dieser Schauspielagentur geschickt – da muss ich so um die neun Jahre alt gewesen sein. Er hoffte wohl, dass ich dort meine Schüchternheit ein wenig ablegen könnte und viele neue Leute kennenlernen würde. Ich bin auch tatsächlich hingegangen – aber ich habe mich nicht reingetraut.
Ich glaube, ich saß zwei Stunden lang vor der Tür auf einer Treppe und wusste nicht, was ich tun soll. Denn einfach wieder nach Hause gehen und meinem Vater sagen, dass ich mich nicht getraut habe, wollte ich nicht.
So saß ich da und starrte ins Leere. Plötzlich aber ging die Tür auf und jemand sagte: „Hey, komm’ doch rein! Wir beißen nicht.“ Wie erlöst ging ich mit und habe dann auch gleich an einer Probestunde teilgenommen. Viele andere Kinder waren da und wir hatten coole junge Schauspiellehrer. Das Ganze hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich dann einige Jahre lang jeden Samstag zum Schauspiel- und Improvisationstraining sowie zur Castingvorbereitung vorbeikam. Im Laufe der Zeit wurde ich zu einigen Castings geschickt und bekam mit 13 Jahren meine erste Minirolle in der Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“.

Jonas:
Und damit hattest Du Blut geleckt…

Muriel:
Ach ja, total. Damals hatte ich zwar nur drei Drehtage, aber alles war sehr aufregend. Ich weiß noch, dass ich sogar meinen Urlaub verschoben habe und den Flug umbuchen musste, damit ich am Dreh teilnehmen kann.

Jonas:
Deine zweite Rolle hattest du auch wieder in einer Krimiserie – dem Tatort!

Muriel:
Im deutschen Fernsehen gibt es ja wirklich etliche Krimiserien. Aber der Tatort ist zweifelsohne das Königsformat, das Millionen Menschen aller Altersklassen und Gesellschaftsschichten erreicht. Wie in zahllosen anderen Familien gibt es auch bei uns jeden Sonntagabend das Ritual, dass sich alle gespannt vor dem Fernseher versammeln und Tatort schauen. Dieses Ritual werde ich wahrscheinlich noch mit meinen Kindern abhalten.
Daher war es für mich absolut sensationell, dass ich für solch eine berühmte Produktion besetzt wurde – obwohl ich mir dafür anfangs gar keine Chancen ausgerechnet hatte. Ich wurde zwar zur zweiten und schließlich auch zur dritten Castingrunde eingeladen, aber die Regisseurin sagte meiner Mutter, dass die Produktionsfirma aus arbeitsrechtlichen Gründen ungern eine Dreizehnjährige besetzen wollte: Die Vorschriften zu den Arbeitszeiten sind für Kinder unter 16 Jahren einfach sehr strikt. Aber die Regisseurin wollte mich unbedingt haben, hat für mich gekämpft und mich schließlich bei der Produktion durchgeboxt. Und so hatte ich die Rolle!
Wir drehten damals über mehrere Wochen in Köln, weshalb ich von meiner Schule Sonderurlaub bekam und einen Privatlehrer hatte, mit dem ich den verpassten Unterrichtsstoff durchgehen konnte. Außerdem waren abwechselnd mein Vater, meine Mutter und meine Oma an meiner Seite – mit 13 Jahren braucht man ja noch eine Begleitperson.

Ich weiß aber, dass ich immer wahnsinnig glücklich bin, wenn ich spiele.

Jonas:
Mit 13 sieht man die Schauspielerei wahrscheinlich auch noch mehr als ein Hobby. Kam bei dir nicht irgendwann der Gedanke auf, dass aus dem Hobby auch mal ein Beruf werden könnte?

Muriel:
Dieser Gedanke ist ehrlich gesagt total aktuell und sehr präsent in meinem Kopf. Eine Entscheidung habe ich aber noch nicht getroffen. Ich bin mir überhaupt nicht sicher, was mir die Zukunft bringen kann und wie sich mein Leben gestalten soll.
Ich weiß aber, dass ich immer wahnsinnig glücklich bin, wenn ich spiele. Darin finde ich eine gewisse Erfüllung und kann mich ausdrücken. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich durch das Spielen sehr viele Dinge für mich selbst verarbeiten kann. Allerdings ist das Schauspielbusiness mit allem, was dazugehört, nichts für schwache Nerven. Und ich selbst bin eher ein zart besaitetes Wesen.

Jonas:
Trotzdem hast du jetzt schon mit mehr deutschen Schauspielgrößen gespielt als andere in ihrem ganzen Leben: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Götz George – um nur einige zu nennen.

Muriel:
Den Dreh mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär habe ich noch mit ganz anderen Augen gesehen. Mir war damals mit meinen 13 Jahren und meiner kindlichen Naivität gar nicht bewusst, um welche Größen es sich bei den beiden handelt.
Leider ist diese kindliche Naivität im Laufe der Jahre verloren gegangen. Vor dem „Schimanski“-Dreh mit Götz George im letzten Jahr habe ich mir einen totalen Kopf gemacht und mich ehrfürchtig gefragt, wie ich überhaupt neben so einer Schauspielikone bestehen soll.
Umso überraschter war ich, als ich gemerkt habe, wie freundlich, unkompliziert und hilfsbereit Götz George ist. Jeden Tag kam er mit offenen Armen auf einen zu – ein sehr aufmerksamer und feiner Mensch. In einer Szene hat er sich sogar beim Kameramann dafür eingesetzt, dass ich besser ausgeleuchtet und dargestellt werde. Das hat mich sehr beeindruckt.

Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und zaghaften Stolzes breitet sich für den Bruchteil einer Sekunde auf Muriels Gesicht aus. Es scheint fast, als realisiere sie gerade, in welchem Tempo ihr Leben in den letzten Jahren nach vorne geprescht ist. Doch schon im nächsten Moment wendet sie schnell ihren Kopf zur Seite, als sei sie von ihrem eigenen Erfolg überrascht.

Die Stimme der jungen Schauspielerin klingt sanft, fast zart. Doch in ihren leisen Tönen transportiert sie Worte, die so aufrecht stehen, dass man nicht im Entferntesten an ihnen zweifeln wollte.

Es ist mittlerweile 15 Uhr, wir sind die einzigen Gäste. Wir halten das Aufnahmegerät für einige Minuten an und lassen schweigend unsere Blicke durch den großzügigen Raum wandern. Die breiten Fensterfronten eröffnen den Blick auf den hellgrauen Berliner Himmel. Würde man ihm etwas Grün beimischen, wäre das Licht fast wie vor fünf Wochen an der Ostsee…

Jonas:
Du hast im letzten Jahr neben deiner Hauptrolle in „Schimanski“ auch kleinere Rollen in diversen anderen Produktionen übernommen. Wie hast du diese Drehs erlebt?

Muriel:
Natürlich ist es immer toll, eine so große Rolle wie die in „Schimanski“ zu spielen. Aber ehrlich gesagt ist es mir wichtiger, mit unterschiedlichen Regisseuren und Crews zusammenzuarbeiten und dadurch neue Arbeitsweisen kennenzulernen – ganz abgesehen von der Bedeutung der Rolle. Ich freue mich auf jedes Projekt.
Dabei finde ich es generell cool, wenn ich Figuren spielen kann, die meilenweit von meiner eigenen Person und meinem Charakter entfernt sind. Letztes Jahr habe ich beispielsweise bei einem Dreh ein unausstehliches Schickimicki-Mädchen mit Gucci-Sonnenbrille gespielt – das war super! Für mich ist es immer ein spannender Prozess und überhaupt das Besondere an der Schauspielerei, wenn man sich langsam einer Figur nähert, die einem eigentlich vollkommen fremd ist.

Jonas:
Du hast bisher „nur“ in TV- und Kinoproduktionen mitgespielt. Kannst du dir vorstellen, auch mal auf einer Theaterbühne zu stehen?

Muriel:
Ich glaube, das würde mir wahnsinnig viel Spaß machen – aber mich gleichzeitig auch eine enorme Überwindung kosten.

Jonas:
Vielleicht brauchst du nur jemanden, der dir einen kleinen Anschub gibt – wie damals auf der Treppe…

Muriel:
Ja, das kann schon sein. Ich kenne meine Art zu spielen mittlerweile sehr genau und weiß, dass ich vieles eher klein und zurückhaltend spiele. Auf der Theaterbühne ist die Situation aber eine ganz andere als vor der Kamera: Dort muss man groß spielen, damit man auch die Menschen in der allerletzten Reihe erreicht.
Für mich würde das momentan einfach eine riesige Umgewöhnung bedeuten, da ich selbst in meiner Darstellung nie auf die Idee kommen würde, mich so groß zu machen. Für diesen Schritt bräuchte ich eventuell tatsächlich jemanden, der mich an die Hand nimmt und mir zeigt, wie’s geht.

Muriel lächelt.

Jonas:
Würdest du sagen, dass die Schauspielerei mittlerweile einen so festen und wichtigen Platz in deinem Leben eingenommen hat, dass du sie nicht mehr wegstreichen könntest?

Muriel:
Ich glaube, wenn man mir die Wahl lassen würde, welche Dinge ich in meinem Leben streichen könnte, würde ich immer dazu neigen, zuerst auf das zu verzichten, was nur mich selbst betrifft und nicht meine Familie – denn die ist das Wichtigste in meinem Leben.
Aber auch die Arbeit als Schauspielerin gibt mir persönlich seit Jahren so viel, dass ich sie als eine enorme Bereicherung für mein Leben ansehe. Daher wäre es für mich tatsächlich schwer vorstellbar, darauf zu verzichten.

Am Meer kann ich mich selbst und alles um mich herum am intensivsten wahrnehmen, vor allem wenn die See rau und gewaltig ist.

Jonas:
Der Philosoph Albert Camus hat mal die zehn wichtigsten Wörter seines Lebens aufgestellt – „Les dix mots préférés d’Albert Camus“: „die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer, das Meer“. In welchem dieser Begriffe fühlst du dich persönlich am ehesten zuhause?

Muriel:
„Das Meer“ – mit diesem Wort verbinde ich so viele Erinnerungen, Ereignisse und Gefühle. Schon als Kind bin ich mit meiner Familie immer ans Meer gefahren, erst nach Kreta, später nach Portugal, wo meine Mutter eine alte Windmühle an der Algarve besitzt. Am Meer kann ich mich selbst und alles um mich herum am intensivsten wahrnehmen, vor allem wenn die See rau und gewaltig ist

Muriels Augen entwischt ein Funkeln, als hätte man die Tür zu einer Schatzkammer aufgestoßen. Wieder breitet sich auf ihrem Gesicht jenes Gefühl tiefer Dankbarkeit aus, das man vor einigen Minuten bereits kennenlernen durfte – nur dass sie diesmal nicht ihren Kopf abwendet, sondern der Welt ein breites Lächeln schenkt.

In ihrem Kopf scheinen gerade die Bilder der graugrünen Ostsee mit denen des türkisblauen Pazifiks an der sonnenverwöhnten Algarve zu konkurrieren. Zwei Meere, die um das Herz einer jungen Schauspielerin buhlen…

Jonas:
Mit welchen Plänen startest du in das Jahr 2014?

Muriel:
Ich habe vor wenigen Monaten erst mein Abi gemacht und fühle mich so frei wie nie zuvor in meinem Leben. Zur Zeit lese ich einige Drehbücher und bereite mich auf Castings vor. Was in 2014 passieren wird, ist noch total offen – aber ich freue mich auf alles, was kommt.

Man soll die Dinge dort beginnen, wo man sie auch zu Ende bringen wird.

Jonas:
Viele fahren zu diesem Zweck ja nach Thailand, wo du gerade herkommst.

Muriel:
Ich glaube, ich bleibe dazu besser in Berlin. Man soll die Dinge dort beginnen, wo man sie auch zu Ende bringen wird. Im April werde ich aber wieder einige Wochen in Portugal in der alten Windmühle verbringen – vielleicht schenkt mir diese Zeit ja neue Erkenntnisse.
Diese Windmühle ist eh ein absoluter Sehnsuchtsort für mich. Auf dem Dach hat man eine atemberaubende 360-Grad-Sicht und kann weit ins Landesinnere, zum Meer oder rüber nach Spanien schauen. Wenn man dort oben steht, wird alles andere plötzlich so unwichtig – und man hat das Gefühl, niemandem auf der Welt gerecht werden zu müssen.
Was man dort empfindet, kann man eigentlich am besten mit dem Begriff „Saudade“ beschreiben – ein Wort, das nur Portugiesen kennen und das sich ansatzweise mit „Traurigkeit“, „Wehmut“, „Sehnsucht“ oder „sanfte Melancholie“ übersetzen lässt. Die Portugiesen sind sehr stolz auf ihr „persönliches Wort“. Der Schriftsteller Fernando Pessoa drückt diesen Stolz folgendermaßen aus:

Saudades, só portugueses
Conseguem senti-las bem.
Porque têm essa palavra
para dizer que as têm.

Saudade – nur Portugiesen
können dieses Gefühl kennen.
Weil nur sie dieses Wort besitzen,
um es wirklich beim Namen zu nennen.

Obwohl ich keine Portugiesin bin, glaube ich, genau nachvollziehen und empfinden zu können, was Saudade ist. Das ist meine ganz persönliche Form von Sehnsucht – nicht nur, wenn ich in Portugal bin.

Muriels Augen leuchten gerade so blau, dass kein Zweifel daran besteht, dass die portugiesische Pazifikküste den Kampf um das Herz der jungen Schauspielerin gewonnen hat – zumindest für heute.

Wir zahlen und verlassen das Restaurant. Nur wenige Meter noch, dann trennen sich unsere Wege.

Was würde man nur darum geben, in diesen zähen, grauen Januartagen auf eine Windmühle zu steigen und in die Ferne zu schauen – in der Hoffnung, irgendwo das Meer zu sehen und sich an seiner Unendlichkeit zu berauschen.

Vielleicht würde man dann so etwas wie Saudade empfinden und ein Gefühl verstehen, das nur die Portugiesen kennen.

Wäre das nicht schön – so mitten in Berlin?