Interview — Maxim

Der Mutmacher

Maxim rappt in seinem neuen Album gegen die Abstumpfung der Gesellschaft an. Wir sprechen mit ihm über die tröstende Kraft von Musik und seine Vorahnung, dass wir alle noch drastische gesellschaftliche Veränderungen erleben werden.

19. Januar 2014 — MYP No. 13 »Meine Sehnsucht« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Steven Lüdtke

Irgendetwas ist anders heute. Dieser 17. Dezember mag so gar nicht in das Schema eines vorwinterlichen Tages im Osten Deutschlands passen, das man sich über Jahre wie selbstverständlich im Kopf zurechtgeschnitten hat. Schneematsch, kalter Wind und Nieselregen? Fehlanzeige. Dafür strahlt die Sonne, als gäbe es kein Morgen.

Fast unheimlich wirken die vielen freundlichen und gut gelaunten Gesichter rund um die Warschauer Brücke, die uns auf dem Weg in den Berliner Stadtteil Friedrichshain entgegenschlendern. Die sonst so gebückten und in Mäntel versunkenen Oberkörper strecken sich aufrecht und sonnenhungrig dem Himmel entgegen. Und als stünde der Frühling vor der Tür, scheint man schnell die hauptstadttypische Kratzbürstigkeit unter den Asphalt gekehrt zu haben.

Vor uns liegt das RAW-Gelände, auf dem sich in den letzten Jahren eine bunte Szene aus Clubs, Bars und Cafés etabliert hat. Nur wenige Meter entfernt von der Warschauer Straße begrüßt uns das Astra Kulturhaus, das zu DDR-Zeiten als Kulturhaus der Deutschen Reichsbahn den Menschen musikalische Unterhaltung bot – staatlich kontrolliert versteht sich. Nach der Wende geriet das Haus ein wenig in Vergessenheit, doch im Jahr 2009 feiert es sein Comeback, legte den miefigen Namen ab und hat sich in kürzester Zeit zu einem der charismatischsten Veranstaltungsorte Berlins entwickelt.

Vorbei an einem ebenfalls sonnentankenden Sicherheitsmann betreten wir das Astra durch den Hintereingang und laden unser Equipment im Backstage-Bereich ab. Wie in einem typisch deutschen Wohnzimmer der 1970er – BRD und DDR bekleckern sich da beide nicht mit stilistischem Ruhm – springen uns diverse Tapeten in sonderbarsten Farbtönen und Wellenmustern an. Dazu gibt’s schwere Ledersofas, dunkle Holzfurniere und einen Perserteppich wie bei Oma – Imitat natürlich.
Doch auch wenn die Räume an Skurrilität kaum zu überbieten sind, kann man ihnen eines nicht absprechen: ihren sympathischen und auf ihre Weise eigenständigen Charme.

Kaum haben wir in einem der Räume unser Set aufgebaut, betritt auch schon Maxim die Szene. Freundlich und mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen begrüßt er uns und lässt sich auf einem der Ledersofas fallen. In wenigen Stunden wird er mit seiner Band hier im ausverkauften Astra auftreten. Wir rücken noch schnell einen Lampenschirm gerade, dann kann es losgehen.

Jonas:
Wer sich mit deiner Musik befasst, gewinnt den Eindruck, dass Du jemand bist, der etwas zu sagen hat im Leben.

Maxim (lacht):
Stimmt, das Bedürfnis, mich mitzuteilen, ist bei mir eindeutig vorhanden.

Jonas:
War es auch schon immer so stark ausgeprägt?

Maxim:
Ich habe tatsächlich schon immer versucht, mich irgendwie künstlerisch auszudrücken – wenn man das überhaupt so sagen kann. Mein Medium war anfangs aber eher weniger das Texte schreiben: Als 16jähriger habe ich viel Breakdance und Graffiti gemacht, die ganze HipHop-Geschichte habe ich voll mitgenommen.
Irgendwann habe ich auch eigene HipHop-Texte geschrieben, dann kam der Reggae und schließlich die Musik, die ich heute mache – wie auch immer man sie bezeichnen mag.

Jonas:
Das heißt, es fällt dir schwer, deine eigene Musik zu kategorisieren?

Maxim:
Ich mache mir darüber natürlich so meine Gedanken, denn gerade Journalisten mögen es ganz gerne, wenn es eine Schublade gibt, in der man mich und meine Musik verorten und darauf ein Schild kleben kann.
Aber das scheint bei mir irgendwie grandios zu scheitern, weil ich in jedem Interview in eine andere Schublade geworfen werde: Die einen vergleichen mich mit Clueso, Philipp Poisel und Tim Bendzko, die anderen mit Casper, Prinz Pi und was auch immer. Es besteht also eine gewisse Hilflosigkeit, mich irgendwo zuzuordnen – daher habe ich es selbst auch aufgegeben, eine Kategorie für meine Musik zu definieren.

Jonas:
Es ist ja auch wesentlich wichtiger, das Gefühl zu haben, mit seiner Musik am richtigen Platz zu sein.

Maxim:
Stimmt. Und meine Musik ist genau das, was ich machen will. Ich habe aber ganz allgemein den Eindruck, dass sich dieses Genre-Denken immer mehr verläuft. Ich kenne keinen Menschen mehr, der nur eine einzige Musikrichtung hört – höchstens vielleicht noch die Punk- oder Rap-Fans.
Aber Rap wiederum ist auch inspiriert von unterschiedlichsten Musikstilen wie etwa Soul, Indie Rock oder Electro, sodass man eigentlich nicht von einem eigenen Genre sprechen kann. Ich persönlich finde diese Vielfältigkeit aber gut, weil Musik total davon lebt, offen für anderes zu sein.

Jonas:
War dir immer klar, dass du mit deiner Kunst genau den Punkt ansteuern musst, an dem du heute bist? Oder hat sich alles auf ganz natürliche Art und Weise entwickelt?

Maxim:
Ich würde behaupten beides. Rückblickend kann ich sagen, dass ich schon immer das Gefühl hatte, dass das, was ich damals gemacht habe, noch nicht so ganz richtig war. Wenn ich einen Song geschrieben hatte, fühlte sich das zwar irgendwie gut an, trotzdem wurde mir noch nicht deutlich, wohin ich damit eigentlich will.
Dieses klare Gefühl hatte ich erst bei meinem aktuellen Album „Staub“. Als die Platte fertig war, habe ich gespürt, dass das der Punkt ist, auf den ich mich seit Jahren zubewegt habe.
Aber so etwas kann man natürlich nicht planen. Es ist nicht so, dass ich mir vor Jahren gesagt habe, dass ich erst zwei Reggae-Platten machen will, dann ein Singer/Songwriter-Album herausbringe und im Anschluss eine Platte mache, die eben das ist, was sie ist. So etwas passiert einfach und hängt wesentlich von den Leuten ab, die man im Laufe seines Lebens trifft – und von der Inspiration, die man sammelt.

Jonas:
Ist es dir wichtig, in deiner Musik auch politisch zu sein?

Maxim:
Ich bin sehr picky, wenn es darum geht, etwas Politisches oder Sozialkritisches in einen Song reinzubringen. Ich mag es einfach nicht, den Zeigefinger plakativ auf etwas zu richten und „Bush ist doof“ oder „Nazis finde ich scheiße“ zu brüllen.
Dennoch gibt es auf dem aktuellen Album den Song „Wut“, bei dem es ganz gut geklappt hat, eine bestimmte politische Thematik anzusprechen. In dem Stück geht es darum, dass ich eine gewisse Abstumpfung bemerke – nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch an mir selbst. Denn obwohl ich kein überpolitischer Schreiber bin, mache ich mir natürlich Gedanken darüber, was mit mir und um mich herum passiert.
Generell ist es aber eher schwierig, Dinge in einem Song zu verbraten, die ganz weit weg von einem sind, weil sie dadurch schnell unpersönlich werden. Aber ein Song ist ja immer gerade dann gut, wenn er sehr persönlich ist.

Jonas:
Du hast vor vielen Jahren ein BWL-Studium angefangen und wieder abgebrochen, bist dann in einen anderes Studium gewechselt, aber das ebenfalls bald hingeworfen. War Dir damals noch nicht so wirklich klar, was du mit deinem Leben anfangen willst?

Maxim:
Doch, ich wusste eigentlich schon immer, dass in meinem Leben der Fokus ganz klar auf der Musik liegen muss. Deshalb habe ich mich auch schon in sehr jungen Jahren dazu entschieden, Musiker zu werden. Anfangs glaubte ich aber noch, mir irgendein zweites Standbein schaffen zu müssen und bin auf die Schnapsidee gekommen, BWL zu studieren. Ich dachte, ich könnte das später vielleicht mal in irgendeiner Form mit der Musik kombinieren und beispielsweise ins Musikbusiness einsteigen.
Aber ich habe recht schnell gemerkt, dass so etwas für mich absolut keinen Sinn ergibt. Musiker ist man entweder voll und ganz oder eben gar nicht – etwas dazwischen funktioniert nicht. Dieser Beruf verlangt einfach zu viel Leidenschaft, Herzblut, Zeit und Schweiß, da kann man nicht noch etwas nebenbei machen.

Ich finde, diese tröstende Kraft von Songs ist etwas sehr Magisches – und für mich der eigentliche Grund, warum ich Musik mache.

Jonas:
Vor kurzem hat mir ein junger Mann erzählt, dass ihm dein Song „Meine Soldaten“ wochenlang dabei geholfen hat, über die Trennung von seiner damaligen Freundin hinwegzukommen. Ich habe das Gefühl, dass dieser junge Mann beispielhaft für viele andere Menschen steht, die etwas ganz Bestimmtes mit deiner Musik verbinden – und denen du in gewisser Weise Mut machst. Ist dir diese Tatsache überhaupt bewusst? Und wenn ja, wie gehst du mit dieser Verantwortung um?

Maxim (schweigt für einen Moment):
Auf der einen Seite ist mir schon bewusst, dass da draußen Menschen rumlaufen, die tatsächlich bestimmte Ereignisse mit meiner Musik verbinden – auch wenn diese Ereignisse nicht immer positiv behaftet sind. Ganz allgemein verbindet man oft vor allem negative Lebensereignisse wie etwa Trennungen mit einer ganz bestimmten Musik, weil man darin in dem Moment einen gewissen Halt findet.
Ich finde, diese tröstende Kraft von Songs ist etwas sehr Magisches – und für mich der eigentliche Grund, warum ich Musik mache. Für mich gehört es zur absoluten Königsdisziplin, Songs erschaffen zu können, mit denen ein Mensch eine ganz bestimmte Lebenssituation oder einen besonderen Menschen verbindet – und sich jedes Mal an die Situation oder Person erinnert, wenn er das Lied hört.
Ich sehe das aber nicht als Verantwortung: Im Endeffekt habe ich das Lied ja nur aus meiner eigenen Position heraus geschrieben. Dennoch texte ich immer offen und würde beispielsweise nie einen Namen in das Stück schreiben. In dem Moment, in dem ich einen Song herausgebe, geht es darin nicht mehr um die Person, die ich selbst meine, sondern um die, die jeder einzelne Hörer meint. Mir ist es total wichtig, dass dieser Mechanismus bei all’ meinen Songs funktioniert.
Darüber hinaus ist es in vielen meiner Stücke auch bewusst offen gehalten, ob es etwa eher um eine Trennung geht oder doch vielleicht um so etwas wie den Tod – das ist reine Interpretationssache der Person, die den Song hört. Das Lied „Wenn mein Herz nach dir ruft“ ist dafür ein gutes Beispiel. Ich habe von einigen Leuten erfahren, dass ihnen dieser Song dabei hilft, ihren Drogenentzug zu schaffen: Für sie persönlich handelt der Text von der Droge, von der man sich irgendwie abschotten will und auf die man sich nicht mehr einlassen kann, weil man gemerkt hat, dass sie einem nicht gut tut – und daher alle Grenzen dicht machen muss.

Jonas:
Erreichen dich viele Nachrichten von Menschen, die konkret davon berichten, was deine Musik bei ihnen ausgelöst hat und welche Lebenssituation damit verbunden war?

Maxim:
Ja, vor allem über Facebook. Ich finde solche Nachrichten total berührend und stehe dem mit einer großen Wertschätzung gegenüber, weil ich weiß, dass das etwas sehr, sehr Besonderes ist.
Ich hätte früher nie gedacht, dass mir so etwas einmal passiert. Als ich angefangen hatte, Reggae-Musik zu machen, war diese inhaltliche Dimension immer sehr klein. Der Schritt zu meiner Musik von heute war daher gewaltig: Plötzlich schreibt man so einen Song wie „Meine Soldaten“, mit dem man an die tiefsten Gefühle von Menschen herankommt. Das erwartet man ja nicht.
Das Stück ist zwar keiner dieser Mega-Radiohits, die jeder mitsingen kann, trotzdem ist es wunderschön zu sehen, dass ein so spezieller Song so weit kommt.

Wir unterbrechen unser Interview für einige Minuten, bauen einen Teil des Equipments ab und wechseln die Location. Vom Backstage-Bereich aus laufen wir zum Hauptraum des Astra, wo gerade die Bühne für das heutige Konzert aufgebaut wird. Ein dunkler Vorhang trennt den Konzertsaal vom Bar- und Eingangsbereich, der von großen, ballonförmigen Deckenlampen in ein warmes Licht gehüllt wird.

Maxim beobachtet das Geschehen rund um die Bühne, schiebt den dunklen Vorhang zurück und positioniert sich zwischen den beiden großen Räumen. Die großen Lampenballons wirken dabei wie Sterne, die ein sanftes Gelborange in die Dunkelheit streuen.

Jonas:
In Deutschland haben sich in den letzten Jahren viele junge, talentierte Künstler entwickelt, die mit ihrer Musik ebenfalls auf einer ganz bestimmten emotionalen Ebene unterwegs sind und herzergreifende Songs schreiben. Deine Musik scheint allerdings eine etwas andere Wirkung zu haben: Es gibt ein Video von deinem Auftritt bei TV Noir, in dem man bei der Akustikversion des Songs „Meine Soldaten“ erkennen kann, wie eine junge Frau im Publikum leise den Songtext mitflüstert – fast regungslos, aber aufrecht sitzend und mit einem gewissen Stolz im Gesicht. Ist deine Musik eher Mutmacher und Rückenstärker als Kuscheldecke und Trostpflaster?

Maxim:
Ich habe absolut keine Ahnung – ich mache das ja nicht bewusst. Ich schreibe einfach mit einer absoluten Ehrlichkeit und würde niemals versuchen, jemand anderes zu sein oder so zu tun, als seien die Dinge anders passiert.
Mein Album „Staub“ ist einfach von vorne bis hinten komplett ehrlich. Nichts ist ausgedacht, alles ist so geschehen und von mir emotional auf diese Art erlebt – nur verallgemeinert und in Bilder gepackt, damit ich nicht das Gefühl habe, mich auszuziehen.
Ich glaube, dass man jemandem in erster Linie Mut machen kann, wenn man ihm das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein. Selbst wenn ich wie im Song „Einsam sind wir alle“ sage, dass ich alleine bin, nicht weiterkomme und festhänge, gebe ich damit jemandem, der ähnlich empfindet, trotzdem das Gefühl, nicht alleine zu sein in seiner Situation. Das ist zwar paradox, aber es funktioniert – auch wenn es ein typisches Singer/Songwriter-Klischee erfüllt.

Maxim lacht.

Ich finde übrigens, dass diese Art und Weise des Erzählens mehr Mut macht als die typische Poesiealbum-Lyrik à la „Geht nach vorne, denn die Sonne wird aufgehen am Horizont! Wir werden die Segel hissen und durch den symbolischen Regen die Straße entlang marschieren!“.

Jonas:
Das Bild einer Straße kommt in einem deiner Texte ebenfalls vor – nur in einem anderen Zusammenhang: An der Straße steht das Glück, hält den Daumen raus, aber du rauschst vorbei. Hast du selbst in deinem Leben öfter das Glück verpasst?

Maxim:
Die Hauptaussage bei dem Song „Rückspiegel“ ist nicht, dass ich das Glück die ganze Zeit verpasse, sondern dass ich es nicht schaffe, in diesen einen Moment zu kommen und im Jetzt zu sein. Wenn man irgendwann glücklich sein kann, dann geht das nur im Jetzt. Man kann nicht in der Zukunft glücklich sein und auch nicht in der Vergangenheit.
Wir Menschen lieben es aber, ständig in die Zukunft zu starren oder in Erinnerungen zu schwelgen. Wir sagen entweder „Irgendwann wird das alles noch total geil in meinem Leben!“ oder „Damals war es doch am schönsten!“. Aber das bringt einem nichts, es funktioniert nicht. Entweder ist man jetzt glücklich oder gar nicht.
Das meine ich auch mit dem Rückspiegel-Bild: Man schaut in den Spiegel und erkennt, dass eigentlich in dem Moment eben alles cool war und man nicht rechtzeitig gemerkt hat, dass man eigentlich hätte glücklich sein können.

Jonas:
Würdest du zustimmen, dass Zufriedenheit wichtiger ist als Glück?

Maxim:
Ich glaube, das ist reine Definitionssache. Eigentlich geht es viel eher um die Frage, ob sich Glück nur bedingen kann durch Unglück oder ob Glück eher im buddhistischen Sinne als absolute Ausgeglichenheit verstanden werden muss.
Ich persönlich glaube, dass man Glück in Gestalt totaler Euphorie nur empfinden kann, wenn man vorher das Gegenteil erlebt hat: Depression, Leid, Schmerz – wie Schwarz und Weiß, das funktioniert nicht ohneeinander.

Jonas:
Ist Sehnsucht ebenfalls ein Gefühl, das dich bei deiner Arbeit bzw. in deinem Leben begleitet?

Maxim:
Jeder meiner Songs handelt letztendlich von der Sehnsucht – dem eigentlichen Hauptmotiv. Man kann sich im Leben ja nach vielerlei sehnen: Auf dem Album gibt es daher Songs, in denen ich mich mal nach der Ferne sehne, mal nach der Heimat, mal sehne ich mich nach Menschen, mal nach der eigenen Wut, die ich verloren habe.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich zu meinen Lebzeiten noch drastische gesellschaftliche Veränderungen vollziehen werden.

Jonas:
Warum glaubst du, dass dir deine Wut abhanden gekommen ist?

Maxim:
Ehrlich gesagt habe ich gerade das Gefühl, dass sie wieder ein wenig zurückkommt – ausgelöst durch so einige Umstände, die ich zur Zeit beobachte. Viele Leute leben mittlerweile mit der Einstellung: „Es passiert ja nichts!“, „Es wird eh nichts besser!“ oder „Warum soll man auf die Straße gehen? Das bringt doch alles nichts!“.
Diese resignative Einstellung führt dazu, dass man in sich keine Wut mehr zulässt – in erster Linie, um sich zu schützen. Man will ja nicht den ganzen Tag stinksauer durch die Welt laufen. Irgendwann sitzt man dann nur noch vor der Glotze und denkt über die vielen Probleme in der Welt einfach nicht mehr nach – obwohl die Kacke in Deutschland krass am dampfen ist. Und das wird meines Erachtens noch schlimmer.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich zu meinen Lebzeiten noch drastische gesellschaftliche Veränderungen vollziehen werden. Man merkt ja jetzt schon, dass unten vieles nicht mehr so klappt, wie man es oben gerne hätte.
Diese unendliche Resignation, die sich gerade breit macht, ist erdrückend: Viele Leute würden ja auch gerne teilhaben, aber sie wissen einfach nicht, was sie wählen sollen. Ich selbst habe beispielsweise noch nie eine Wahl wie die letzte Bundestagswahl erlebt. Ich stand vor dem Wahlzettel und dachte: eigentlich scheißegal, wo ich mein Kreuzchen mache – es passt nicht. Ich wähle letztendlich nur irgendeine demokratischen Partei, damit ich nicht die Rechten stärke.
Ich habe zwar nach langem Zögern irgendeine angekreuzt, aber glücklich war ich mit meiner Entscheidung nicht. Sollte es nicht so sein, dass man bei einer Wahl das Gefühl hat, dass es mindestens eine Partei gibt, bei der man sich gut aufgehoben fühlt und die genau das widerspiegelt, was man denkt? Überhaupt erst einmal denken – ich habe das Gefühl, das wollen viele gar nicht mehr.

Jonas:
Vielleicht geht es uns einfach noch zu gut.

Maxim:
Ja, wahrscheinlich. Aber sobald es uns wieder schlechter geht, werden sich die Menschen auch wieder mehr mit der Materie befassen. Ich hoffe nur, dass diese schlechteren Zeiten nicht die üblichen Mechanismen wie etwa einen Anstieg von Ausländerfeindlichkeit in Gang setzen. Man sucht in der Krise ja gerne einen Schuldigen. Und fündig wird man immer zuerst bei schwachen Minderheiten.

Jonas:
In der Hoffnung, dass das neue Jahr nicht schlechter, sondern besser wird: Hast du dir persönliche Ziele gesetzt?

Maxim:
Meine Hauptaufgabe in 2014 wird sein, neue Songs zu schreiben, denn ich will im neuen Jahr auf jeden Fall mein fünftes Album herausbringen. Aber jetzt fahre ich erst einmal für vier Wochen nach Vietnam, um den Reset-Button zu drücken und alles auf Null zu setzen. Das wird bestimmt super. Und wenn ich zurück bin, stehen wieder eine Tour und einige Festivals an.

Ich fühle mich nie so, als wäre ich wirklich angekommen. Aber ich habe den Eindruck, auf meinem Weg immer authentischer zu werden – wie bei jedem Menschen, der älter wird.

Jonas:
Ständig in Bewegung…

Maxim:
Stimmt. Ich fühle mich nie so, als wäre ich wirklich angekommen. Aber ich habe den Eindruck, auf meinem Weg immer authentischer zu werden – wie bei jedem Menschen, der älter wird.
Wenn man 16 ist, denkt man noch, man ist total cool und hat die Welt begriffen. Alles springt noch hin und her, in der einen Woche hat man die Frisur und in der nächsten Woche eine andere. Aber das wird Gott sei Dank immer weniger.
Ich bin zwar erst 31, aber ich merke, dass sich diese ständige Suche nach der eigenen Identität ziemlich gelegt hat. Man ist jetzt so, wie man ist, akzeptiert sich und mag sich selbst eigentlich ganz gerne.

Maxim lächelt zufrieden, legt die Hände in den Nacken und dreht seinen Kopf in Richtung Bühne – jemand benötigt seine Hilfe. Wir verabschieden uns daher von dem jungen Musiker, schießen noch einige Fotos und laufen zurück zum Backstage-Bereich, in dem unser restliches Equipment liegt.

Die Sonne, die vor gut einer Stunde noch die Gesichter der Menschen rund um die Warschauer Brücke zum Strahlen gebracht hat, wirft nun ihr geballtes Licht in das skurrile 70er-Jahre-Wohnzimmer – als würde sie uns nach draußen bitten. Also packen wir zusammen, verlassen das Astra und treten ins Freie. Wie eine warme Dusche prasseln die Sonnenstrahlen auf uns ein, drücken unsere Rücken durch und lassen die Mundwinkel nach oben schnellen. Mitten im Dezember. Mitten in Berlin.

Ist gibt Tage, die passen in keine Schublade.

Sie sind einfach nur da, um Mut zu machen – und Kraft zu geben für den Winter.