Interview — Etnik

Leuchtturm

Endlich ein Mann mit Stil! Klar, wir haben auch ein Herz für FILA-Latschen und Trucker-Cape, aber bei Etnik passt der Dandy Look perfekt zum eleganten Song. Und wer könnte sich diesem filigranem Oberlippenbart entziehen?

14. Dezember 2014 — MYP No. 16 »Meine Stimme« — Interview: Jonas Meyer, Fotos: Franz Grünewald

Am Schlesischen Tor im Nordosten Kreuzbergs ist heute alles wie immer. Menschentrauben drängen sich durch den Ein- und Ausgang des kleinen U-Bahnhofs, Tauben verewigen sich auf dem Kopfsteinpflaster, der Geruch fettiger Burger liegt in der Luft. Auf der Straße liefern sich Autofahrer energisch Hupkonzerte, wozu sich alle paar Minuten das Rattern der U1 addiert – Berliner Rush Hour eben.

Wer hier Orientierung sucht, ist fehl am Platz. Und so ist es auch irgendwie bezeichnend, dass es den Leuchtturm, der mal wenige Meter entfernt am Spreeufer stand, schon lange nicht mehr gibt. Viel ist es heutzutage ja ohnehin nicht, was einem noch eine klare Richtung zeigt: Haltung ist ein Luxus, den man sich scheinbar nicht mehr leisten will.

Es ist kurz vor 14 Uhr. Gemütlich schlendern wir von unserem Treffpunkt am Schlesischen Tor in Richtung Spree und steuern die Büros des „Chimperator“-Managements in der Pfuelstraße an, wo wir gleich mit Etnik Zarari zum Gespräch verabredet sind. Der 22jährige Hamburger macht seit einiger Zeit als Künstler der elektronischen Musik von sich reden und ist uns bereits 2013 in einem Buch begegnet. Es trägt den Titel „Legenden von morgen“ – große Worte.

Die Chimperator-Büros wirken freundlich und hell, große Fensterflächen versorgen sie mit einer ordentlichen Portion Tageslicht. Wir werden in einen Konferenzraum am hinteren Ende geführt, wo wir unser Equipment abladen und zwei Stühle für unser Interview arrangieren. Im gleichen Moment betritt Etnik den Raum. Seine wachen Augen werfen uns ein freundliches Hallo entgegen, noch bevor seine Stimme die dazu gehörenden Worte formen kann.

Der junge Musiker ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Erscheinung: Unter dem dunkelblauen Anzug trägt Etnik ein blütenweißes Hemd, das von einer schwarzen Fliege geadelt wird. Das Leder seiner Schuhe ist penibel poliert, der strenge Undercut des dunklen Haars sitzt akkurat. Wenn das mal kein Statement ist!

Wir nehmen auf den Stühlen vor der großen Fensterfläche Platz und starten unser in die Jahre gekommenes Aufnahmegerät. Unter Etniks filigranem Oberlippenbart breitet sich ein kleines Lächeln aus. Es kann losgehen!

Jonas:
Die Autorin Katharina Weiß hat dir letztes Jahr in ihrem Buch „Legenden von morgen“ ein Kapitel gewidmet, viele bezeichnen dich zudem als „Wunderkind des deutschen Techno“. Wie gehst du damit um, wenn dich andere Menschen mit derart großen Titeln belegen?

Etnik:
Ich selbst würde so etwas nie von mir behaupten – ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass ich einfach ein ganz normaler Typ bin, der versucht, seine Musik an den Mann zu bringen und das zu tun, was er wirklich mag. Trotzdem schmeicheln mir solche Titel natürlich sehr, keine Frage. Es ist ein schönes, überaus positives Gefühl, so etwas zu hören oder zu lesen.

Jonas:
Als das Buch im Mai 2013 veröffentlicht wurde, hattest du gerade deine Abiturprüfungen hinter dir. Nicht wenige fallen danach ja in ein großes Loch, weil sie nicht wissen, wie es in ihrem Leben weitergehen soll.

Etnik:
Bei mir war das eher umgekehrt. Ich habe schon vor vielen Jahren angefangen, mich mit elektronischer Musik zu beschäftigen, und wollte dieses Thema einfach nicht mehr loslassen – obwohl dadurch anfangs meine schulischen Leistungen ziemlich nachgelassen haben. Mit der Zeit habe ich es aber irgendwie geschafft, beides zu managen und gewissermaßen zweigleisig zu fahren. Und so habe ich das Abi letztendlich doch mit einer recht guten Note bestanden – und mir gleichzeitig musikalisch etwas aufgebaut. Mein Schulabschluss war für mich wie eine Befreiung: Endlich konnte ich mich voll und ganz meiner Musik widmen.

Jonas:
Was ist damals genau passiert, dass du so ein großes Interesse für elektronische Musik entwickelt hast?

Etnik:
Ich bin ganz allgemein ein sehr musikalischer Mensch, das habe ich wahrscheinlich von meinen Eltern geerbt. Meinen ersten Berührungspunkt mit elektronischer Musik hatte ich allerdings im Jahr 2004, als Benny Benassi seinen Track „Satisfaction“ herausgebracht hat. Das hat mich richtig geflasht! Damals war ich in meinem Freundeskreis leider so ziemlich der Einzige, der das gut fand – quasi ein musikalischer Außenseiter. Aber das war mir egal, ich mochte einfach diesen Musikstil.
Irgendwann bin ich auch auf Sven Väth gestoßen, der abstrakte visuelle Welten um seinen Sound herum kreiert hat. Das hat mich ebenfalls sehr fasziniert – so sehr, dass ich herausfinden wollte, wie man diese Musik produziert und welche Prozesse dahinter stehen. Also habe ich wenig später angefangen, meine ersten eigenen Tracks zu bauen – das muss so um das Jahr 2006 herum gewesen sein.

Jonas:
Du hast Glück, dass du erst im Jahr 2004 auf elektronische Musik aufmerksam geworden bist – zehn Jahre früher hätte dich wohl die große Eurodance-Keule getroffen.

Etnik (lacht):
Oh Gott, ja!

Hätte ich diese Musik in den 80ern oder 90ern gespielt, hätte ich die Leute wahrscheinlich kaum erreicht.

Jonas:
Aber im Ernst: Anfang der 2000er war die elektronische Musik gerade dabei, sich zu emanzipieren und massentauglich zu werden – ähnlich wie etwa der Rock’n Roll einige Jahrzehnte davor. Das macht die Situation einerseits leichter, weil man auf ein breiteres Publikum stößt, andererseits waren damals auch schon etliche andere Electro-Künstler unterwegs, die ihre ersten Gehversuche in diesem Genre bereits hinter sich hatten.

Etnik:
Das mag stimmen. Mein Glück war es aber, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Als ich im Jahr 2011 zum ersten Mal im Hamburger Ballsaal spielen durfte, hatte die elektronische Tanzmusik gerade ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. So war es mir möglich, mit meinem Sound den Club zum Brennen zu bringen – wenn man das so sagen darf. Hätte ich diese Musik in den 80ern oder 90ern gespielt, hätte ich die Leute wahrscheinlich kaum erreicht.

Jonas:
Wie kam es zu diesem ersten großen Auftritt, der dir in der Folge auch gleich einen Plattenvertrag beschert hat?

Etnik:
Der Veranstalter des Ballsaal-Events „Jeudi Basement“ hatte mich bereits seit einiger Zeit auf dem Schirm, da er meine Musik über Soundcloud kannte. Irgendwann entschied er sich, mir einen Donnerstag zu geben – und so trat ich zum ersten Mal offiziell unter dem Namen Etnik auf. Das war damals eine sehr korrekte Angelegenheit!
Dabei wollte ich eigentlich in dieser frühen Phase meiner Musik noch gar nicht vor Publikum auftreten, sondern einen eher konservativen Weg gehen, das heißt mir zuerst einmal ein Basement schaffen, ein Label suchen und einige Sachen releasen. Kurz gesagt: Ich wollte zuallererst etwas erzeugen, mit dem ich mich klassifizieren kann. Den Auftritt im Ballsaal hatte ich daher für mich eher als eine Ausnahme verbucht – aber diese Ausnahme hat letztendlich dazu geführt, dass ich einen Major-Label Vertrag unterschreiben konnte.

Jonas:
Du gehörst zu einer Generation junger Künstler, für die klassische Prozesse und Karrierewege der Musikindustrie nicht mehr gültig scheinen – schon alleine deshalb, weil das Medium Internet eine ganz neue Ausgangsbasis für junge Talente geschaffen hat. Diese hat beispielsweise vor 20 Jahren so noch nicht existiert. Heutzutage kann es passieren, dass ein junger Mensch innerhalb weniger Tage durch das Internet zum Star wird – und in kürzester Zeit mehr Erfolg hat als jemand, der seit Jahrzehnten auf der Bühne steht. Schürt das in gewisser Weise Neid?

Etnik:
Vielleicht. Ich glaube, dass es vor allem im Musikbusiness verheerend ist, in der alten Welt zurückzubleiben und sich nicht mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Für meine Generation ist es selbstverständlich, sich ständig im Internet zu bewegen und überall online zu sein. Und genauso selbstverständlich ist es auch, dass man das, was man tun, zuerst im Internet publiziert.
Gerade neue Musik verbreitet sich im Netz wahnsinnig schnell, die Plattform Soundcloud ist dafür das beste Beispiel. Dort kann man quasi über Nacht erfolgreich werden – nicht nur national, sondern auch international. Derjenige, der weiß, wie er dieses Medium gezielt für sich nutzen kann und dessen Prozesse überschaut, kann sich damit etwas wirklich Großes aufbauen.

Jonas:
Dein Sound wirkt sehr energiegeladen, straight und beinahe kompromisslos. Gibt es für dich selbst eine Schnittstelle zwischen deiner Musik und deiner eigenen Persönlichkeit?

Etnik:
Ich sehe diese Schnittstelle eher zwischen der Musik und meinem Äußeren. Dieser Look steht eigentlich für alles, wofür auch der Sound steht: Ich versuche bei beidem, alles sehr clean, unkompliziert und minimalistisch zu halten. Das heißt: Was ich in der Mode mag, versuche ich auch über meine Musik zu transportieren.
Daher möchte ich bei meinen Auftritten keine bunte Konfettishow hinlegen, sondern über die Musik und das Outfit einen klaren Stil kommunizieren – diese Einheit aus Sound und Look mag ich sehr.

Jonas:
Kann man die Grafik deines Etnik-Logos als logische Konsequenz dieser Einheit verstehen?

Etnik:
Absolut. Ich war so besessen davon, auch in meinem Logo diesen Stil zu etablieren, dass ich mir monatelang diverse Photoshop-Skills angeeignet habe, um meine Ideen zu diesem Zeichen irgendwie grafisch umsetzen zu können. Daher freut es mich total, dass das Logo mittlerweile einen gewissen Wiedererkennungswert hat und die Leute es mit Etnik verbinden.
Ich bin sowieso ein großer Freund davon, Dinge selbst zu gestalten. Ich mag es zum Beispiel, meine eigenen Plattencover zu entwerfen. Man selbst ist ja immer noch am nächsten an seiner Musik dran und weiß besser als jeder andere, welches Gefühl damit transportiert werden soll.

Jonas:
Jeder gestandene Kommunikationsdesigner würde sich normalerweise die Haare raufen, wenn der Kunde sagt, er gestaltet lieber selbst.

Etnik (lacht):
Ja, ich weiß.

Jonas:
Glücklicherweise kann sich das Ergebnis sehen lassen, das Logo passt gut zum Look & Feel der Figur Etnik. Empfindest du diese cleane, straighte Welt, die du um deine Musik herum erschaffen hast, als eine Direktive für dich selbst?

Etnik:
Ja, das ist sie mittlerweile. Mir ist es wichtig, diesen Stil durch alles, was ich tue, durchzudeklinieren. Ich möchte in jedem Bereich eine gewisse Konstanz herstellen – ohne aber dabei irgendeine Form von Monotonie zu erzeugen.

Ich gestatte mir Änderungen, die nach außen hin vielleicht eher unscheinbar oder dezent wirken, die für mich selbst aber eine große Bedeutung haben.

Jonas:
Welche Veränderungen kannst du dir selbst bei diesem klar definierten Stil überhaupt gestatten?

Etnik:
Ich gestatte mir Änderungen, die nach außen hin vielleicht eher unscheinbar oder dezent wirken, die für mich selbst aber eine große Bedeutung haben. Gerade wenn der Stil so klar definiert ist, können kleine Veränderungen die Aussage entscheidend beeinflussen.
Auf den Look bezogen kann das beispielsweise heißen, dass eine Fliege aus feinem Anzugstoff etwas anderes kommuniziert als eine aus gewebtem, legerem Stoff – nur ein kleiner Unterschied, der vielleicht aber etwas Entscheidendes über meine Stimmung verrät.
Musikalisch gesehen habe ich vor kurzem Veränderung zugelassen, indem ich etwas Neues ausprobiert habe – ich habe auf meiner neuen EP zu den klassischen Techno-Tracks eine HipHop-Komponente addiert: Gemeinsam mit dem Rapper Mykki Blanco ist dabei der Track „Unclassified“ entstanden. Und obwohl diese Zusammenarbeit für mich eine absolut neue Erfahrung war, war es mir auch hier wichtig, eine gewisse Ästhetik beizubehalten, die zu meinem Stil passt.

Jonas:
Gibt es eigentlich auch einen Etnik, der morgens im Jogginganzug zum Bäcker geht?

Etnik (lacht):
Den gibt es, den gibt es tatsächlich! Wenn ich beispielsweise zuhause bin und produziere, kleide ich mich so, wie es am bequemsten ist. Trotzdem finde ich es wesentlich spannender, immer wieder in meine Etnik-Rolle zu schlüpfen und den damit verbundenen Stil zu leben ¬– das fühlt sich für mich auch irgendwie authentischer an.

Jonas:
Wie kam es zu dieser doch eher außergewöhnlichen Kooperation mit Mykki Blanco, von der du eben gesprochen hast? Er hat ja wahrscheinlich nicht einfach angerufen und gefragt, ob du mit ihm zusammen Musik machen willst.

Etnik (lächelt):
Lustigerweise doch! Es war zwar nicht genau so, aber so ähnlich. Sein amerikanisches Label OWSLA hatte sich bei mir gemeldet und gefragt, ob ich Interesse hätte, ein gemeinsames Feature mit Mykki zu produzieren. Ich habe dann sehr intensiv recherchiert und mich mit seiner Kunst sowie seiner Persönlichkeit auseinandergesetzt. Ich hatte das Gefühl, das könnte funktionieren – also habe ich zugesagt. Tatsächlich waren wir beide auch ein echt starkes Team, als wir das Ganze wenig später produziert haben.

Jonas:
Planst du für deine zukünftigen EP’s und Alben ebenfalls, einen solchen „Ausreißer-Track“ mit auf die Platte zu nehmen?

Etnik:
Mit Sicherheit! Ich bin fest davon überzeugt, dass ich das beibehalten werde. Ich brauche sowieso ständig neuen Input, der mich auf Trab hält. Ein solcher Track ist auf einer Platte wie eine Spielwiese, der ein interessantes Gegenstück zu den cleanen, konsequenten Techno-Stücken bildet. Da kann ich mich selbst in gewisser Weise fallen lassen, ohne dabei an Persönlichkeit einbüßen zu müssen.

Jonas:
Die beste Blaupause, ob und wie so ein Track funktioniert, liefert dir ja wahrscheinlich erst der Auftritt in einem Club inklusive der Reaktionen des Publikums.

Etnik:
Ja, das ist für einen DJ immer der wichtigste Moment: wenn man zum ersten Mal spürt, wie das, was man zuhause peu à peu zusammengesetzt hat, im echten Leben ankommt.

Ich lege immer nur das auf, wozu ich selbst gerne tanzen würde. Ehrlich gesagt wäre ich manchmal bei meinen Sets sogar lieber auf der Tanzfläche als hinter den Plattentellern.

Jonas:
Als Rezipient da unten auf der Tanzfläche ist man immer wieder überrascht, welche Macht ein Fremder über die Bewegungen des eigenen Körpers entwickeln kann. Spielst du als DJ mit dieser Macht?

Etnik:
Nein, damit spiele ich nicht. Mir ist diese Macht auch nicht wirklich bewusst. Ich versuche einfach, ein Crowdpleaser zu sein, ohne mich selbst dabei zu verstellen. Ich lege immer nur das auf, wozu ich selbst gerne tanzen würde. Ehrlich gesagt wäre ich manchmal bei meinen Sets sogar lieber auf der Tanzfläche als hinter den Plattentellern.
Trotzdem schmeichelt es mir natürlich sehr, wenn ich merke, dass sich bei meinem Auftritt die Tanzfläche füllt und sich die Leute zu meiner Musik bewegen. Ich empfinde diese Situation immer als ein riesengroßes Kompliment, so etwas macht mich superhappy.

Jonas:
Und dabei sind dir kleinere Clubs lieber als große?

Etnik:
Prinzipiell ja, ich finde kleinere Clubs irgendwie angenehmer. Mittlerweile durfte ich aber auch die eine oder andere Festivalerfahrung sammeln und muss sagen, dass das ebenfalls irgendwas hat. Es ist cool zu sehen, wie die Leute auf einer so breiten Fläche und dazu noch tagsüber eine so gewaltige Energie entwickeln können. Ich mag einfach beide Welten sehr – denn beides hat seine Vorteile: In einem kleinen Club kann man viel besser Neues ausprobieren, man erhält ein sofortiges und unmittelbares Feedback von den Leuten auf der Tanzfläche. Dafür hat man auf einer Festivalbühne wesentlich mehr Adrenalin im Blut und erlebt seinen Auftritt selbst noch intensiver.

Etnik erhebt sich von seinem Stuhl, greift zu einem Glas und schenkt sich etwas Wasser ein. Wir nutzen die Gelegenheit, um ebenfalls einen kurzen Break zu machen und einen prüfenden Blick aus dem Fenster zu werfen. Die Lichtverhältnisse sind gerade super, also verlegen wir unser Gespräch nach draußen.

Gemeinsam spazieren wir an der Spree entlang und machen an der historischen Doppelkaianlage des Ufers Halt, wo bis zum zweiten Weltkrieg noch ein Leuchtturm stand. Heute erinnert eine Kunstinstallation an den im Krieg zerstörten Turm: eine große rote Signalkugel, die sich abhängig vom Schiffsverkehr an einem dünnen Aluminiummast auf und ab bewegt.

Wir steigen eine breite Steintreppe hinab, die seitlich von einem erhabenen Geländer aus gußeißernen Ornamenten begrenzt wird. Etnik positioniert sich auf einer der Stufen und richtet den Blick in die Kamera. Für einen Moment wirkt es, als wären Umgebung und Künstler untrennbar miteinander verbunden – und hätten eine große Klammer um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemacht.

Jonas:
Dein erster Auftritt vor Publikum liegt jetzt über drei Jahre zurück, vor etwa acht Jahren hast du angefangen, Musik zu machen. Gab es für dich zuhause immer einen großen Rückhalt für das, was du tust?

Etnik:
Meine Eltern haben mich immer unterstützt – und zwar in der Form, dass sie mir nicht ständig über die Schulter geschaut haben und mitreden wollten. Sie haben mich eher dazu ermutigt, das zu tun, worauf ich Lust habe und was ich für richtig halte. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar – und dafür, dass sie meine erste Musik-Software finanziert haben.
Die Haltung meiner Eltern macht mich bis heute sehr glücklich, vor allem weil ich weiß, dass sich einige meiner Freunde neben der Schule künstlerisch nicht so entfalten konnten, wie sie es gerne getan hätten. Deren Eltern haben die klare Ansage gemacht: Schule geht grundsätzlich vor.
Das kann ich übrigens sehr gut nachvollziehen. Das Musikbusiness ist riskant – und so schnell, wie der Erfolg kommt, kann er auch wieder gehen. Wenn man also seine gesamte Energie auf den Schulabschluss verwendet, ist man auf der sicheren Seite. Vielleicht versuche ich daher auch, in allem, was ich tue, so konsequent zu sein und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Es gab bei uns zuhause nie die Attitüde, dass jemand dachte, der Größte sein zu müssen. So eine „Hier komme ich!“-Mentalität, wie sie viele haben, war uns Gott sei Dank fremd.

Jonas:
Gibt es etwas, dass dir deine Eltern mit auf den Weg gegeben haben?

Etnik:
Ja, eine gewisse Zurückhaltung und Selbstreflektiertheit. Es gab bei uns zuhause nie die Attitüde, dass jemand dachte, der Größte sein zu müssen. So eine „Hier komme ich!“-Mentalität, wie sie viele haben, war uns Gott sei Dank fremd.

Jonas:
Das ist eine sehr hanseatische Haltung.

Etnik (lacht):
Stimmt. Ich bin einfach sehr open-mindet. Aber auch das ist ja typisch Hamburg.

Jonas:
Hamburg, das Tor zur Welt! Du selbst bist ziemlich herumgekommen in den letzten Jahren, warst unter anderem in Australien und Kalifornien. Kannst du dir vorstellen, irgendwann einmal aus Hamburg wegzuziehen?

Etnik:
Mit Sicherheit, aber nicht dauerhaft. Hamburg ist und bleibt für mich einfach die Nr. 1 – und die möchte ich ungern für immer verlassen. Ich kann mir deshalb vorstellen, vielleicht mal für einige Jahre irgendwo anders zu leben, um mich künstlerisch weiterzuentwickeln.

Jonas:
Hättest du ein Traumziel?

Etnik:
Ich habe kein wirkliches Traumziel, aber L.A. mag ich schon sehr gerne. Wenn man dort einige Wochen verbringen kann und auf Festivals oder in Clubs spielen darf, ist das klasse. Insgesamt muss für mich dabei aber immer die Balance zwischen Ausland und Zuhause stimmen.

Jonas:
Leider geht in den Clubs in L.A. schon um 2:00 Uhr das Licht an.

Etnik:
Ja, das ist doof – in Australien ist es übrigens ähnlich. Daran erkennt man, in welcher glücklichen und freien Lage wir clubmäßig in Deutschland sind. Diese Freiheit hat mich auch sehr geprägt: Mit 18 war ich ein wirklich krasses Clubkind. Damals hätte ich einiges verpasst, wenn man in Hamburg schon um 2:00 Uhr das Licht angemacht wäre.

Jonas:
Das Licht ist wiederum der Vorteil von L.A. – diese Sonne gibt es weder in Hamburg noch in Berlin. Manche sagen sogar, das Licht dort sei magisch und könne besonders viel kreative Energie freisetzen.

Etnik:
Oh ja.

Jonas:
Gibt es etwas, wovon du träumst?

Etnik:
Ich träume von nichts Großem. Ich würde fast behaupten, dass ich meinen Traum eigentlich schon erfüllt habe. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich bisher erreichen konnte, und freue mich, wie meine Musik bei den Menschen ankommt. Aber wie heißt es so schön: Nach oben hin gibt es keine Grenzen. Wer weiß, was noch passiert.

Es wird kühler, wir laufen zurück zu den „Chimperator“-Büros. Als wir bereits am Eingang stehen, entdecken wir am Ende der Straße eine unscheinbare Wand aus grau bemalten Backsteinen. Spontan entscheiden wir, dort noch einige Fotos zu schießen.

Etnik geht vor der Backsteinwand in Position, richtet den Rücken auf und fixiert uns mit seinem Blick. Für einen Moment halten wir inne und schauen uns gegenseitig an. Haltung ist ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten will?

Gott sei Dank gibt es noch Ausnahmen – sie sind die Leuchttürme unserer Zeit.

Und in Hamburg gibt es davon einige.